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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 1. Kor. 1, 26 – 31 Schlichtheit ist nicht zu verachten

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1. Sonntag nach Epiphanias

Schlichtheit ist nicht zu verachten 1. Kor. 1, 26 – 31

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2006

Glasfenster im Mausoleum der Roman Catholic Cathedral of Our Lady of the Angels, Los Angeles, California, 1920

Glasfenster im Mausoleum der Roman Catholic Cathedral of Our Lady of the Angels, Los Angeles, California, 1920

Seht doch, liebe Brüder, auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist, damit sich kein Mensch vor Gott rühme. Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, damit, wie geschrieben steht (Jeremia 9,22-23): »Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!« (1. Kor. 1, 26 – 31)

Im Jahre 1980 gab es auf einer Universität ein Experiment. Ein Schauspieler wurde beauftragt, einen Vortrag zu halten. Er bekam den Namen Dr. Fuchs und er wurde mit einem eindrucksvollen Lebenslauf ausgestattet. Dieser Vortrag hieß: „Mathematische Spieltheorie und seine Relevanz für ärztliche Fortbildung.“ Diese Rede dauerte eine Stunde und wurde dreimal gehalten; 55 Personen haben sie gehört. Die Zuhörer bestanden aus hoch gebildeten Personen: Sozialarbeiter, Psychologen, Psychiater, Pädagogen, und Abteilungsleiter.

Der Vortrag war kompletter Unsinn. Er bestand aus Auszügen von wissenschaftlichen Zeitschriften, die beliebig zusammengestellt wurden, ergänzt durch unlogische Aussagen und widersprüchliche Behauptungen. Es wurden Worte erfunden, die es nicht gibt. Es gab witzige Anekdoten, die völlig irrelevant waren. Experten wurden willkürlich zitiert, ohne Rücksicht auf den Zusammenhang. Der Schauspieler wusste, dass er Blödsinn redet, aber er sprach mit der Autorität eines Experten. Hinterher gab es eine anonyme Auswertung der Rede. Die Zuhörer meldeten zurück, dass die Rede klar und anregend war. Niemand stellte fest, dass der Vortrag chaotischer Schwachsinn war – aber genau das war er.

Der Forscher, der dieses Experiment durchführte, wollte eine These prüfen. Die These lautet: je unverständlicher eine Information ist, um so mehr wird sie geachtet. Im Laufe seiner Untersuchungen lernte er eine Frau kennen, die einen Artikel für eine wissenschaftliche Zeitschrift mehrmals überarbeitet hatte, um die Informationen möglichst klar und verständlich darzustellen. Danach hat sie den Artikel zur Veröffentlichung abgegeben. Ihr Artikel wurde abgelehnt. Daraufhin schickte sie die erste Fassung, die ihrer Meinung nach völlig unverständlich war. Dieser Artikel wurde veröffentlicht.

Diese Begebenheiten deuten auf eine Eigenart der Welt, in der wir leben. Die Fähigkeit, sich unverständlich auszudrücken, wird überschätzt, und dementsprechend wird das Einfache und das Verständliche unterschätzt. Dieser Vorgang kommt auch in der Kirche vor.

Als ich Theologie studierte, habe ich Vorträge über den Römerbrief gehört. Der Römerbrief gilt als kompliziert und schwer verständlich. Der Professor, der den Römerbrief auslegte, hat uns erzählt, dass er früher dieses Buch nicht ganz begriffen hatte: und dementsprechend hielt er komplexe Vorträge, die eigentlich nicht verständlich waren. Aber im Laufe der Zeit – als er den Römerbrief besser durchschaut hatte – war es ihm gelungen, die Inhalte dieses Buches leicht verständlich zu machen, so dass seine Zuhörer bei sich gedacht haben: die Inhalte dieses Buches sind so transparent, dass ich eigentlich selber auf die richtige Auslegung hätte kommen müssen. Und in diesem Zusammenhang hat er folgendes festgestellt: seine früheren komplizierten Auslegungen, die nicht ganz verständlich waren, wurden gelobt, - und er wurde für besonders schlau gehalten. Aber seine leicht verständlichen Auslegungen wurden als etwas Selbstverständliches hingenommen, und seine Rolle als Wissenschaftler, der die ganze Auslegungsarbeit geleistet hatte, wurde kaum zu Kenntnis genommen. Im Vordergrund stand allein die Botschaft des Römerbriefes.

Und in der Anfangszeit der Christenheit muss es auch diese Spannung gegeben haben zwischen dem Einfachen und dem Komplizierten. Denn Jesus hat folgendes gesagt:

Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du dies den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbart. Ja, Vater; denn so hat es dir wohlgefallen.

Jesus war kein Theologieprofessor, der zu Akademikern gesprochen hatte. Seine Anhänger waren Fischer und einfache Leute. Er wollte Kinder, Frauen und Kranke ansprechen. Und dementsprechend heißt es in dem Korintherbrieftext, der für heute vorgesehen ist:

Seht doch, liebe Brüder, auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist, damit sich kein Mensch vor Gott rühme.

Paulus stellt hier fest, dass die Gemeinde sich zum größten Teil aus schlichten, einfachen Menschen zusammensetzt. Gegen Ende des zweiten Jahrhunderts gab es einen Philosophen mit dem Namen Celsus, der ein Gegner der Christen war. Er behauptete, dass die Christen ganz bewusst dumme Leute anziehen wollten, denn er beschrieb das Anliegen der Christenheit mit den folgenden sarkastischen Worten: „Lass keine gebildeten, keine klugen und einsichtigen Menschen heran; denn alle die Eigenschaften halten wir für böse. Wer dagegen unwissend ist, wem es an Verstand und Bildung gebricht, wer ein Tor ist, der komme nur getrost zu uns.“ Und über die Christen schrieb er: „In ihren Häusern begegnen wir ihnen als Weber, Schuster und Walker; es sind ungebildete, gewöhnliche Menschen“. Man hört in diesen Worten die Verachtung, die er für diese schlichten Menschen empfindet.

Auch innerhalb der Christenheit gab es Spaltungen, weil es Jesusanhänger gab, die sich nicht damit abfinden konnten, dass der christliche Glaube für schlichte Menschen so leicht zugänglich war. Deshalb gab es sogenannte Gnostiker, die an esoterisches Geheimwissen glaubten, das für gewöhnliche Menschen nicht leicht zugänglich war. Esoterisches Geheimwissen findet immer Anhänger – bis heute, denn Kenntnisse, die nur für eine intellektuelle Minderheit zugänglich sind, schaffen einen Abstand zu den sogenannten gewöhnlichen Menschen. Dass aber die christliche Botschaft besonders für sogenannte einfache Personen gedacht ist, sieht man an der Sprache des Neuen Testaments – Koine-Griechisch, die Sprache des gewöhnlichen Volkes.

Die Schlichtheit unserer Botschaft wird besonders deutlich in dieser Jahreszeit, zu der die Christenheit die Erscheinung Gottes in Bethlehem feiert. Gott wurde ein Kind. So einfach lässt sich die Botschaft von Weihnachten ausdrücken: Gott ist Kind geworden. Aber gleichzeitig enthält die Schlichtheit dieser Botschaft eine Reichhaltigkeit, die nicht zu ergründen ist. Der Theologe Paul Tillich schrieb folgendes: „Die Erlösung hat eine Erscheinungsform, die überraschend und unerwartet ist; sie widerspricht frommen Meinungen und intellektuellen Ansprüchen. Denn das Geheimnis der Erlösung ist das Geheimnis eines Kindes. Ein Kind ist eine konkrete Wirklichkeit, und doch noch nicht konkrete Wirklichkeit; es ist in der Geschichte verwurzelt, und doch etwas Übergeschichtliches. Sein Wesen ist sichtbar und unsichtbar...Und so ist die Erlösung; Erlösung hat die Charaktereigenschaften eines Kindes.“

Und weil Gott als Kind erschienen ist, ist die biblische Botschaft teilweise kinderleicht zu verstehen. Der große Theologe Karl Barth fasste die christliche Botschaft mit den Anfangsworten eines englischen Kindergottesdienstliedes zusammen; übersetzt heißt es: „Jesus liebt mich und das weiß ich, weil die Bibel es mir gesagt hat.“

Oder im 3. Jahrhundert gab es einen Rabbi, der folgendes feststellte: Mose vermittelte 613 Gebote, David reduzierte sie auf 11 (In Psalm 15), Jesaja fasste den Willen Gottes in 6 Geboten zusammen (33, 14. 15), Micha konnte mit drei Geboten alles sagen, und Habbakuk reduzierte alle Gebote auf eine einzige Aussage: „Der Gerechte wird durch seinen Glauben leben.“ Für Martin Luther war diese Aussage von Habbakuk das Tor zum Paradies. Eine einfache Aussage kann eine gewaltige und nachhaltige Wirkung haben - allerdings nur, wenn sie tatsächlich einen Brennpunkt der biblischen Botschaft zutreffend erfasst.

Auch ein Namensvetter von Martin Luther, Martin Luther King, wusste, wie wichtig es für seine Bürgerrechtsbewegung war, Schlichtheit zu bewahren. Alles, worauf die Teilnehmer der Bürgerrechtsbewegung achten sollten, wurde in 10 Geboten zusammengefasst, die leicht zu merken waren.

Aber es wird immer Leute geben, die Schlichtheit verachten, besonders in der heutigen Zeit, wo akademische Unverständlichkeit fast eine Voraussetzung dafür ist, ernst genommen zu werden. Und es wird Menschen geben, die überheblich auf die Kirche herabschauen, weil die Einfachheit ihrer Botschaft Anziehungskraft auf Alte, auf Kinder und auf sogenannte schlichte Gemüter hat. Der Text, der für heute vorgesehen ist, zeigt, dass diese Überheblichkeit nichts Neues ist.

Einfache Aussagen sind allerdings an sich keine Tugend; denn Glaubensaussagen müssen zutreffend sein, sie müssen die Tiefgründigkeit der biblischen Geschichte beinhalten, sie müssen das Unergründliche vermitteln. Es kostet eigenartigerweise viel Arbeit, Mühe und Geduld, bis man in der Lage ist, den christlichen Glauben mit schlichten Worten auszudrücken, die wirklich zusammenfassen, worum es geht. Aber wenn es gelingt, steht die Botschaft im Vordergrund, nicht der Vermittler.

Möge Gott uns helfen, dass wir die Schlichtheit unseres Glaubens immer wieder erarbeiten, sie bewahren und bezeugen. Wie unser heutiger Text bezeugt: Die Schlichtheit des Glaubens und der Christusanhänger trägt dazu bei, dass sich „kein Mensch vor Gott rühme“, d.h. dass Gott allein verherrlicht wird. Und dafür sind wir geschaffen, Gott zu verherrlichen.

Das Glasfenster Glasfenster im Mausoleum der Roman Catholic Cathedral of Our Lady of the Angels, Los Angeles, California, 1920, befindet sich im public domain.

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