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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Offenbarung 1, 9 – 18 Der heimliche Hunger nach Herrlichkeit

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Letzter Sonntag nach Epiphanias

Der heimliche Hunger nach Herrlichkeit Offenbarung 1, 9 – 18

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2000

'Mackintosh and Spencer-Smith being dragged on the sledge - Antarctica, 2007, Ernest Henry

Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse an der Bedrängnis und am Reich und an der Geduld in Jesus, war auf der Insel, die Patmos heißt, um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses von Jesus. Ich wurde vom Geist ergriffen am Tag des Herrn und hörte hinter mir eine große Stimme wie von einer Posaune, die sprach: Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende es an die sieben Gemeinden: nach Ephesus und nach Smyrna und nach Pergamon und nach Thyatira und nach Sardes und nach Philadelphia und nach Laodizea. Und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme, die mit mir redete. Und als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn gleich, angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel. Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie der Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme und seine Füße wie Golderz, das im Ofen glüht, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen; und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Munde ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht. Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot; und er legte seine rechte Hand auf mich und sprach zu mir: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle. (Offenbarung 1, 9 – 18)

Am Anfang dieses Jahrhunderts gab es Forschungsexpeditionen in der Anktarktis. Und es gab einen britischen Marineoffizier mit dem Namen Ernest Shackleton, der dreimal versuchte, den Südpol zu erreichen. Zum Beispiel: Im Jahre 1908 leitete er eine Forschungsgruppe, die bis zu einer Entfernung von 156 km zum Südpol vorgedrungen war. Und dieser Shackleton versuchte einmal, Männer für seine Forschungsreisen zu gewinnen, indem er eine Anzeige in eine Londoner Zeitung setzte. Diese Anzeige hatte den folgenden Wortlaut: „Männer werden für eine gefährliche Forschungsreise gesucht. Die Bezahlung ist gering; mit bitterer Kälte, mit langen Monaten in totaler Dunkelheit und mit ständiger Lebensgefahr muss man rechnen. Die Wahrscheinlichkeit, dass man heil zurückkehrt, ist gering.“

Man müsste denken, dass eine solche Anzeige sinnlos ist, denn wer möchte für wenig Geld so etwas auf sich nehmen? Aber die Reaktion auf diese Anzeige war überwältigend. Shackleton sagte dazu: „Es sieht so aus, als ob alle Männer in Großbritannien entschlossen sind, mit uns zu gehen“.

Diese Begebenheit offenbart etwas. Es steckt in uns Menschen eine Sehnsucht, die so tief verborgen ist, dass sie selten zum Vorschein kommt. Man könnte sie eine Sehnsucht nach Herrlichkeit nennen. Die Reaktion auf die Zeitungsanzeige zeigt, dass diese Sehnsucht größer ist als die Sehnsucht nach Sicherheit. Dieses Verlangen nach Herrlichkeit kommt zum Ausdruck als eine Bereitschaft, die größten Gefahren auf sich zu nehmen, um etwas Hervorragendes zu erleben. Es steckt in uns eine Sehnsucht, die Grenzen des Alltags zu überschreiten und etwas zu erleben, was einem deutlich macht: ich bin ein einmaliger Mensch. Wir Menschen wollen um jeden Preis erleben, dass es eine Herrlichkeit gibt, an der wir teilnehmen können.

In meiner Heimatstadt gibt es eine Kirche in der Innenstadt, die ziemlich aus dem Rahmen fällt. Die Gottesdienstbesucher haben eher das Gefühl, dass sie sich in einer Diskothek als in einem Gottesdienst befinden: die Musik ist fetzig, die Lieder werden tanzend gesungen und mit einer Lichtshow begleitet.

Als ich das erste Mal da war, hat der Pfarrer am Anfang gesagt: „Falls sie nicht sicher sind, wo sie sich befinden, möchte ich Ihnen hiermit versichern: sie befinden sich tatsächlich in einem Gottesdienst.“ Und bei diesem ersten Besuch gab es einen schwarzen Prediger, der eine charismatische Ausstrahlung hatte. Und ich werde nie vergessen, was seine Botschaft an diesem Sonntag war. Sie lautete: „Du solltest ein hervorragendes Erlebnis haben.“ Das hat er immer wieder gesagt: „Du solltest ein hervorragendes Erlebnis haben.“ Diese Botschaft klingt völlig banal, aber offenbar wusste dieser Prediger etwas über die menschliche Seele. Unsere Seele verlangt nach einem hervorragenden Erlebnis, sie verlangt nach Herrlichkeit.

Deswegen gibt es auch so viele Menschen, die bereit sind, Drogen zu nehmen, obwohl sie mit dem Verstand wissen müssten, dass sie sich damit zugrunde richten. Die menschliche Seele muss Herrlichkeit erleben; materielle und gesundheitliche Sicherheit ist im Vergleich dazu sogar zweitrangig.

Von diesem Hintergrund aus soll der Text aus der Offenbarung verstanden werden, der für heute vorgesehen ist. Die Offenbarung wurde zu einer Zeit geschrieben - etwa um das Jahr 95 - als es eine intensive Christenverfolgung gab. Zu diesem Zeitpunkt gab es das Gesetz, dass alle Bewohner des römischen Reiches verpflichtet waren, eine kultische Anbetung des Kaisers zu leisten. Es war dabei erforderlich, eine Prise Weihrauch zu verbrennen und dabei zu sprechen: „Der Kaiser ist der Kyrios. (= Der Kaiser ist der Herr)“ Für Rom ging es nicht um Glaubensinhalte, sondern um politische Einheit. Es wäre theoretisch denkbar, dass Christen hier mitmachten, um ihre Treue als Staatsbürger zu bezeugen. Aber das Urbekenntnis der Christenheit lautete: Jesus ist Kyrios, und Kyrios wurde als göttliche Bezeichnung verstanden, denn der Gott des Alten Testamentes wurde in der griechischen Übersetzung so bezeichnet. Für die Christenheit konnte es nur einen einzigen Herrn geben. Und deswegen gab es Christen, die bereit waren, lieber einen grausamen Tod auf sich zu nehmen, als den Herrn zu verraten – durch Teilnahme an dem Kaiserkult.

Der Verfasser der Offenbarung will die Christen ermutigen, die dem Kaiserkult gegenüber kompromisslos bleiben. Und der Text, der für heute vorgesehen ist, offenbart ein Geheimnis der Urchristenheit. Denn es ergibt sich die Frage: warum waren die ersten Christen bereit, im Namen Jesu Christi eine grausame Verfolgung auf sich zu nehmen? Warum hat die Christenheit eine solche magnetische Anziehungskraft gehabt, obwohl die Christen keine Öffentlichkeitsarbeit betreiben durften, sondern sich nur in geheimen Hauskirchen treffen konnten? Warum hat sich die Christenheit so schnell ausgebreitet, obwohl die Römer mit aller Gewalt versuchten, die Christen zu unterdrücken und manchmal auszurotten? Und die Antwort auf diese Fragen zeigt sich in dem Abschnitt, der für heute vorgesehen ist.

In unserem Text geht es um Vision der himmlischen Herrlichkeit, die in Jesus Christus offenbart wurde. Was der Seher der Offenbarung hier erlebt, erinnert an die Verklärung Jesu, von der das Evangelium für heute berichtet. Es heißt:

'Der Menschensohn unter den sieben Leuchtern', um 1000, Bamberger Apokalypse Folio 3 recto, Bamberg, Staatsbibliothek, MS A. II. 42

'Der Menschensohn unter den sieben Leuchtern', um 1000, Bamberger Apokalypse Folio 3 recto, Bamberg, Staatsbibliothek, MS A. II. 42

Und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme, die mit mir redete. Und als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn gleich, angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel. Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie der Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme und seine Füße wie Golderz, das im Ofen glüht, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen; und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Munde ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht. Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot; und er legte seine rechte Hand auf mich und sprach zu mir: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.

Diese Vision von himmlischer Herrlichkeit ist das, wonach unsere Seelen heimlich hungern. Die Worte, die der Seher hier verwendet, sind unbeholfen: man merkt, dass er vergeblich nach Worten sucht, um das zu beschreiben, was er sieht. Und was er sieht, ist nicht bloß eine ekstatische Vision, sondern eine Zusammenfassung der gesamten biblischen Botschaft. Was hier bezeugt wird, ist nicht bloß etwas Esoterisches, was für eine kleine Elitenminderheit vorgesehen ist, sondern hier wird das Endziel der Menschheitsgeschichte offenbart; wir Menschen sind für die ewige Herrlichkeit vorgesehen, für die Jesus Christus eine Vorschau lieferte. Was hier beschrieben wird, ist das, wonach jede menschliche Seele hungert: eine unvergängliche Herrlichkeit, eine herrliche Allmacht, die sogar stärker ist als alle sogenannten Götter – symbolisiert durch die sieben Sterne – und stärker als Vergänglichkeit und Tod.

Die Verklärung Jesu und die Visionen der Offenbarung waren für die Urchristenheit von entscheidender Bedeutung. Die ersten Christen hatten einen Vorgeschmack der himmlischen Herrlichkeit vermittelt bekommen, und sie wollten um keinen Preis die Verbindung zu dieser Herrlichkeit verlieren. Sie wollten lieber sterben, als für eine Sekunde aus der Gemeinschaft mit Christus herausfallen.

Für uns ist es heute schwierig, nachzuvollziehen, warum die ersten Christen von der Herrlichkeit Gottes in Jesu Christi so gefesselt waren. Aber es gibt Möglichkeiten, auch in der heutigen Zeit, diese Herrlichkeit zu ahnen. Vielleicht die beste Möglichkeit, die wir haben, ist durch unsere Kirchenmusik. Nehmen wir als Beispiel Georg Friedrich Händel. Im Jahre 1741 war er 56 Jahre alt. Und er war seelisch und körperlich in einem schlechten Zustand. Einmal kam er nach Hause mit einem Manuskript für ein Oratorium. Er machte das Paket auf und las als Erstes: „Er war verschmähet und verachtet“. Er fing an, den Text des Oratoriums zu vertonen und 22 Tage lang hat er nicht aufgehört zu arbeiten. Er bekam in diesen 22 Tagen eine Vision von der Herrlichkeit Gottes, vermittelt durch biblische Texte. Und wie bei den ersten Christen war es eine Stelle aus der Offenbarung, die seine Seele entzündete:

Halleluja! Denn der Herr, unser Gott, der Allmächtige, hat das Reich eingenommen! (Offb. 19, 6)

Als er diese Stelle vertonte, sagte er: „Ich glaubte, den Himmel offen und den Schöpfer aller Dinge selbst zu sehen“ Als dieser Hallelujachor zum ersten Mal gehört wurde, soll er die Zuhörer buchstäblich von den Stühlen gerissen haben und seitdem gibt es in englischsprechenden Ländern die Tradition, diesen Chor stehend anzuhören. Denn wenn der Mensch sich in der Anwesenheit Gottes befindet, muss er aus Ehrfurcht entweder sich hinwerfen oder aufstehen. Wer dieses Oratorium hört, das „Messias“ heißt, kann eine Ahnung von himmlischer Herrlichkeit bekommen, auch wenn es nur auf Kassette oder CD ist.

Und solche Ahnungen brauchen wir, denn wir sind in der heutigen Zeit etwas ahnungslos geworden. In diesem Zusammenhang denke ich an eine Übung, die ich mit Konfirmanden am Anfang eines Konfirmandenjahres mache. Es werden Behauptungen vorgelesen, und die Konfirmanden werden dazu eingeladen, zu sagen, wie sie zu diesen diversen Behauptungen stehen. Eine dieser Behauptungen lautet: „Man kann Gott genauso gut in dem Wald wie in der Kirche anbeten.“ Ich habe Jahre gebraucht, bis ich eine wichtige Entdeckung dabei gemacht habe: nämlich, dass für Konfirmanden die Worte „beten“ und „anbeten“ identisch sind. Sie hören das Wort „anbeten“ und setzen es mit „beten“ gleich, denn sie haben vielleicht nie in ihrem Leben erlebt, was es bedeutet, Gott anzubeten. Und das ist auch die Frage für uns: wissen wir, was es bedeutet, Gott anzubeten? Anbetung ist etwas, was offenbar äußerst selten vorkommt.

Der Seher der Offenbarung führt uns vor, wie Anbetung vor sich geht. Zuerst gibt es eine Vision von der Herrlichkeit Gottes, und dann fällt er auf den Boden in Ehrfurcht und Anbetung. Anbetung ist etwas, was sofort in der Körpersprache einen Ausdruck findet. Man braucht nicht unbedingt auf den Boden zu fallen, aber unsere Körpersprache im Gottesdienst – wie wir sitzen, wenn wir beten, wie wir singen, wie wir zum Altar gehen beim Abendmahl, wie wir Brot und Kelch empfangen – diese unauffälligen Momente der Körpersprache können Anbetung signalisieren oder auch nicht. Unsere Körpersprache im Gottesdienst kann uns helfen, die Herrlichkeit Gottes wahrzunehmen und zu bezeugen. Aber es fängt alles in der Bibel an. Die Bibel bezeugt die Herrlichkeit Gottes. Der Text aus der Offenbarung, der für heute vorgesehen ist, ist zwar ein Brennpunkt der biblischen Botschaft von der Herrlichkeit Gottes, aber es ist die Bibel in ihrer Gesamtheit, die wir brauchen, um die Herrlichkeit Gottes wahrzunehmen. Wir brauchen die Herrlichkeit Gottes. Unsere Seelen verlangen danach.

C. S. Lewis, ein großer christlicher Denker dieses Jahrhunderts stellte einmal folgendes fest: „Wenn man die Geschichte betrachtet, stellt man fest, dass die Christen, die am meisten für die Besserung dieser gegenwärtigen Welt gearbeitet hatten, genau die waren, die sich mit der jenseitigen Welt befassten. Seitdem Christen sich nicht mehr mit der jenseitigen Welt befassen, sind sie in dieser jetzigen Welt um so wirkungsloser geworden.“ Die Beschäftigung mit der jenseitigen Herrlichkeit Gottes führt nicht zur Weltflucht, sondern führt dazu, dass man für diese jetzige Welt etwas tun will.

Die Abbildung 'Mackintosh and Spencer-Smith being dragged on the sledge - Antarctica, 2007, Ernest Henry, ist gemeinfrei in den Vereinigten Staaten. Dies gilt für US-amerikanische Werke, deren Urheberrecht erloschen ist, üblicherweise, weil ihre Erstveröffentlichung vor dem 1. Januar 1923 liegt.
Die Photographie 'Photograph of Grytviken taken by Shackleton’s expedition in 1914', scan by Apcbg., ist im public domain, weil das copyright abgelaufen ist.
Das Kunstwerk 'Der Menschensohn unter den sieben Leuchtern', um 1000, Bamberger Apokalypse Folio 3 recto, Bamberg, Staatsbibliothek, MS A. II. 42 gehört zum public domain, weil das copyright abgelaufen ist.

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