Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
Zurück zum Archiv Home der Dreikönigsgemeinde

Evangelisch-Lutherische

DREIKÖNIGSGEMEINDE

Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Hinter Weihnachten steckt ein Kampf

« Predigten Home

Heiligabend

Hinter Weihnachten steckt ein Kampf

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt am 24. Dezember 2008 im Kirchsaal Süd

'Inkarnation', PSch

'Inkarnation'

Es gibt ein altes Ehepaar, das in einer kleinen nordamerikanischen Stadt mit dem Namen Winona Lake wohnt. Sie besitzen eine Weihnachtskarte, die seit 45 Jahren unter dem Weihnachtsbaum aufgestellt wird. Diese Karte sieht nicht sonderlich schön aus. Der Sohn hatte diese Karte in der Schule für seinen Vater gebastelt. Er hatte damals die drei Weisen aus dem Morgenland von einer Schablone ausgeschnitten und auf rotes Kartonpapier aufgeklebt. Auch hatte er einen Weihnachtsgruß ausgeschnitten und draufgeklebt. Diese Karte sieht armselig aus. Sie ist an mehreren Stellen mit Tesafilm repariert worden.

Einmal, als ein Gast dabei war, erklärte der Vater, warum diese Karte so angeschlagen aussieht, und warum er sie so schätzt, dass er seit 45 Jahren zu Weihnachten nicht darauf verzichten kann. Es geht darum, dass der Sohn – nachdem er diese Weihnachtskarte in der Schule gebastelt hatte - auf dem Heimweg von seinen Mitschülern angegriffen wurde. Einige Kinder wollten seine selbstgebastelte Weihnachtskarte mit Gewalt an sich nehmen und sie zerreißen. Obwohl es nicht seine Art war, zu kämpfen, hat er seinen Mantel ausgezogen und um seine Karte gekämpft, bis er die Kinder abgewehrt hatte. Er hatte seinen Eltern nie davon erzählt, aber sie erfuhren es hinterher von einem Nachbarn, der diesen Vorfall beobachtet hatte.

Diese Karte war besonders wertvoll, weil der Sohn wegen seiner Liebe zu seinen Eltern mit aller Macht um diese Karte gekämpft hatte. Es war ein Liebeskampf.

Und diese Begebenheit kann als Gleichnis dienen für das, was wir heute Abend feiern. Die Geburtstätte Jesu war vergleichbar mit dieser angeschlagenen Weihnachtskarte: sie war alles andere als malerisch. Eine Futterkrippe ist ein armseliges Bett. Es gibt eigentlich keinen Grund, diese Geburt und diese Geburtstätte zu feiern. Und wir würden sie heute Abend nicht feiern, wenn es nicht einen Kampf gegeben hätte, und zwar einen Liebeskampf.

Genauer gesagt, es ging um zwei Kämpfe. Erst durch diese zwei Kämpfe ist die ungeheure Ausstrahlungskraft des Weihnachtsfestes zustande gekommen.

Der erste Kampf war der Kampf Jesu gegen die Todesangst. Ohne diesen Kampf würden wir heute Abend nicht hier versammelt sein. Denn was wir heute Abend feiern ist die Menschwerdung Gottes, dass Gott unser Fleisch und Blut annahm und unsere Vergänglichkeit auf sich genommen hat, um eine dauerhafte Verbundenheit zwischen ihm und uns herzustellen. Diese Menschwerdung wurde nicht in Bethlehem vollendet, sondern in Jerusalem. Denn in Jerusalem nahm Jesus den Kampf gegen den Tod auf.

'Heilig-Blut-Altar in St.Jakob in Rothenburg. Rechter Altarflügel: Jesus im Garten Gethsemane', 2007, Wolfgang Sauber

In diesem Zusammenhang muss ich an ein Erlebnis denken, das ich in Rothenburg hatte. Es gibt dort in der Jakobskirche einen Holzschnitzaltar von Tilman Riemenschneider, der das Abendmahl darstellt. Auf einem Seitenflügel dieses Altares wird gezeigt, wie Jesus im Garten Gethsemane betet: seine drei vertrautesten Jünger sind zu sehen, die eingeschlafen sind. Bei diesem Gebet kämpfte Jesus mit seiner Todesangst, die so heftig wurde, dass er Schweißtropfen an seiner Stirn bekam, die wie Blutstropfen geflossen sind. Als ich dieses Bild betrachtete, war hinter mir eine Familie und ich hörte, wie zwei Kinder mit ihrem Vater über diese Darstellung redeten. Die Kinder wollten von ihrem Vater wissen, was auf diesem Seitenflügel gezeigt wird. Der Vater war von dieser Frage überfordert. Er kannte offenbar nur die Weihnachtsgeschichte und sonst nichts von der Bibel. Und er erzählte seinen Kindern: „Das ist Maria, die betet, und das sind die drei Hirten, die gekommen sind, um das Kind in der Krippe zu sehen.“

Diese Antwort ist – kunsthistorisch gesehen – eine Katastrophe. Aber theologisch gesehen, grenzt seine Antwort an prophetische Vision. Dieser Vater hat in diesem Passionsbild ein Weihnachtsbild gesehen – und eigentlich ist das richtig. Denn man kann Geburt und Leidensweg Christi nicht trennen: sie gehören einheitlich zusammen. Ohne es zu wissen, hat dieser Vater in der Rothenberger Kirche eine Verbindung hergestellt zwischen Christfest und Karfreitag. Und das ist richtig so. Denn ohne diesen Todeskampf im Garten Gethsemane und ohne die Todesqualen von Golgatha würde Weihnachten als christliches Fest nicht existieren. Die ganze Ausstrahlung dieses Festes hängt davon ab, dass Jesus in Todesqualen für uns gekämpft hat - aus Liebe zu uns Menschen.

Aber es gab, wie gesagt, einen zweiten Kampf, der auch eine Voraussetzung dafür war, dass wir heute Weihnachten feiern. Es war der Kampf um die Identität Jesu Christi.

Kyril, der Erzbischof von Jerusalem im 4. Jahrhundert, verkündete die Notwendigkeit der Menschwerdung Gottes mit den folgenden Worten: „Jesus litt wirklich für alle Menschen, denn das Kreuz war keine Illusion, sonst wäre unsere Erlösung auch eine Illusion. Sein Tod war nicht bloß ein Schauspiel“. Diese Worte sind eine Kampfansage gegen eine Strömung der damaligen Christenheit, die behauptete, dass Jesus kein realer Mensch war, sondern eine Phantom-Erscheinung.

Zu diesem Zeitpunkt gab es einen geistigen Krieg im Christentum. Es ging um die Frage: Wer war Jesus eigentlich? War er menschlich oder göttlich? War er menschlich und göttlich gleichzeitig? War er ein besonderer Mensch, aber nicht göttlich? War er Gott als Mensch verkleidet, also ein Scheinmensch, der nicht leidensfähig war? Oder war er halb Mensch und halb Gott, d. h. eine Person mit einem göttlichen Geist und einem menschlichen Körper? Oder waren Menschsein und Gottsein so miteinander vermischt, dass ein neues Wesen entstanden war – weder Mensch noch Gott? Oder waren Menschein und Gottsein so voneinander getrennt, dass man von zwei Personen in einem Wesen sprechen müsste?

Solche Fragen klingen wie abstrakte philosophische Spielereien. Aber die Christen, die dafür kämpften, die Identität Jesu zu definieren, wussten, dass es um nichts Geringeres ging, als um das Heil der Welt. Wenn dieser Kampf falsch ausgegangen wäre, wäre die ganze befreiende Kraft der Menschwerdung Gottes verloren gegangen. Dieser Kampf – wie alle echten Kämpfe - war deshalb stürmisch, aggressiv, hinterlistig, manchmal sogar handgreiflich.

Dieser Kampf war ein Kampf um die richtige Auslegung der Bibel, und es dauerte 390 Jahre bis die Christenheit sich einigen konnte, wie die Person Jesu zu verstehen ist, nämlich wahrer Mensch und wahrer Gott, Menschsein und Gottsein unverändert, untrennbar und unvermischt in einer Person zusammen.

Das klingt für unsere Ohren heute belanglos. Das klingt langweilig. Das klingt wie Weltfremdheit. Das sind Worte, die zum Einschlafen einladen.

Aber die Christenheit behauptet: alles hängt von der Frage ab, wer Jesus wirklich ist. Denn wenn er nur Gott war und nicht auch wahrhaftig Mensch, wären wir von Gott ewig getrennt. Wenn er nur Mensch war und nicht wahrhaft Gott, wären wir von Gott ewig getrennt. Wenn er halb Gott und halb Mensch war, wären wir von Gott ewig getrennt. Und von Gott ewig getrennt zu sein, ist das Allerschlimmste, was es geben könnte. Wenn wir von Gott ewig getrennt sind, dann ist zuletzt alles sinnlos. Wenn wir von Gott ewig getrennt sind, dann sind wir in der Hölle und kommen nie heraus. Wenn wir von Gott ewig getrennt sind, dann ist jeder von uns zuletzt absolut allein.

Es ist eigenartig, dass die Geburt und der Tod Jesu viele Erklärungsmodelle ausgelöst hatten. Es gibt mindestens 10 Antworten auf die Frage, warum Jesus gestorben ist, aber die Christenheit hat sie alle stehen lassen, ohne eine einzige Erklärung als die einzig richtige herauszustellen. Und es gibt mindestens 10 Antworten auf die Frage, wer in der Krippe von Bethlehem auf die Welt kam, aber hier gab es keine Toleranz. Die Christenheit gab sich 400 Jahre lang keine Ruhe, bis eine einzige Definition der Person Jesu gefunden wurde, die für alle als verbindlich galt.

Es gibt viele gültigen Antworten auf die Frage, warum Jesus am Kreuz gestorben ist, aber es gibt nur eine einzige gültige Antwort auf die Frage, wer am Kreuz gestorben ist. Zehn Jahre nachdem die Christenheit endgültig klärte, wer am Kreuz gestorben ist, entstand die folgende Aussage:

„Der Gott, der nicht leiden konnte, schämte sich nicht, ein Mensch zu sein, der leiden konnte. Der Gott, der unsterblich war, unterwarf sich dem Gesetz des Sterbenmüssens.“

Es gibt eine Legende von dem Heiligen Martin, dessen Tag in früheren Zeiten die Adventszeit einmal eingeleitet hatte. Es wird berichtet, dass Satan den Martin verführen wollte und erschien vor ihm in der Gestalt Jesu Christi. Martin sah eine Person mit Lichtausstrahlung und Herrlichkeit, die überwältigend waren. Martin wollte gerade niederknien und diese Gestalt als Herrn und Heiland anbeten. Aber dann sah er die Handflächen des vermeintlichen Erlösers und fragte: „Wo sind die Nägelwunden?“ In dem Moment verschwand die Erscheinung.

Weihnachtsbaum am Südfriedhof

Und so ist es mit Weihnachten. Weihnachten ist ein Fest mit Ausstrahlungskraft und Herrlichkeit. Aber wenn wir dieses Fest richtig feiern wollen, sollen wir nach den Nägelwunden fragen. Weihnachten kann man von dem Karfreitagskampf Jesu nicht loslösen. Weihnachten ohne Karfreitag ist so nichtig und inhaltslos wie die Satansvision des heiligen Martin.

Der Zusammenhang zwischen Weihnachten und Karfreitag wird in den Weihnachtsfarben veranschaulicht. Die traditionellen Weihnachtsfarben sind Grün und Rot. Diese zwei Farben kommen zusammen an Weihnachtsbäumen und an Adventskränzen. Die Kerzen des Adventskranzes, die hier auf dem Altar zu sehen sind, sind blutrot, denn sie sind Hinweise auf das Opferblut Christi. Diese blutroten Kerzen sind eine Erinnerung an den Liebeskampf Gottes für uns.

Wie Martin Luther schrieb:

Es war ein wunderlich Krieg, da Tod und Leben 'rungen; das Leben behielt den Sieg, es hat den Tod verschlungen. Halleluja.

Und Gott sei gelobt in Ewigkeit. Amen.

Die Photographie 'Heilig-Blut-Altar in St.Jakob in Rothenburg. Rechter Altarflügel: Jesus im Garten Gethsemane', 2007, Wolfgang Sauber, wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.

^ Zum Seitenanfang

PSch