Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Prädikantin Ursula Schmidt: Lukas 1, 46 – 55 Magnificat - Das älteste Adventslied

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'Verkündigung an Maria, Detail: Jungfrau der Verkündigung', um 1472-1475, Leonardo da Vinci

4. Sonnntag im Advent

Magnificat - Das älteste Adventslied Lukas 1, 46 – 55

Predigt gehalten von Prädikantin Ursula Schmidt im Kirchsaal Süd

GNADE sei mit Euch und FRIEDE von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus!

Heute haben wir einen Tauf- und einen Singgottesdienst. Und es könnte fast so aussehen, als ob die Theologen dies geahnt hätten, als sie den Predigttext für den 4. Advent diesen Jahres ausgesucht hatten, denn was könnte für heute passender sein als ein Lob- und Dankgesang?
Der heutige Predigttext ist nämlich tatsächlich ein Lied.
Laut Auslegung von Dietrich Bonhoeffer ist dieser Predigttext das älteste Adventslied des Christentums. Ein Adventslied allerdings, das anders ist als viele der uns bekannten Adventslieder. Dieses Lied wird mit Enthusiasmus gesungen, mit Begeisterung, mit Überschwang und mit Leidenschaft.
Dieses Lied handelt von der Größe und der Unbegreiflichkeit des barmherzigen Gottes.
Und die Person, die es singt, zeigt uns mit diesem Lied nicht nur, welche Bedeutung und welchen Einfluss Gott im Leben eines Menschen haben kann, sondern diese singende Person ist buchstäblich und wortwörtlich ERFÜLLT von Gott.
Dieses Adventslied wird von einer schwangeren Frau gesungen; sie singt aus vollem Herzen ein Loblied auf Gott.
Das Lied, das sie singt, heißt MAGNIFICAT, Maria stimmt es an, die Gott als Mutter seines Sohnes erwählt hat. Maria singt es bei der Begegnung mit ihrer Cousine Elisabeth, die mit Johannes dem Täufer schwanger ist, und Lukas hat es im 1.Kapitel seines Evangeliums aufgezeichnet.

'Antienne du 'Magnificat' pour le Lundi', 2006, MicheletB

Meine Seele erhebt den Herrn,
und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes;
denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.
Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.
Denn er hat große Dinge an mir getan,
der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.
Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht
bei denen, die ihn fürchten.
Er übt Gewalt mit seinem Arm
und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
Er stößt die Gewaltigen vom Thron
und erhebt die Niedrigen.
Die Hungrigen füllt er mit Gütern
und lässt die Reichen leer ausgehen.
Er gedenkt der Barmherzigkeit
und hilft seinem Diener Israel auf,
wie er geredet hat zu unsern Vätern,
Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.

In London im Jahr 1933, also kurz vor seiner Entscheidung, das sichere England zu verlassen und nach Deutschland zurückzukehren, wo ihn der Tod erwartete, hat Dietrich Bonhoeffer über das Magnificat gesagt:

“Dieses Lied der Maria ist das älteste Adventslied. Es ist zugleich das leidenschaftlichste, wildeste, ja man möchte sagen revolutionärste Adventslied, das je gesungen worden ist. Es ist nicht die sanfte, zärtlich verträumte Maria, wie wir sie auf Bildern dargestellt sehen, sondern es ist die leidenschaftliche, hingerissene, stolze, begeisterte Maria, die hier spricht.“

Wenn ich versuchen würde, das Magnificat zu interpretieren oder ein angemessenes Bild der Maria zu zeichnen, würden Sie heute nicht mehr zum Singen, geschweige denn nach Hause kommen.
Es gibt ganze Bibliotheken voll von Büchern, die sich mit dem Lobgesang der Maria befassen.
Unzählige Bibelübersetzer, Theologen, Musiker und Wissenschaftler in der ganzen Welt haben sich mit dem Lobgesang der Maria befasst - und ihn für ihre jeweilige Überzeugung genutzt und oft auch ausgenutzt.
Die Auslegungen des Magnificats reichen von streng katholischen Deutungen bis zu radikal feministischen Interpretationen.
Ich werde heute weder das Magnificat in einer zeitgemäßeren Sprache umdichten noch mich mit den einzelnen Versen befassen können, ich kann mich nur auf den Grundtenor, auf die wesentliche Aussage dieses Liedes beschränken.

Worum geht es hier?
Im Vordergrund steht die singende Maria, und das ist eine Besonderheit, denn in der Bibel kommen singende Frauen nicht allzu häufig vor.
Aber es geht nicht um die Verehrung einer besonderen Frau. Maria steht zwar im Vordergrund, aber nicht im Mittelpunkt. Maria singt, aber sie ist trotz allem hier nicht die Hauptperson. Im Mittelpunkt ihres Liedes steht der allmächtige GOTT!
Wichtiger als diejenige, die singt, ist derjenige, der besungen wird.
Und Maria singt, sie hält keine Predigt. Es geht hier im wesentlichen um Singen statt um Sagen!
Ob manche unserer Predigten vielleicht wirkungsvoller wären, wenn sie nicht gesprochen, sondern gesungen würden? - Aber keine Angst, ich frage nur, ich fange jetzt nicht an zu singen ...

'Verkündigung an Maria, Detail: Maria, 1512-1516, Matthias Grünewald

Maria bezeugt mit ihrem Lied ihren Glauben - inbrünstig, leidenschaftlich und realistisch zugleich - mitten in der Erwartung ihres Kindes.
Maria besingt unbegreifliche Dinge, die nicht mit dem Verstand, sondern nur im Glauben erfasst werden können: Maria besingt ein Wunder; sie besingt die Umkehrung aller Werte; sie besingt das Geheimnis der Macht in der Ohnmacht, das mit der Geburt des Gottessohnes Realität werden wird.
Maria besingt, dass sich der große Gott in seiner Barmherzigkeit so klein machen wird, dass er in ihr als Mensch geboren wird. Sie besingt also das Geheimnis der Inkarnation, sie besingt das Geheimnis der Menschwerdung Gottes.

Mit diesem Lied verleiht Maria ihren Erfahrungen und Empfindungen Ausdruck; alle ihre Sinne scheinen in Gottes Liebe und Lob zu schweben.
Maria - so sieht es Martin Luther „lehrt uns mir dem Exempel ihrer Erfahrung und mit Worten, wie man Gott erkennen, lieben und loben soll.“
Maria singt also nicht nur für sich allein. Maria singt so, dass wir ihr nachsingen dass wir mit ihr singen können.

„Meine Seele erhebt den Herrn“ singt Maria und stellt uns damit die Frage, wer oder was wir in unserem Leben wichtig ist, wen oder was wir „erheben“, wen oder was wir in unserem Leben groß machen, wen oder was wir hoch heben.

Gerade in diesen letzten Tages des Advents, die wir oft mit Vorbereitungen, Terminen und Veranstaltungen hektisch anfüllen statt bewusst und in echter Vorfreude auf das Christfest zuzugehen, singt Maria dieses Bekenntnis: „Meine Seele erhebt den Herrn“.
Und zugleich stellt sie uns damit die Frage: „Wen erhebt ihr in eurem Leben ?“ Diese Frage ist lebenswichtig - überlebenswichtig für einen jeden von uns, für Sie und für mich.
Dieser Frage können wir nicht ausweichen, dieser Frage „Wen erhebt meine Seele?“ müssen wir uns stellen, nicht nur in der Adventszeit, sondern jeden Tag, immer wieder neu.
Lassen Sie uns jetzt gemeinsam Adventslieder singen!

Singen wir sie, altmodisch ausgedrückt mit Inbrunst, modern ausgedrückt mit Enthusiasmus. Denn diese Lieder können uns Wege aufzeigen zu unserem ganz persönlichen Magnificat.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unser Verstand und unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen, unsere Sinne und unser Handeln in Jesus Christus, unserem Herrn!

AMEN !

Das Gemälde 'Verkündigung an Maria, Detail: Jungfrau der Verkündigung', um 1472-1475, Leonardo da Vinci, und dessen Reproduktion gehört weltweit zum "public domain". Das Bild ist Teil einer Reproduktions-Sammlung, die von The Yorck Project zusammengestellt wurde. Das copyright dieser Zusammenstellung liegt bei der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH und ist unter GNU Free Documentation lizensiert.
Das Bild 'Antienne du 'Magnificat' pour le Lundi', 2006, MicheletB, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
Das Gemälde 'Verkündigung an Maria, Detail: Maria (Isenheimer Altar, ehemals Hauptaltar des Antoniterklosters in Isenheim/Elsaß, zweite Schauseite, linker Flügel, Musée d'Unterlinden, Colmar), 1512-1516, Matthias Grünewald, ist lizensiert unter der GNU Free Documentation License.

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