Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Lukas 1, 46 – 55 Die sanfte Gewalt Gottes

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'Die Jungfrau der Verkündigung', Gerard David, um 1500-1510

'Die Jungfrau der Verkündigung', Gerard David, um 1500-1510

4. Sonnntag im Advent

Die sanfte Gewalt Gottes Lukas 1, 46 – 55

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2008 in der Bergkirche

Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich seligpreisen alle Kindeskinder. Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist. Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten. Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit. Lukas 1, 46 – 55

Der Lobgesang der Maria lässt sich mit einem einzigen Satz zusammenfassen. Und dieser Satz lautet: Wer die Barmherzigkeit Gottes empfangen hat, hat alles. Wer die Barmherzigkeit Gottes noch nicht empfangen hat, hat nichts. Alles ist nichtig, was nicht von der Barmherzigkeit Gottes abgeleitet ist. Und gerade Menschen, die Macht, Reichtum und Ruhm besitzen, wissen, wie nichtig diese Dinge sind. In dem Lobgesang heißt es: die Reichen lässt er leer ausgehen. Die Leere, von der hier die Rede ist, ist immer wieder festgestellt worden.

Zum Beispiel: es gibt einen englischen Romanautor, der seine Bücher unter dem Namen Jack Higgins veröffentlicht. Er ist auf Agententhriller spezialisiert und hat 32 Romane geschrieben, die weltweit zu den bestverkauften Büchern gehören. 6 von seinen Thrillern wurden verfilmt. Dieser Autor wurde einmal gefragt, was er gern gewusst hätte, als er noch ein Kind war. Und seine Antwort lautete: „Wenn man die Spitze erreicht hat, gibt es dort nichts.“ Das hätte er gern vorher gewusst.

'Muhammad Ali', 2006, World Economic Forum from Cologny, Switzerland

Muhammad Ali ist ein weiterer Zeuge, wie nichtig Ruhm, Erfolg und Reichtum sind. Im Jahre 1966 war er etwa 300 Meter von dieser Kirche entfernt, als er in der Moschee in der Babenhäuser Landstraße betete. Er war mehr als ein Boxer oder ein Athlet: er war eine Legende. Er war weltweit einer der berühmtesten Menschen seiner Generation. Und sein Fazit lautet: „Ich hatte die Welt, und sie war nichts“.

Oder ein drittes Beispiel: im Jahre 1975 haben 6 bewaffnete Personen eine Bank in London überfallen und sind in Tresore eingedrungen, wo Wertsachen aufbewahrt waren. Sie nahmen Kostbarkeiten mit, die umgerechnet € 5 Millionen wert waren. Eine Frau verlor Schmuck, der einen Wert von etwa € 400.000 hatte. Ihr Kommentar dazu lautete: „Alles, was ich hatte, war in dieser Bank. Mein ganzes Leben war in diesem Tresor.“ Aber wenn das so wäre, hatte diese Frau schon vor dem Überfall ein nichtiges Leben. Denn wenn der ganze Lebensinhalt von Sachen abhängt, die verloren gehen können, ist der Lebensinhalt leer.

Der Lobgesang der Maria bezeugt einen Inhalt, der nie verloren gehen kann. Maria hat etwas empfangen, was niemals verloren gehen kann: die Barmherzigkeit Gottes. Der Lobgesang definiert diese Barmherzigkeit. Diese Barmherzigkeit hat eine ausgleichende Wirkung. Wie es heißt: sie erhebt die Niedrigen und sie wertet die Erhöhten ab. Was Jack Higgins und Muhammad Ali erlebt hatten, ist ein Ausdruck der Barmherzigkeit Gottes. Wenn ein Mensch erlebt, dass Reichtum, Macht und Ruhm nichtig sind, so ist das eine Barmherzigkeit, denn ein Mensch wird damit herausgefordert, weiter zu suchen, bis er den wahren Inhalt seines Lebens gefunden hat, der allein sein Leben erfüllen kann – nämlich Gott selber.

Der Lobgesang der Maria definiert Barmherzigkeit als etwas, was sich in der biblischen Geschichte offenbart. Wie es heißt:

Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.

'Christ Blessing', 1465, The Yorck Project

Die Barmherzigkeit Gottes ist nicht etwas, was in einem luftleeren Raum herumschwebt, sondern sie ist verwurzelt in der Geschichte Israels. Wer diese historisch verwurzelte Barmherzigkeit empfangen hat, hat etwas, was nie verloren gehen kann.

In diesem Zusammenhang gibt es ein Gemälde, das aussagekräftig ist. Auf diesem Gemälde sieht der Betrachter eine Berghütte, die als Wohnung für eine Familie diente, die aber abgebrannt ist. Alles, was übrig geblieben war, war der Kamin. Vor dieser Ruine steht ein alter Mann, der nur seine Unterwäsche anhat. Und daneben ein Junge, der seine Hosen festhält. Das Kind weint. Und unter dem Bild steht als Titel des Bildes der folgende Satz: „Ruhe, mein Kind, Gott ist nicht tot.“

Die Aussage hier lautet: Wer die Verbindung zu Gott hat, kann es sich leisten, alles zu verlieren. Denn Gott kann man nicht verlieren. Und wer Gott hat, hat alles. Aber ein solcher Glaube braucht Anhaltspunkte. Der Lobgesang Marias zeigt diese Anhaltspunkte, nämlich die biblische Geschichte, auf die Maria hinweist, wenn sie sagt:er hat geredet „zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern“.

Und in Maria realisierte sich diese biblische Geschichte. Die Barmherzigkeit Gottes wird in Maria zu einer Verwirklichung kommen. Denn diese Barmherzigkeit wird in ihr Fleisch und Blut annehmen, wird unter den Menschen wohnen, wird mit ihnen leiden und sterben und wird zuletzt durch die Auferstehung offenbaren, dass die Barmherzigkeit Gottes die bestimmende Macht dieser Erde ist.

Aber Maria redet auch von der Gewalt Gottes. Sie sagt:

Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.

Wie verträgt sich Barmherzigkeit mit Gewalt? Sind das nicht Gegensätze? Es gibt so etwas wie sanfte Gewalt. Und die sanfte Gewalt Gottes wird sich zuletzt durchsetzen. Diese sanfte Gewalt lässt sich am Besten durch ein Gleichnis darstellen. Es handelt sich um eine wahre Begebenheit.

Es gibt eine Studienrätin, die damit beauftragt ist, Kinder zu besuchen, die im Krankenhaus liegen, und diese so weit wie möglich zu unterrichten, damit sie nicht zu sehr in Rückstand geraten. Eines Tages bekam sie den Auftrag, ein Kind im Krankenhaus zu besuchen, und sie sollte mit ihm Grammatik üben; es ging besonders um die Unterscheidung zwischen Hauptwörtern und Adverben. Als die Lehrerin das Zimmer des kranken Jungen betrat, war sie erschüttert. Niemand hatte sie vorgewarnt, dass er schlimme Verbrennungen erlitten hatte und heftige Schmerzen hatte. Trotzdem erklärte sie ihm, warum sie gekommen war und sie versuchte ihm einige Feinheiten der Grammatik beizubringen. Als sie wegging, hatte sie das Gefühl, dass ihr Besuch nicht viel gebracht hatte.
Am nächsten Tag kam sie wieder und eine Krankenschwester kam sofort auf sie zu und fragte, was sie mit dem Jungen gemacht hätte. Die Lehrerin hatte den Eindruck, dass sie etwas Falsches gemacht hatte und fing an, sich zu entschuldigen. Aber die Krankenschwester unterbrach sie: „Nein, Sie verstehen nicht, was ich meine. Wir waren in großer Sorge wegen des Jungen, aber seit Ihrem Besuch gestern hat sich seine Haltung vollkommen geändert. Er kämpft um sein Leben und er reagiert auf die Behandlung. Es ist, als ob er sich dafür entschieden hätte, zu leben.“ Zwei Wochen später erläuterte der Junge, was eingetreten war. Er sagte, dass er vollkommen hoffnungslos war, bis die Lehrerin erschien. In dem Moment merkte er, dass er nicht am Sterben war. Er sagte: „Sie würden nicht eine Lehrerin zu einem sterbenden Jungen schicken, nur damit er Grammatik lernt.“

'a hospital room', 2005, Tomasz Sienicki

Diese Begebenheit dient als Gleichnis. Unsere Welt macht immer wieder den Eindruck, als ob sie sich selbst überlassen ist, als ob sie zuletzt dem Chaos geweiht ist, weil es scheinbar keine Schranken gibt für selbstzerstörerische Entwicklungen. Es entsteht immer wieder der Eindruck, dass es sich nicht lohnt, in kleinen Dingen anständig und gewissenhaft zu sein, wenn die Welt scheinbar von Raffgier und Machtbesessenheit beherrscht wird.

Aber in dieser chaotischen Welt hat uns Gott einen Lehrer geschickt. Jesus erschien in Maria. Dann erschien er in Bethlehem. Und dann erschien er als Wanderprediger und Lehrmeister. Der Inbegriff seiner Lehre war die Feindesliebe und der Verzicht auf Vergeltung: „Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar“. Diese Lehre stellt alles auf den Kopf, was es sonst in dieser Welt gilt. Und es ergibt sich die Frage: „Würde Gott uns einen Lehrer schicken, der Sanftmütigkeit und selbstlose Liebe verkündet, wenn diese Welt dem Chaos geweiht wäre? Und er hat ihn geschickt, damit wir Lebensmut bekommen, damit wir um seine Gerechtigkeit kämpfen können.

Zuletzt wird sanfte Liebe diese Welt bestimmen. Die sanfte Barmherzigkeit Gottes wird die Machthaber vom Thron stürzen und die Raffgierigen leer ausgehen lassen. Der Lobgesang der Maria ist eine Vision der Zukunft dieser Welt. Zuletzt haben die Machtbesessenen und die Gewalttätigen keine Zukunft. Zuletzt wird Gott gewinnen. Und er wird gewinnen, indem er im Kleinen arbeitet. In kleinen Leuten wie Maria, in einem kleinen Kind, das in Bethlehem zur Welt kommt, in einem kleinen Grab neben einer Hinrichtungsstätte, in einer kleinen Gemeinschaft in Jerusalem, die von allen Seiten bedrängt wurde.

Und wir sind heute die kleinen Leute, in denen Gott zur Geltung kommen will. Und er will zur Geltung kommen, indem er seine sanfte Barmherzigkeit in uns verwirklicht.

Möge Gott uns helfen, dass wir uns für Gott öffnen und ihn in unseren Herzen empfangen.

Das Kunstwerk 'Die Jungfrau der Verkündigung', Gerard David, um 1500-1510 und dessen Reproduktion gehört weltweit zum "public domain". Das Bild ist Teil einer Reproduktions-Sammlung, die von The Yorck Project zusammengestellt wurde. Das copyright dieser Zusammenstellung liegt bei der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH und ist unter GNU Free Documentation lizensiert.
Die Photographie 'Muhammad Ali', 2006, World Economic Forum from Cologny, Switzerland, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license.
Das Gemälde 'Christ Blessing', 1465, The Yorck Project: 10.000 Meisterwerke der Malerei. DVD-ROM, 2002. ISBN 3936122202. Distributed by DIRECTMEDIA Publishing GmbH., ist lizensiert unter der GNU Free Documentation License.
Die Photographie 'a hospital room', 2005, Tomasz Sienicki, wurde von ihrem Autor, tsca, dem public domain zur Verügung gestellt.

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