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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Jes. 52, 7 – 10 Wie Freude entsteht, egal wie die Umstände sind

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4. Sonnntag im Advent

Wie Freude entsteht, egal wie die Umstände sind Jes. 52, 7 – 10

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2001

'Winter in Sibirien', 2008, DmitrySA

Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König! Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander; denn alle Augen werden es sehen, wenn der HERR nach Zion zurückkehrt. Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der HERR hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst. Jes. 52, 7 – 10

Etwas, was wir Menschen oft unterschätzen ist die Kraft, die Worte haben. Denn durch Zeitungen und Fernsehen werden wir mit Worten überflutet, und diese Inflation bedeutet, dass einzelne Worte scheinbar wertloser geworden sind. Jeden Tag landen Millionen von Worten im Mülleimer, wenn Zeitungen und Illustrierte weggeworfen werden.

Der Text, der für heute vorgesehen ist, bezeugt, wie befreiend es ist, eine freudige Botschaft zu bekommen – auch wenn diese Botschaft zunächst nur aus Worten besteht. Dieser Text des Propheten ist an die Juden in der babylonischen Gefangenschaft gerichtet. Die Verheißung wird verkündet, dass Gott immer noch der König seines Volkes ist – und nicht die babylonischen Herrscher. Die Verheißung wird verkündet, dass Jerusalem, das noch in Trümmern liegt, wieder aufgebaut wird. Und alle Welt wird zur Kenntnis nehmen, wie mächtig der Gott Israels ist. Israel wird aufgefordert, sich schon jetzt zu freuen, als ob das alles schon eingetreten wäre. Und das ist auch das Thema des vierten Advents: die Vorfreude.

Wenn man die Geschichte der Christenheit betrachtet, kann man Beispiele finden für diese Dynamik: nämlich die Vorfreude auf das, was Gott mit uns Menschen vorhat, allein durch Worte vermittelt. Zum Beispiel: der Theologe Helmut Gollwitzer war von 1945 bis 1948 in russischer Gefangenschaft. Diese russische Gefangenschaft war viel schlimmer als die babylonische Gefangenschaft der Juden, die der Prophet Jesaja ansprach. Eine trostlosere Situation ist kaum vorstellbar. Denn Gollwitzer beschreibt diese Lage mit den folgenden Worten: „Auf Erden war keine Macht, die uns helfen konnte oder auch nur wollte. Von Urwäldern umgeben waren wir verschollen und preisgegeben.“ Wir wussten nicht, „ob uns Heimkehr bevorstand oder das Grab in der hartgefrorenen russischen Erde.“ Die Gefangenen waren abgemagert, lebten in dreckigen Holzbaracken und mussten Sklavenarbeit leisten.

In dieser Situation wurde Weihnachten gefeiert mit den einfachsten Mitteln. Gollwitzer schreibt: „auf kleine, glattgehobelte Holzbrettchen – Papier war hier eine Seltenheit - hatten wir uns Weihnachtsgrüße geschrieben. Auf einem Brettchen stand: „Siehe, ich verkündige euch große Freude!“ Und Gollwitzer schildert, welche Ausstrahlungskraft die Weihnachtsbotschaft in dieser scheinbar hoffnungslosen Finsternis hatte. Als biblische Texte aus dem Gedächtnis heraus vorgetragen und Weihnachtslieder gesungen wurden, wurde „mit einem Schlag die Hässlichkeit der Baracke verwandelt“. Und in dieser Situation hörte Gollwitzer die Weihnachtsbotschaft wie noch nie zuvor. Er schreibt: „Alles, alles in der Welt war (scheinbar) sinnlos (geworden), auch unser Schicksal hier, aber alles in der Welt, auch unser Schicksal, wurde sinnvoll, voll von unverlierbarem Sinn durch Weihnachten, durch die „rettende Stunde“, in der ewiges Leben sich mit unserer Armut verband.“

Was Gollwitzer hier beschreibt, ist die Macht der biblischen Botschaft: es handelt sich zunächst nur um Worte, die eine Verheißung in Aussicht stellen. Aber solche Worte können eine Vorfreude erwecken, die eine trostlose Situation verwandelt. Dieses Beispiel aus der russischen Gefangenschaft macht auch deutlich, dass biblische Worte besonders dann zur Geltung kommen, wenn die äußere Situation karg und düster ist. Wenn Weihnachten in erster Linie als hektisches Konsumerlebnis gefeiert wird, haben biblische Worte kaum eine Chance.

Aber bei dem Thema Vorfreude am vierten Advent sollte man nicht nur an Weihnachten denken. Das Thema der Adventszeit ist in erster Linie die Vorfreude auf das Kommen Jesu Christi am Ende der Zeit.

'William Miller', 2006, He wiki

Dieses Motiv des christlichen Glaubens ist in dem Bewusstsein vieler Christen gar nicht vorhanden, sondern ist eher ein Anliegen der Sekten geworden. Es gibt zum Beispiel eine Sekte, die sich die Adventisten nennt. Advent bedeutet wortwörtlich Ankunft, und diese Sekte hat eine Tradition des bewussten Wartens auf die Ankunft Jesu Christi am Ende der Zeit. Die Adventisten wurden in Amerika von einem Erweckungsprediger namens William Miller gegründet. Er untersuchte die Bibel 14 Jahre lang und anhand seiner Auslegungen kam er zu der Schlussfolgerung, dass Jesus Christus spätestens am 21. März 1844 erscheinen würde. Er gewann eine Anhängerschaft von etwa 100.000 Menschen, die bereit waren, seine Voraussage zu glauben. Diese ersten Adventisten waren so überzeugt, dass Jesus Christus bald in Macht und Herrlichkeit erscheinen würde, dass sie konkrete Vorbereitungen trafen: einige gaben ihre berufliche Tätigkeit auf, um sich auf den erwarteten Tag vorzubereiten; andere verschenkten Wertgegenstände. An dem Tag selber zogen viele weiße Gewänder an, denn in dem letzten Buch der Bibel wird berichtet, dass die Zeugen, die vor dem Thron Gottes in Himmel stehen, in weißen Gewändern gekleidet sind. Am 21. März stiegen einige Adventisten auf Bergspitzen, weil sie meinten, dass sie dort Jesus Christus zuerst sehen würden. Einige Adventisten warteten in Friedhöfen, weil sie erleben wollten, wie verstorbene Angehörige von den Gräbern auferstehen und sie wollten mit ihnen zusammen in den Himmel steigen. Einige vornehme Damen in der Stadt Philadelphia warteten außerhalb der Stadt, denn sie wollten sich von den sogenannten gewöhnlichen Menschen absondern und unter sich sein, wenn sie in das Reich Gottes kommen.

Aber am 21. März tat sich nichts. Danach gab es einen neuen Terminvorschlag, den 22. Oktober 1844. Nachdem dieses Datum vorbei war, gab es große Enttäuschung und diese Bewegung brach momentan zusammen. Mann würde denken, dass die Adventisten damit erledigt waren. Aber eigenartigerweise existieren die Adventisten immer noch. Denn obwohl der Sektenführer die biblische Botschaft verfälscht hatte - indem er Bibeltexte unsachgemäß auslegte, hatte er trotzdem eine biblische Wahrheit veranschaulicht: nämlich, dass Christen tatsächlich mit der Wiederkunft Christi rechnen sollten.

Was eine Sekte ausmacht, ist, dass sie eine Wahrheit übertreibt. Aber auch eine verfälschte Wahrheit hat Kraft, weil eine echte Wahrheit dahinter steckt. Es ist wie Falschgeld: verfälschtes Geld ist nur dann wirkungsvoll, wenn es wie echtes Geld aussieht; so haben verfälsche Wahrheiten nur deswegen Ausstrahlungskraft, weil sie einer echten Wahrheit ähnlich sind.

Nicht nur Sekten, sondern auch wir, die wir zu der Christenheit gehören, warten auf die Erscheinung Jesu Christi, dass er alles zur Vollendung bringt. Um die Sprache des Jesajatextes aufzugreifen: wir rechnen damit, dass Christus „vor den Augen aller Völker“ erscheinen wird, und „dass aller Welt Enden das Heil unsres Gottes sehen werden.“ Und diese Erwartung ist der Grund unserer Vorfreude.

Aber inwieweit ist unsere Vorfreude erkennbar? Als Mahatma Gandhi ein junger Anwalt in Südafrika war, las er die Bibel und war beeindruckt von der Lehre Jesu. Obwohl er Hinduist war, überlegte er ernsthaft, ob er sich der Christenheit anschließen mochte. Aber dann machte er einen entscheidenden Fehler: er besuchte einige Wochen lang eine Kirche und erwischte offenbar die falsche: die Mitglieder dieser Gemeinde wirkten gelangweilt, er fand in dieser Gemeinde keine Freude im Herrn, sondern hauptsächlich Unzufriedenheit. Er kam zu der Schlussfolgerung, dass Christentum nicht wahr sein kann.

Und es ergibt sich die Frage an uns: wenn ein Suchender unsere Gemeinde einige Woche lang besuchen würde, würde er eine Gemeinde finden, die Freude in Gott gefunden hat? Wenn ein Fremder in eine christliche Gemeinde kommt, dann sollte er Freude finden, denn Freude ist uns sogar verordnet: Es heißt in dem Wochenspruch für den 4. Advent: Freuet euch im Herrn allewege und abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe! Dieser Spruch bezeugt, dass die Freude in Gott eine Vorfreude ist. Denn wir warten auf den Tag, an dem Christus erscheinen wird, um Frieden und Gerechtigkeit zu verwirklichen. Und wenn wir Abendmahl feiern, feiern wir diese Zukunft; wir nehmen den Tag vorweg, an dem wir in dem Reich Gottes Tischgemeinschaft mit Gott und mit Menschen aus allen Zeiten und an allen Orten feiern.

Aber wie kann man Freude befehlen? Und was kann man tun, wenn man keine Freude empfindet? Die Antwort der Bibel auf solche Fragen ist eindeutig: man sollte so tun, als ob. Für die Bibel kommt es zunächst nicht darauf an, was man denkt und fühlt, sondern was man tut und sagt. Wenn Jesus z.B. sagt: „Liebe deine Feinde“, dann meint er damit nicht, dass ein Christ seine Feinde sympathisch finden muss, sondern dass er so redet und handelt, dass den Feinden geholfen wird. Oder ein anderes Beispiel: die Bibel befiehlt nicht, dass man Dankbarkeit empfinden muss; aber die Bibel fordert uns dazu auf, Gott Dank zu sagen und Dank zu opfern. Und meistens kommen die Gefühle hinterher. Wer Liebe praktiziert, wird irgendwann Liebe empfinden. Wer Dank sagt, wird irgendwann Dank empfinden. Und so ist es auch mit der Freude. Der Gottesdienst bietet uns die Gelegenheit, Freude zu verkünden: hauptsächlich durch unsere Lieder. Und vielleicht werden wir irgendwann von der Freude ergriffen, von der wir singen.

'Martin Buber', 2006, He wiki

Eine Veranschaulichung, wie so etwas gehen kann, lieferte der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber. Er erzählte von seinem Großvater, der eine Lähmung hatte und deshalb gehbehindert war. Dieser Großvater wurde einmal dazu aufgefordert, von einem früheren Lehrmeister zu erzählen. Der Großvater berichtete, dass dieser Lehrer die Gewohnheit hatte, während des Betens zu hüpfen und zu tanzen. Ohne nachzudenken, stand der Großvater auf und machte nach, wie sein Meister hüpfte und tanzte. Und auf einmal merkte der Großvater, dass er gerade etwas getan hatte, was eigentlich unmöglich war, denn er war bis zu diesem Moment gelähmt. Danach aber war die Lähmung weg. Dieser Großvater wurde von seiner eigenen Geschichte so ergriffen, dass er über seine Begrenzungen hinaus ging. Und dieser Moment kann als Gleichnis für uns dienen.

Worte haben Macht. Und wenn wir Worte der Freude verkündigen, kann es vorkommen, dass diese Worte uns ergreifen und uns in die ewige Zukunft versetzen. Wir sollen auf jeden Fall für diese Möglichkeit offen sein, besonders heute am 4. Advent. Möge Gott uns mit Freude erfüllen. Amen.

Die Photographie 'Winter in Sibirien', 2008, DmitrySA, wurde unter den Bedingungen der Creative Commons "Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported"-Lizenz veröffentlicht.
Die Abbildung 'Martin Buber', 2006, He wiki, ist im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.
Die Abbildung 'William Miller' ist im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.

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