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Predigten von Pfarrer Thomas Sinning: Jeremia 20, 7-13 Wie kann man glauben angesichts von Leid

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Wie kann man glauben angesichts von Leid Jeremia 20, 7-13

Predigt gehalten von Pfarrer Thomas Sinning am 11.03.2007

HERR, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich. Denn sooft ich rede, muss ich schreien; »Frevel und Gewalt!« muss ich rufen. Denn des HERRN Wort ist mir zu Hohn und Spott geworden täglich. Da dachte ich: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, dass ich's nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen. Denn ich höre, wie viele heimlich reden: »Schrecken ist um und um!« »Verklagt ihn!« »Wir wollen ihn verklagen!« Alle meine Freunde und Gesellen lauern, ob ich nicht falle: »Vielleicht lässt er sich überlisten, dass wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen.« Aber der HERR ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen und nicht gewinnen. Sie müssen ganz zuschanden werden, weil es ihnen nicht gelingt. Ewig wird ihre Schande sein und nie vergessen werden. Und nun, HERR Zebaoth, der du die Gerechten prüfst, Nieren und Herz durchschaust: Laß mich deine Vergeltung an ihnen sehen; denn ich habe dir meine Sache befohlen. Singet dem HERRN, rühmet den HERRN, der des Armen Leben aus den Händen der Boshaften errettet! Jeremia 20, 7 - 13

Liebe Gemeinde!

Am Anfang dieses Bibeltextes hören wir, wie ein Mensch klagt. Er beklagt sich, weil er sich auf Gott eingelassen hat und ihm das viel Leid und Ärger und Unannehmlichkeiten eingebracht hat.

Wenn unser Leben anders verläuft als erhofft; wenn Schwierigkeiten sich auftürmen und ich nicht mehr weiter weiß; wenn die Kraft nicht mehr zu reichen scheint; wenn mir alles zuviel wird; wenn mir einfach die Kraft fehlt zu glauben; wenn ich von Gott enttäuscht bin … Was dann? Klagen, zum Zyniker werden, oder sich ganz von Gott abwenden?

In einem Gespräch über Naziterror und Judenverfolgung und Holocaust fragte man einen Rabbi: „Wie kannst Du nach dem, was geschehen ist, noch an Gott glauben?“ Die Antwort des Frommen bestand in der Gegenfrage: „Wie kannst Du nicht an Gott glauben, nach dem, was geschehen ist?“

Es gibt offenbar zwei sehr gegensätzliche Betrachtungsweisen, wenn man über Gott und das Leid nachdenkt. Leidvolle Erfahrungen führen Menschen entweder dazu, sich von Gott abzuwenden, oder sich ihm erst recht zuzuwenden. Nur eines kommt in der Regel nicht vor, wenn es schwer geworden ist im Leben: dass man gleichgültig bleibt. Entweder man wendet sich von Gott ab, oder man wendet sich ihm umso entschiedener zu.

Jeremia hat mit beiden Möglichkeiten Erfahrungen gemacht. Er ist schon als junger Mensch von Gott in Dienst genommen worden. Er, um 650 vor Christus geboren, wurde ein Prophet, einer, der seinem Volk in Gottes Auftrag sagen sollte, was alles nicht in Ordnung ist und wie Gottes Gericht über das Fehlverhalten seiner Landsleute ergehen wird. Schon damals war Jeremia hin- und hergerissen zwischen dem, was er für sein Leben wollte und dem, was Gott will. Doch Gott hat ihn „überredet“, wie es hier heißt, er hat ihn „betört“ „rumgekriegt“ sozusagen, damit er den Auftrag Gottes ausführt. So hat Jeremia den Israeliten seiner Zeit öffentlich und deutlich gesagt, dass sie Gott untreu geworden sind, Recht und Gerechtigkeit verlassen und politisch falsche Wege beschritten haben. Er ruft sie zur Umkehr. Er fordert sie auf, zu den Geboten Gottes zurückzukehren, gerecht zu handeln und die Schwachen nicht zu unterdrücken. Doch weil die Menschen nicht auf ihn hören und Gottes Weisung verlassen, muss er ihnen das Gericht Gottes ankündigen, nämlich dass die Stadt Jerusalem von den Babyloniern erobert und zerstört werden wird.

Eine unbequeme Aufgabe ist es, die Jeremia auszuführen hat. Und sie hat zur Folge, dass er sich heftiger Kritik und Bedrängnis ausgesetzt sieht. Unmittelbar vor unserem Predigttext wird erzählt, dass ein hoher Priesterfunktionär ihn im Tempel öffentlich schlug und anschließend für eine Nacht in den Block sperren lässt. Jeremia muss viel erleiden. Sie machen sich lustig über ihn, wohl auch, weil das Unheil, das er ankündigte, noch nicht eingetreten war. Deshalb klagt er so sehr über das, was Gott ihm zumutet: „Du hast mich betört und überredet, dein Wort zu sagen, und ich bin zum Gespött der Leute geworden, alle verlachen mich.“

'Cry of prophet Jeremiah on the Ruins of Jerusalem', 1870, Ilja Jefimowitsch Repin

Ich finde es überaus tröstlich zu sehen, dass auch Menschen der Bibel wie Jeremia mit Gott im Clinch liegen. Dass sie nicht nur Lobpreislieder, sondern auch Klagelieder anstimmen. Es ist eine häufige Erfahrung, dass Gott Menschen auch andere Wege führen kann, als sie es sich gewünscht haben. Nicht nur Jeremia hat es erlebt, auch der Apostel Petrus, dem Jesus ankündigte, dass er geführt werden wird, wohin er nicht will (womit wohl sein Martyrium, also sein gewaltsamer Tod in Rom gemeint ist). Und auch Jesus hatte im Garten Gethsemane intensiv darum gebetet, dass der Kelch des Leidens und Sterbens an ihm vorübergehen möge; und doch, er wurde den Weg ans Kreuz geführt.

Diese Vorbilder zeigen, dass Gottes Wege oft anders verlaufen als unsere Wünsche. Sie zeigen aber auch, dass es richtig, ja vielleicht sogar notwendig ist, es nicht einfach hinzunehmen, sondern mit Gott darum zu ringen. Viele der Psalmen enthalten auch heftige klagende Worte, die davon zeugen, dass Menschen in ihrem Gottvertrauen angeschlagen und irritiert sind. Und dennoch lassen sie nicht ab, zu Gott zu beten. Sie wenden sich nicht einfach ab, sondern nehmen Gott sozusagen in die Pflicht. Sie nageln Gott auf seine Verheißungen fest, darauf, dass er ja doch seine Treue und Hilfe zugesagt hat.

Jeremia hat sogar, als es ihm ganz und gar elend ging, offenbar daran gedacht, sich abzuwenden und Gottes Wort nicht mehr zu verkünden (V.9). Er hat es versucht, Gott hinter sich zu lassen. Doch es konnte es nicht. Er konnte es nicht, weil Gottes Wort sich als stärker erwiesen hat. So, wie er sich dem Auftrag Gottes nicht entziehen konnte, wie er einfach die Wahrheit sagen musste, wie er einfach nicht anders konnte, als die unbequeme Botschaft Gottes zur Sprache bringen musste und nicht verschweigen konnte, so erfährt er dann aber, in der größten Bedrängnis, Gottes Hilfe. „Aber der HERR ist bei mir wie ein starker Held…“ Gott lässt ihn nicht im Stich. Er führt in nicht am Leiden vorbei. So wünschen wir es uns ja oft. Er führt ihn nicht am Leiden vorbei, sondern mitten hindurch. Aber er verlässt ihn nicht. Er führt ihn zu einem guten Ziel. Jeremia wird am Ende seinen Verfolgern nicht unterliegen. Gott wird ihn stark machen, so dass Jeremia am Ende Gott loben kann.

Dieser Glaube, den wir in der Bibel kennenlernen, wie hier von Jeremia, dieser Glaube an Gott, der nicht am Leiden vorbei, sondern manchmal mitten hindurch führt, dieser Glaube ist nicht einfach; da heißt es nicht: Vertrau auf Gott, dann ist alles in Ordnung. Nein, so einfach geht es nicht. Dieser Glaube, wie Jeremia ihn gelebt hat, oder auch die Apostel Petrus und Paulus und viele andere gläubige Menschen seitdem, dieser Glaube kann bisweilen viel Kraft kosten, viel Geduld und Ausdauer im Gebet. Aber dieser Glaube ist ehrlich und authentisch. Der Glaube an den Gott, der Menschen Schwierigkeiten zumutet, ihnen aber in diesen Schwierigkeiten hilft, dieser Glaube trägt an guten und an schweren Tagen. Er hat unzählige Menschen getragen. Und er hat in Jesus einen unüberbietbar festen Grund. Denn Jesu Weg führte durch sein Leiden bis zu seinem Tod am Kreuz, doch Gott hat dieses Kreuz an Ostern in ein Zeichen des Lebens verwandelt.

Deshalb haben wir einen guten Grund, uns immer wieder an Gott zu wenden, was auch geschehen mag. Sein Wort ist vertrauenswürdig und verläßlich.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen

Das Bild 'Cry of prophet Jeremiah on the Ruins of Jerusalem', 1870, Ilja Jefimowitsch Repinist, im public domain, weil ihr copayright abgelaufen ist.

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