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Predigten von Pfarrer Thomas Sinning: Lukas 17, 11-19 Warum mein Leben ein Kunstwerk Gottes ist

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14. Sonntag nach Trinitatis: Lukas 17, 11-19 Warum mein Leben ein Kunstwerk Gottes ist

Gehalten von Pfarrer Thomas Sinning am 13.09.2009

'Heilung des Aussätzigen', 1978 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'Heilung des Aussätzigen', 1978 - Walter Habdank.
© Galerie Habdank

Und es begab sich, als er nach Jerusalem wanderte, dass er durch Samarien und Galiläa hin zog. Und als er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer; die standen von ferne und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser! Und als er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt euch den Priestern! Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein. Einer aber unter ihnen, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter. Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde? Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.

Liebe Gemeinde,

"Ich bin ein gesegneter Mann" Das sagte der 39-jährige Amerikaner Dwayne Allen Dail, nachdem er im August 2007 aus dem Gefängnis entlassen wurde. Eine DNS-Analyse hatte belegt, dass er seit 18 Jahren unschuldig im Gefängnis gesessen hatte. Das Urteil gegen Dwayne Allen Dail wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes war daraufhin umgehend aufgehoben worden. Dail umarmte seine Anwältin, als Richter Jack Hooks die Entscheidung bekannt gab, und sagte: "Ich bin ein gesegneter Mann", als er von Familienangehörigen begrüßt wurde, die in Tränen ausbrachen. Er habe nicht daran geglaubt, dass das Urteil noch einmal aufgehoben werde, sagte Dail.

Normalerweise könnte man erwarten, dass einer, der wie dieser Mann 18 Jahre unschuldig im Gefängnis gesessen hat, zornig oder wütend ist über die, die ihn zu Unrecht verurteilten. Man könnte erwarten, dass er diese schreckliche Zeit seines Lebens ganz schnell vergessen und ein neues Leben anfangen will. Man könnte erwarten, dass er klagen würde, warum ist mir nur dieses schreckliche Unrecht widerfahren? Aber dieser Dwayne Dail sagte erstaunlicherweise: „Ich bin ein gesegneter Mann.“

Ganz sicher ist sein Leben jetzt nicht mehr so, wie es vorher war, bevor er unschuldig im Gefängnis saß. Es ist ein „neues“ Leben, das dieser Mann begonnen hat. Und er kann darin einen Segen erkennen.

Was dieser Mann als Segen bezeichnet, das begegnet uns auch in der Begebenheit, von der unser Evangelium erzählt. Diese Begebenheit lässt uns vielleicht verstehen, wie auch schlimme Erfahrungen ein Segen sein können.

Von zehn kranken Menschen wird hier berichtet. Sie sind leprakrank. Da diese Krankheit ansteckend und schwer ist, müssen die Kranken außerhalb der Gemeinschaft der Gesunden leben. Sie werden daher „Aussätzige“ genannt. Sie sind ausgegrenzt, sie sind vom normalen Leben abgeschnitten. So ging es auch dem eingangs erwähnten Mann, der als verurteilter Kinderschänder im Gefängnis ebenfalls ausgegrenzt und vom normalen Leben abgeschnitten war. Es ist eine bittere Erfahrung, wenn das eigene Leben so begrenzt wird: durch die körperlichen Leiden wie durch die soziale Ausgrenzung. Darum ist der Hilferuf der zehn Männer nur zu verständlich, die aus dem gebotenen Abstand heraus Jesus zurufen: „Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!“ Offenbar haben diese Männer schon von Jesus gehört und wussten, dass er im Namen Gottes Menschen heilte.

Jesus sieht sie in ihrer Not, und er hilft ihnen – und zwar auf ganz unspektakuläre Weise. Er fordert sie auf, sich den Priestern zu zeigen. Denn nach dem jüdischen Gesetz war es die Aufgabe der Priester, Aussätzige durch eine Reinheitserklärung wieder in die Gemeinschaft der Gesunden aufzunehmen. Das Wunder geschieht fast verborgen, auf dem Weg. Die zehn Männer werden wieder gesund. Sie können in das „normale“ Leben der Gesunden zurückkehren. Sie können ihre Verwandten und Freunde wieder in die Arme schließen und an den Festen und Feiern teilnehmen, von denen sie so lange ausgeschlossen waren.

Zurück zu Jesus kommt aber nur einer. Er kommt, um sich zu bedanken. Er preist Gott mit lauter Stimme. Vielleicht hat auch er gesagt: „Ich bin ein gesegneter Mensch.“ Warum? Warum kann er sagen: „Ich bin ein gesegneter Mensch“? Und warum ist von ihm kein Wort der Klage zu hören über die furchtbare Zeit der Krankheit und des Ausgestoßenseins? Stattdessen: „Ich bin ein gesegneter Mensch. Gott sei gelobt und gepriesen!“

Die Antwort, die Jesus ihm gibt, macht deutlich, warum dieser Mensch ein gesegneter ist, und warum er nun ein anderer, ein neuer Mensch geworden ist: „Dein Glaube hat dir geholfen,“ sagt Jesus zu ihm. Der Mann ist nicht nur gesund geworden, er ist auch ein anderer, ein neuer Mensch geworden: Die dunkle Erfahrung von Krankheit, von Einsamkeit und Ausgestoßensein, von Verzweiflung und innerer Krise hat er nicht vergessen. Sie ist Teil seines Lebens geworden und hat ihn gestärkt und reifen lassen.

Und die wunderbare Erfahrung, in der Begegnung mit Jesus geheilt zu werden und Gottes Befreiung von den Fesseln der Krankheit zu erleben, die hat ihm gezeigt, dass er ein von Gott nicht nur geheilter, sondern ein von Gott geliebter Mensch ist. Er hat erlebt, dass Heilung und Heil zusammengehören. Dass die Gesundheit seines Körpers und die Gesundheit seiner Seele zusammenhängen. Und dass er durch diese Begegnung mit Jesus ein neuer Mensch geworden ist. Er ist nun ein Mensch, der nicht über seine Vergangenheit jammert und klagt, sondern der auch die schwerste Zeit seines Lebens im Nachhinein als eine wichtige und wertvolle Erfahrung verstehen gelernt hat; einer, der dankbar sieht, dass er einen gnädigen Gott hat, der ihn auch in der Not nicht allein lässt.

Wenn der Mann, von dem wir anfangs hörten, der 18 Jahre unschuldig im Gefängnis saß, von sich sagt, dass er ein gesegneter Mann sei, dann gilt das für ihn genauso: Es macht keinen Sinn, zu klagen oder zu spekulieren, wie sein Leben verlaufen wäre, wenn das Unglück der unschuldigen Verurteilung nicht geschehen wäre. Das einzige, was zählt, ist die Gegenwart und die Zukunft, in die er gereift durch die schwere Vergangenheit gehen wird: „Ich bin ein gesegneter Mensch.“

Das von sich sagen zu können, ist ein großes Geschenk. Es ist Weisheit und Stärke, es ist innere Ruhe und Gelassenheit, die Gott einem Menschen auch durch schwere und unbegreifliche Erfahrungen schenken kann. Wer sich so als gesegneter Mensch begreifen kann - mit all den Irrwegen und Widersprüchen und schmerzlichen Erinnerungen, die der eigene Lebensweg enthält - wer sich mit all dem als ein gesegneter Mensch begreifen kann, der hat Gottes Gnade erlebt. Der hat verstanden, dass Gott jeden Lebensweg eines Menschen zu einem Kunstwerk macht, zu einem Kunstwerk, das gerade durch die Ecken und Kanten und Brüche erst interessant und kostbar wird, auch wenn man sich an diesen Ecken und Kanten und Brüchen weh getan hat.

Und wer anerkennt, dass sein Leben zwar anders aussieht, als man sich das immer vorgestellt hat, aber dass es eben so wie es ist, einmalig und schön ist, weil Gott ihm darin liebevoll begegnet ist, der wird dieses Kunstwerk, das sein eigenes Leben ist, mit Staunen und mit Dankbarkeit betrachten.

Das ist es, was den einen Samariter von den anderen neuen Geheilten unterscheidet. Und das ist es auch, was jeder Mensch lernen kann, wenn er sein Leben Gott anvertraut und seine Sorgen und Lasten auf Christus wirft.

Am Ende steht dann nicht Bitterkeit über erfahrenes Unrecht. Am Ende steht auch nicht eine pessimistische Einschätzung gegenüber dem Leben. Sondern am Ende steht dann die Freude über das Kunstwerk, das Gott aus meinem Leben gemacht hat, und die Dankbarkeit Gott gegenüber und der Lobpreis der Gnade Gottes. Darin lasst auch uns einstimmen mit dem folgenden Lied. Amen.

Wir danken Frau Friedgard Habdank sehr herzlich, dass sie uns die Bilder ihres Mannes auf so großzügige und kostenlose Weise zur Verfügung gestellt hat.
© Galerie Habdank, www.habdank-walter.de

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