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Predigten von Prädikant Thomas Leichum: Johannes 8, 21-30 Ein ungeheuerer Anspruch

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Thessaloniki, Verklärungs-Kirche. Fingalo - 15.06.2007.

Thessaloniki, Verklärungs-Kirche. Fingalo - 15.06.2007.

Reminiscere

Ein ungeheuerer Anspruch Johannes 8, Verse 21-30

Predigt gehalten von Prädikant Thomas Leichum am 4. März 2007 im Kirchsaal Süd

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Der Predigttext für den heutigen Sonntag Reminiscere steht im Evangelium nach Johannes im 8. Kapitel:

Da sprach Jesus abermals zu Ihnen. Ich gehe hinweg, und ihr werdet mich suchen und in eurer Sünde sterben. Wo ich hingehe, da könnt ihr nicht hinkommen.
Da sprachen die Juden: Will er sich denn selbst töten, dass er sagt: Wohin ich gehe, da könnt ihr nicht hinkommen?
Und er sprach zu Ihnen: Ihr seid von unten her, ich bin von oben her; ihr seid von dieser Welt, ich bin nicht von dieser Welt.
Darum habe ich euch gesagt, dass ihr sterben werdet in euren Sünden; denn wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin, werdet ihr sterben in euren Sünden.
Da fragten sie ihn: Wer bist du denn? Und Jesus sprach zu Ihnen: Zuerst das, was ich euch auch sage.
Ich habe viel von euch zu reden und zu richten. Aber der mich gesandt hat, ist wahrhaftig, und was ich von ihm gehört habe, das rede ich zu der Welt.
Sie verstanden aber nicht, dass er zu ihnen vom Vater sprach.
Da sprach Jesus zu ihnen: Wenn ihr den Menschensohn erhöhen werdet, dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin und nichts von mir selber tue, sondern wie mich der Vater gelehrt hat, so rede ich.
Und der mich gesandt hat, ist mit mir. Er lässt mich nicht allein; denn ich tue allezeit, was ihm gefällt.
Als er das sagte, glaubten viele an ihn.

Liebe Gemeinde,

hier geht es hart zur Sache. Jesus lehrt im Tempel zu Jerusalem und es kommt zu einem längeren Streitgespräch mit den Schriftgelehrten und Pharisäern. Jesus bezieht klare Positionen zu seinen Gegnern:

Wo ich hingehe, da könnt ihr nicht hinkommen. Ihr seid von unten, ich bin von oben her. Wenn ihr mir nicht glaubt, werdet ihr in euren Sünden sterben. Starker Tobak ist das. Im 8. Kapitel des Johannes-Evangeliums wird mit harten Bandagen um die Wahrheit gestritten. Ihr habt den Teufel zum Vater, einen Mörder von Anfang an, der nicht in der Wahrheit steht, heißt es einige Verse weiter. Hier sind keine Kompromisse denkbar. Und am Ende werden die heftig Kritisierten Steine in die Hand nehmen, um auf ihn zu werfen. Es geht buchstäblich um Leben und Tod.

Vielleicht wird dieser Streit gerade deswegen so heftig geführt, weil er gewissermassen in der eigenen Familie stattfindet. Der Jude Jesus führt im Tempel eine erbitterte Auseinandersetzung mit der hohen Geistlichkeit seines Volkes. Und das Johannes-Evangelium ist zu einer Zeit entstanden, als sich die (juden)christliche Gemeinde gerade vom Judentum getrennt hat. Die Verbitterung hierüber, das Leiden unter dem Trenunngsschmerz ist noch spürbar. Dürfen wir uns hier einmischen? Feindschaft gegenüber dem Judentum hatte in unserer Geschichte fürchterliche Folgen. Hier sind wir als Christen zu größter Sensibilität verpflichtet.

Die Frage, die Jesus hier gestellt wird, die betrifft uns als Christen heute aber genauso wie damals das Judentum: Wer bist du denn eigentlich? Denn das Bild, das ich mir von Jesus mache, hat ja ganz zentrale Auswirkungen auf meinen Glauben und mein ganz persönliches Leben.

Die jüdischen Schriftgelehrten waren fromme Gläubige. Aber der Anspruch mit dem Jesus auftrat, den konnten oder wollten sie nicht akzeptieren. Es scheint, dass sie ihn schlicht für größenwahnsininng hielten. Wenn es schon diesen Frommen so schwergefallen ist, Jesu Anspruch zu akzeptieren, wieviel schwerer dürfte dies uns als Menschen des 21. Jahrhunderts fallen.

Die jüdischen Schriftgelehrten glaubten ohne weiteres, dass Gott ihr Vater ist, auch wenn ihnen Jesus diesen Anspruch bestritten hat. Schon dies ist für den modernen Zeitgenossen nicht mehr selbstverständlich. Wieviel größer dürfte dann erst der Widerstand sein, wenn jemand auftritt und von sich behauptet, nur er allein habe Zugang zu Gott und dieser Gott habe ihn mit folgender Botschaft gesandt: Dein Leben ist verpfuscht, du bleibst in der Sünde, wenn du nicht an mich glaubst, wenn du mir nicht abnimmst, dass ich die Wahrheit sage.

Wenn Jesus heute mit diesem Anspruch aufträte, so würde er wohl auch heftigen Widerstand erfahren. Bestimmt hätten auch viele Christen unserer heutigen Vokskirche mit einem solch “steilen und dogmatischen” Jesus ihre Probleme. Was wir uns wünschen, ist zunächst einmal Jesus, der Bruder, der Mensch, der mir nahesteht, mit dem ich mich identifizieren kann. Und wir tun uns eher schwer, mit einem unnahbaren Jesus, der uns als Herr und Meister entgegentritt. Autoritäten sind heute ja vielfach suspekt geworden.

Und stimmt es denn überhaupt, dass wir Jesus im Hohen und Erhabenen finden sollen? Müssen wir ihn denn nicht vielmehr im Gegenteil gerade in der Tiefe suchen: im kümmerlichen Stall von Bethlehem oder am Kreuz in seiner Gottverlassenheit, also gerade im ganz Menschlichen. Nur so kann uns Gott doch wirklich nahe kommen, wenn ich spüre: Da ist jemand, der hat genauso im Dreck gelegen, wie es mir selbst auch schon passiert ist, der weiß, was es heißt, wenn von Angst und Verlassenheit die Rede ist. Ein Gottwesen, das erhaben über Not und Elend durch die Welt schreitet, würde uns wohl auch ganz kalt lassen. Was hätten wir mit einem solchen Gott eigentlich zu tun?

Wenn ich außerhalb unserer Kirchenmauern im ganz normalen Alltag einen Menschen, der noch wenig von Christus weiß, von ihm begeistern will, erzähle ich dann als erstes, dass Jesus der Sohn Gottes ist, der von Gott von oben herab als unser Herr und Meister gesandt ist, um zu verhindern, dass wir in unserer Sünde sterben? Dann würden wir wahrscheinlich sehr schnell ähnlich anecken, wie Jesus das hier tut.

Leichter tun wir uns eher, wenn Jesus uns schlicht menschlich nahe kommt. Ein Jesus, wie er uns auch im 8. Kapitel des Johnnes-Evangeliums durchaus begegnet. Dort wird auch die Geschichte von der Ehebrecherin erzählt, die von den Pharisäern und Schriftgelehrten zu Jesus gebracht wird. “Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein” sagt Jesus da zu seinen Gegnern. Und zu der Frau: “Hat dich niemand verdammt?” “Niemand, Herr.” Und darauf Jesus: “So verdamme ich dich auch nicht; gehe hin und sündige hinfort nicht mehr.”

Das sind Worte, die spontan anrühren, denen man sich nur schwer entziehen kann. Sie faszinieren und man sagt unwillkürlich ja zu ihnen und zu dem, der sie spricht.

Doch gerade beim Lesen des Johannesevangeliums wird deutlich: Jesus spricht nicht nur in einem solchen für alle einsichtigen Ton. Er kann uns sehr schnell auch wieder ganz fern vorkommen, so als käme er tatsächlich wie von einem anderen Stern. Nach seinem eigenen Anspruch kommt er aus einer Gemeinschaft mit Gott, die wir Menschen verloren haben, um die wir vielleicht ringen und nach der wir suchen. Er aber besaß sie.

Und da hören wir dann leicht verstört Worte wie die aus unserem Predigttext. Ich bin von oben her, ihr seid von dieser Welt, ich bin nicht von dieser Welt. Ja, das sind Worte aus einer anderen Welt. Jesus tritt auf als ein wirklich “ganz Anderer”. Er fordert Eindeutigkeit ohne wenn und aber. So wird deutlich, dass eine Entscheidung gefordert ist. Wir aber suchen jemanden, der im Grunde so ist wie du und ich. Und vor eindeutigen Verbindlichkeiten schrecken wir eher zurück.

Bei Jesus taucht immer wieder auch Scharfes und Schneidendes auf. Stellen Sie sich vor, jemand tritt am Sonntagmorgen im Gottesdienst als Prediger auf mit dem ungeheuren Anspruch: Soundso mag es in eurem Katechismus stehen, ich aber sage euch .... Was würden wir tun, wenn jemand wider alle Autoritäten auftreten würde, Mose und die Propheten gewissermaßen links liegen lässt und die Vollmacht für sich in Anspruch nimmt, der einzig legitime Zeuge Gottes zu sein.

Eines dürfen wir jetzt aber nicht tun: uns hieran vorbeimogeln und nur den menschlichen Jesus behalten wollen. Dann würden wir gewissermassen die Pointe des christlichen Glaubens verspielen. Dass Jesus uns auf unserer menschlichen Ebene begegnet, er mit uns mitleidet, ist großartig. Er ist aber noch viel mehr als einfach nur Mitmensch. Sonst könnte er nicht selbst die Grundfragen unseres Lebens beantworten, nach dem Woher und Wohin, nach Stütze und Halt in Leben und Sterben. Jesus aber sagt, dass er hierauf Antworten hat, dass er mehr ist als ein normaler Mensch “von unten”. Er behauptet , dass er – und nur er allein - Zugang zur Macht des Heiligen hat.

Genau das ist die Botschaft des Johannes-Evangeliums, dass wir nur über die Person von Jesus Zugang zu Gott bekommen. Jesus tut dabei nichts aus eigener Machtvollkommenheit, er steht in einer einzigartigen Gottesbeziehung. Wie ihn der Vater gelehrt hat, so redet er über uns. Unbestritten war er ein großer Mensch, der auch aus sich heraus viel zu sagen hatte. “Ich habe viel von euch zu reden und zu richten”, heißt es in unserem Text. Aber das Entscheidende ist das, was er uns von Gott zu sagen hat.

Und für uns: Kann ich Jesus das abnehmen, dass er mit diesem ungeheuren Anspruch auftritt, kann ich das wirklich glauben. Geht es da nicht nach dem Motto “Vogel friss oder stirb”? Wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin, dann werdet ihr sterben in euren Sünden.

Hier wird zunächst einmal deutlich, dass es beim Glauben buchstäblich um Leben oder Tod geht. Ja, ich kann mein Leben verfehlen und gerade deswegen, weil ich an Jesus vorbeigehe. Aber kann ich mich denn zum Glauben zwingen?
“Ich glaube an Jesus Christus, den eingeborenen Sohn Gottes, unseren Herrn”. Über einen Menschen, der sich daran hält, hat Jörg Zink einmal geschrieben:

“Vielleicht hat er es so schwer damit, wie man es mit alten Traditionen heute immer haben wird, aber die Mühe wird sich lohnen. Die Bilder mögen schwer zu durchschauen sein, aber sie halten und bergen immer noch am behutsamsten das Geheimnis dieses Mannes. Sie fordern viel, aber sie geben von seinem Wesen und Wort nichts preis. Und dies ist nicht wenig.”

Glauben kann ich letztlich nur, wenn mir der Zeuge Jesus glaubwürdig erscheint. Dann kann ich mich selbst hinter diesem Jesus her auf den Weg machen. Denn beim Christsein geht es nicht in erster Linie darum, zuerst einmal mühsam viele mehr oder weniger unverständliche Lehrsätze zu schlucken. Es geht darum, sich an die Person von Jesus Christus zu binden, ihm zu vertrauen und ihm nachzufolgen.

Ich kann Jesus glauben, wenn ich spüre, dass Gott tatsächlich sein Vater ist und dass er aus einer Gemeinschaft mit Gott berichtet, die ihm wirklich ganz vertraut ist. Der, der mich gesandt hat, ist mit mir, sagt er.

Glaubwürdig ist er mir zum Beispiel, weil er über nun zwei Jahrtausende hinweg Menschen so beeinflusst und begeistert hat, dass sie sich ihm bis in den Tod hinein verschrieben und in seinem Namen überzeugend gelebt und gewirkt haben. Von Paulus bis Dietrich Bonheffer, von Stephanus bis Martin Luther King.

Und er ist mir glaubwürdig, weil ich beim Lesen der biblischen Geschichten über ihn oder bei der Feier des Abendmahls im Vertrauen auf seine Gegenwart spüre: ja, durch Jesus ist Gott erfahrbar, er bringt uns eine Botschaft, die alles Menschliche einschließt, aber noch weit darüber hinausgeht und in das Heilige hineinführt und uns allen im Leben und hoffentlich auch im Sterben Kraft und Halt zusagt.

Insofern schließt sich der Kreis: Wenn uns der Mensch Jesus – von ganz “unten” her - anrührt, dann werden wir auch in der Lage sein, zu erkennen und zu glauben, dass er noch viel mehr ist: dass er nämlich ganz “von oben her” ist und dass er die Macht hat, uns in eine ganz andere Welt zu seinem und unserem Vater hinüberzuziehen. Diesen Glauben wünsche ich uns allen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.

Thessaloniki, Verklärungs-Kirche. Fingalo - 15.06.2007. Diese Datei ist lizenziert unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Deutschland.

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