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Predigten von Pfarrer Thomas Sinning: Über die Kantate BWV 94 „Was frag ich nach der Welt“ und Matth. 13, 44-46 Der höchste Wert

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'BP Oil Flood Protest in New Orleans', May 2010

3. Sonntag nach Trinitatis

Der höchste Wert Matth. 13, 44-46

Predigt gehalten von Pfarrer Thomas Sinning am 20.6.2010 über die Kantate BWV 94 „Was frag ich nach der Welt“ und Matth. 13, 44-46

Liebe Gemeinde!

„Was frag ich nach der Welt!“ – Dieser Titel der Kantate, deren Text Balthasar Kindermann 1664 verfasst hat, mutet uns heute eher fremd an. Eine solch weltabgewandte Frömmigkeit wirkt fast sektiererisch, weltfremd und wenig attraktiv. Wir fragen nach der Welt. Uns interessiert, was in dieser Welt geschieht. Wir genießen die Schönheiten dieser Welt; und wir sind in Sorge um sie wegen der vielfältigen Gefährdungen, die in der Gegenwart bestehen, und wir werden zurecht zornig, wenn wir etwa die Bilder der Ölpest im Golf von Mexiko sehen. Wir sehen in dieser Welt Gottes gute Schöpfung. Wir feiern Erntedank und freuen uns nicht nur an den Gaben der Schöpfung, sondern auch an dem, was der Menschen zivilisatorische und kulturelle Leistungen hervorbringt. Ja, in der Tat, wir fragen nach der Welt. Wir haben Freude an ihr und genießen ihre Schönheit. Und das ist richtig so.

Und doch, liebe Gemeinde, lohnt es sich zu fragen: Was hat diese Kantate zu sagen? Wo liegt ihre Wahrheit für uns? Diese Kantate wurde von J.S. Bach zum 9. Sonntag nach Trinitatis am 6. August 1724 komponiert. Ich weiß nicht, über welchen Text damals gepredigt wurde. Aber in unserer Perikopenordnung findet sich zum 9. Sonntag nach Trinitatis ein Bibeltext, der uns auf die Spur bringen kann, um diese Kantate zu verstehen. Ich lese aus dem Matthäusevangelium:

Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker. Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte, und als er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie. Matth. 13,44-46

Das Himmelreich gleicht einem Schatz, für den einer alles andere bereit ist, herzugeben. „Was frag ich nach der Welt,“ mag er gedacht haben. „Was bringt mir mein Vermögen, was bedeuten mir die Zahlen auf meinen Konto- und Depotauszügen, was bringen mir alle Steuerspartricks, was bedeuten mir die Immobilien, mein Haus, mein Auto, mein Boot, was habe ich von Erfolg und Anerkennung, wenn ich etwas viel Schöneres und Wertvolleres dafür haben kann!“ Und so verkauft er alles, was er hat; er löst seine Konten auf, er orientiert sein ganzes Leben neu, nur um diesen einen kostbaren Schatz zu erwerben.

'Maria erscheint Anselm von Canterbury , Ferdinand Fromiller, 2008

Es geht um die Frage: was ist wirklich wertvoll? Was ist es wirklich wert, dass man sich dafür einsetzt? Was ist auf Dauer werthaltig, was bleibt verlässlich und hat Bestand? Es geht um Werte. Um das, was mir etwas wert ist, so viel Wert ist, dass ich gerne dafür bereit bin, auf anderes zu verzichten.

Im Gespräch mit jungen Eltern ist mir schon oft gesagt worden: Uns ist der Glaube wichtig, denn er vermittelt ja Werte. Das wollen wir auch unseren Kindern mitgeben. Gerade wenn Menschen die Verantwortung für ihre Kinder spüren, dann ist ihnen nichts zu teuer, um ihnen das Beste zu geben in jeder Beziehung. Die Werte des Glaubens gehören dazu.

Die Frage aber ist: gibt es einen Wert, der so einzigartig ist, dass man für ihn alles andere hinten anstellt? Gibt es einen Höchsten Wert? Für die mittelalterliche Theologie stand es außer Zweifel, dass Gott der höchste Wert ist. Das führte Anselm von Canterbury vor 900 Jahren schließlich dahin, aus dem höchsten Wert - Gott - einen berühmten (nämlich den sog. ontologischen) Gottesbeweis herzuleiten. Doch heute spielt Gott für viele Menschen nicht mehr die höchste Rolle, sondern eher eine Nebenrolle, wichtig zwar, aber nicht allein bestimmend. Der Glaube an Gott ist ein Wert neben anderen geworden.

Und das hat Auswirkungen. In religiösen wie in ethischen Fragen empfinden viele Menschen eine Orientierungslosigkeit. Jeder kann sich seine eigene Religion und sein eigenes Wertesystem zusammen stellen. Aber viele sind damit überfordert, andere haben ein schlechtes Gefühl dabei, und die Uneinigkeit in Wertefragen birgt hohes Konfliktpotential in unserer Gesellschaft.

Als Christen haben wir die Orientierung, die wir zum Gelingen des Lebens brauchen. Wir haben sie mit Jesu Lehre und Leben. Mit Jesus können wir uns an dem höchsten Wert orientieren. Wir können wie der Schatzfinder und der Perlensucher alles drangeben für das Höchste überhaupt. Bleibt nur noch die entscheidende Frage: Was ist das? Was ist der höchste Wert, für den es sich lohnt, alles andere zurück zu stellen?

'Die Offenbarung der Liebe Gottes am Kreuz', 2010, PSch

Jesus gibt eine klare Antwort, als er danach gefragt wird. „Das höchste Gebot ist, Gott zu lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller Kraft, und das andere ist dem gleich: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ Und der Apostel Paulus schreibt ein ganzes Kapitel über die höchste Geistesgabe, über die Liebe, die noch höher steht als der Glaube und die Hoffnung. Liebe – das ist der höchste Wert! Das ist es, wofür es sich lohnt, alles andere hintan zu stellen.

Diese Liebe aber ist untrennbar mit Gott verbunden. So sehr verbunden, dass im Johannesbrief gesagt werden kann: „Gott ist Liebe“. Denn er hat in Jesus gezeigt, was für ihn Liebe bedeutet: sein Leben hergeben für andere, und dieses Leben von der Macht des Todes und der Vergänglichkeit retten in seiner Auferstehung. Wer davon berührt ist, der ist ein neuer Mensch. Der ist vergleichbar mit dem, der die schönste Perle entdeckt hat. Der hat für sich den höchsten Wert gefunden.

Wer schon einmal richtig verliebt war, kann das sicher nachempfinden, wie das ist: alles andere wird zweitrangig. Die Liebe steht an allerster Stelle. So geht es dem Gläubigen in der Kantate, in dessen Leben nur noch Christus zählt, Christus, der die Liebe Gottes wie kein anderer verkörpert. So geht es dem Mann, der den Schatz im Acker unbedingt erwerben will, alles andere wird ihm zweitrangig. So geht es jedem Menschen, der von der Liebe Gottes durchdrungen ist. Er will ganz für Gott und für seinen Nächsten da sein. Alles andere wird dann zweitrangig. Die Liebe Gottes ist aber nicht allein eine mystische Erfahrung, sondern sie ist zugleich - sozusagen die Kehrseite der Medaille! - ein praktisches Tun, ja, sie kann auch in politisches Handeln münden.

Denn in der Liebe, von der Jesus spricht, ist auch die Liebe zu dieser Welt eingeschlossen! Aber diese Liebe darf man sich nicht vorstellen wie die Beziehung des Süchtigen zu einer Droge, sondern es ist die Liebe eines Menschen, der aus freien Stücken, ohne Zwang und ohne Hintergedanken, ohne nach Herkunft oder nach Sympathie zu sortieren, sich für einen anderen einsetzt. Der einfach das naheliegende Notwendige tut. So wie der barmherzige Samariter in dem gleichnamigen Gleichnis.

Die Liebe ist wertvoller als alles andere. Sie ist der größte Schatz. Und alles, was ein Mensch aus dieser Liebe heraus tut, das hat Bestand. Das hat bleibenden Wert. Und da ist es dann auch angemessen, diese Liebe nicht allein mit Taten, sondern auch mit den Worten und Melodien eines Liebesliedes zum Ausdruck zu bringen, wie es in dieser Kantate geschieht, und wie wir es nun mit dem folgenden Lied tun werden.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus unserem Herrn. Amen.

Die Photographie 'BP Oil Flood Protest in New Orleans', May 2010, wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.
Das Bild 'Maria erscheint Anselm von Canterbury (Kloster Ossiach), Ferdinand Fromiller, 2008, wurde von ihrem Urheber zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben. Diese Datei ist damit gemeinfrei („public domain“). Dies gilt weltweit.

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