Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
Zurück zum Archiv Home der Dreikönigsgemeinde

Evangelisch-Lutherische

DREIKÖNIGSGEMEINDE

Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Prädikantin Ursula Schmidt: Lukas 18, 1 - 8 Beharrliches Gebet

« Predigten Home

'Alte Frau beim Gebet' Rijksmuseum, Amsterdam, ca. 1655

'Alte Frau beim Gebet' Rijksmuseum, Amsterdam, ca. 1655

Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr

Beharrliches Gebet Lukas 18, 1 - 8

Predigt gehalten von Prädikantin Ursula Schmidt

Liebe Gemeinde,

in dem uns für heute vorgeschlagenen Predigttext begegnen uns zwei Menschen, die wir in der Sprache unserer Zeit nicht gerade als Sympathieträger bezeichnen würden. Würden wir ihnen heute begegnen, so würden wir - wenn möglich - um beide einen großen Bogen machen, weil sie uns unsympathisch sind. Die eine Person wäre uns wahrscheinlich lästig, die andere Person sogar widerlich – und doch sind ausgerechnet diese beiden die Hauptpersonen eines der eindringlichsten Gleichnisse Jesu, das im 18.Kapitel des Lukasevangeliums, in den Versen 1 –8 steht:

Er sagte ihnen aber ein Gleichnis darüber, dass sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten, und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen. Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher! Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue, will ich doch dieser Witwe, weil sie mir soviel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage. Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er's bei ihnen lange hinziehen? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. Doch wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?"

Sicher haben Sie dieses Gleichnis oder Auslegungen darüber schon so oft gehört, dass es ihnen nichts Neues mehr zu bieten scheint. Es erscheint altvertraut. Vielleicht zu vertraut. Vielleicht erscheinen die Ecken und Kanten dieses Gleichnisses schon so abgeschliffen, dass wir seine Untiefen und Merkwürdigkeiten kaum noch bemerken.

Dieses Gleichnis spielt offensichtlich eine ganz besondere Rolle unter den vielen Gleichnissen, die in den Evangelien zu finden sind.
Denn ist es nicht merkwürdig, dass Jesus nicht – wie er es sonst so oft tut – seinen Zuhörern Zeit zum Überlegen, zum Interpretieren oder zum Rätseln lässt, was sein Gleichnis wohl bedeuten könnte?
Hier sagt Jesus gleich am Anfang, WARUM er dieses Gleichnis erzählt, und nicht wie meist üblich erst am Schluss.
Keiner kann sagen: “Was soll das Ganze? Das kann ich aber nicht verstehen.“ Keiner kann sich herausreden, auch wir nicht. Jesus setzt seine Zuhörer sofort ins Bild: „ER SAGTE IHNEN ABER EIN GLEICHNIS DAVON, DASS SIE ALLEZEIT BETEN UND NICHT NACHLASSEN SOLLTEN.
Aber das ist nicht die einzige Besonderheit dieses Gleichnisses.

Es gibt eine weitere Besonderheit, wenn wir den Text in verschiedenen Bibelübersetzungen lesen. Dabei fällt nämlich auf, dass dieses Gleichnis verschiedene Überschriften hat. Überschriften deuten in der Regel auf den Kern eines Textes.
Wenn ein und dasselbe Gleichnis bei verschiedenen Bibelübersetzern also unterschiedliche Überschriften hat, dann bedeutet das entweder, dass sie den Hauptschwerpunkt dieses Textes an verschiedenen Stellen sehen bzw. dass sie ein und dasselbe Gleichnis unterschiedlich auslegen.
Hier haben wir also die 2.Merkwürdigkeit:
Obwohl Jesus sofort zu Beginn sagt, was dieses Gleichnis zu bedeuten hat, wird dieser Text einmal "Das Gleichnis von der bittenden Witwe" und ein andermal "Das Gleichnis vom ungerechten Richter" genannt.
Und als ob es damit nicht genug wäre: in einigen englischen Bibelübersetzungen ist die Überschrift sogar noch drastischer, hier heißt der Text sogar "Das Gleichnis von der aufdringlichen bzw. von der lästigen Witwe".
So müssen wir uns fragen, ob es bei diesem Gleichnis um die Aufforderung des unaufhörlichen Betens oder um das Problem der Gerechtigkeit geht.

Bei so vielen Merkwürdigkeiten müsste es uns eigentlich klar werden, dass der uns vertraute Text doch nicht so einfach ist, dass er uns vor einige Herausforderungen stellt. Folgen wir also dem Text.
Da lebte ein Richter, "der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen." Offensichtlich ein Mann, der nach seinen eigenen Maßstäben lebt, ohne Ehrfurcht vor Gott und ohne Respekt vor Menschen, ohne Rücksicht auf Menschen.
Wir können uns vorstellen, wie selbstherrlich, wie hart und sicher auch wie ungerecht er in der Ausübung seines Amtes ist, dass er sein Amt missbraucht. Nur er selbst stellt die Regeln auf, er misst das Recht nach eigenem Gutdünken, wahrscheinlich sogar zu seinem eigenen Vorteil.

Und noch etwas kommt zu dem drohenden Aspekt, den die 10 Gebote oft haben. Wenn sie vor allem als VERBOTE verstanden werden, reizen sie oft förmlich dazu, gegen sie anzugehen – nach dem Motto "Verbote sind dazu da, sie zu brechen".

Leider ist dieser Typ Richter kein Einzelfall – weder vor 2000 Jahren noch heute.
Ein Richteramt verleiht Macht – und leider allzu oft die Macht, die Gerechtigkeit zu beugen. Davon können wir immer wieder hören und lesen. Selbst in unserem Rechtsstaat gibt es zu wenig wirklich weise Richter nach dem Vorbild des Königs Salomon, sondern zu viele selbstherrliche Richter. Wehe den Menschen, die auf solch einen selbstgerechten Richter stoßen, wenn ihre Suche nach Gerechtigkeit von solch einem Menschen abhängt. Und vor diesen ungerechten Richter kommt, so erzählt Jesus, eines Tages eine Witwe und verlangt "Recht vor ihrem Widersacher".
Hier treffen zwei Menschen auf einander:
eine Witwe, damals der Inbegriff der Machtlosigkeit, kommt vor einen Richter, der den Inbegriff der Allmacht verkörpert.
Die Witwe verkörpert die Armen und Rechtlosen; ihre Stellung in der Gesellschaft ist ganz tief unten - so wie manchmal bei den Witwen in Indien, die sich oft auch heute noch aus Verzweiflung über ihre Situation verbrennen. Sie hat nichts, um den harten Richter milde zu stimmen, sie hat kein Geld, um ihn zu bestechen. Aber sie hat etwas, womit sie dem Richter unangenehm wird, etwas, womit sie, die Machtlose, eine gewisse Macht auf den sich allmächtig wähnenden Richter ausüben kann: sie erweist sich als ausdauernd, als hartnäckig, als aufdringlich, ja sogar als lästig. Sie lässt dem Richter, der nichts für sie tun will, keine Ruhe, sie lässt sich nicht abweisen, sie kommt immer wieder zu ihm. Sie geht ihm so sehr auf die Nerven, dass sich der Richter schließlich zum Handeln gezwungen fühlt. Er, der scheinbar Allmächtige, der weder vor Gott noch den Menschen Respekt hat, befürchtet schließlich, dass die scheinbar Machtlose ihm gegenüber handgreiflich werden könnte, wenn er ihr nicht endlich Recht verschafft.
Die Witwe ist so sehr davon überzeugt, dass der Richter ihr Recht verschaffen muss, dass ihr Recht zusteht, dass sie den Eindruck hinterlässt, dafür ungerechte Mittel wie körperliche Gewalt gegen den Richter einzusetzen.
Auch diese Haltung kennen wir, dass Menschen um jeden Preis Gerechtigkeit verlangen, dass sie IHRE Gerechtigkeit einfordern, derart radikal, dass sie uns unangenehm, ja sogar unheimlich werden. Denken Sie nur an den gerechtigkeitsliebenden Michael Kohlhaas, der um seine persönliche Gerechtigkeit zu erlangen, zum Verbrecher wurde. Denken Sie an Terroristen, die ihrer Meinung nach für eine gerechte Sache mit Gewalt kämpfen. Und solch ein Mensch scheint auch die Witwe zu sein, die dem ungerechten Richter immer radikaler zusetzt.
Die Blamage, dass eine sozial schwache Frau ihr Recht buchstäblich in die eigene Hand nehmen und ihn schlagen würde, kann der Richter nicht eingehen; das würde sein Image beschädigen.
Deshalb rafft er sich schließlich notgedrungen auf und hilft ihr.

Und hier zieht Jesus eine Art Parallele, die eigentlich keine wirkliche Parallele ist: wenn sogar ein ungerechter Richter Recht spricht, um wie viel mehr wird der barmherzige Gott denen Recht verschaffen, die ihn darum Tag und Nacht anrufen.
Durch Jesus wissen wir, dass Gott nicht nur das krasse Gegenteil des Richters ist, dass Gottes Gerechtigkeit viel mehr ist als das Gegenteil von Ungerechtigkeit.
Gottes Gerechtigkeit lässt sich nicht mit juristischen Kategorien oder mit philosophischen Definitionen von Gerechtigkeit messen.
Vielleicht ist Gottes Gerechtigkeit so wie es ein großer Denker einmal formuliert hat:
"Im Himmel werden wir uns über dreierlei wundern:
1. Menschen zu treffen, die wir dort nie vermutet hätten.
2. Menschen nicht zu treffen, die wir dort vermutet hätten.
3. Uns selbst dort zu treffen."

Mit diesem Bild über den Himmel wird deutlich, dass unsere Kalkulationen darüber, was vor Gott rechtens, was bei Gott gerecht ist, falsch sind. Menschliche Vorstellungen sind nicht die Richtschnur für Gottes Gerechtigkeit. Gottes Gerechtigkeit ist höher als alles, was wir Menschen uns vorstellen und ausdenken können.

Dementsprechend hat auch das Beten andere Dimensionen als unsere menschlichen Vorstellungen.
Deswegen erzählt Jesus dieses Gleichnis.
Jesus sagt nicht, dass die Konsequenz unseres unablässigen Betens zu Gott die Erfüllung unserer Gebete ist. Er sagt nicht, dass mir Gebetserhörung zusteht. Beten ist nicht ein Garantieschein für Gebetserhörung.
Aber die ART des Handelns der Witwe ist ein Symbol für die Wesensart des Gebetes:
Beten ist nicht eine Verlegenheitslösung, wie z.B. Stoßgebete.
Beten ist auch nicht ein Zufallsprodukt unserer Laune, indem man nur betet, wenn man sich danach fühlt.
Jesus lehrt uns mit diesem Gleichnis, dass es wichtig und notwendig ist, geduldig, ausdauernd, unermüdlich, beharrlich, dringlich, konstant, ja hartnäckig zu beten. Gott mit unseren Gebeten quasi in den Ohren zu liegen.

Eine Ahnung davon hatte ein kleines Mädchen, das eines Tages zu seiner Mutter kam und behauptete: "Im Himmel glaubt der liebe Gott sicher, ich bin schon gestorben!" Als die Mutter überrascht fragte: "Wie kommst du denn darauf?", antwortete das Kind: "Weil ich schon seit mehr als einer Woche nicht gebetet habe!"
Sicher ist Gott nicht so engherzig, aber dennoch hat das Mädchen etwas von der Wichtigkeit des Gebets begriffen.

Aber das Gleichnis ist nicht zu Ende mit der Betonung der NOT-wendigkeit des Gebetes. Das Gleichnis hat einen offenen Schluss; es endet mit einer Frage, die in diesem Zusammenhang äußerst seltsam erscheint, und damit sind wir bei der 3. Merkwürdigkeit unseres Predigttextes.

Jesus fragt: "Doch wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?"

Jesus, der die ganze Zeit über seine Zuhörer in der Mehrzahl angesprochen hat, fragt jetzt sehr direkt und jeden ganz persönlich, so dass wir uns nicht länger in der Menge der Zuhörer verstecken können: "Meinst DU...?"
Jetzt sind Sie und ich direkt angesprochen. Jesus fragt nicht, ob wir sein Gleichnis verstanden haben, er fragt nicht, ob uns die Wichtigkeit des Gebetes eingeleuchtet hat. Jetzt stellt Jesus die Kernfrage, Jesus fragt: "Meinst du, wenn der Menschensohn kommen wird, dass er Glauben finden wird auf Erden?"
Jetzt müssen wir sozusagen Farbe bekennen, nämlich ob Sie und ich glauben, dass Jesus dieser Menschensohn ist, dass nur Jesus und niemand anderes dieser Messias ist, der als Christus unser alleiniger Retter ist in dieser und in der jenseitigen Welt .
Diese Frage muss jeder, Sie und ich, für sich selbst und vor Jesus ganz allein beantworten, denn von der Beantwortung dieser Frage hängt unser Leben und Sterben ab.

Möge Gott uns immer wieder neu die GNADE des tröstlichen Glaubens und der festen Gewissheit schenken, dass JESUS der Christus ist, der uns zum unablässigen heilmachenden Gebet ruft.

Und der Friede Gottes, der all unser menschliches Denken übersteigt, bewahre unsere Herzen in Jesus Christus, unserem Herrn.

Amen.

Das Kunstwerk 'Alte Frau beim Gebet' Rijksmuseum, Amsterdam, ca. 1655, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

^ Zum Seitenanfang