Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Lukas 18, 28 – 30 Die Macht eines Schmetterlings

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15. Sonntag nach Trinitatis: Lukas 18, 28 – 30 Die Macht eines Schmetterlings

Gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2005

Schmettering

Da sprach Petrus: Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt. Er aber sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder verlässt um des Reiches Gottes willen, der es nicht vielfach wieder empfange in dieser Zeit und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.

David Livingston ist das Urbild eines christlichen Missionars. Im Jahre 1840 ging er im Dienste der Londoner Missionsgesellschaft nach Afrika. In Afrika hatten er und seine Familie ein karges und gefährliches Leben gehabt. Seine Familie hatte manchmal nichts anderes zu essen außer Heuschrecken, Raupen und Fröschen. Einmal wurde Livingston von einem Löwen angegriffen und sein linker Arm wurde zerschmettert und ist nie richtig geheilt. Seine Frau hatte in Afrika ihre Gesundheit ruiniert, und sie musste deshalb das Land verlassen. Seine Frau starb - getrennt von ihrem Mann – in Armut, als sie nur 42 Jahre alt war. Auch einen Sohn hatte Livingston in Afrika verloren. Livingston wurde immer wieder von Hitze, Krankheit, vergifteten Wunden, Hunger, Durst und feindlichen Angriffen geplagt. Er war der erste – und vielleicht einzige Europäer – der Afrika zu Fuß durchquerte, vom atlantischen bis zum indischen Ozean. Er hat Sklavenhandel bekämpft und hat dabei eine Niederlage nach der anderen erlitten.

Einmal wurde er gefragt, wie viel Opfer sein Leben als Missionar in Afrika gekostet hatte. Livingstone reagierte, als ob er die Frage nicht verstanden hatte. Er erwiderte: „Opfer? Ich habe in meinem ganzen Leben kein Opfer gebracht.“ Und er erläuterte, wie er das meinte: „Kann man von Opfer sprechen, wenn wir so viel von Gott geschenkt bekommen haben, das wir nie vergelten könnten? Kann man von Opfer sprechen, wenn ein Leben der Hingabe seine eigene Belohnung bringt – wie z. B. gesunde Aktivität, die Gewissheit, dass man Gutes tut, inneren Frieden, und die leuchtende Hoffnung einer herrlichen, ewigen Bestimmung? Ein solches Leben ist kein Opfer, sondern ein Privileg. Dinge wie Angst, Krankheit, Leiden, Gefahr und ein unbequemes Leben sind wie nichts im Vergleich zu der Herrlichkeit, die später an uns und durch uns offenbart wird. Ich habe nie ein Opfer gebracht. Das einzige Opfer, von dem man sprechen sollte, ist das große Opfer dessen, der den himmlischen Thron seines Vaters verlassen hatte, um sich für uns hinzugeben.“

Diese Aussage Livingstons veranschaulicht den Lukastext, der für heute vorgesehen ist. Die Anhänger Jesu hatten alles verlassen, um dauerhaft bei Jesu zu bleiben. Sie hatten Beruf und Familie aufgegeben, um ein Leben zu wagen, das keine Absicherungen mehr hatte. Denn Jesus war ein Wanderprediger ohne festen Wohnsitz und ohne geregelte Arbeit. Lukas berichtet an einer Stelle, dass er von Spenden gelebt hatte, die von Frauen stammten.

Und Jesus sagte zu seinen Jüngern: ihr habt nichts verloren. Alles, was ihr meinetwegen aufgegeben habt, ist wie nichts im Vergleich zu den Dingen, die ihr gewonnen habt. Ihr habt keine Familie verloren, sondern ihr seid jetzt Teil einer riesigen Familie, die vielfach größer ist als vorher. Ihr habt kein Leben verloren, sondern ein Leben gewonnen, das unvergänglich ist.

Und diese Feststellung, dass Opfer im Namen Jesu Christi zuletzt kein Opfer ist, ist immer wieder in der Geschichte der Christenheit vorgekommen. Es gibt z. B. in Hong Kong ein älteres Ehepaar, das sich im Jahre 1949 in Nanjing in China verlobt hatte. Der Mann war dort Theologiestudent, als sein theologisches Seminar von Kommunisten besetzt wurde. Die Studenten wurden verhaftet und in Arbeitslager geschickt. 30 Jahre lang war der Pfarramtskandidat eingesperrt. Einmal im Jahr durfte seine Braut ihn besuchen. Nach jedem Besuch wurde er zu dem obersten Aufseher gebracht und jedes Mal machte der Aufseher dasselbe Angebot – einmal im Jahr, 30 Jahre lang; das Angebot lautete: „Du darfst mit deiner Braut nach Hause gehen, du brauchst nur dein Christsein aufzugeben.“ Jedes Jahr antwortete der Mann mit nur einem Wort: „Nein“.

Wie Livingston in Afrika hat dieser Mann im Gefängnislager seine Gesundheit ruiniert. Als er zuletzt entlassen wurde, konnte er nicht mehr aufrecht stehen, sondern hatte eine dauerhaft gebückte Haltung. Aber seine Braut hatte auf ihn gewartet und das Paar lebt glücklich in Hong Kong. Dort wurde das Paar von einem Mitarbeiter einer Bibelgesellschaft besucht, der fragte: Wie der Mann es ausgehalten hatte, jahrelang in einem Arbeitslager zu leben – ohne Familienglück, ohne heiraten zu dürfen, und ohne seine Gesundheit pflegen zu dürfen. Als der ehemalige Häftling diese Frage hörte, war er erstaunt, dass jemand eine solche Frage stellen konnte. Er erwiderte: „Jesus hatte so viel für mich getan, wie könnte ich ihn verraten.“ Es war ihm also überhaupt nicht bewusst, dass er irgendetwas geopfert hätte.

In unserer Situation hier in einem liberalen westlichen Land sind die vermeintlichen Opfer, die von uns Christen gefordert werden, recht bescheiden. Es fängt sonntagsmorgens an, wenn man sich dafür entscheidet aufzustehen, um rechtzeitig einen Gottesdienst zu besuchen, anstatt sich auszuschlafen. Wenn jemand mich fragen würde, ob das ein Opfer ist, würde ich auch erstaunt fragen, wie er auf so eine Idee kommen könnte. Die Ausstrahlung, die ein Sonntag durch den Gottesdienst bekommt, ist ein solcher Reichtum, dass man nicht von Opfer sprechen kann. Die ewige Herrlichkeit, für die wir vorgesehen sind, leuchtet durch im Gottesdienst.

Oder wenn man einen Dienst der Liebe tut – anstatt ein tolles Konsumerlebnis zu genießen – ist das kein Opfer, sondern eine Bereicherung.

Oder etwas, was ich im Laufe meiner Dienstzeit gelernt habe, ist, dass gerade die Aufgaben, die scheinbar unzumutbar sind – wie z. B. eine besonders tragische Beerdigung halten zu müssen – zuletzt nicht etwas Erdrückendes oder Lebenserstickendes ist, sondern im Gegenteil – etwas Befreiendes, etwas Lebenserfüllendes. Die biblische Verheißung einer ewigen Herrlichkeit tut sich am ehesten dort auf, wo man gefordert wird, sich voll und ganz zu seinem Glauben zu bekennen. Z. B. jedes Mal, wenn ich eine Beerdigungsansprache halte - und angesichts des Todes von Auferstehung spreche – bin ich entweder ein unverantwortlicher Idiot oder ich bin ein Verkünder der Wahrheit. Es gibt keinen Mittelweg zwischen diesen Alternativen. Und von solchen Momenten lebt der christliche Glaube, wenn man es durch Bekenntnis zu Jesus Christus riskiert, sich scheinbar total lächerlich zu machen. Und der Glaube lebt von Übertreibung, wenn man z. B. mehr für Brot für die Welt spendet, als man sich leisten kann, oder wenn man sich nach dem Herzen richtet und etwas unvernünftig Großzügiges tut – um Jesu Christi willen. Von solchen Momenten lebt der Glaube, wenn man sich selbst ein Stück opfert und hinterher feststellt – es war eigentlich kein Opfer.

Ich habe mich manchmal im Namen Jesu Christi lächerlich gemacht – eigentlich viel zu wenig - aber das sind die kostbarsten Momente meines Lebens.

Im Jahre 1977 machte ein Mann mit dem Namen David Kuzminski einen Waldspaziergang. Mitten auf dem Waldweg war eine Wasserpfütze und er wollte an einer Seite vorbeigehen. Plötzlich wurde er angegriffen, aber er konnte nicht identifizieren, wer der Angreifer war. Aber fünf Mal flog ihm etwas auf eine aufdringliche, aggressive Weise ins Gesicht. Er wich zurück und der Angriff hörte auf. Da konnte er zum ersten Mal sehen, was ihn attackiert hatte: es war ein Schmetterling. Er musste laut lachen. Dann machte er wieder einen Schritt nach vorne und er wurde wieder von dem Schmetterling angegriffen. Der Schmetterling stieß gegen seine Brust immer wieder und immer wieder. Jetzt war er verunsichert und wich wieder zurück. Als er ein drittes Mal nach vorne ging wurde er ein drittes Mal energisch angegriffen. Diesmal ging er weiter zurück als vorher und konnte sehen wie der Schmetterling, der ihn angegriffen hatte, zu Boden ging und neben einem zweiten Schmetterling landete. Dieser zweite befand sich genau an der Stelle, auf die der Mann treten wollte. Dieser zweite war offensichtlich am Sterben und konnte sich nicht mehr bewegen. Und diese zwei waren ein Paar, und der eine wollte den anderen um jeden Preis schützen, auch wenn es bedeutete, einen Erwachsenen Mann anzugreifen.

Dieser Schmetterling kann für uns als Gleichnis dienen. Ein Schmetterling ist ein uraltes Symbol der Auferstehung. Denn ein Schmetterling ist eine Raupe, die sich in einen Kokon einwickelt, wie in einem Leichentuch, und verwandelt herauskommt. Diese Verwandlung von etwas Sterbendem in etwas Quicklebendiges, von etwas Hässlichem in etwas Wunderschönes, und von etwas langsam Kriechenden in etwas, was mit Leichtigkeit fliegt, ist ein Sinnbild für auferstandenes Leben. Und dieser Schmetterling im Wald, der mit voller Hingabe einen Kampf aufgenommen hatte, der eigentlich aussichtslos war, ist für uns ein Leitbild. Eigentlich war dieser Kampf gegen den Mann lächerlich, denn ein Schmetterling ist machtlos. Und trotzdem hat der Schwächere gewonnen, weil er mit voller Hingabe gekämpft hatte.

Und dazu sind wir bestimmt: mit voller Hingabe für die Sache Christi zu kämpfen, auch wenn wir uns dabei gelegentlich lächerlich machen, weil unsere Gegner übermächtig erscheinen. Was kann die Kirche schon ausrichten gegen die Gleichgültigkeit der Menschen Gott gegenüber? Scheinbar ist der Verlust an Christlichkeit in unserer Bevölkerung nicht aufzuhalten. Der Kampf gegen die Auflösung der Christenheit in Europa scheint aussichtslos zu sein, weil wir scheinbar zu schwach sind.

Aber wir gehören zu der Auferstehung, wir gehören schon jetzt zum ewigen Leben. Deswegen sollen wir für die Sache Jesu Christi mit Hingabe kämpfen. Und alle Opfer, die wir um Christi willen leisten, sind zuletzt keine Opfer. Denn wir sind für Unermessliches vorgesehen.

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