Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Jesaja 58, 1 – 9a Wie Feindseligkeit überwunden wird

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Vorfastenzeit - Estomihi

Wie Feindseligkeit überwunden wird Jesaja 58, 1 – 9a

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2008

'Todesstunde', 1980 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'Todesstunde', 1980
Walter Habdank. © Galerie Habdank

Als Jesus am Kreuz hing, vergab er seinen Peinigern. In diesem Bild sind die Hände des Gekreuzigten in einer segnenden Haltung erhoben: eine innige Gemeinschaft ist entstanden zwischen Jesus und dem verurteilten Verbrecher zu seiner rechten Seite.

Rufe getrost, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden! Sie suchen mich täglich und begehren meine Wege zu wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie begehren, dass Gott sich nahe. »Warum fasten wir und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib und du willst's nicht wissen?« Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll. Soll das ein Fasten sein, an dem ich habe, ein Tag, an dem man sich kasteit, wenn ein Mensch seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat?
Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. Jesaja 58, 1 – 9a

In Indonesien gibt es militante Muslime, die sich Hizbullah nennen: „die Partei Gottes“. Das Motto dieser Gruppierung lautet: „Wir sind die Partei Gottes, und unser Auftrag ist es, unsere Feinde zu töten und für die Verteidigung des Islams zu kämpfen.“

Es gibt einen indonesischen Pfarrer, der dazu beauftragt ist, mit Muslimen Versöhnung zu suchen. Seine Aufgabe ist nach menschlichem Ermessen völlig aussichtslos. Vor drei Jahren hatte er eine erste Begegnung mit einem Kommandanten der Hizbullah, der ihn mit den Worten begrüßte: „Du bist ein Christ und ein Ungläubiger, und deshalb darf ich dich töten.“ Der Pfarrer ließ sich durch diese Begrüßung nicht entmutigen. Er besuchte immer wieder das islamische Kommandozentrum der sogenannten Partei Gottes und trank Tee mit militanten Gegnern der Christenheit. Im Laufe der Zeit lud der Pfarrer diese radikalen Muslime dazu ein, an Aufbauprojekten mit Christen zusammenzuarbeiten. Es ging um den Wiederaufbau von Häusern und Dörfern, die durch die Tsunami-Überflutungen zerstört worden waren. Diese Projekte wurden weitgehend von christlichen Organisationen finanziert. Erstaunlicherweise erklärten sich die Hizbullah-Mitglieder bereit, mit Christen zusammenzuarbeiten. Es ergab sich, dass der Pfarrer und der Kommandant eine Zeitlang an einer Baustelle in demselben Zimmer schliefen und Freunde wurden.

Im Laufe der Zeit hat der Kommandant einen Wandel durchgemacht. Einmal bei einem Abendessen fing er an zu weinen und sagte: „Wenn ich daran denke, dass wir vorhatten, euch Christen zu töten, und wie ihr dieses Vorhaben mit Liebe erwidert habt, dann schmilzt mein Herz.“ Und dieser Oberbefehlshaber sagt jetzt mit einer scherzhaften Selbstironie: „Ich habe entdeckt, dass ihr Christen gute Ungläubige seid.“ Er beschreibt die Christen – wieder mit Selbstironie - als „meine ungläubigen Freunde“. Der Wandel ist so weit gegangen, dass die Hizbullah sogar als Fürsprecher für Christen auftritt, wenn sie Baugehmigungen für neue Kirchen beantragen. Und der Kommandant hat für seine muslimischen Offiziere 50 Exemplare eines Buches zum Thema Versöhnung bestellt, das von einem christlichen Theologen geschrieben wurde.

'Forgiveness', Carlos Latuff, Liftarn , 2007

Wie kam es zu diesem Wandel? Die indonesischen Christen sagen: „Jesus, der Messias, hat uns geboten, unsere Feinde zu lieben und zu vergeben.“ Diese Liebe und Vergebung wurden vorbedingungslos geschenkt - zu einem Zeitpunkt, als nur Feindschaft und Gewaltbereitschaft zu sehen waren. Sie haben nicht auf Zeichen der Reue gewartet, sondern haben eine Friedens-Initiative ergriffen, als Versöhnung völlig aussichtslos aussah.

Von den Christen in Indonesien können wir etwas lernen. Hier in Europa hat die Christenheit zwar auch Feinde, aber sie sind relativ sanft; unsere Feinde sind eher Gleichgültigkeit und Glaubensarmut. Im Vergleich zu den Christen in Ostasien ist unsere Situation harmlos. Aber es gibt einen gemeinsamen Nenner. Überall lauert Aggressivität, auch innerhalb der Kirche, auch innerhalb Familien. Feindseligkeit kann jederzeit ausbrechen – auch in Gruppen, die sonst friedlich sind. In jeder Familie können Spannungen aufflackern, die jahrelang unversöhnlich bleiben.

Der Text aus dem Buch des Propheten Jesaja schildert, dass auch innerhalb eines Gottesvolkes erstaunlich brutale Vorgänge möglich sind: „ihr hadert und zankt und schlagt mit gottloser Faust drein“, wie es heißt.

An dieser Stelle können wir Christen nicht auf das Volk Israel herabschauen. Denn wer die Christenheit kennt, weiß, dass auch Christen, die sonst lieb und nett sind, zu einer verblüffend unversöhnlichen Feindseligkeit fähig sind. Und dieses Aggressivitätspotential ist viel größer, als wir normalerweise wahrnehmen.

In Mexiko gab es einmal eine Friedenskonferenz, bei der die Teilnehmenden versucht hatten, Wege des Friedens und der Versöhnung zu suchen. Vertreter der Christenheit aus verschiedenen Erdteilen waren anwesend. Ein Jesuit, der dabei war, erzählte, dass es eine Reihe von Vorschlägen gab, wie man die Welt friedlicher gestalten könnte. Aber ein Teilnehmer hatte sich an der Diskussion nicht beteiligt. Zuletzt wurde er gefragt, warum er schwieg und ob er einen Vorschlag hätte. Seine Erwiderung lautete: „Ich habe den Eindruck, dass es genügend verborgene Gewalt in diesem Raum gibt, um einen Krieg anzufangen.“ Der Jesuit schrieb, dass alle Anwesenden von dieser Bemerkung erschüttert waren. Diese Aussage wurde ernst genommen. Jeder hat sich gefragt: „Gibt es in meinem Herzen, das ich für das Herz eines friedlichen Menschen hielt, so viel kriegerisches Gewaltpotential?“

Die Antwort auf diese Frage ist so alt wie die Bibel. Die Antwort ist eindeutig ja. Kriege werden von Menschen ausgeführt, die im Alltag nett und sympathisch sind. Gemeint sind auch die Kleinkriege, die in Familien oder zwischen Nachbarn ausbrechen können. Das ist die Botschaft des Jesajatextes, der verkündet, dass auch in einem Gottesvolk, auch unter Menschen, die sonst anständig und fromm sind, ein Gewaltpotential da ist, das unermesslich groß ist.

Um so wichtiger ist es, dass wir etwas entgegenzusetzen haben. Von den Christen in Indonesien können wir lernen, wie groß die Macht Christi ist, wenn es um Versöhnung geht. In jedem Christenherzen sollte es eine bedingungslose Vergebungsbereitschaft geben. Eine kompromisslose Friedfertigkeit ist es, was Gewaltbereitschaft bändigen kann.

Jesaja spricht in diesem Zusammenhang von Fasten. Er schreibt: „Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg!“

Fasten ist ein Verzicht auf Sättigung – und normalerweise geht es um Essen. Aber Jesaja dehnt diesen Gedanken weiter aus. Es gibt so etwas wie seelische Übersättigung; es gibt so etwas wie ein emotionales Fressen. Diese Art Fressen tritt ein, wenn man z. B. die Rachegefühle auslebt, die in einem lauern. Es gibt eine hemmungslose Übersättigung, die mit aggressiven Worten ausgeführt wird, wenn man z. B. in einem übertragenen Sinne „auf den Tisch haut“, oder wenn man „ein Machtwort ausspricht“, oder wenn man zeigt, „wo der Hammer hängt“, oder wenn man über die Zunge „die Sau rauslässt.“ Nach einer geistigen Fressorgie fühlt man sich hinterher vorläufig erleichtert - wie nach einem Befreiungsschlag - aber für die Opfer einer Wortschlacht ist das keine Befreiung. Sie sind – um die Sprache Jesajas aufzugreifen - wie unter einem Joch, sie sind gebunden, versklavt, bedrückt – wie der Prophet formuliert. Aber auch der Täter ist wie unter einem Joch: gebunden, versklavt und bedrückt. Aggressivität bietet zuletzt für niemanden eine Befreiung, auch nicht für den Angreifer.

Jesaja fordert ein Fasten des Herzens - in dem Sinne, dass die Feindseligkeit im Herzen keine Nahrung bekommt. Feindseligkeit lebt von hemmungslosen Worten. Wenn bösartige Worte nicht ausgesprochen werden, so ist das ein Fasten, das Gott gefällt.

Aber ein Fasten des Herzens ist nur der erste Schritt: denn es gibt keine Befreiung von Feindseligkeit außer durch Gnade und Vergebung. Nur Gnade - nur grenzenlos bedingungslose Gnade - ist befreiend. Es gibt keinen Ersatz für eine kompromisslose Vergebungsbereitschaft im Geiste Jesu Christi.

'Olivetti Lettera 22 (first model) typewriter, 2005, LjL

Es gibt eine ältere Frau, die restlos verbittert war. Sie fand Kontakt zu einer Kirchengemeinde und hörte die Botschaft von Gnade und Vergebung im Namen Jesu Christi. Zuerst hatte diese Botschaft auf sie scheinbar keine Wirkung. Aber tief im Herzen hatte etwas angefangen, in ihr zu arbeiten. In ihrem Kleiderschrank hatte sie eine tragbare Schreibmaschine, die sie seit Jahren nicht mehr benutzt hatte; sie hatte jahrelang nicht einmal an diese Maschine gedacht. Aber nachdem sie einige Male im Gottesdienst gewesen war, musste sie immer mehr an diese Schreibmaschine denken. Jedesmal wenn sie ihren Kleiderschrank öffnete, musste sie diese Maschine anstarren und nachhaltig an sie denken. Und eines Tages, als sie diese altmodische Schreibmaschine anschaute, musste sie an ihre Schwester denken, von der sie entfremdet war. Sie hatten einmal Streit und danach hatte es seit Jahren keinen Kontakt mehr gegeben.

Zuletzt hat diese verbitterte Frau die Schreibmaschine heruntergeholt, und sie tippte einen Brief an ihre Schwester. Sie hatte zwar nur in Erinnerung, wie bösartig ihre Schwester zu ihr gewesen war, aber sie bat um Vergebung. Auf diese Weise hat sie bedingungslose Gnade ausgeführt. Ehe sie den Brief abschicken konnte – während sie dabei war, den Brief zu falten – spürte sie eine durchdringende Reinheit, als ob sie am ganzen Leib rein gewaschen war. Von dem Gift der Verbitterung war sie befreit. Mit ihrer Schwester wurde sie wieder versöhnt.

Mit anderen Worten: Versöhnungsbereitschaft im Geiste Jesu Christi ist die größte Macht dieser Erde. Sie kann militante Muslime überwältigen. Sie kann verbitterte Menschen von Kopf bis Fuß reinigen. Sie kann Familienkriege und Völkerkriege verhindern. Gebete für die Feinde sind die stärksten Waffen der Welt.

Möge Gott uns helfen, eine grenzenlose Versöhnungsbereitschaft zu verkörpern.

Der Urheberrechtsinhaber erlaubt es jedem, das Bild 'Forgiveness', Carlos Latuff, Liftarn, 2007 für jeglichen Zweck, inklusive uneingeschränkter Weiterveröffentlichung, kommerziellem Gebrauch und Modifizierung, zu nutzen.
Die Photographie 'Olivetti Lettera 22 (first model) typewriter, 2005, LjL, wurde von ihrem Urheber zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben. Diese Datei ist damit gemeinfrei („public domain“). Dies gilt weltweit.

Wir danken Frau Friedgard Habdank sehr herzlich, dass sie uns die Bilder ihres Mannes auf so großzügige und kostenlose Weise zur Verfügung gestellt hat.
© Galerie Habdank, www.habdank-walter.de

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