Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
Zurück zum Archiv Home der Dreikönigsgemeinde

Evangelisch-Lutherische

DREIKÖNIGSGEMEINDE

Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Röm. 5, 1 – 11 Muslime verehren einen Hindu mit einem Kreuz

« Predigten Home

Reminiscere

Muslime verehren einen Hindu mit einem Kreuz Röm. 5, 1 – 11

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2004

Mohandas K. Gandhi (1869-1948).

Mohandas K. Gandhi (1869-1948).

Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist. Denn Christus ist schon zu der Zeit, als wir noch schwach waren, für uns Gottlose gestorben. Nun stirbt kaum jemand um eines Gerechten willen; um des Guten willen wagt er vielleicht sein Leben. Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. Um wieviel mehr werden wir nun durch ihn bewahrt werden vor dem Zorn, nachdem wir jetzt durch sein Blut gerecht geworden sind! Denn wenn wir mit Gott versöhnt worden sind durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Feinde waren, um wieviel mehr werden wir selig werden durch sein Leben, nachdem wir nun versöhnt sind. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch Gottes durch unsern Herrn Jesus Christus, durch den wir jetzt die Versöhnung empfangen haben. Röm. 5, 1 – 11

Dieser Text aus dem Römerbrief wirkt zunächst abstrakt. Aber ein kleiner Ausflug in die Geschichte könnte uns helfen, diesen Römerbrieftext besser nachzuvollziehen.

Vor etwa 60 Jahren gab es in Indien heftige Konflikte zwischen Hindus und Muslimen. Mahatma Gandhi diente als Vermittler in diesen Konflikten. Gandhi war zwar ein Hindu, aber in der Praxis handelte er im Geiste Jesu Christi. Er war von der Person und Botschaft Jesu fasziniert. Er bezeugte, dass die Bergpredigt sein Herz unmittelbar angesprochen hatte.

Als Gandhi 78 Jahre alt war, gab es in Kalkutta blutige Schlachten zwischen Hindus und Muslimen. Gandhi zog in eine Wohnung ein, die in der Mitte des Aufruhrs lag. Dort empfing er einen muslimischen Führer, der von den Hindus als „der Metzger“ bezeichnet wurde; sie glaubten, dass er für den Ausbruch des Chaos verantwortlich war. „Der Metzger“ wurde ein Hausgast Gandhis. Dann fing Gandhi an zu fasten. Er erklärte, dass er bis zum Tode fasten würde, wenn die Brutalität nicht aufhöre. Nach 72 Stunden kamen die führenden Gegner zu ihm und legten ihre Waffen zu seinen Füßen.

Danach gab es im Jahre 1948 einen noch größeren Hindu-Muslim-Aufruhr in Delhi. Gandhi formulierte einen Friedensvertrag mit 8 Punkten; er verlangte, dass die streitenden Parteien alle 8 Punkte anerkennen müssten, sonst würde er bis zum Tode fasten. Diese 8 Punkte waren einseitig zugunsten der Muslime (dazu gehörte z. B. die Forderung, 117 Moscheen wiederherzustellen, die in Hindutempel oder in Privatwohnungen umgewandelt worden waren.) Nachdem Gandhi 6 Tage gefastet hatte, wurde sein Friedensvertrag von beiden Seiten unterschrieben.

Kurz danach begleitete Gandhi muslimische Frauen zu einem Islam-Heiligtum, das von Hindus geplündert wurde. Gandhi versprach, dass der Schrein wiederhergestellt würde. Drei Tage später wurde Gandhi von einem hinduistischen Fanatiker umgebracht, der zornig war, weil Gandhi zu den Muslimen so freundlich war. Als er starb, hat Gandhi durch ein hinduistisches Handzeichen signalisiert, dass er dem Attentäter vergeben hatte.

In der muslimischen Stadt Hyderabad gab es eine Trauerfeier-Prozession: ein Bild von Gandhi wurde durch die Straßen getragen, und oberhalb des Bildes war ein religiöses Symbol zu sehen. Es ergibt sich die Frage: welches Symbol würden Muslime einsetzen, um das Leben eines Hindus zu deuten, der sich für sie aufgeopfert hatte? Die Antwort ist schockierend: Das Symbol oberhalb des Bildnisses Gandhis war ein Kreuz: ein urchristliches Symbol, das Muslime normalerweise ablehnen. Ein Hindu Akademiker behauptete: „Was christliche Missionare in 50 Jahren nicht erreichen konnten, hat Gandhi getan, nämlich die Augen Indiens auf das Kreuz gerichtet.“

Das Symbol des Kreuzes

Es ergibt sich die Frage: was symbolisiert dieses Kreuz, das von Muslimen eingesetzt wurde, um das Leben und Sterben eines Hindus zu deuten? Das Kreuz war in diesem Zusammenhang ein Symbol für eine freiwillige Selbstaufopferung. Dieses Kreuz war ein Symbol für freundliche, versöhnliche Gesten den sogenannten Feinden gegenüber – besonders in dem Moment des Todes. Dieses Kreuz war ein Symbol für die Bereitschaft, das Böse zu erleiden, anstatt das Böse mit Gewalt zu bekämpfen. Und selbstverständlich ist Jesus Christus das Urbild dieser Symbolik. Das Kreuz Jesu Christi hat eine Wirkung, die 20 Jahrhunderte später in einem Hindu in Indien zur Geltung kam. Mit anderen Worten: der Opfertod Jesu am Kreuz hat bis heute eine versöhnende, friedensstiftende Ausstrahlungskraft – und nicht nur innerhalb der Christenheit.

Der Römerbrieftext, der für heute vorgesehen ist, erläutert diese versöhnende, friedensstiftende Ausstrahlungskraft des Kreuzes. Und die Kernaussage hier lautet:

Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.

Wie ist diese Aussage zu verstehen?

Um eine solche Aussage zu verstehen, sind wir auf Bilder angewiesen; abstrakte Sprache ist keine Hilfe. Ein hilfreiches Bild gibt es in einer Kirche in Italien. Dort wird die Kreuzigung Jesu abgebildet. Und auf den ersten Blick scheint dieses Bild eine normale, typische Kreuzigungsdarstellung zu sein. Wer aber genauer hinschaut, sieht eine Schattenfigur hinter der Person Jesu. Diese Schattengestalt ist Gott. Und die Nägel, welche die Hände Jesu durchbohren, durchbohren auch die Hände Gottes, und die Lanze, welche die Seite Jesu verwundet, verletzt auch die Seite Gottes. Dieses Bild veranschaulicht, dass das Leiden Jesu am Kreuz gleichzeitig das Leiden Gottes war. Deswegen ist das Leiden Jesu am Kreuz eine Offenbarung der Liebe Gottes. Und deswegen schreibt Paulus:

Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.

Diese letzte Formulierung: „als wir noch Sünder waren“ bringt zum Ausdruck, dass diese Liebe Gottes zu uns ein reines Gnadengeschenk ist.

Paulus erläutert in dem Römerbrieftext, dass die Selbstaufopferung Gottes in Jesus eine versöhnende Wirkung hat. Und auch hier sind wir auf konkrete Beispiele angewiesen, um diesen Vorgang zu verstehen.

In einer Stadt in den USA, die Manhattan heißt – nicht identisch mit dem Stadtteil in New York – gab es eine Kirchengemeinde mit einem Problem. Jeden Nachmittag um etwa 16 Uhr erschien eine Frau namens Emma. Sie stand vor der Kirche und schrie Beleidigungen. Die Zielscheibe ihrer Wut war Jesus Christus. Sie kam täglich zu dieser Kirche, um Jesus Christus zu beschimpfen. Es stellte sich heraus, dass diese Frau eine Jüdin war, die den Holocaust des dritten Reiches überlebt hatte. Eines Tages kam der Pfarrer der Gemeinde auf sie zu und machte einen Vorschlag: „Warum gehen Sie nicht in die Kirche und dort vor dem Kreuz können Sie Jesus direkt sagen, was sie auf dem Herzen haben.“ Die Frau ging in die Kirche. Nach einer Stunde schaute der Pfarrer nach. Zuerst muss er gedacht haben, dass die Frau weg war, denn sie war weder zu sehen noch zu hören. Aber als er zum Altarraum ging, fand er diese Frau auf dem Boden: sie lag vor dem Kreuz und war absolut still. Er beugte sich und berührte sie an der Schulter. Sie drehte sich um. Sie hatte Tränen in den Augen und sagte leise: „Immerhin war er auch ein Jude.“ Dieser Vorgang veranschaulicht, welche Wirkung der Kreuzestod Jesu haben kann. Die Kluft zwischen uns und Gott wird plötzlich überbrückt. Die Feindschaft des Menschen Gott gegenüber wird in Ergriffenheit umgewandelt. Wo vorher Unruhe war, tritt ein Friede ein, der nach menschlichem Ermessen nicht zu erklären ist. Und wie Paulus in dem Römerbrieftext schildert: der Opfertod Jesu am Kreuz erweckt zuletzt Geduld, Hoffnung und Liebe.

Es handelt sich hier um eine einfache Alternative: in der Menschheitsgeschichte kann man alle Götter in zwei Kategorien einteilen: Götter, die von den Menschen Opfer verlangen, und ein Gott, der sich selbst um der Menschen willen aufgeopfert hat. In den Sumpfgebieten Irlands wurden zwei Becher ausgegraben, die deutlich machen, worum es hier geht. Ein Becher stammte aus dem ersten oder zweiten Jahrhundert vor Christus, als die Iren nur heidnische Götter kannten. Auf diesem Becher sieht man eine gigantische Gottheit, die Menschen in ihren Händen hält. Diese Menschen versuchen, aus dem Griff der Gottheit zu entkommen, denn dieser sogenannte Gott ist dabei, sie in einen Topf fallen zu lassen, wo sie in heißem Öl gekocht werden, damit er sie verspeisen kann. Diese Szene ist charakteristisch für die Götter der antiken Welt. Diese Götter waren nicht in erster Linie für die Menschen da, sondern sie mussten mit Opfergaben besänftigt oder bestochen werden. Auch Menschenopfer wurden manchmal verlangt. Auch die Christenheit – besonders im Mittelalter – hat die perverse Vorstellung gehabt, dass der Gott Jesu Christi gefallen daran hat, wenn Menschen seinetwegen geopfert werden.

Aber es wurde in Irland ein zweiter Becher entdeckt, der aus dem 7. oder 8. Jahrhundert stammte.

Es handelt sich um einen Abendmahlsbecher. Der Gott, der auf diesem Becher symbolisch dargestellt wird, ist der genaue Gegensatz zu den Göttern der antiken Welt. Dieser Gott verlangt kein Opfer von den Menschen, sondern er opfert sich selbst für die Menschen auf. Dieser Gott macht nicht aus den Menschen eine Mahlzeit, um seinen eigenen Appetit zu befriedigen, sondern er bietet sich selbst als Mahlzeit für die Menschen an. Und zwar ohne Arglist. Er opfert sich nicht, weil er uns damit erpressen will, und er opfert sich nicht, weil wir es irgendwie verdient hätten. Sondern wie Paulus schrieb:

Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.

Diese Botschaft vom Kreuz ist in alle Welt gegangen und hat nicht nur Christen, sondern auch Nicht-Christen berührt. In Südafrika wurde Gandhi beobachtet, wie er vor einem Kreuz stand. Er beugte sich vor dem Kreuz und flüsterte: „Es ist das geduldige Leiden, das uns erlösen wird – Inder, Europäer, Afrikaner. Das Kreuz predigt eine große Wahrheit für die ganze Welt.“ Möge Gott uns helfen, dass wir diese Wahrheit begreifen und verkörpern, damit wir Gott und unseren Mitmenschen mit Geduld, Hoffnung und Liebe dienen.

Das Bild 'Mohandas K. Gandhi (1869-1948)' ist in public domain in Indien, weil sein copyright abgelaufen ist.

^ Zum Seitenanfang

PSch