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Predigten von Pfarrer Thomas Sinning: Karfreitag Am Kreuz hängen viele Hebr.9,15.26b-28

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'cricifix fragment Avignon Petit Pale', XIII century, Berlinghiero

Karfreitag

Am Kreuz hängen viele Hebr.9,15.26b-28

Predigt gehalten von Pfarrer Thomas Sinning am 6. April 2012 in der Bergkirche

Sonst hätte er oft leiden müssen vom Anfang der Welt an. Nun aber, am Ende der Welt, ist er ein für alle Mal erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben. Und wie den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht: so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen; zum zweiten Mal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil. Hebr.9,15.26b-28

Liebe Gemeinde!

Hier wird das Karfreitagsgeschehen gleichsam aus himmlischer Perspektive geschildert. Dabei kommen all jene gar nicht vor, die nach den Berichten in den Evangelien dabei waren, wie wir vorhin in der Lesung gehört haben: weder die Soldaten, noch Pilatus oder der Hohepriester Kaiphas, und auch nicht die Frauen, die unter dem Kreuz stehen. Sie alle nimmt der Verfasser des Hebräerbriefes nicht in den Blick. Ihm geht es um den Einen, der im Mittelpunkt des ganzen Geschehens steht: um Jesus Christus.

Doch mit dem Einen, mit dem leidenden und sterbenden Jesus, kommen für uns auch die Vielen in den Blick: die Millionen von Menschen, die auch ihre je eigenen Erfahrungen mit Leiden und Sterben machen müssen: „So, wie jeder Mensch einmal sterben muss, so ist auch Christus einmal gestorben.“ Aber, und darauf kommt es an: Hier steht nicht: „Christus ist auch gestorben,“ sondern: „Christus ist einmal geopfert worden.“ Hier wird eine Verbindung hergestellt zwischen Jesu Leiden und Sterben und zwischen dem Leiden und Sterben vieler Menschen auf der ganzen Welt. Und da kommen viele Menschen in den Blick. In einem Schulbuch fand ich folgenden Text:

'What Our Lord Saw from the Cross', between 1886 and 1894, James Joseph Jacques Tissot

Am Kreuz hängt nicht nur einer,
am Kreuz hängen viele.
Von Freunden vergessen,
von den Zeitungen verschwiegen,
von Krankheit geplagt,
von Sorge gequält,
von Langeweile ausgehöhlt,
von Ansprüchen erdrückt,
von Angst erpresst,
von Hass vergiftet.
Am Kreuz hängt nicht nur einer,
am Kreuz hängen viele.
Sollen wir nur von dem einen reden?

Der Verfasser unseres Predigttextes sagt nun: Wenn wir den einen, Christus, in seinem Leiden sehen und verstehen, dann werden wir auch Antwort finden auf die Frage nach dem Leiden und Sterben vieler Menschen. Und eben darin hat Christi Sterben eine unüberbietbare Einmaligkeit. Wenn millionenfach Menschen unschuldig leiden und sterben, und deren Leiden und Sterben oft sinnlos scheint, so hat doch dieser eine Tod, den Jesus am Kreuz gestorben ist, seinen Sinn. Denn durch Jesu Tod wird „die Sünde weggenommen“; durch Jesu Tod geschieht die Erlösung aus all den verhängnisvollen Zusammenhängen von Schuld, Not und Tod, die das Leben eines Menschen belasten und schwer machen.

Diese Erlösung, das ist etwas, das geschieht ohne meine eigene aktive Beteiligung. Sie geschieht, ohne dass es auf meinen guten Willen und meine moralischen Anstrengungen oder auf meine spirituellen Bemühungen ankäme. Erlösung geschieht allein durch Christus. Das ist es, was ihn unterscheidet von allen anderen. Das ist es, wofür Christus gestorben ist. Das ist es, was für alle Menschen eine gute Botschaft ist: Wir müssen uns nicht selber erlösen, wir können es auch nicht, aber er hat es getan.

Aber: Musste es so sein? Brauchte Gott dieses Opfer, und brauchen wir Menschen es? Es fällt heute in der Tat vielen Menschen schwer, daran zu glauben, dass es ein blutiges Menschenopfer brauchte, um Vergebung und Versöhnung zwischen Mensch und Gott zu erwirken.

Hier in dem Hebräerbrief ist gesagt: "Sein Tod ist zur Erlösung der Übertretungen geschehen, ... und er ist ein für allemal erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben."

Eines ist damit deutlich, liebe Gemeinde: das lebensgefährdende und gemeinschaftszerstörende Tun, das die Bibel "Sünde“ nennt, das ist nichts, was zu verharmlosen oder in irgendeiner Weise zu relativieren wäre. Ob es uns passt oder nicht; die Sünde ist ein Teil unserer menschlichen Wirklichkeit. Wenn Jesu Tod ein Opfer zur Aufhebung der Sünde genannt wird, dann wird diese Wirklichkeit der Sünde erst einmal ernstgenommen.

Und damit, so sagt es unser Bibeltext, kann es tatsächlich wahr werden: dass die Sünde einmal kein Thema mehr sein wird. Dass die Teufelskreise von Schuld, Gewalt und Unversöhnlichkeit, von Sorge, Gleichgültigkeit und Angst durchbrochen werden. Dass wir erlöst werden von unseren Eitelkeiten, Empfindlichkeiten, von unserem Rechthabenwollen gegen andere und von unseren versteckten Vorurteilen gegen Andersdenkende und Andersglaubende.

'Christ Giving His Blessing', 1481, Hans Memling

Doch braucht es dazu wirklich ein Opfer? Ist ein Opfer zur Besänftigung Gottes nicht ein Relikt aus früheren Phasen der Religionsgeschichte, die wir längst überwunden haben? Nun, in der Tat wird das schon in der Bibel angedeutet, wenn etwa Abraham bei der Opferung Isaaks von einem Engel daran gehindert wird, seinen eigenen Sohn zu opfern, oder wenn es beim Propheten Hosea heißt: „Gott spricht: Ich habe Wohlgefallen an der Barmherzigkeit und nicht am Opfer.“ Eine Stelle übrigens, die Jesus mehrfach zitiert.

Und doch ist damit der Gedanke des Opfers nicht einfach erledigt. Denn ein Blick in die Geschichte zeigt: erst wenn Opfer zu beklagen sind, dann fangen Menschen an, ihr Verhalten zu ändern. Erst wenn das Elend des Krieges augenscheinlich geworden ist, erst wenn unschuldiges Leid zu beklagen ist und die Klage darüber laut wird, fangen Politiker an, ihre Strategien zu überdenken. Erst wenn das Leiden zu groß geworden ist, das Menschen einander antun, werden sie oft erst fähig zum Frieden. So bitter und zynisch es klingen mag: Ohne Opfer wird es mit der Menschheit nicht besser. Leider. So scheint es in der Natur des Menschen zu liegen. Erst ein Opfer hat die Kraft, etwas zum besseren zu ändern.

Auf den Philippinen lebte ein Mann, der an Armen und Beinen verkrüppelt war. Er war ein überzeugter Christ, der, weil er als angeblicher Kommunist unter Verdacht geraten war, die Folterkammern des Militärs hinter sich hatte. Seine Anwälte rieten ihm, die Menschenrechte einzuklagen. Er aber wehrte ab mit den Worten: „Hätte Christus das auch getan? Stellte der nicht die Herrschaftsverhältnisse dadurch auf den Kopf, dass er sich preisgab? Nein,“ sagte der Mann, „der Geschlagene siegt immer.“

Der Geschlagene siegt immer. Das klingt auf den ersten Blick unlogisch, Doch es weist darauf hin, dass ein Opfer mehr Kraft hat als ein bloßer Appell an den guten Willen oder die bessere Einsicht. Ein Opfer, das einer bewusst mit dem Einsatz seines Lebens bringt, hat eine Wirkung, die tief in unsere Seelen dringt. Ein Opfer vermag einen Menschen wirklich zu verändern und die unheilvollen Verhältnisse umzukehren.

Das ist es, was Christus am Kreuz getan hat. Er hat die unheilvollen Verhältnisse und Strukturen, die so viel Leid verursachen bis heute, er hat sie umgekehrt, indem er, der von Gott Gesandte, sich selber darin hineingegeben hat. "Wie wunderbarlich ist doch diese Strafe! Der gute Hirte leidet für die Schafe, die Schuld bezahlt der Herre, der Gerechte, für seine Knechte," dichtet Johann Heermann.

Damit steht Gott ganz auf unserer Seite, liebe Gemeinde. Das ist der "Neue Bund" den Gott mit uns Menschen schließt. Ein für alle mal. Es sind unendlich viele, die nach Jesus unschuldig Gewalt erleiden werden. Aber all dies, was wir bis heute erleben, das ist keine millionenfache Wiederholung des Leidens Christi. Wäre es so, dann könnte man nur noch zum Zyniker werden oder einfach verzweifeln. Aber Christi Tod ist kein sinnloses, sondern vielmehr ein wirksames Opfer gewesen. Es hat etwas grundlegend verändert. Denn es macht alle die, die unter Gewalt, unter Angst und Hoffnungslosigkeit leiden, und die, die die Belastungen ihrer eigenen Schuld und Unversöhnlichkeit spüren, dessen gewiss: Gott steht an meiner Seite.

'Kreuz aus Liebe', PSch

Und alles das, was heute noch mein Leben wie ein Riss schmerzlich durchzieht - was ich anderen zufüge und was ich selber erleide - alles das ist seiner letzten Macht beraubt. Davon bin ich befreit. Ein für alle mal. Doch es kommt ganz entscheidend darauf an, dass ich aus dieser Gewissheit heraus auch lebe: die letzte Macht die am Ende Recht behält, ist Gottes Liebe. Deshalb heißt es in unserem Predigttext: „Wenn Christus am Ende der Zeiten kommt, dann zum Heil denen, die auf ihn warten.“

Gerade da, wo die lebenszerstörenden Kräfte der Sünde die Oberhand gewinnen, da ist es gut, sich darauf zu besinnen, dass Christi Sterben am Kreuz dem scheinbaren Triumph der Sünde des Unrechts die Schau gestohlen hat.

Und noch etwas: Der Blick auf Christi Leiden und der Glaube an die erlösende Kraft seines Sterbens setzt positive Kräfte frei. In der Barmer Erklärung von 1934, einem wichtigen Bekenntnis unserer Kirche, ist das so ausgedrückt: „Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen.“

Dieses Bekenntnis bleibt aktuell. Denn nichts brauchen wir nötiger als die Befreiung von den Bindungen, die das Leben und Zusammenleben der Menschen gefährden: Seien es Ängste, die uns lähmen und misstrauisch machen, seien es Überzeugungen und Ideologien, die Menschen blind machen für die Wahrheit und abweisend gegenüber Andersdenken, sei es der Egoismus und die Gleichgültigkeit anderen Menschen gegenüber, die es kalt werden lassen zwischen uns ...

Es gibt einen anderen Weg. Einen Weg, der dem Leben zum Durchbruch verhilft, auch wenn Schuld geschieht und Schmerzliches erlitten werden muss und der Tod immer noch Teil unseres menschlichen Lebens ist. Es gibt einen Weg zum Leben. Christus ist ihn für uns gegangen. Deshalb ist dieser Karfreitag für uns kein trauriger, sondern ein hoffnungsvoller Tag.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. A M E N

Fürbitten

Jesus Christus, heute blicken wir auf dein Kreuz. Wir bitten dich für alle, die niedergedrückt sind von den Kreuzen ihres Lebens. All diejenigen, die gebeugt gehen, weil die Last auf ihren Schultern schwerer wiegt als ihre Kraft reicht. Hilf ihnen, die Last zu tragen. Lass sie nicht darunter zusammenbrechen, sondern neu den Blick wagen – ins Leben.

Jesus Christus, heute blicken wir auf dein Kreuz. Wir bitten dich für uns, weil uns deine Botschaft vom Kreuz nicht immer erreicht, nicht immer bewegt. Hilf uns, dass uns dein Kreuz nicht kalt lässt, hilf uns, dass uns die Kreuze der anderen nicht kalt lassen, hilf uns, dass wir nicht sagen: „selbst schuld“, oder: „was kann ich da schon machen“. Hilf uns, dass wir selbst die Hände und die Herzen regen – und dem Leben dienen.

Jesus Christus, heute blicken wir auf dein Kreuz, um uns von dir stärken zu lassen. Du bist bei uns, wenn wir Leiden spüren und das Leben schwer wird. Durch dein Kreuz hast du ein Zeichen des Frieden gesetzt. Wir bitten dich für alle, die nicht mehr glauben, dass ein friedliches Zusammenleben möglich ist. Für alle, die sich damit abgefunden haben. Für alle, die darunter leiden. Nähre neu ihre Hoffnung, belebe ihre Kräfte und erfülle Kopf und Herz mit Zuversicht – und Leben.

Das Gemälde 'What Our Lord Saw from the Cross', between 1886 and 1894, James Joseph Jacques Tissot, ist gemeinfrei, weil ihre urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für alle Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 100 Jahren oder weniger nach dem Tod des Urhebers.
Die Abbildung 'cricifix fragment Avignon Petit Pale', XIII century, Berlinghiero, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Das Gemälde 'Christ Giving His Blessing', 1481, Hans Memling, ist gemeinfrei, weil ihre urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für alle Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 100 Jahren oder weniger nach dem Tod des Urhebers.

Wir danken Frau Friedgard Habdank sehr herzlich, dass sie uns die Bilder ihres Mannes auf so großzügige und kostenlose Weise zur Verfügung gestellt hat.
© Galerie Habdank, www.habdank-walter.de
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