Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Thomas Sinning: Genesis 18, 20.21.22b-33

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Predigt: 23. Sonntag nach Trinitatis - Genesis 18, 20.21.22b-33

Gehalten von Pfarrer Thomas Sinning am 26.10.2008 in der Dreikönigskirche

'Zwiesprache', 1977 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'Zwiesprache', 1977 - Walter Habdank.
© Galerie Habdank

20 Und der HERR sprach: Es ist ein großes Geschrei über Sodom und Gomorra, dass ihre Sünden sehr schwer sind.
21 Darum will ich hinabfahren und sehen, ob sie alles getan haben nach dem Geschrei, das vor mich gekommen ist, oder ob's nicht so sei, damit ich's wisse.
22 Aber Abraham blieb stehen vor dem HERRN
23 und trat zu ihm und sprach: Willst du denn den Gerechten mit dem Gottlosen umbringen?
24 Es könnten vielleicht fünfzig Gerechte in der Stadt sein; wolltest du die umbringen und dem Ort nicht vergeben um fünfzig Gerechter willen, die darin wären?
25 Das sei ferne von dir, dass du das tust und tötest den Gerechten mit dem Gottlosen, sodass der Gerechte wäre gleich wie der Gottlose! Das sei ferne von dir! Sollte der Richter aller Welt nicht gerecht richten?
26 Der HERR sprach: Finde ich fünfzig Gerechte zu Sodom in der Stadt, so will ich um ihretwillen dem ganzen Ort vergeben.
27 Abraham antwortete und sprach: Ach siehe, ich habe mich unterwunden, zu reden mit dem Herrn, wiewohl ich Erde und Asche bin.
28 Es könnten vielleicht fünf weniger als fünfzig Gerechte darin sein; wolltest du denn die ganze Stadt verderben um der fünf willen? Er sprach: Finde ich darin fünfundvierzig, so will ich sie nicht verderben.
29 Und er fuhr fort mit ihm zu reden und sprach: Man könnte vielleicht vierzig darin finden. Er aber sprach: Ich will ihnen nichts tun um der vierzig willen.
30 Abraham sprach: Zürne nicht, Herr, dass ich noch mehr rede. Man könnte vielleicht dreißig darin finden. Er aber sprach: Finde ich dreißig darin, so will ich ihnen nichts tun.
31 Und er sprach: Ach siehe, ich habe mich unterwunden, mit dem Herrn zu reden. Man könnte vielleicht zwanzig darin finden. Er antwortete: Ich will sie nicht verderben um der zwanzig willen.
32 Und er sprach: Ach, zürne nicht, Herr, dass ich nur noch einmal rede. Man könnte vielleicht zehn darin finden. Er aber sprach: Ich will sie nicht verderben um der zehn willen.
33 Und der HERR ging weg, nachdem er aufgehört hatte, mit Abraham zu reden; und Abraham kehrte wieder um an seinen Ort.

Vor zwei Jahren berichtete der amerikanische Fernsehsender Fox News, dass der Senator Ernie Chambers von dem Bundesstaat Nebraska vor dem dortigen Gericht Strafanzeige gegen Gott gestellt habe. Er mache Gott schwere Vorwürfe.

Gott habe nach Ansicht Chambers "fürchterliche Fluten, unglaubliche Erdbeben, entsetzliche Hurrikans, erschreckende Tornados und pestartige Plagen" verursacht. Mit der Klage wolle er eine "Verfügung gegen den Angeklagten, um dessen zerstörerische Aktivitäten und terroristischen Bedrohungen zu beenden".

(Nach Angaben des Fernsehsenders klagt der Senator nicht wegen irgendeines Streits mit der Göttlichkeit. Mit der Klage wolle er gegen abstruse Klagen kämpfen, die im amerikanischen Rechtswesen möglich seien.) "Jeder könne jeden verklagen, dann eben auch Gott", sagte Chambers. Das dortige Gericht hält er für zuständig, weil "der Angeklagte allgegenwärtig ist und auch persönlich in Douglas County präsent ist."

Diese Klage trifft genau den Punkt, den auch Abraham in unserem Predigttext anspricht. Denn diese Klage behauptet, dass Gottes Handeln ungerecht ist. Ist es nicht ein schreckliches Unrecht, wenn Unschuldige sterben? Und Abraham fragt: Kann Gott das zulassen, dass Unschuldige mit bestraft werden, wenn Schuldige ihr Urteil empfangen sollen?

So stellt sich die Frage, ob denn Gott gerecht oder ungerecht ist. Diese Frage nach der Gerechtigkeit Gottes, die sogenannte „Theodizeefrage“, bewegt die Menschen seit alters her. Und sie ist bis heute aktuell.

Abraham reagiert auf bemerkenswerte Weise auf diese Frage. Er verklagt Gott nicht vor einem Gericht, sondern er wendet sich direkt an ihn selber. Er fragt ihn: „Willst du denn den Gerechten mit dem Gottlosen umbringen? Es darf doch nicht sein, dass der gerechte wie der Gottlose ist!“ Abraham appelliert an die Gerechtigkeit Gottes. Und er verhandelt mit ihm, er feilscht sozusagen, bis sich schließlich herausstellt, das nicht einmal zehn Gerechte in der Stadt sind. Lediglich Lot, der Neffe Abrahams, gehört zu denen, die nicht schwere Schuld auf sich geladen haben und wird mit seiner Familie errettet.

Es zeigt sich, dass Gott mit seiner Gerechtigkeit in einem Dilemma steht: Entweder alles Unrecht wird konsequent bestraft und ausgerottet; dann aber hört diese Welt bald auf zu existieren. Oder diese Welt hat Bestand, aber man muss es in Kauf nehmen, dass Unrecht ungesühnt bleibt, weil Übeltäter ungestraft davon kommen.

Recht oder Gnade, das ist die Grundfrage der Gerechtigkeit. Jeder Krieg, der im Namen der Gerechtigkeit geführt wurde und wird (und das trifft wohl mehr oder weniger auf jeden Krieg zu) macht dieses Dilemma deutlich: selbst wenn ein ungerechtes Regime dadurch gestürzt wird, erfahren doch stets Tausende von unschuldigen Menschen unsagbares Leid. Das sehen wir auch an den Kriegen dieser Tage im Irak und in Afghanistan. Dort, wo Gewalt angewendet wird, selbst wenn diese Gewalt durch ein gerechtes Anliegen gerechtfertigt wird, dann geschieht doch immer auch schreckliches Unrecht. Zivilisten werden getötet, Frauen, Kinder; Familien verlieren ihre Angehörigen, müssen fliehen, werden ihrer ganzen Habe beraubt. Es liegt im Wesen von Gewalt, dass sie Ungerechtigkeit hervorbringt. Darum ist es nicht selten besser, Unrecht zu ertragen, als es mit Gewalt zu bekämpfen, die doch nur neues Unrecht hervorbringt.

Doch auch dieser Zustand ist nicht befriedigend, solange Menschen Böses tun und ihren Mitmenschen an Leib oder Seele Schaden zufügen. Denn dies gleichgültig hinzunehmen hieße ja auch, das Unrecht zum Recht zu erklären.

Wenn Menschen es schon nicht schaffen, für wirkliche Gerechtigkeit zu sorgen, sollte es dann nicht wenigstens Gott tun? Abraham legt Gott nahe, Gnade vor Recht ergehen zu lassen, damit kein unschuldiges Blut vergossen wird. Er sagt: die Gnade ist größer, denn Recht kann in Unrecht verkehrt werden. Und das soll nicht sein. Deshalb könnten zehn Gerechte eine ganze Stadt voll schlimmster Übeltäter retten. Und das Bemerkenswerte ist: Gott lässt sich darauf ein. „Ich will sie nicht verderben um der zehn willen,“ sagt er.

Schafft Gott es, für Gerechtigkeit zu sorgen? Gibt es denn überhaupt eine Antwort auf die Theodizeefrage, liebe Gemeinde? Gottes Antwort ist verbunden mit einem Namen: Jesus. Wir Christen glauben, dass Jesus die Antwort auf die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes gibt.

Der Apostel Paulus sagt: „Durch den Gehorsam des Einen (nämlich Jesus), werden die vielen zu Gerechten.“ Nicht zehn, nein, ein Gerechter genügt, um das Unrecht der ganzen Menschheit aufzuwiegen. Das ist das Geheimnis des Kreuzestodes Jesu. Jesus klagt nicht die Menschen, die Unrecht tun, an. Nein, er betet sogar für sie. Jesus stellt sich vielmehr an die Seite der Opfer von Unrecht und Gewalt, indem er es selber erleidet. Liebe statt Gewalt. Das ist die andere Gerechtigkeit, die Gott uns durch Jesus schenkt. Jesus steht mit seinem Leben dafür ein. Das ist der Dreh- und Angelpunkt unseres Glaubens, durch den wir glauben können, dass Gott trotz allem, was in dieser Welt geschieht, gerecht ist.

Konsequenterweise hat Jesus daher auch Gewalt als Mittel zur Lösung der Gerechtigkeitsfrage abgelehnt. In der Bergpredigt nennt er die, die Frieden schaffen, Kinder Gottes. Er sagt: es ist möglich, Gewalt nicht mit Gegengewalt zu beantworten, auch auf die Gefahr hin, selber zum Opfer zu werden. Doch das ist besser, als andere zu Opfern zu machen. Jesus spricht eine Frau, die andere schon wegen Ehebruchs zum Tod durch Steinigung verurteilt hatten, frei, damit sie eine Chance zum Neuanfang hat. Und er macht in dem Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (Matthäus 13, 24-30) deutlich, dass keiner berechtigt ist, ein endgültiges Urteil über andere zu fallen, weil dies allein Gott zukommt, der am Ende für Gerechtigkeit sorgen wird.

Weil Jesus Gerechtigkeit neu definiert hat, dürfen wir wissen, dass es sich lohnt, sich für diese Gerechtigkeit einzusetzen. So wie Abraham es tat. Denn es braucht auch heute Menschen, die sich einsetzen, die Hoffnung haben und für diese Welt bitten. Es braucht Menschen, die sich dafür interessieren, wenn ein Militäreinsatz Opfer unter der Zivilbevölkerung mit sich bringt. Es braucht Menschen, die nicht nur für die Opfer, sondern sogar für die Täter bitten. Es braucht Menschen, die nach Hintergründen fragen bei der Beurteilung von Gut und Böse. Es braucht Menschen, die in Kontakt mit Gott stehen, die seine Gnade herabflehen und an seine Gerechtigkeit appellieren. Es braucht Menschen, die den Glauben lebendig halten, dass einer gereicht hat, um alle zu retten, und dass niemand das Recht hat, einen anderen vor Gott schuldig zu sprechen.

Ich glaube, dass Menschen, die dies tun, bei Gott Gehör finden. Wie seinerzeit Abraham.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

Wir danken Frau Friedgard Habdank sehr herzlich, dass sie uns die Bilder ihres Mannes auf so großzügige und kostenlose Weise zur Verfügung gestellt hat. © Galerie Habdank, www.habdank-walter.de

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