Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 1. König 19, 1 – 13 Der größte Supergottesdienst aller Zeiten

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Der größte Supergottesdienst aller Zeiten 1. König 19, 1 – 13

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2002

'Ich möchte der Beziehung mit Gott näherkommen', Photografie von Paul M. Walsh, 2007

Und Ahab sagte Isebel alles, was Elia getan hatte und wie er alle Propheten Baals mit dem Schwert umgebracht hatte. Da sandte Isebel einen Boten zu Elia und ließ ihm sagen: Die Götter sollen mir dies und das tun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du diesen getan hast! Da fürchtete er sich, machte sich auf und lief um sein Leben und kam nach Beerscheba in Juda und ließ seinen Diener dort.
Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise weit und kam und setzte sich unter einen Wacholder und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter. Und er legte sich hin und schlief unter dem Wacholder. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iss! Und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen. Und der Engel des HERRN kam zum zweitenmal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir. Und er stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb. Und er kam dort in eine Höhle und blieb dort über Nacht. Und siehe, das Wort des HERRN kam zu ihm: Was machst du hier, Elia? Er sprach: Ich habe geeifert für den HERRN, den Gott Zebaoth; denn Israel hat deinen Bund verlassen und deine Altäre zerbrochen und deine Propheten mit dem Schwert getötet, und ich bin allein übriggeblieben, und sie trachten danach, daß sie mir mein Leben nehmen. Der Herr sprach: Geh heraus und tritt hin auf den Berg vor den HERRN! Und siehe, der HERR wird vorübergehen. Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem HERRN her; der HERR aber war nicht im Winde. Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben; aber der HERR war nicht im Erdbeben. Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der HERR war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen. Als das Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle. Und siehe, da kam eine Stimme zu ihm und sprach: Was hast du hier zu tun, Elia? König 19, 1 – 13

Es wird von einem Jungen berichtet, der im Kindergottesdienst lernte, dass Gott überall ist. Als er nach Hause kam, erzählte er seiner Mutter von diesem Glaubensinhalt und fragte: „Ist Gott wirklich überall? Ist er zum Beispiel auf dem Mond?“ Die Mutter erwiderte: „Ja, dort ist er auch.“ Das Kind fragte weiter: „Ist Gott auch hier bei uns zu Hause?“ Die Mutter sagte: „Ja, er ist auch hier bei uns.“ Dann kam die Frage: „Ist Gott auch in mir, in meinem Herzen und in meinem Magen?“ Die Mutter musste zugeben, dass Gott auch in unserem Innersten ist, da er überall ist. Dann sagte das Kind: „Ich spüre, dass Gott ein Stück Schokolade haben will.“

Diese kleine Begebenheit veranschaulicht eine typische menschliche Eigenart. Wir Menschen neigen dazu, unsere eigenen Gefühle und Bedürfnisse mit Gotteserlebnissen gleichzusetzen. Diese Gleichsetzung kommt besonders im Gottesdienst vor. Wenn man im Gottesdienst gefühlsmäßig nichts erlebt, dann neigt man dazu, automatisch zu denken: heute bin ich Gott nicht begegnet. Wenn man also bei den Gebeten, bei den Bibellesungen, bei der Predigt und bei den Liedern innerlich „trocken“ bleibt, d.h. wenn es kein emotionales Erlebnis gibt, dann neigt man automatisch dazu, zu denken: heute war Gott in diesem Gottesdienst nicht anwesend. Und auf der anderen Seite: wenn man im Herzen berührt wurde, wenn man Freude und Dankbarkeit erlebt, dann neigt man dazu zu denken: heute habe ich Gott erlebt.

Und aus diesem Grund ist es in der Christenheit ein verständliches Anliegen, Gottesdienste so zu gestalten, dass man emotional angesprochen wird, besonders wenn es um junge Menschen geht. In England z.B., in der Stadt Scheffield, wurde eine neue Gottesdienstform eingeführt, die junge Menschen ansprechen sollte, die mit traditionellen Gottesdiensten nichts anfangen konnten. Dieses Modell hieß: „Die Neun-Uhr Messe“. Sie fand sonntagabends um 21 Uhr statt. Dieser Gottesdienst hatte eine Diskoatmosphäre: die Musikrichtung nennt man „Rave“. Bilder wurden auf Großbildschirme projiziert. Das Ganze wurde von einem Mann geleitet, der gleichzeitig Rockmusiker und Laienprediger war. Er hieß Christopher Brain. Er hatte eine charismatische Ausstrahlung und verstand es, junge Menschen anzusprechen. Obwohl sein Name, in Deutsch übersetzt, Gehirn heisst, predigte er das Prinzip „Handeln statt Denken“. Er war gegen den sogenannten bürgerlichen Kirchgang als Lebensform und bekannte sich selbst zum einfachen Leben. Anfangs kamen 50 junge Leute, aber die Gemeinde wuchs schnell auf 200 bis 300 und zuletzt bis 600. Dieser Gottesdienst galt als aufregend und witzig. Die Kirchenleitung der anglikanischen Kirche nahm diesen Gottesdienst an und unterstützte dieses Projekt. Der Bischof von Sheffield zum Beispiel feierte im Rahmen der Neun-Uhr-Messe eine Konfirmation mit 100 Konfirmanden. Und Christopher Brain wurde schnell durch eine theologische Ausbildung geschleust und ordiniert.

Scheinbar gab es jetzt ein erfolgreiches Modell, um junge Menschen zu Gott zu bringen. Denn hier war ein „Power-Gottesdienst“, in dem es Nervenkitzel gab, in dem man lachen konnte, in dem die Predigten nie langweilig waren, sondern fesselnd und verständlich. Hier müsste also Gott zu begegnen sein; denn ist nicht Gott überall?

Aber es gibt Indizien, die dafür sprechen, dass Gott hier nicht zu finden war. Denn der Leiter dieser Gottesdienste, Christopher Brain, wurde im Laufe der Zeit größenwahnsinnig. Er wurde diktatorisch in seinem Führungsstil und er hatte im Laufe der Zeit intime Beziehungen mit 20 bis 40 jungen Mädchen. Er nannte diese Begegnungen mit jungen Frauen „Heilungsgespräche“, bei denen es darum ging – wie er sagte – „eine postmoderne Form der Sexualität“ zu erproben. Als Folge zeigten seine Opfer schwere Symptome von Stress und psychischen Störungen. Als diese Schattenseite herauskam, brach das Projekt völlig zusammen. Was man auf jeden Fall sagen kann, ist, dass Gott in dieser Kultfigur nicht am Wirken war. Denn da, wo Gott am Wirken ist, entsteht selbstlose Liebe. Und da, wo Gott am Wirken ist, bricht kein Gottesdienstmodell so schnell zusammen, wie in Sheffield. Das heisst also: wir können nicht nur von unseren Gefühlen ausgehen, wenn es um die Frage geht, ob Gott anwesend ist oder nicht.

'Elijah's Sacrifice', 1863, Albert Joseph Moore

Und es gibt eine Parallelität zwischen Christopher Brain und dem Propheten Elia. Denn Elia hat auf dem Berg Karmel einen gigantischen Supergottesdienst gefeiert. Man könnte behaupten, dass Elia den erfolgreichsten und den monumentalsten Gottesdienst aller Zeiten geleitet hatte. Auf dem Berg Karmel wurde ein Wettkampf veranstaltet. Dieser Gottesdienst sollte die Frage klären: wer ist der größte Gott im Lande, der Landesgott Baal oder der Gott Israels. Auf der Seite Baals gab es 450 Priester. Elia stand allein da, als Vertreter seines Gottes. Beide Seiten bauten einen Altar und beide sollten zu ihrem Gott beten. Der Gott, der das Opfer am Altar mit Feuer anzündete, sollte der einzige Gott des Volkes sein. Die Priester Baals fingen an. Und hier gab es alles, was ein junger Mensch sich von einem Gottesdienst erhofft: es gab Tanzen, sogar ekstatisches Tanzen. Elia hat seine kabarettistische Begabung gezeigt, indem er ironische Witze über den Gott der Gegner machte. Es gab also etwas zum Lachen. Irgendwann haben die heidnischen Priester aufgegeben. Dann hat Elia das Volk dazu aufgefordert, einen zweiten Altar aufzubauen – das würden wir heute „Kirche zum Anfassen“ nennen – und um die dramatische Spannung zu erhöhen lies er dreimal Wasser über seinen Altar kippen. Dann betete er zu Gott und siehe da, da kam Feuer vom Himmel herunter und hat den Altar mit seiner Opfergabe total aufgefressen. Dies war also eine überwältigende Gottesinszenierung. Was will man mehr von einem Gottesdienst? Danach sagte das ganze Volk „Der HERR ist Gott! Der HERR ist Gott!“ Das erste Buch der Könige bezeugt, dass diese Bekehrung umfassend war. Das ganze Volk bekannte sich zu dem lebendigen Gott.

Aber jetzt stellt sich nocheinmal die Frage: War Gott wirklich anwesend in diesem Gottesdienst? Sind die Menschen durch diesen Megagottesdienst bessere Menschen geworden? Und die Antwort ist eindeutig nein. Denn was passierte anschließend? Anschließend wurden die 450 Priester Baals gefangengenommen, abgeführt und kaltblütig umgebracht. Elia selber führte diese Massaker eigenhändig mit einem Schwert durch. Hier sehen wir den Größenwahn, der eintreten kann, wenn Menschen sich einbilden, dass sie Gotteserlebnisse inszenieren können. Außerdem hielt die Bekehrung des Volkes nicht lange an, denn Baalanbetung setzte sich fort. Und dieser Supergottesdienst hatte keine Wirkung auf das Königshaus. Elia musste deshalb um sein Leben fliehen. Er zog sich in die Wüste zurück und wollte sich einfach hinlegen und sterben, wie wir vorhin in dem Text gehört haben. Gott ließ nicht zu, dass er aufgibt und nach einer Schlaftherapie und nach zwei Mahlzeiten war Elia so gestärkt, dass er 40 Tage lang durch die Wüste wandern konnte. Er ging nach Horeb/Sinai. Der Ort, wo Gott sich offenbart hatte. Und hier wurde offenbart, wo Gott wirklich zu finden ist. Es heisst:

Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem HERRN her; der HERR aber war nicht im Winde. Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben; aber der HERR war nicht im Erdbeben. Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der HERR war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen.

Hier wurde enthüllt, dass Gott nicht in gewaltigen Ereignissen zu suchen ist, sondern dass Gott unauffällig auftritt. Und Elia wird von Gott beauftragt, zwei Menschen als Könige zu salben und einen Mann als seinen Nachfolger zu beauftragen: diese drei Menschen werden die Geschichte Israels in eine neue Richtung bringen. Und das heisst: Gott wirkt in der Geschichte und verwirklicht seine Ziele, aber er wirkt unauffällig im Hintergrund. Möge Gott uns also helfen, dass wir uns mit einem unauffälligen Gott zufrieden geben, dass wir nicht voreilig Gott in dem Sensationellen sehen, sondern eher eine stille, sanfte Vorgehensweise von ihm erwarten. Möge Gott uns von Erlebnissucht befreien, denn Gott wird uns nicht überwältigen, sondern wartet auf die kleinen Momente, in denen er durch unsere Entscheidungen und Gebete mitwirken kann.

Diese Photographie von Paul M. Walsh, 2007, ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 2.0 Lizenz. (AP PHOTO/The Country Today/Paul M. Walsh)
Das Bild 'Elijah's Sacrifice', 1863, Albert Joseph Moore, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

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