Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Offb. 5, 1 - 5 Wer kann Zuhören?

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'President Franklin D. Roosevelt', photographs 1940 prints 1940, Associated Press photograph. No. 21773

1. Sonnntag im Advent

Wer kann Zuhören? Offb. 5, 1 - 5

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2005

Und ich sah in der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß, ein Buch, beschrieben innen und außen, versiegelt mit sieben Siegeln. Und ich sah einen starken Engel, der rief mit großer Stimme: Wer ist würdig, das Buch aufzutun und seine Siegel zu brechen? Und niemand, weder im Himmel noch auf Erden noch unter der Erde, konnte das Buch auftun und hineinsehen. Und ich weinte sehr, weil niemand für würdig befunden wurde, das Buch aufzutun und hineinzusehen. Und einer von den Ältesten spricht zu mir: Weine nicht! Siehe, es hat überwunden der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel Davids, aufzutun das Buch und seine sieben Siegel. Offb. 5, 1 - 5

In der 30er Jahren wurde Franklin Roosevelt Präsident der USA. Es gehört zu den Pflichten eines Präsidenten, Empfänge im Weißen Haus anzubieten und die Gäste zu begrüßen, wenn sie hereinkommen. Bei solchen Anlässen gibt es immer eine Schlange von Menschen, die darauf warteten, dem Präsidenten die Hand zu geben. Franklin Roosevelt war überzeugt, dass niemand bei dieser Begrüßung richtig zuhörte. Und um die Langeweile zu vertreiben, machte er ein Experiment. Er begrüßte die Leute mit der Bemerkung: „Herzlich willkommen. Heute morgen habe ich meine Großmutter ermordet.“ Und die Reaktionen entsprachen seinen Erwartungen. Als Erwiderung bekam er Höflichkeitsfloskeln zu hören - zum Beispiel: „Wie schön!“ oder: „Das haben Sie aber gut gemacht!“ Nur eine einzige Person hatte richtig zugehört: ein ausländischer Diplomat, der erwiderte: „Ja, Herr Präsident, ich bin sicher, dass Ihre Großmutter es verdient hat.“

Dieses Nicht-Zuhören ist teilweise eine Frage der Aufmerksamkeit, aber es ist vielmehr eine Frage der Erwartung. Wenn etwas gesagt wird, was man nicht erwartet und nicht einordnen kann, dann wird man nicht richtig zuhören können. Die Mitteilung eines Regierungschefs, der bei einem feierlichen Empfang die Mitteilung einer Ermordung beiläufig erwähnt, ist so völlig fremdartig, dass es verständlich ist, warum die Menschen nicht hören konnten, was gesagt wurde.

Es gibt ein vergleichbares Phänomen, wenn es um Inhalte des christlichen Glaubens geht. Viele Inhalte unseres Glaubens sind so völlig fremdartig, dass es dafür keine Hörfähigkeit gibt. Zum Beispiel, wenn die Kirche von Advent spricht, weiß kaum jemand noch – außer einer kleinen Minderheit von Eingeweihten - , was dieser Begriff bedeutet. Advent und Weihnachten sind für unsere Bevölkerung austauschbare Begriffe. Wenn die Kirche von Advent spricht, wird Weihnachten gehört. Denn der Beginn der Adventszeit ist im öffentlichen Bewusstsein nichts anderes als der Beginn der Weihnachtszeit. Advent ist etwas völlig Unbekanntes und als öffentlicher Begriff absolut inhaltslos.

'Lamm Gottes, sitzend auf dem Buch mit 7 Siegeln', 2007, Wolfgang Sauber

Und zu den unbekannten Motiven der Adventszeit gehört die Botschaft von der Weltherrschaft des Messias, die in unserem heutigen Text angesprochen wird. Der heutige Text spricht von einem Buch, das mit sieben Siegeln versiegelt wurde. Mit diesem Buch ist das Geheimnis des Willens Gottes gemeint. Es soll enthüllt werden, was Gott mit dieser Welt vorhat, seine Regelung der Weltangelegenheiten, und was Gott in Ewigkeit mit uns Menschen vorhat.

Aber es heißt:

Niemand, weder im Himmel noch auf Erden noch unter der Erde, konnte das Buch auftun und hineinsehen. Und ich weinte sehr, weil niemand für würdig befunden wurde, das Buch aufzutun und hineinzusehen.

Es geht hier unter anderem um ein Kommunikationsproblem. Gott kann seine Botschaft nur dann enthüllen, wenn jemand da ist, der für sie aufnahmefähig ist. Wenn niemand da ist, der bereit und fähig ist, wirklich zu hören, was Gott offenbaren will, dann bleibt seine Botschaft ein verschlossenes Buch mit sieben Siegeln. Gesucht werden Menschen, die ein Ohr haben für Gottes Wort. Und es ist – wie gesagt – nicht bloß eine Frage der Aufmerksamkeit des Anhörens; es ist vielmehr eine Frage, ob man empfänglich ist für die Fremdartigkeit der Wirklichkeit Gottes.

Zum Beispiel: Es gibt ein Filmregisseur mit dem Namen Bruce Beresford. Er hat einmal davon erzählt, wie schwierig es war, einen Spielfilm mit dem Namen „Schwarzes Gewand“ zu produzieren. In diesem Film geht es um die missionarische Tätigkeit der Jesuiten unter den Indianern von Quebec in Kanada. Ein Problem war die Kälte des Winters; der Hauptdarsteller erlitt einen gefrorenen Kiefer bei den Dreharbeiten. Aber das Hauptproblem – nach Einschätzung des Regisseurs – war es, den missionarischen Eifer der Jesuiten glaubhaft darzustellen. Der Regisseur sagte dazu folgendes:

Die Jesuiten in Quebec waren von der Aufgabe besessen, Menschen in den Himmel zu bekommen. Es gibt wenige Leute heutzutage, die eine solche Idee nachvollziehen können. Meine Aufgabe war es, Kinobesucher zu überzeugen, dass so etwas wichtig ist.

Die ewige Gemeinschaft mit Gott ist für Kinobesucher – und das heißt: für unsere Zeitgenossen - nicht wichtig. Die ewige Gemeinschaft mit Gott ist nicht wichtig – nach heutiger Einschätzung. Das ewige Schicksal der Menschheit soll nicht wichtig sein.

Aber der Schreiber der Offenbarung weinte, weil er unbedingt wissen wollte, was Gott mit seiner Menschheit in Ewigkeit vorhat und weil er merkte, dass niemand da war, der die Geheimnisse Gottes enthüllen konnte. Aber dann war doch jemand da, der das Buch mit sieben Siegeln aufmachen konnte. Wie es heißt:

'Löwe aus dem Stamm Juda', PSch

Siehe, es hat überwunden der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel Davids, aufzutun das Buch und seine sieben Siegel.

Nach jüdischer Bibelauslegung sollte der Messias aus dem Stamm Juda kommen, und dieser Stamm wird durch einen Löwen symbolisiert. Denn als der Stammvater der Israeliten, Jakob, im Sterben lag, segnete er seinen Sohn Juda mit den Worten: „Juda ist ein junger Löwe... Es wird das Zepter von Juda nicht weichen noch der Stab des Herrschers von seinen Füßen, bis dass der Held komme, und ihm werden die Völker anhangen.“ Dieses Segenswort wurde als Hinweis auf den Messias verstanden.

Wenn es also heißt, dass der Löwe aus dem Stamm Juda überwunden hat und deshalb würdig ist, das Buch mit sieben Siegeln aufzutun, so bedeutet das, dass Jesus der Messias ist, der alle tödliche Gewalt des Bösen überwunden hat, und deshalb fähig ist, Gottes Geheimnisse zu enthüllen - und das heißt: alles zu beherrschen, was sein wird. Die Zukunft wird Jesus der Christus, - der Messias - , in Ewigkeit beherrschen. Diese Botschaft ist ein Hauptmotiv der Adventszeit.

Aber wer kann wirklich hören, was hier mitgeteilt wird? Denn hier tut sich ein Abgrund auf. Es gibt eine solche Kluft zwischen dem Alltag dieser Welt und der Welt der Ewigkeit, dass es fast aussichtslos ist, die Kluft zwischen diesen Welten zu überbrücken. Denn es gibt wenige Menschen, die ein Ohr für dieses Adventsmotiv haben.

In diesem Zusammenhang: es gibt einen Mann in Sydney, Australien, der zeigte, dass er ein ungewöhnliches Hörvermögen hat. Er trägt den Spitznamen: „Mr. Eternity“, d.h. Herr Ewigkeit. In früheren Jahren war er alkoholkrank und lebte auf der Straße. Eine christliche Straßenprojektarbeit aber kehrte sein Leben um. Und kurz nach diesem Bekehrungserlebnis hörte er eine Predigt, in der es um den Begriff Ewigkeit ging. Das Wort „Ewigkeit“ – die Bedeutsamkeit dieses Begriffes - hat ihn so gepackt, dass er für eine längere Zeit an nichts anderes denken konnte. Er sagte dazu: „Ewigkeit hat mich nicht mehr losgelassen. Obwohl ich kaum in der Lage war, meinen eigenen Namen zu schreiben, spürte ich einen göttlichen Auftrag, das Wort „Ewigkeit“ zu schreiben.

Und diesen Auftrag hat er wortwörtlich ausgeführt. Er nahm ein Stück weißer Kreide und ging durch die Straßen der Stadt Sydney und schrieb immer wieder auf den Bürgersteig das Wort „Ewigkeit“. Das tat er etwa 50 Mal jeden Tag, 30 Jahre lang. Als er starb, berichtete eine Tageszeitung, dass dieser Mann etwa 500.000 Mal das Wort „Ewigkeit“ auf den Bürgersteig geschrieben hatte.

'Bethlehem', PSch

Nach heutiger Einschätzung war dieser Mann ein Spinner. Aber er erinnert an alttestamentliche Propheten, die durch Zeichenhandlungen versucht hatten, das Volk aufzurütteln. Es gibt in diesem Zusammenhang einen alttestamentlichen Begriff für die Hörunfähigkeit eines Volkes. Das Wort heißt „Verstockung“. Verstockung bedeutet, dass Menschen für das Wort Gottes völlig unzugänglich geworden sind. Verstockung ist eine totale Taubheit des Herzens Gott gegenüber. Und wenn ein Mensch sich genötigt fühlt, 500.000 Mal das Wort Ewigkeit auf den Bürgersteig zu schreiben, ist das ein Hinweis auf die Verstockung der Menschen. Es ist wie ein verzweifelter Versuch, Menschen aufzurütteln, die nur noch für diese sichtbare, vergängliche Welt leben und darüber hinaus keine Perspektive haben.

Der Protest der Kirchen in Frankfurt gegen den verkaufsoffenen Sonntag am ersten Advent ist auf derselben Linie. Die Botschaft, um die es hier geht, heißt, dass der Sonntag – wenn er geheiligt wird – ein Hinweis ist, dass das Leben mehr ist als Arbeit und Konsum, dass das Leben nicht auf das Sichtbare und auf das Vergängliche beschränkt werden darf. Und dies gilt besonders für den 1. Adventssonntag. Die ewige Zukunft, die der Messias Jesus in Ewigkeit beherrschen wird, ist ein Motiv der Adventszeit, und besonders am 1. Advent.

Möge Gott uns helfen, diese Botschaft zu hören. Vom Hören hängt alles ab; alles andere ergibt sich fast von selber.

This photograph 'President Franklin D. Roosevelt', photographs 1940 prints 1940, Associated Press photograph. No. 21773, is a work for hire created prior to 1968 by a staff photographer at New York World-Telegram & Sun. It is part of a collection donated to the Library of Congress. Per the deed of gift, New York World-Telegram & Sun dedicated to the public all rights it held for the photographs in this collection upon its donation to the Library. Thus, there are no known restrictions on the usage of this photograph
Die Abbbildung 'Lamm Gottes, sitzend auf dem Buch mit 7 Siegeln', 2007, Wolfgang Sauber(Pfarrkirche St. Oswald bei Haslach. Kanzel von Joseph Kepplinger ( 1901)), ist lizensiert unter der is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported, 2.5 Generic, 2.0 Generic and 1.0 Generic license.
Das Bild 'Addis Ababa Judah's lion, also known as Zion Lion, flag of Rastafaris', 2008, Weweje, ist im public domain, weil sein copyrigh abgelaufen ist.

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