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Predigten von Pfarrer Thomas Sinning: 1.Tim.3,16 Das Geheimnis der Weihnacht

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Heiligabend

Das Geheimnis der Weihnacht 1.Tim.3,16

Predigt gehalten von Pfarrer Thomas Sinning am 24.12.2007 in der Bergkirche

Krippenspiel in der Bergkirche

Anerkannt groß ist das Geheimnis des Glaubens: ER ist offenbart im Fleisch gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, verkündigt unter den Völkern, geglaubt in der Welt, erhoben in die Herrlichkeit.“

Liebe Gemeinde,

Im April dieses Jahres war folgende Meldung zu lesen: Ein ausgesetztes Baby wäre um ein Haar von Sprengstoffexperten der türkischen Polizei in die Luft gesprengt worden. Die Polizeibeamten, die in einer im Innenhof einer Moschee zurückgelassenen Tasche eine Bombe vermuteten, trafen bereits alle Vorbereitungen, als sie das Weinen eines Babys vernahmen. In der verdächtigen Tasche lag ein sechs Tage altes Mädchen. Das Findelkind wurde auf die Säuglingsstation eines Krankenhauses der südwesttürkischen Stadt Mugla gebracht. Die Polizei leitete Ermittlungen ein, um die Mutter des Neugeborenen ausfindig zu machen.

Ein kleines Kind – das genaue Gegenteil von dem, was die Polizei vermutete, von einer Bombe, die nur Tod und Zerstörung anrichtet. Das Leben eines Kindes birgt das Geheimnis des Lebens in besonderer Weise in sich. Das veranschaulicht diese Begebenheit. Und nun sagt unser Predigttext, dass in dem Kind, das vor gut 2000 Jahren in Bethlehem geboren wurde, ein noch viel größeres Geheimnis in Erscheinung tritt: das Geheimnis Gottes. Gott ist „offenbart im Fleisch“, wie es hier heißt. In Jesus ist das Geheimnis des Lebens in einzigartiger Weise erschienen.

Wir leben ja in einer Welt, in der es keine Geheimnisse mehr zu geben scheint. Unsere Welt ist eine „entzauberte Welt“, wie es der Soziologe Max Weber schon vor über 80 Jahren treffend formulierte. Alles ist erkennbar, jeder Vorgang scheint wissenschaftlich erklärbar und vieles ist sogar steuerbar geworden; auch der Anfang des menschlichen Lebens scheint dem Zugriff des Menschen mittlerweile verfügbar zu sein, und selbst die Geheimnisse des menschlichen Geistes glaubt die moderne Gehirnforschung bald entschlüsseln zu können.

Der Gedanke daran ist faszinierend und angsteinflößend zugleich. Denn eine Welt ohne Geheimnisse müsste im Tiefsten kalt und unmenschlich sein, so unmenschlich und angsteinflößend, dass man sogar ein Baby für eine Bombe halten kann. Es ist darum auch kein Zufall, dass die Sehnsucht nach dem Geheimnisvollen und die Faszination dafür unter den Menschen heute so groß ist, wie der Erfolg von Harry Potter und der Zauberschule zeigt, der mit dem siebten Band in diesem Jahr alle Rekorde schlug.

Auch die Art und Weise, wie Weihnachten gefeiert wird - mit Liedern und Kerzen, mit Brauchtum und vielerlei weihnachtlichen Symbolen - zeigt doch, wie sehr wir Menschen uns danach sehnen, in unserem Leben Geheimnisse zu bewahren. Darum beneiden wir ja auch die Kinder und erinnern uns so gern an unsere eigene Kindheit, weil wir ahnen, dass das Geheimnisvolle dieses Festes für unser Leben wichtig ist.

„Anerkannt groß ist das Geheimnis des Glaubens,“ sagt unser Bibelwort. Hier ist von diesem Geheimnis des Lebens die Rede, und das ist aufs engste verknüpft mit dem Geheimnis der Weihnacht.

Nicht nur das Leben, auch der Tod birgt ein Geheimnis. Daher gibt es Geheimnisse, die können dunkel und undurchdringbar sein, wie der frühe Tod eines geliebten Menschen; das bleibt dann ein schmerzliches und dunkles Geheimnis, verbunden mit der Frage „Warum?“, das einer wohl kaum je ganz begreifen kann.

Das Geheimnis des Lebens dagegen eröffnt neue Horizonte; es führt zur Freude und will mit anderen geteilt werden, weil geteilte Freude doppelte Freude ist. Wenn sich für Kinder das Geheimnis hinter der Weihnachtstür lüftet, dann wandelt es sich zu einem frohen Fest. Und die Botschaft der Weihnachtsgeschichte, die so geheimnisvoll ist, dass sie erst durch Engel verkündet und gedeutet werden muss, führt schließlich auch zu großer Freude, wie es ausdrücklich erzählt wird.

Und was ist der Grund zur Freude? Es ist schlicht die Menschlichkeit Gottes; er teilt unser menschliches Leben in dem Kind, das in Bethlehem geboren wurde. Und das ist der Grund aller Weihnachtsfreude. Gott begnügt sich nicht damit, Geheimnis zu bleiben. Er ist kein weltferner Gott geblieben, der weit über allem thront, was uns beschäftigt und belastet. Sondern „er ist offenbart im Fleisch.“ Er ist ein Mensch geworden wie wir es auch sind. Er zeigt uns, dass er kein weltferner, sondern ein menschlicher Gott ist, der uns ganz nahe ist.

Gott hält sich nicht heraus aus unserer Welt, sondern geht in sie ein mit allen Konsequenzen. Er teilt unser Leben. Er leidet auch das Leiden derer in dieser Welt mit, die nicht auf der Sonnenseite leben, wie an den ärmlichen Verhältnissen seiner Geburt und der Flucht seiner Familie erkennbar wird und später an den erniedrigenden Umständen seines Todes. Gott leidet das Leiden der Welt mit, weil er ein Mensch geworden ist wie wir. Nur in einem ist er ganz anders als wir: er trägt das Leiden dieser Welt mit, aber er trägt zum Leiden dieser Welt nichts bei. Das unterscheidet ihn von allen anderen Menschen.

So steht Gott an der Seite eines jeden Menschen von uns: an der Seite der Kinder und der Menschen, denen der nötigste Lebensraum fehlt, genauso wie an der Seite derer, die an den dunklen Geheimnissen dieser Welt leiden und auch durch eigene Schuld in sie hineinverstrickt sind. Das ist das Geheimnis des Lebens: Wir sind nicht allein, denn Gott steht an unserer Seite, und er will zurechtbringen, was in unserem Leben fehlt. Er setzt die Liebe ins Recht als die höchste Macht, vor allem anderen, was Menschen Recht nennen. Das ist das Geheimnis der Weihnacht: „ER ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist.“

Da tut sich ein neuer Horizont auf. Da bekommen die vielen Festtagsriten und -bräuche einen neuen Sinn, denn sie weisen nun über sich hinaus auf die Quelle die Menschlichkeit und Menschfreundlichkeit Gottes. Da merke ich, dass das Geheimnis dieser Nacht für alle Nächte und dunklen Zeiten meines Lebens gilt: Denn ich bin nicht allein; Gott ist da in meinem Leben.

Gott und Mensch gehören zusammen, damit wir Menschen menschlich werden und bleiben können. Nur mit diesem weihnachtlichen Geheimnis kommen wir über den grauen Alltag und über die Oberflächlichkeit mancher Festtagsriten und über das schlechte Gewissen der Wohlstandsmenschen und über die Unzufriedenheit in uns hinaus.

Das Geheimnis des Glaubens führt über Grenzen hinaus. Sie erschließt mir eine neue Lebensqualität, die von der selbstlosen Liebe geprägt ist. So, wie Gott die Grenze seines Gottseins überwunden hat, indem er sich mit dem Kind in der Krippe und mit dem Mann am Kreuz identifiziert, so werden auch wir über die ernüchternden oder schmerzlichen oder von egoistischer Ängstlichkeit gezogenen Grenzen unseres Lebens hinausgeführt.

„ER ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist.“ Das ist die eine Seite des göttlichen Geheimnisses, dass Gott in dieser Welt drin ist und unser Leben teilt. Die andere Seite gehört aber dann auch notwendig dazu: „ER ist gepredigt den Völkern, geglaubt in der Welt.“ Die Botschaft von der Menschwerdung Gottes ist von unzähligen Menschen weitererzählt worden, seit die Engel sie verkündeten. Und rund um die Erde sind es heute unzählige Menschen, die Weihnachten feiern, weil sie von dieser Botschaft berührt sind.

Berührt sind auch wir heute an diesem Abend, sonst wären wir nicht hier. Und das gehört auch zu dem Geheimnis des Glaubens dazu: dass wir berührt und bewegt sind. Mit anderen Worten: dass wir Gott Glauben schenken. Das heißt: berührt und bewegt. Nicht nur von der schönen weihnachtlichen Stimmung; diese hat auch ihr Recht, aber sie vergeht nur allzu schnell wieder, und sie ist auch nicht das, worauf es ankommt. Berührt und bewegt dürfen wir aber sein von der Geschichte der Menschwerdung Gottes, die in dem Kind von Bethlehem ihren Anfang hat. Wo mich diese Nähe Gottes berührt, wo ich dem Gott Glauben schenke, der in dem Menschen Jesus mir begegnet, da bewegt sich etwas in meinem Leben. Da spüre ich, dass das größte Geheimnis dieser Welt die Liebe ist, an die wir glauben können, weil Gott ihren Grund gelegt hat in dem Kind in der Krippe. Und wer einmal verliebt war, der weiß, wie sehr einen die Liebe verwandeln kann und zu liebevollem Tun anstiftet.

Darum lasst uns das Geheimnis der Liebe Gottes, das in dem Kind in der Krippe sichtbar geworden ist, Eingang finden in unser Leben, damit die Gemeinschaft mit Gott unser Leben beglückt. Und dann wird das Geheimnis seiner Liebe uns und unsere Welt menschlicher werden lassen.

Amen.

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