Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Markus 4,35-41 Vorschau einer ewigen Ruhe

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4. Sonntag nach Epiphanias

Vorschau einer ewigen Ruhe Markus 4,35-41

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2001

'Christus auf dem See Genezareth', 1854, Walters Art Museum.

'Christus auf dem See Genezareth', 1854,
Walters Art Museum.

Und am Abend desselben Tages sprach er zu ihnen: Lasst uns hinüberfahren. Und sie ließen das Volk gehen und nahmen ihn mit, wie er im Boot war, und es waren noch andere Boote bei ihm. Und es erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, so dass das Boot schon voll wurde. Und er war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen? Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig und verstumme! Und der Wind legte sich, und es entstand eine große Stille. Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben? Sie aber fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der? Auch Wind und Meer sind ihm gehorsam! (Markus 4,35-41)

Am Anfang der Bibel wird die Urversuchung des Menschen genannt. Sie lautet: „Ihr werdet sein wie Gott“. Tief in uns Menschen verborgen steckt dieses Verlangen, so wie Gott zu sein: d.h. völlig autonom, völlig selbstbestimmend, völlig souverän, niemandem Rechenschaft schuldig. Und manchmal wird aus dieser Versuchung eine Wahnvorstellung. Es hat Menschen gegeben, die behauptet haben, dass sie Gott seien. Es gab zum Beispiel am Anfang dieses Jahrhunderts in der Stadt Baltimore, USA, einen Evangelisten mit dem Namen George Baker. Er nannte sich selbst „göttlicher Vater“ und behauptete, dass 20 Millionen Personen ihn als Gott anerkannt hätten.

Seine Wahnvorstellung muss ansteckend gewesen sein, denn er hatte einen jungen Mitarbeiter mit dem Namen Hickerson, der einen ähnlichen Größenwahn entwickelte. Im Jahre 1915 nannte er sich Bischof „Sankt Johannes der Göttliche“. In der Stadt New York gründete er eine Kirche, die er „Kirche des lebendigen Gottes“ nannte. Ein Zeuge berichtet: „Er sah beeindruckend aus: groß, asketisch, er sah wie Jesus aus – so wie er von den alten Meistern dargestellt wurde....Es war offensichtlich, dass er sich mehr oder weniger für Gott hielt.“

Und dann gab es in London einen Prediger mit dem Namen Smyth-Pigott, der am 7. September 1902 von der Kanzel seiner Kirche verkündete, dass er göttlich sei und sich vorgenommen habe, so wie Jesus über Wasser zu laufen. Er muss überzeugend gewirkt haben, denn es wird berichtet: „Einige seiner Anhänger fielen sofort auf die Knie“. In seinem Größenwahn fühlte er sich an keine Sittlichkeiten gebunden und bekam im Laufe der Zeit ein außereheliches Kind. Als die Kirchenleitung ihn zur Rechenschaft zog, sagte er: „Ich bin Gott; es ist egal was Sie machen.“

Diese Männer, die sich für Gott hielten, sind nur die sichtbare Spitze des Eisbergs der menschlichen Seele. Die allermeisten Menschen würden nie so weit gehen, sich als göttlich zu bezeichnen. Aber tief im Herzen verborgen ist dieser Drang, die Grenze des Menschseins nicht anerkennen zu wollen. Und manchmal wird dieser Drang auf Helden und Idole projiziert. Heutzutage sind es Sporthelden und Rockmusikidole, auf die man die Sucht nach Göttlichkeit projiziert. Zum Beispiel als die Offenbacher Kickers noch zu der Bundesliga gehörten, hatten sie einen Spieler mit dem Namen Erwin Kostedde. Auf dem Bieberer Berg wurde gerufen: „Erwin, du bist ein Gott“. In einer Zeitung wurde von dem „Fußballgott“ Erwin berichtet. Oder als Boris Becker und Steffi Graf 1989 beide ihre Endspiele in Wimbledon gewannen, gab es am Montag danach in einer Zeitung die Überschrift: Steffi und Boris, das war Götter-Tennis“. Auf der einen Seite ist es denkbar, dass diese Sprache von Fußball- und Tennisgöttern bloß harmlose Übertreibungen sind. Aber die menschliche Sucht, so zu sein wie Gott, die hier auf Sporthelden übertragen wird, ist auf jeden Fall nicht harmlos. Denn diese Sucht führt dazu, dass Regeln der Sittlichkeit, der Höflichkeit und des Anstandes nicht anerkannt werden. Ein Mensch, der sich für einen kleinen Gott hält, fühlt sich nicht verpflichtet, Höflichkeitsregeln zu achten, sondern sagt sich: so etwas ist für Spießer. Es entsteht viel Unfrieden und auch viel Kriminalität in der heutigen Zeit, weil der Drang nach Göttlichkeit manchmal keine Grenzen mehr anerkennt.

Wie gesagt, die Urversuchung lautet: der Mensch will wie Gott sein. Und dadurch entsteht eine große Kluft zwischen Gott und Mensch. Und weil der Mensch Gott sein will, ist Gott Mensch geworden, um diese Kluft zu überwinden. In der Weihnachtszeit wird diese Menschwerdung Gottes gefeiert. Und in der Epiphaniaszeit geht es darum, zu betonen, dass in dem Menschen Jesus von Nazareth Gott selber erschienen ist. Epiphanias bedeutet „Erscheinung“, und gemeint ist die Erscheinung Gottes. Und wenn Gott erscheint, gibt es sichtbare Zeichen seiner Anwesenheit. Es gibt bestimmte Begebenheiten aus dem Leben Jesu, die zu der Epiphaniaszeit gehören. Epiphanias beginnt mit dem Bericht des Besuches der Weisen aus dem Morgenland. Diese Sterndeuter bringen drei Gaben, darunter Weihrauch. Weihrauch wird eingesetzt, um Gott anzubeten; damit wird bezeugt, dass Gott selber in dem Kind von Bethlehem erschienen ist. Dementsprechend fallen die Weisen auf den Boden und beten das Kind an. An dem 2. Sonntag nach Epiphanias geht es um die Hochzeit zu Kana, bei der Wasser in Wein verwandelt wurde. Wer kann Wasser verwandeln? Wer die biblische Geschichte kennt, soll dabei zurückdenken an die erste Plage in Ägypten, als Gott Wasser in Blut verwandelte. Derselbe Gott, der damals als erstes Zeichen in Ägypten Wasser in Blut verwandelte, ist in Jesus erschienen und sein erstes Zeichen ist, dass er Wasser in Wein verwandelt.

Heute am 4. Sonntag nach Epiphanias hören wir als Evangelium wie Jesus Wind und Wasser beherrschen konnte. Und am Ende steht die Frage: „Wer ist der? Auch Wind und Meer sind ihm gehorsam!“ Die Evangelisten hatten eine Scheu, zu sagen: in Jesus ist Gott selber erschienen. Sie hatten zu viel Ehrfurcht, um diese Wahrheit direkt auszusprechen. Deshalb haben sie den Leser indirekt auf diese Wahrheit hingewiesen. Deswegen heißt es: „Wer ist der? Auch Wind und Meer sind ihm gehorsam?“ Wer die biblische Geschichte kennt, sollte bei dieser Frage zurückdenken an den Auszug Israels aus Ägypten. Damals hat Gott seine Verfügungsgewalt über Wind und Wasser demonstriert, damit Israel durch das Schilfmeer in die Freiheit ziehen konnte. Damals hat Mose gesagt: Der HERR wird für euch streiten, und ihr werdet stille sein. Jetzt streitet Jesus für seine Jünger gegen Wind und Wasser und es entsteht eine große Stille. Der Leser soll die Schlussfolgerung ziehen: Derselbe Gott, der damals bei dem Durchzug aus Ägypten Wind und Wasser beherrschte, ist in Jesus erschienen.

Und der Leser soll diese Schlussfolgerung ziehen, damit er endlich aufhört, so wie Gott sein zu wollen. Denn wer den Gott entdeckt hat, der in Jesus erschienen ist, der hat Gott gefunden und kommt dadurch zur Ruhe.

In dem vorigen Jahrhundert gab es in einer kleinen russischen Stadt eine jüdische Gemeinde, die keinen Rabbi hatte. Aber es gab einen Rabbi, der gelegentlich diese Gemeinde aufsuchte, um Fragen zu beantworten, die ungelöst geblieben waren. Meistens ging es um strittige Rechtsfragen. Eines Abends war er zu Besuch und die Gemeinde versammelte sich in dem Rathaus. Sie brachten ihre ungelösten Probleme mit und es lag deshalb Spannung in der Luft. Der Rabbi spürte diese Spannung und er sagte zunächst kein Wort, sondern fing an, eine Melodie zu summen. Nach einer Weile summten die Leute mit. Dann fing er an zu singen, und die Gemeinde sang mit ihm. Dann stand er auf und fing an, mit langsamen, feierlichen Schritten zu tanzen. Die Leute standen auf und ahmten nach, was er vortanzte. Nach einer Weile waren die Leute so vertieft in die Musik und in die Bewegungen, dass sie alles andere vergaßen; ihre ungelösten Probleme waren auf einmal unwesentlich, denn es war, als ob sie in eine andere Welt versetzt worden waren. Nach etwa einer Stunde hörte das Tanzen auf und die Gemeinde kam zu einem ruhigen Stillstand. Die Leute setzten sich hin und genossen den stillen Frieden. Erst dann sprach der Rabbi und er sagte nur einen einzigen Satz. Danach ging er nach Hause. Der einzige Satz lautete: „Ich hoffe, dass ich Ihre Fragen beantwortet habe.“

Diese Begebenheit veranschaulicht, was die Menschen in der Begegnung mit Jesus erlebt hatten. Die Menschen kamen zu ihm mühselig und beladen, wie er sagte. Er hat nicht gesungen und getanzt, wie der russische Rabbi, aber er hat die Menschen in eine andere Welt versetzt, in eine künftige Welt. Und Jesus sagte von dieser künftigen Welt: „An dem Tag – d.h. an dem Tag, an dem Gott seinen Willen überall und endgültig verwirklicht hat – werdet ihr mich nichts fragen“: denn es wird auf alles Ungelöste und Ungeklärte eine Antwort geben. Jesus konnte die Menschen in die Zukunft Gottes hineinversetzen, weil er selber die Erscheinung Gottes war. Er konnte in Menschen eine Ruhe verwirklichen, für die wir Menschen in Ewigkeit vorgesehen sind. Die Stillung des Sturmes ist eine Demonstration dieser göttlichen Macht, die eine Ruhe verwirklichen kann, die für die Ewigkeit vorgesehen ist.

Der Gottesdienst soll dazu beitragen, dass auch wir Jesus als Erscheinung Gottes begegnen und in eine künftige Welt hineinversetzt werden und die Ruhe vorwegnehmen, die in Ewigkeit auf uns wartet. Für manche Menschen ist die Ruhe des Gottesdienstes einengend und langweilig. Denn wir Menschen wollen nicht unbedingt zur Ruhe kommen, sondern es steckt in uns dieser Drang, Alleinbestimmende sein zu wollen, denn wir wollen wie Gott selber sein und unser ganzes Schicksal selbst in die Hand nehmen. Aber es ist hilfreich, wenn man mindestens einmal in der Woche für eine Stunde zur Ruhe kommt – für eine Stunde aufhört, andauernd selber alles bestimmen zu wollen, und als passiv empfangender vor Gott steht, bzw. sitzt - und das ewige Schicksal in die Hände Gottes legt. Dazu dienen auch die Lieder, die wir im Gottesdienst singen. Sie bieten uns die Gelegenheit, in eine andere Welt zu treten, in der Gott als Gott anerkannt wird.

Es gab einen Lutherischen Pfarrer in Rumänien, der in den 50er Jahren – in der Zeit des kommunistischen Regimes - verhaftet wurde. Er verbrachte insgesamt 14 Jahre im Gefängnis. Drei Jahre verbrachte er in Einzelhaft, 9 Meter unter der Erdoberfläche. Damit er nicht wahnsinnig wurde, hat er aus dem Gedächtnis heraus Loblieder aus dem Gesangbuch gesungen. Er tat es aus Gehorsam – nicht weil er sonderlich Lust dazu hatte. Durch diese Lieder kam es für ihn zu einer Begegnung mit Jesus Christus, er entdeckte die Schönheit Gottes in Christus, wie er berichtete. Und diese Lieder versetzten ihn in eine jenseitige Welt. Auf diese Weise fand er Ruhe und er fand auch die Kraft, alles auszuhalten.

Auch bei uns Evangelischen ist es erkennbar, dass die Lust am Singen und die Lust am Gottesdienst nicht sonderlich ausgeprägt sind. Aber wir neigen dazu, zu unterschätzen, was unser Gottesdienst bietet. Wir haben die Möglichkeit, Gott in Jesus zu begegnen. Möge Gott uns helfen, ihm in Ehrfurcht zu begegnen und die Ruhe zu finden, die er uns geben will: eine Ruhe, die nicht bloß aus Stillstand besteht, sondern eine umfassende Befreiung ist.

Das Kunstwerk 'Christus auf dem See Genezareth', 1854, Walters Art Museum, und dessen Reproduktion gehört weltweit zum "public domain". Das Bild ist Teil einer Reproduktions-Sammlung, die von The Yorck Project zusammengestellt wurde. Das copyright dieser Zusammenstellung liegt bei der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH und ist unter GNU Free Documentation lizensiert.

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