Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Offenbarung 3, 7 - 13 Identität hängt von Geschichten ab

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'Silueta d'una mezquita, templo d'o Islam', 2007, MesserWoland

2. Sonnntag im Advent

Identität hängt von Geschichten ab Offenbarung 3, 7 - 13

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2007

Und dem Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe: Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel Davids, der auftut, und niemand schließt zu, der zuschließt, und niemand tut auf: Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan, und niemand kann sie zuschließen; denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet. Siehe, ich werde schicken einige aus der Synagoge des Satans, die sagen, sie seien Juden, und sind's nicht, sondern lügen; siehe, ich will sie dazu bringen, dass sie kommen sollen und zu deinen Füßen niederfallen und erkennen, dass ich dich geliebt habe. Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die auf Erden wohnen. Siehe, ich komme bald; halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme! Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes, und er soll nicht mehr hinausgehen, und ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen des neuen Jerusalem, der Stadt meines Gottes, die vom Himmel herniederkommt von meinem Gott, und meinen Namen, den neuen. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Offenbarung 3, 7 - 13

In den letzten Monaten gab es eine hitzige Meinungsverschiedenheit über die Frage, ob eine dritte Moschee in dem Frankfurter Stadtteil Hausen gebaut werden dürfte. Es gibt eine Initiative, die den Bau einer neuen Moschee in Hausen verhindern will. Und es gibt zwei Begriffe, die in diesem Zusammenhang immer wieder vorkamen, nämlich: „Identitätsverlust“ und „Überfremdung“. Die einheimischen Bewohner dieses Stadtteils haben Angst, ihre Identität zu verlieren. Die Tiefgründigkeit dieser Angst ist erkennbar an der Heftigkeit der Auseinandersetzung. Es sind Bemerkungen gefallen, die maßlos aggressiv sind. Offenbar ist es etwas Unerträgliches, die eigene Identität zu verlieren – und besonders dann, wenn die eigene Identität nicht klar definiert ist.

'San, or Bushman, performing a dance at Camp Jao in Botswana', 2007,  Justin Hall

Es gibt unzählige Beispiele dafür, wie zerstörerisch es ist, wenn ein Volk oder eine Gemeinschaft ihre Identität verliert. Ein Beispiel sind die Kalahari Buschmänner in Südafrika. Die Begegnung mit europäischer Kultur haben die Buschmänner nicht verkraftet: sie haben ihre kulturelle Identität weitgehend verloren. Ohne Identität, sind sie so kraftlos und orientierungslos geworden, dass sie auf die Wohltätigkeit der Regierung angewiesen sind, und sie sind anfällig für Alkoholismus und Drogensucht. Ein Stammesführer der Buschmänner – mit dem Namen Mario Mahongo – sagte dazu folgendes: „Wir haben viel Kultur verloren. Und diese Kultur hing mit den alten Geschichten zusammen, die unsere Mütter und Väter überliefert hatten. Aber diese Geschichten werden nicht mehr erzählt. Wir haben nichts, was wir weitergeben können.“

Als Kirche können wir uns damit identifizieren. Denn unsere Identität hängt auch mit Geschichten zusammen - mit biblischen Geschichten. Diese biblischen Geschichten wurden in früheren Zeiten in Familien gelesen oder erzählt. Aber unsere Bevölkerung kennt diese Geschichten nicht mehr, die unsere westliche Kultur geprägt hat. Man müsste denken, dass jedes Kind mindestens die Weihnachtsgeschichte von der Geburt Jesu kennt. Aber nach meinen Erfahrungen im Religions- und Konfirmandenunterricht ist sogar die Weihnachtsgeschichte weitgehend unbekannt geworden. Ich komme aus dem Staunen nicht heraus, wenn ich immer wieder entdecke, dass Schüler oder Konfirmanden nicht in der Lage sind, irgendetwas über die Umstände der Geburt Jesu zu erzählen – die nicht einmal in der Lage sind, Maria und Josef zu nennen. Es ist, als ob sie die Lukasgeschichte am Heiligabend nie gehört hatten. Und wenn schon die Geburtsgeschichte Jesu so unbekannt geworden ist, um so unbekannter sind die Ereignisse, die an Ostern und Pfingsten gefeiert werden. Weihnachten, Ostern und Pfingsten sind für unsere Bevölkerung nicht mehr die Überschriften für Geschichten, sondern für Reisezeiten. Das sogenannte christliche Abendland hat seine grundlegende Identität weitgehend verloren.

'Johannes schreibt an die Gemeinden von Sardes und Philadelphia', um 1000, Auftraggeber: Otto III. oder Heinrich II.

In dem Text, der für heute vorgesehen ist, geht es um eine christliche Gemeinde, deren Identität bedroht ist. Dieser Text gibt einen Hinweise, wie christliche Identität aufrechterhalten wird. Es geht um eine christliche Gemeinde in der Stadt Philadelphia in Kleinasien. Diese Gemeinde – wie alle christlichen Gemeinden damals in der Anfangszeit der Christenheit – steckte in einer Identitätskrise. Der Text aus der Offenbarung deutet auf zwei Gründe für diese Krise.

Eine Ursache war das damalige Judentum. In dem Text heißt es:

„Siehe, ich werde schicken einige aus der Synagoge des Satans, die sagen, sie seien Juden, und sind's nicht, sondern lügen. siehe, ich will sie dazu bringen, dass sie kommen sollen und zu deinen Füßen niederfallen und erkennen, dass ich dich geliebt habe“

Diese aggressive Sprache den Juden gegenüber zeigt, dass die Gemeinde in Philadelphia durch das Verhalten der Juden verunsichert war. Aber auch die Juden damals waren stark verunsichert. Das damalige Judentum hatte eine eigene Identitätskrise nach der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 durchgemacht. Und 10 Jahre nach der Zerstörung des Tempels, grenzte sich das Judentum von allen Judenchristen ab, die Jesus für den Messias hielten. Christen wurden aus allen Synagogen ausgegrenzt und hatten damit ein Stück Heimat und Identität verloren.

Eine zweite Ursache für Identitätsverlust war der Kaiserkult. Als die Offenbarung geschrieben wurde, gab es Christenverfolgungen, denn Christen weigerten sich, an dem Kaiserkult teilzunehmen. Alle Menschen im römischen Reich waren dazu verpflichtet, ihre Loyalität dem Kaiser gegenüber zu demonstrieren, indem sie eine Kulthandlung vollzogen, bei dem der Kaiser als „Kyrios“ – d.h. Herr - anerkannt wurde. Aber das Urbekenntnis der Christenheit lautete: „Jesus ist der Kyrios, Jesus ist der Herr.“ Den Kaiser „Herr“ zu nennen, galt als Gotteslästerung und viele Christen ließen sich lieber verhaften und hinrichten, als diese Blasphemie auszusprechen – wobei es auch Christen gab, die aus pragmatischen Gründen bei dem Kaiserkult mitmachten. Offenbar gehörten die Christen in Philadelphia zu denen, die sich von dem Kaiserkult scharf abgegrenzt hatten, denn sie wurden gelobt – mit den Worten: „Du hast meinen Namen nicht verleugnet“.

Diese Gemeinde in Philadelphia musste mit Spannungen leben, die normalerweise keine Gemeinde aushalten kann. Es wäre etwas Vergleichbares, wenn es heute hieße: Christen dürfen ab sofort ihre Kirchen nicht mehr betreten, und wenn sie die Bundeskanzlerin nicht als göttlich anerkennen, werden sie verhaftet und müssen mit Hinrichtung rechnen. Was ist aus der Gemeinde in Philadelphia geworden?

'Philadelphia-Alaşehir. St John church', 2000, ací

Die Stadt Philadelphia heißt heute Alasehir („die Stadt Allahs“) und gehört zur Türkei. Erstaunlicherweise existieren immer noch christliche Gemeinden dort, obwohl sie seit Jahrhunderten mit Unterdrückung leben. Jüdische Feindschaft, römische Verfolgung, islamische Unterdrückung und Flucht nach Europa haben die christliche Identität in Philadelphia nach 20 Jahrhunderten nicht auslöschen können.
Nach menschlichem Ermessen dürfte es keine Christen mehr in der Stadt Alasehir geben.

Die christliche Gemeinde dort müsste längst ausgerottet sein. Wie ist es möglich, dass christliche Identität 2000 Jahre lang am Leben bleiben konnte – trotz vielfältiger Feindschaft?

Der Text aus der Offenbarung bietet einen Hinweis. Es heißt:

Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die auf Erden wohnen. Siehe, ich komme bald.

Was dieser Text andeutet, ist, dass alles davon abhängt, in dem Warten auf die Wiederkehr Christi die Geduld nicht zu verlieren. Es klingt ironisch, diese Verheißung heute zu hören, die vor 2000 Jahren aufgeschrieben wurde: „Siehe, ich komme bald.“ Nach menschlichem Ermessen ist es unsinnig, auf eine baldige Wiederkehr Christi zu warten. Aber davon hängt unsere christliche Identität ab, dass wir das Warten auf Christus nicht aufgeben, sondern geduldig fortsetzen. Wir können es uns nicht leisten, das geduldige Warten auf die Vollendung der Welt aufzugeben. Unsere christliche Identität bricht zusammen und wird inhaltslos, wenn wir nicht mehr damit rechnen, dass Gott in Christus diese Welt verwandeln wird.

'The Annunciation to the Shepherds, detail, Baroncelli Chapel, Church of Santa Croce, Florence.', 14th century, Taddeo Gaddi

Wie vorhin erwähnt: unsere christliche Identität hängt mit biblischen Geschichten zusammen. In diesem Zusammenhang können wir an die Weihnachtsgeschichte nach Lukas denken, die heutzutage so unbekannt geworden ist. In dieser Geschichte eröffnet sich der Himmel über dem Hirtenfeld bei Bethlehem. Die himmlischen Heerscharen erscheinen und verkünden: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“ Dieser Moment ist eine Vorschau. Eines Tages wird sich der Himmel öffnen und die Herrlichkeit Gottes wird für die ganze Welt öffentlich sichtbar werden – so wie sie für die Hirten sichtbar wurde – und dann wird Friede auf Erden verwirklicht. Unsere Identität hängt von solchen Geschichten ab, die eine Vorschau geben, was Gott mit dieser Welt vorhat. Unsere Glaubenskraft hängt davon ab, dass wir nie aufhören, in Geduld zu warten, bis Gott seine Herrlichkeit offenbart.

Es gibt keinen Theologen, der das Warten auf diesen Tag der Vollendung besser beschrieben hat als Paul Tillich, der folgendes schrieb:

„Wir haben Gott dadurch, dass wir ihn (noch) nicht haben...Wenn wir in Hoffnung und Geduld warten, dann ist die Kraft dessen, worauf wir warten, in uns schon wirksam. Wer in einem unbedingten Sinne wartet, ist nicht weit entfernt von dem, worauf er wartet. Wer mit absoluter Ernsthaftigkeit wartet, ist schon von dem ergriffen, worauf er wartet. Wer in Geduld wartet, hat schon von dem empfangen, auf das er wartet. Wer leidenschaftlich wartet, trägt schon die Kraft dessen, auf das er wartet, in sich und ist fähig, Leben und Geschichte zu verändern. Wir sind stärker, wenn wir warten, als wenn wir besitzen.“

Möge Gott uns die Geduld geben, beharrlich auf ihn zu warten.

Das Gemälde 'The Annunciation to the Shepherds, detail, Baroncelli Chapel, Church of Santa Croce, Florence.', 14th century, Taddeo Gaddi, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Abbildung 'Silueta d'una mezquita, templo d'o Islam', 2007, MesserWoland, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
Die Photographie 'San, or Bushman, performing a dance at Camp Jao in Botswana', 2007, Justin Hall, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution 2.0 Generic license.
Das Bild 'Johannes schreibt an die Gemeinden von Sardes und Philadelphia', um 1000, Auftraggeber: Otto III. oder Heinrich II., ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Photographie 'Philadelphia-Alaşehir. St John church', 2000, ací, wurde von ihrem Urheber dem public domain zur Verfügung gestellt.

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