Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Thomas Sinning: 2Sam. 12,1-10.13-15a David und Nathan

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Reproches de Nathân à David

'Reproches de Nathân à David', National Library of France

11. Sonntag nach Trinitatis

David und Nathan 2Sam. 12,1-10.13-15a

Predigt gehalten von Pfarrer Thomas Sinning am 03.08.2008 in der Bergkirche und im Kirchsaal Süd

1 Und der HERR sandte Nathan zu David. Als der zu ihm kam, sprach er zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm.
2 Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder;
3 aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß und er hielt's wie eine Tochter.
4 Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er's nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war.
5 Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der HERR lebt: Der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat!
6 Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat.
7 Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann! So spricht der HERR, der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls
8 und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen, und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazutun.
9 Warum hast du denn das Wort des HERRN verachtet, dass du getan hast, was ihm missfiel? Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durchs Schwert der Ammoniter.
10 Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, dass sie deine Frau sei.
13 Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den HERRN. Nathan sprach zu David: So hat auch der HERR deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben.
14 Aber weil du die Feinde des HERRN durch diese Sache zum Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben.
15 Und Nathan ging heim. 2Sam. 12,1-10.13-15a

Liebe Gemeinde!

Eine Geschichte aus der Welt der Reichen und Schönen, eine Geschichte von den Royals. König David schickt einen Mann in den sicheren Tod, um dessen Frau Bathseba heiraten zu können, die von ihm ein Kind bekommt. Wie groß und wie reißerisch wären die Überschriften über diese Geschichte in den einschlägigen Blättern heute! „König David verknallt sich in Badeschönheit. General Urija starb Heldentod. Ehebruch im Königshaus“ ... Fehlen nur noch die Fotos der Paparazzi. Solche Geschichten werden gern gelesen in den bunten Blättern. Man träumt davon, dazuzugehören, aber man fällt auf der anderen Seite doch schnell sein Urteil über diese Promis: „Der David, das war ein ganz schön schlimmer; nicht nur, dass er die Ehe gebrochen hat, er hat zur Vertuschung auch noch ein Menschenleben auf dem Gewissen.“ Das Urteil des Lesers ist klar: „So ist es eben mit den Reichen und Schönen: Sie bilden sich ein, alles zu dürfen, eingebildet und hochmütig, wie sie sind.“

Nun ist es hier bei David allerdings nicht die Leserschaft einer Regenbogenzeitung, die hier ein Urteil über Davids Tun fällt. Sondern es ist der König selber, der das Urteil über sich ausspricht, als der Prophet ihm mit seiner Geschichte einen Spiegel für sein Verhalten vorhält: „Der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat,“ (V.5) sagt David. David urteilt wie der Leser einer skandalösen Promigeschichte. Er hat sein Urteil schnell gefällt. Aber der Prophet sagt ihm den entscheidenden Satz: „Du bist der Mann!“ Nathan lenkt den Zeigefinger, mit dem man so gern auf andere zeigt, auf ihn selber zurück: „Du selber bist es!“ Nathan ist ein weiser Seelsorger. Er führt David zur Selbsterkenntnis. Und da geschieht das Unerwartete: David lässt seinen Kritiker nicht etwa verhaften, sondern er nimmt das Urteil an; er akzeptiert seine Schuld. „Du bist der Mann.“

Das, liebe Gemeinde, ist ein ganz entscheidender Punkt, als David erkennt: ich selber bin es! Zu diesem Punkt werden auch wir als Hörer dieses Bibeltextes heute morgen geführt: Denn immer da, wo ich von Verfehlungen anderer höre, sei es im Freundes- oder Bekanntenkreis, im Betrieb, oder auch in den sensationsheischenden Medien, und wo ich spüre, dass hier moralische Empörung oder Schadenfreude oder vielleicht auch nur Mitleid in mir geweckt wird, da muß ich mir auch die Frage gefallen lassen: wie steht es denn mit meiner eigenen Ungerechtigkeit, Habgier, Untreue, Verantwortungslosigkeit, Hochmut und Arroganz? Es ist ja leicht, sich über andere zu ereifern, oder auch nur zu amüsieren. Aber es ist viel schwerer, einzugestehen, dass ich selber meine eigenen Anteile an einem Konflikt oder an einem Problem oder an der leidvollen Situation eines anderen habe. „Du bist der Mann; du selber bist es. Um dich geht es.“ Es braucht Mut, eigene Fehler und eigene Schwächen einzugestehen. Und es mag manchem als Schwäche gelten, wenn man eigene Schuld und eigenes Versagen eingesteht.

Doch was hier schwach erscheint, das erweist sich eigentlich als Stärke. Aus der Sicht der Bibel ist der Mut, eigene Schuld und eigene Schwäche einzugestehen der einzige Weg, um darüber hinaus zu kommen und das eigene Leben wieder ins Lot zu bringen. Jesus sagt in dem Evangelium (Lk. 18, 9-14): „Der Zöllner, der um Vergebung gebeten hat, der ging gerechtfertigt nach Hause, nicht der andere, der meinte, immer schon auf der richtigen Seite zu stehen.“

Das Eingeständnis der Schuld und die empfangene Vergebung sind der entscheidende Wendepunkt im Leben dieser Menschen. Der Zöllner ging aus Gottes Sicht gerechtfertigt nach Hause. Und er wird die Erleichterung als Befreiung empfunden haben, die ihm ein neues Lebensgefühl gibt und seine Beziehung zu Gott neu belebt (und gewiss auch seine eigene Vergebungsbereitschaft anderen gegenüber stärkt). Und für König David war es auch ein entscheidender Wendepunkt in seinem Leben, als er seine Schuld eingestand und Gott um Vergebung bat, wie es in dem 51. Psalm mit eindrucksvollen Worten zum Ausdruck gebracht ist. Ihm wird die Vergebung zugesagt, auch wenn er um das Kind trauern muss, das ihm von Bathseba geboren wird.

Nach diesem Ereignis ist David ein anderer König geworden. Der Glanz der Reichen und Schönen und Mächtigen ist für ihn nicht mehr wichtig. Die Skrupellosigkeit im Umgang mit den Feinden seines Landes gehört der Vergangenheit an. Es ist eine neue Bedachtsamkeit, mit der er regiert. Er konnte zuvor grausam sein als Feldherr, oder auch seinen eigenen Söhnen gegenüber. Doch von dieser Stunde an verhält er sich anders. Mit der Vergebung beginnt der Weg einer demütigen Davidsherrschaft. Die Bibel zeigt eine Verbindung, die von Davids Königtum bis zu Jesus reicht. Der zweite Sohn Bathsebas, Salomo, wird in Jesu Stammbaum erwähnt, und als Jesus auf einem Esel nach Jerusalem einzieht, wird er als Sohn Davids begrüßt. Die Bereitschaft Davids, seine Schuld einzugestehen und die Vergebung anzunehmen, ist der Schlüssel zu einer neuen Gottesbeziehung. Nicht Selbstgerechtigkeit, sondern Demut ist das entscheidende Charakteristikum. Was zählt, ist nicht Schönheit oder Reichtum oder gut vor anderen dazustehen; was zählt, ist die Bereitschaft, eigene Grenzen zu akzeptieren und sich ganz und gar auf Gott zu verlassen.

Diese Haltung, die in der Bibel etwas altmodisch „Demut“ genannt wird, hat nichts mit Schwäche zu tun; sie bedeutet nicht, ich-schwach oder unterwürfig zu sein und alles einfach nur hinzunehmen. Im Gegenteil! „Demut“ bedeutet vielmehr, sein menschliches Maß zu finden und eben darin den Mut zu finden, entschlossen zu handeln, sich für die Schwachen einzusetzen und das zu tun, was not ist. Und wer handelt und sich engagiert, der riskiert natürlich auch, Fehler zu machen. Aber der Demütige braucht dieses Risiko nicht zu scheuen, weil er die befreiende Kraft der Vergebung kennt.

So kann uns die Geschichte von Davids Schuld und Vergebung Mut machen, beides zu tun: das Gute und Notwendige tun und gleichzeitig auf Gottes Gnade zu vertrauen. Beides zusammen sind die Säulen christlichen Lebens. Ich finde, es ist eine große Ermutigung, dass die Bibel immer wieder von Menschen erzählt, die Fehler gemacht haben, die Schuld auf sich geladen haben, die eben nicht superfromm oder perfekt waren, die eben nicht in das Schema Reich und Schön hineinpassen, angefangen von Mose, der einen Menschen umbringt und dessen Gottvertrauen manches Mal in eine Krise gerät, bis zu den Jüngern Jesu, denen Jesus immer wieder Verständnislosigkeit attestieren muss und die sich vor lauter Angst verstecken und ihre Zugehörigkeit zu Jesus verleugnen, als es kritisch wird. Und dennoch: mit solchen unvollkommenen Menschen, mit Menschen, die schuldig werden und alles andere als perfekt sind, lässt Gott sein Reich auf Erden wachsen. Auch mit uns.

Amen.

Das Kunstwerk 'Reproches de Nathân à David', National Library of France ist unter public domain lizensiert.

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