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Predigten von Pfarrer Thomas Sinning: 1.Korinther 12,12-14.26-27 Was ist wirklich wichtig?

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Predigt: 21. Sonntag nach Trinitatis - 1.Korinther 12,12-14.26-27 Was ist wirklich wichtig?

Gehalten von Pfarrer Thomas Sinning am 12.10.2008

'Northern Rock customers', Alex Gunningham from London, Perfidious Albion (UK plc), 2007

Denn wie der Leib einer ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus. Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft, wir seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt. Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele. Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit. Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied.

Liebe Gemeinde!

1,4 Billionen Dollar. Das sind eine Billion Euro. So viel Geld sind nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds in den zurückliegenden Wochen durch die weltweite Finanzkrise verloren gegangen. 1 Billion Euro. Das ist eine Zahl mit 12 Nullen. Eine unvorstellbar große Summe. Kein Mensch kann sich diesen Betrag anschaulich vorstellen. Diese Zahlen, die in diesen Tagen durch die Nachrichten schwirren, haben etwas seltsam Surreales. Diese Zahlen von Geld, das innerhalb kürzester Zeit verschwindet und ganze Unternehmen und Staaten vom Untergang bedroht, diese Zahlen sind Symbole für etwas ganz und gar nicht Greifbares. Man fragt sich: Wo ist dieses Geld hin verschwunden? Und hat es dieses Geld jemals wirklich gegeben, das nun so rasant verschwunden ist? Niemand hat diese Summe wirklich in den Händen gehabt. Wo war dieses Geld, oder war es nicht letztlich doch nur eine Illusion? War es nicht letztlich nur eine Ansammlung von abstrakten Zahlen auf bedrucktem Papier, eine Ansammlung von abstrakten Informationen in den Computern der weltweiten Finanzwirtschaft? Doch ganz gleich, ob der ungleich verteilte Wohlstand real oder bloß abstrakt war: Jetzt ist das Geld weg. Und der Jammer bei den einen und die Angst bei den meisten Menschen sind groß.

Diese Geschehnisse veranschaulichen ein Prinzip, das der Apostel Paulus in unserem Predigttext beschreibt: Wenn ein Glied leidet, dann leiden alle mit. Das ist bei jedem Körper so: Ob der Kopf schmerzt oder der Magen oder das Hüftgelenk, der ganze Mensch leidet darunter. Und jetzt sehen wir: wenn das Vertrauen zwischen den Banken zerstört ist, dann leidet die ganze Weltwirtschaft darunter, und kaum einer kann sich den Folgen dieser Krise entziehen: Anleger machen Verluste, Arbeitnehmer müssen um ihren Arbeitsplatz fürchten und mancher Rentner um seine Altersvorsorge. Wenn ein Glied leidet, dann leiden alle mit.

Wenn solches geschieht, dann fragt man sich meistens und mit Recht: Was ist wirklich wichtig? Worauf kommt es an im Leben? Geld ist wahrlich nicht alles, und selbst die Gesundheit ist es nicht. Auch der Gesunde kann unglücklich sein, genauso wie der Reiche, sei es nun vor oder nach dem Crash. Was ist es, das wirklich zählt? Jede Krise lässt einen erneut danach fragen. Und genau deshalb birgt jede Krise auch eine Chance.

Die Chance liegt aber nicht im Beschwichtigen nach dem Motto: es wird schon wieder gut. Die Chance liegt in der Besinnung auf das, was dem Leben jedes Menschen Halt und Geborgenheit gibt. Was ist es, das nachhaltig gut ist und gut tut? Hier lohnt es sich, auf das zu hören, was der Apostel Paulus schreibt: „Wer wir auch sind, Juden, Griechen, Sklaven, Freie, (heute können wir ergänzen: Wohlhabende oder auf Unterstützung angewiesene, Einheimische oder Zugewanderte, Frauen oder Männer, wer auch immer wir sind), wir sind alle mit einem Geist getränkt.“ Das ist eine Beschreibung der Christenheit. Wer auf den Namen Jesu Christi getauft ist und an ihn glaubt, der ist von Gottes Geist erfüllt, sagt der Apostel. Das ist es, was alle Christen miteinander verbindet, und was zugleich alle anderen Unterschiede, die Menschen voneinander trennen könnten, relativiert. Das, worauf es ankommt, sind nicht materielle Sicherheiten oder vorzeigbare Besitztümer; worauf es ankommt, ist auch nicht, ob einer Glück oder Pech hat im Leben, oder ob einer erfolgreich oder mit seinen Ideen gescheitert ist; auch nicht, ob einer gesund ist oder mit körperlichen Einschränkungen leben muss. Alles das kann einem viel bedeuten. Doch darauf kommt es zuletzt nicht wirklich an. Es kommt vielmehr einzig darauf an, in einer Beziehung zu leben, die mir gut tut, die mir Halt und Geborgenheit gibt.

Jesus Christus bietet uns genau dies an: eine Beziehung zu Gott, die eine wirkliche Beziehung ist, in der ich mich angenommen und ernst genommen weiß, in der ich spüren kann, dass einer da ist, der mich kennt und der zu mir hält. Jesus steht dafür ein. Er sorgt für unseren Leib und für unsere Seele, so wie er mit Leib und Seele sich selber am Kreuz hingegeben hat für uns Menschen. Für uns Menschen, die wir in den Krisen des Lebens die Erfahrung machen müssen, dass wir an Grenzen stoßen, die wir selber allein nicht überwinden können.

Diese Beziehung zu Gott, zu der alle Menschen durch Jesus Christus eingeladen sind, diese Beziehung zu Gott enthält genau das, was in diesen Tagen weltweit verloren gegangen zu sein scheint: nämlich Vertrauen. Das Wort, das im Neuen Testament für „glauben“ steht, bedeutet eigentlich „vertrauen“. Wer sich an Jesus Christus hält, der darf, der kann Vertrauen haben. Vertrauen zu Gott. Vertrauen darauf, dass Gott jeden Menschen liebt, ohne sich dabei durch die von Menschen gemachten Unterschiede und Einteilungen und Vorurteile beeinflussen zu lassen.

Zu solchem Vertrauen auf Gottes unbedingte Liebe sind wir eingeladen, liebe Gemeinde! Dieses Vertrauen aber hat Konsequenzen, so wie auch fehlendes Vertrauen gravierende Auswirkungen auf das Leben der Menschen hat.

Wer durch Jesus Gott vertraut, der merkt nämlich: ich bin nicht allein. Ich stehe in einer Gemeinschaft. Ich bin in einen lebendigen Organismus eingebunden, in die Gemeinschaft derer, die Gott vertrauen. Da mag jeder seine eigenen Stärken und Schwächen, seine eigenen Vorlieben und Traditionen haben; doch es kommt auf jeden an, wie bei einem Körper, der nur funktioniert und gesund ist und glücklich und zufrieden sein kann, wenn Hand und Fuß und Kopf und Herz zusammenstimmen.

Wenn jeder nur sich selbst im Blick hat, dann geht die Einheit verloren. Dann steht das Ganze infrage. Dann zerbricht die Geborgenheit, die Starke und Schwache einander geben können. Dann ist Kirche nicht mehr Leib Christi, sondern eine stinknormale Organisation. Dann hat die solidarische Liebe ihre Heimat verloren.

Wenn aber Menschen auf Gott vertrauen und seiner Liebe Raum geben in ihrem Leben, dann ist die Kirche ein lebendiger Organismus, unabhängig von ihrer Organisation oder den Konfessionen und Denominationen, unabhängig von ihren Strukturen und ihren Kirchensteuereinnahmen. Deshalb ist auch in unserer Kirche die Besinnung auf das, was uns eigentlich trägt, so wichtig.

Wer Gott vertraut, der findet nicht nur Geborgenheit, er hat Teil an einer starken Gemeinschaft, einer Gemeinschaft, in der Liebe als verlässliches, solidarisches Handeln erfahrbar ist. Da bestimmt nicht die persönliche Gier - und sei es auf Kosten anderer - das Handeln, sondern die Freude, anderen etwas geben zu können. Da werden Menschen nicht nach ihrer Schönheit oder Leistungsfähigkeit oder nach ihren Erfolgen taxiert, sondern da gilt jeder einzelne als Ebenbild Gottes. Da gilt: wenn einer leidet, so leiden alle mit, in liebevoller Solidarität; in „Sympathie“, was auf deutsch ja nichts anderes heißt als „mitleiden“. Da denkt einer nicht nur an sich selber, sondern an die Gesamtheit aller Betroffenen, einschließlich der nachfolgenden Generationen. Da wird Gutes getan, nicht nur, weil es den eigenen Interessen nützt, sondern um seiner selbst willen, und um Gottes willen, der „allein gut ist,“ wie Jesus sagt.

Wer auf Gott vertraut, der ist getragen von einer starken Gemeinschaft. In der gilt dann auch: „Wenn ein Glied geehrt wird, dann freuen sich alle mit.“ Und das zählt mehr als abstrakte Zahlen auf irgendwelchen Bankauszügen.

Die Photographie 'Northern Rock customers', Alex Gunningham from London, Perfidious Albion (UK plc), 2007, ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 2.0 Lizenz.

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