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Predigten von Pfarrer Thomas Sinning: 1.Thess.5,14 - 24 Immer nur Ermahnungen?

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Predigt: 14. Sonntag nach Trinitatis - 1.Thess.5,14 - 24 Immer nur Ermahnungen?

Gehalten von Pfarrer Thomas Sinning am 24.8.2008

'Der  Apostel Paulus', Stavronikita Monastery, Mount Athos, 1546 - Theophanes the Cretan

'Der Apostel Paulus', Stavronikita Monastery, Mount Athos, 1546 - Theophanes the Cretan

Liebe Gemeinde!

Eine Frau, so berichtet eine Anekdote, schüttelt einem Pfarrer nach dem Gottesdienst begeistert die Hand: „Ihre Predigt hat mir heute so viel gegeben, Herr Pfarrer." Darauf entgegnet dieser nur: „Das wird sich erst noch zeigen, meine Liebe." Was bleibt von der guten Botschaft übrig im Alltag? Welche Auswirkungen hat der Glaube in unserem Leben? Das ist die Frage, auf die jener Pfarrer mit seiner Antwort diese Frau hingewiesen hat.

Der Predigttext des heutigen Sonntags greift diese Frage auf. Er steht im ältesten Dokument des Neuen Testamentes, im 1. Thessalonicherbrief, an dessen Ende Paulus im 5, Kapitel schreibt (1.Thess.5,14-24):

14 Wir ermahnen euch aber, liebe Brüder: Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann. 15 Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann. 16 Seid allezeit fröhlich, 17 betet ohne Unterlass, 18 seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch. 19 Den Geist dämpft nicht. 20 Prophetische Rede verachtet nicht. 21 Prüft aber alles, und das Gute behaltet. 22 Meidet das Böse in jeder Gestalt. 23 Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. 24 Treu ist er, der euch ruft; er wird's auch tun.

Ermahnungen, immer nur Ermahnungen! Manch einer hat den Glauben ja immer schon so verstanden: Als eine Aneinanderreihung von Aufforderungen und Verboten. Kann ich das denn überhaupt, wozu ich hier ermahnt werde? „Geduldig zu sein gegen jedermann, allezeit fröhlich, das Böse in jeder Gestalt meiden, Böses niemals vergelten. . ." Kann ich das überhaupt? Sind das nicht übermenschliche Anforderungen? Ich merke, wie mir diese Ermahnungen mehr zu schaffen machen, als dass ich sie als Hilfe empfinde.

Ermahnungen, immer nur Ermahnungen. Nützen sie denn überhaupt etwas? Ein Kind, das immer nur Ermahnungen zu hören bekommt, wird es eine gute und glückliche Entwicklung nehmen? Es ist gewiss gut, wenn man jemanden hat, der einem sagt, was richtig und was verkehrt ist, der einem Orientierung und Hilfestellung gibt. Aber wenn es fast ausschließlich Ermahnungen sind, die ein Kind zu hören bekommt, dann wird es wohl kaum genügend Selbstvertrauen entwickeln können, sondern vielleicht resignierend denken: „Das schaffe ich ja doch nicht alles," oder es wird irgendwann aufbegehren und davon überhaupt nichts mehr wissen wollen. Mit lauter Ermahnungen wird einem Menschen vermittelt: „So eng sind deine Grenzen!“ Damit wird es ihm oder ihr nur schwer gemacht, Verantwortung zu übernehmen und selber herauszufinden, was gut und notwendig ist, zu tun.

Und jeder, der Erfahrung in der Erziehung von Kindern hat, weiß, dass es einem Kind oft viel mehr hilft, wenn man ihm nicht nur sagt: „Tu dies und das, benimm dich, reiß dich zusammen. Sei brav und sag immer schön danke, gib dir endlich Mühe, dass du dies und das schaffst ...", sondern wenn man ihm sagt: „Ich glaube, das kannst du, und wenn es allein nicht geht. dann helfe ich dir..." Und eine Umarmung oder ein aufmunternder Blick vermag meistens viel mehr Kräfte freizusetzen, als ein strenger, fordernder Blick oder gar ein erhobener Zeigefinger.

Ermahnungen, immer nur Ermahnungen! Wenn ich diese Ermahnungen höre, die Paulus hier aneinanderreiht, dann frage ich mich: Woher nehme ich die Kraft dazu? Paulus gibt darauf eine Antwort, wenn auch ein wenig versteckt: am Ende dieses Abschnittes steht nämlich ein großes, ja, geradezu ein großartiges „Aber": „Er aber, der Gottes des Friedens, heilige euch durch und durch ...," Hier wird deutlich, dass wir mit den ganzen Ermahnungen nicht allein gelassen sind, sondern dass wir von Gott erwarten dürfen, dass er uns hilft. Wir dürfen sehen, dass Gott nicht mit dem erhobenen Zeigefinger droht, sondern dass er freundlich den Arm um mich legt und mich spüren lässt: „Du kannst das. Ich helfe dir." Hier wird deutlich, dass diese Ermahnungen nicht Bedingungen sind, die Menschen erfüllen müssen, um bei Gott eine gute Zukunft zu haben, um sozusagen in den Himmel zu kommen. Nein, diese Ermahnungen sind vielmehr so etwas wie Wegweiser auf unserem Weg des Glaubens. Dass wir das Ziel dieses Weges erreichen, hängt nicht an unseren Anstrengungen, sondern allein daran, dass „er“, dass Gott treu zu seinen Verheißungen steht. „Treu ist er, er wird es tun.“

Ohne dieses „ER aber ..." wären die ganzen Mahnungen und Aufforderungen zwar richtig, aber sie wären genauso unerträglich; sie wären eine unerträgliche Überforderung. Aber mit diesem: „Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch..." weiß ich: es ist möglich, diese Ermahnungen mit Leben zu erfüllen. Weil Gott mir die Kraft schenken will, kann ich tun, was Paulus hier schreibt.

Der Apostel Paulus nennt das „Heiligung“: Gott will uns zu Heiligen machen durch seinen Heiligen Geist. Darum heißt es auch hier: „Den Geist dämpft nicht,“ d.h. gebt dem Geist Gottes Raum.

Darum ist das, was der Apostel Paulus hier in seinen Mahnungen sagt, nicht als moralische Forderungen zu verstehen, sondern als geschenkte Möglichkeiten zum Leben. Als Möglichkeiten, in denen sich der Glaube und das Leben unserer Gemeinde entfalten kann: Gebet, Dank, Geduld, Füreinander da sein, Ermutigung, Sensibilität für die Schwachen. . . Das sind Möglichkeiten, wie eine Gemeinde aufgebaut werden kann; wie christliches Leben eine überzeugende Gestalt gewinnen und der Gottesdienst den Alltag verändern kann, und wie unser Leben und Zusammenleben gelingen kann.

„Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen." Vielleicht ist in diesen drei Sätzen schon alles enthalten, was zum gelingenden Leben nötig ist: Freude. Gebet. Dankbarkeit.

Freude ist gewiss etwas, zu dem man ja gar nicht aufgefordert werden kann. Entweder man hat einen Grund zur Freude oder nicht. Aber es ist gut, wenn einer einen zuweilen darauf hinweist, dass es Grund zur Freude gibt. Und wenn man dann - trotz aller Mühen und Lasten des Alltags - dieser Freude Ausdruck gibt, durch eine fröhliche Ausstrahlung, durch Musik und Lieder, durch Einladungen zum Feiern, auch durch die Schönheit und Fröhlichkeit eines Gottesdienstes, dann kann auch ein von den Lasten des Alltags niedergedrückter Mensch fröhlicher werden. Zur Freude haben wir zu jeder Zeit Grund, weil das Evangelium, in dem Gott uns seine Liebe verspricht, zu jeder Zeit wahr ist und bleibt.

Dann aber muss das Gebet nicht nur ein Notnagel sein nach dem Motto: „Not lehrt beten." Denn beten heißt ja, dass wir unsere Bitten und unseren Dank, unsere Nöte und unsere Freude vor Gott bringen dürfen in Bitte und im Lobpreis. Und wer Gott dankt für seine Gnade und seinen Segen, der braucht ihn darum gar nicht mehr zu bitten. Mehr danken und weniger bitten - dann bleibt Gott gar nichts anderes mehr übrig, als uns seinen Segen spüren zu lassen.

Damit ist auch das dritte im Blick: die Dankbarkeit. Das meint nicht: „Du sollst immer schön danke sagen," sondern es erinnert uns daran, dass wir in der Tat Grund haben, Gott zu danken für die Zeichen seiner Liebe in Jesus Christus, und für die Zeichen seines Segens in unserem Leben. Es ist ja oft eine Frage des Blickwinkels: sehe ich immer nur das, was mir fehlt und was mich ärgert, oder nehme ich auch noch wahr, was ich in meinem Leben an Schönem und Positiven erfahren habe. Es ist schön, dafür auch Gott zu danken. Die Dankbarkeit hat eine positive Kraft. Sie verändert mich. Dankbarkeit ist etwas, das depressiven Gefühlen entgegenwirken kann. Wer dankbar ist, hat den Grund zur Freude in sich. Und dann hat dieser Dank noch eine andere Seite: nämlich die Aufmerksamkeit und die Dankbarkeit gegenüber den Menschen, mit denen ich zusammenlebe. Und sie wirkt auch auf andere Menschen als positive Kraft.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein fröhlicher und dankbarer Mensch nicht auch für die Menschen Verständnis zeigt, die ängstlich und mutlos geworden sind. Wird er nicht einen „Kleinmütigen trösten", und wird er nicht auch den Schwachen, die am Ende ihrer Kräfte oder ihrer Möglichkeiten sind, die Hilfe geben wollen, die er braucht? Darum gehört es gewiss zum Wesen der Kirche, dass sie sich auf die Seite der Schwachen und der Belasteten stellt, ob sie nun arbeitslos oder arm sind, ob sie pflegebedürftig oder psychisch krank sind, ob sie vergeblich um Asyl gebeten haben, oder ob es Menschen sind, denen man von außen vielleicht gar nicht ansieht, dass sie alleine nicht mehr zurechtkommen?

Wir dürfen und wir können unserem Glauben Gestalt geben, liebe Gemeinde! Wir sollen in Jesu Namen das Nötige tun, und wir können es, weil er, der Gott des Friedens, uns verändern und die Kraft dazu schenken will.

Freude, Dankbarkeit, Füreinander da sein und für die Schwachen eintreten, geduldig sein mit Andersdenkenden, ... das alles ist keine christliche Moral, die uns wie eine verschlossene Tür den Weg zum Leben schwer macht. Sondern es sind geschenkte Möglichkeiten, den Glauben zu leben. Was der Apostel Paulus hier in den Ermahnungen alles sagt, das sind nicht Leistungsnachweise, die einer braucht für den Eintritt in den Himmel. Sondern es ist wie ein Bund voller Schlüssel, die uns längst in die Hand gegeben sind. Schlüssel zur Freude, Schlüssel zum gelingendem Leben und zu gelingender Gemeinschaft, Schlüssel zu anderen Menschen, jetzt, in dieser Gegenwart. Gebrauchen wir diese Schlüssel! Denn um unsere Zukunft bei Gott brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, wenn wir Jesus vertrauen; unsere Zukunft heißt Gottes Ewigkeit. Und die liegt in Jesu Hand. Doch unsere Gegenwart darf geprägt sein von Freude, Dankbarkeit, Füreinander da sein und für die Schwachen eintreten, von Geduld mit Andersdenkenden. Dazu schenke uns Gott seinen Geist.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

Das Kunstwerk 'Der Apostel Paulus', Stavronikita Monastery, Mount Athos, 1546 - Theophanes the Cretan ist im public domain lizensiert, weil sein copyright abgelaufen ist.

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