Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Gal. 5, 1 – 6 Gott ist nicht schizophren

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'View over Trinity College, Gonville and Caius and Clare College towards King's College Chapel', Bob Tubbs, 1997

Reformation

Gott ist nicht schizophren Gal. 5, 1 – 6


Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2006

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen. Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss. Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist. Gal. 5, 1 – 6

Ein Student an der Cambridge Universität in England hatte ein Examen. Als er in den Saal kam, wo diese Prüfung stattfinden sollte, ging er auf den Professor zu und bestellte bei ihm Backwerk und Bier. Der Professor war verblüfft, und lehnte es ab, diese Bestellung auszuführen. Daraufhin hat der Student einen Auszug aus einem Dokument vorgelesen, das 400 Jahre alt war; es handelte sich um die Gesetze der Universität, die nie offiziell zurückgenommen wurden. Der Student zitierte: „Gentlemen, die zum Examen erscheinen, dürfen Backwerk und Bier bestellen und bekommen.“ Der Professor war in Verlegenheit und hat also tatsächlich etwas geholt, was ungefähr der Bestimmung entsprach – nämlich einen Hamburger und ein Cola. Damit war der junge Mann zufrieden. Drei Wochen später wurde der Student in das Büro für akademische Angelegenheiten bestellt; es ging um eine disziplinarische Maßnahme. Er wurde dazu aufgefordert, eine Strafe von 5 Pfund zu bezahlen. Er wurde nicht für seine freche Bestellung bestraft, sondern weil er ein altes Gesetz der Universität missachtet hatte; er hatte es nämlich versäumt, bei dem Examen korrekt ausgerüstet zu sein, denn nach einem Gesetz, das nie aufgehoben wurde, hätte er ein Schwert tragen müssen, als er zur Prüfung erschien.

Diese Begebenheit zeigt ein allgemeines Prinzip: Wer sich auf eine Vorschrift beruft, um einen Vorteil für sich selbst herauszuholen, ist dazu verpflichtet, das ganze dazugehörige Gesetzessystem einzuhalten.

Und offenbar geht es um dieses Prinzip in dem Text aus dem Galaterbrief. Zu diesem Zeitpunkt war die Christenheit dabei, sich selbst zu definieren – besonders dem Judentum gegenüber. Denn ursprünglich waren die Jesusanhänger eine Sekte innerhalb des Judentums. Die ersten Christusanhänger waren gleichzeitig Juden, die nach wie vor die 613 Gebote der Torah einhielten. Aber als die judenchristliche Gemeinde Mitglieder aufnahm, die nicht Juden waren, musste die Frage geklärt werden, ob diese sogenannten Heidenchristen verpflichtet waren, die Vorschriften des Alten Testamentes einzuhalten, um vollgültige Christusanhänger zu werden. In einer Apostelversammlung in Jerusalem um das Jahr 50 wurde eindeutig festgestellt, dass es nicht notwendig war, Jude zu werden, um Christ zu sein. Und man könnte behaupten: ab diesem Zeitpunkt fing die Jesussekte an, eine Weltreligion zu werden.

Aber nicht alle Jesusanhänger waren mit dem Ergebnis dieser Apostelversammlung einverstanden. Denn es gab eine Minderheit, die überzeugt war, dass die Vorschriften des Alten Testamentes für alle Jesusanhänger galten.

Und bis heute gibt es solche Minderheiten. Die Adventisten z. B. sind Christen, die den Gottesdienst am Samstag feiern – dem biblischen Sabbat – denn so steht es geschrieben im 2. Buch Mose. Das vierte biblische Gebot lautet: du sollst den Sabbat heiligen, den 7. Tag der Woche, den Samstag. Oder die Zeugen Jehovas erlauben keine Bluttransfusionen, weil es im alten Testament heißt: du sollst kein Blut essen. Eine Bluttransfusion gilt als Blut essen. Außerdem dürfen Frauen, die zu den Zeugen Jehovas gehören, keine Hosen tragen, denn es gibt ein biblisches Gebot, das Frauen verbietet, Männersachen zu tragen. Aus diesem Grund sind auch orthodoxe Frauen in Israel vom militärischen Dienst befreit, weil es im militärischen Dienst unvermeidbar ist, Hosen zu tragen.

Aber nicht nur Sekten berufen sich auf Gebote. Innerhalb unserer evangelischen Kirche z. B. ist es umstritten, ob es erlaubt sein sollte, einen kirchlichen Segen für homosexuelle Paare zu erteilen. In diesem Zusammenhang werden biblische Gebote zitiert, die scheinbar eindeutig sind. Wer aber meint, dieses komplexe Thema allein durch biblische Gebote klären zu können, begibt sich in eine unhaltbare Situation. Denn wer sich auf ein einziges biblisches Gebot beruft und sagt: dieses Gebot ist für alle Zeiten und in allen Situationen verbindlich, der ist dadurch verpflichtet, alle Gebote als verbindlich anzusehen.

Wer also Bluttransfusionen oder Homosexualität anhand von biblischen Geboten verbieten will, der verpflichtet sich dadurch, alle Gebote einzuhalten. Der darf konsequenterweise z. B. keine Bilder machen oder besitzen, denn das 2. Gebot verbietet kategorisch alle Bilder – nicht nur Bilder von Gott, sondern grundsätzlich alle. Deswegen gibt es orthodoxe Juden, die nicht photographieren. Wer sich auf biblische Gebote beruft, müsste konsequenterweise dafür eintreten, dass bestimmte Menschen zu steinigen sind, nämlich alle Menschen, die zwischen Freitagabend und Samstagabend arbeiten, alle Kinder, die ihre Eltern verfluchen oder schlagen, alle Gotteslästerer, Diebe, Geisterbeschwörer, Zeichendeuter und Ehebrecher. Denn so steht es in der Bibel.

In dem Brief an die Galater spricht Paulus Gemeindeglieder an, die meinen, dass die biblische Vorschrift der Beschneidung auch für Christusanhänger verbindlich sei. Und Paulus argumentiert: Wer sich beschneiden lässt, verpflichtet sich dadurch, alle 613 alttestamentlichen Gebote einzuhalten. D.h. wer die Beziehung zu Gott durch die biblischen Gebote definieren lassen will, hat den Boden des Christentums verlassen. Wie Paulus schreibt:

Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen.

Das Problem, das Paulus hier anspricht, gibt es immer noch. Denn es fällt uns Christen schwer, die Beziehung zu Gott allein durch Gnade bestimmen zu lassen.

'Wittenberg, Lutherhaus', Hans-Günter Quaschinsky, 1952

Martin Luther hat in diesem Zusammenhang eine Entdeckung gemacht, die ein für allemal gilt. Luther hat entdeckt, dass der Mensch sein ewiges Schicksal zuletzt nicht in der Hand hat, denn von sich aus kann er die Verbindung zu Gott nicht herstellen. Keine menschliche Leistung kann die Beziehung zu Gott in Ordnung bringen – das hat Luther durch bittere Erfahrung gelernt. Er konnte alles machen, was vorgeschrieben war, aber es reichte nie aus, um Frieden mit Gott zu finden. Als Luther sein Turmstubenerlebnis hatte, wurde er befreit von diesem perversen Gottesbild, denn er entdeckte, dass es ein reines Geschenk ist, dass wir Menschen zu Gott gehören dürfen in Ewigkeit.

In diesem Zusammenhang sind alle Gebote hinfällig. Denn Gnade kann nicht ergänzt werden durch Gebote oder moralische Normen. Das wäre, als wenn ein Mathematiker versuchen würde, die Unendlichkeit zu ergänzen. Wer rechnen gelernt hat, weiß, dass die Unendlichkeit plus eine beliebige Zahl immer dasselbe Ergebnis hat – nämlich die Unendlichkeit, denn die Unendlichkeit kann nicht ergänzt oder gesteigert werden. Genauso absolut unergänzbar ist die Gnade, auch wenn man 613 Gebote dazu tut.

Und stellen Sie sich folgendes vor: würden Eltern jemals auf die Idee kommen, zu ihren Kindern zu sagen: wir haben euch das Leben geschenkt, aber ob ihr am Leben bleibt, hängt davon ab, ob ihr unsere Gebote einhaltet? Es wäre völlig pervers, wenn Eltern ihren Kindern Leben schenken würden – was eine reine Gnade ist - und dann nachträglich Bedingungen stellen wollten, von denen der Erhalt dieses Leben abhängen würde – nach dem Motto.: ihr tut alles, was wir sagen, sonst geben wir euch nie wieder eine Mahlzeit, wir setzen euch auf die Straße und wir brechen die Beziehung zu euch unwiderruflich ab. Aber es wurde Gott unterstellt – von der Christenheit -, dass er genauso schizophren sei – besonders zu der Zeit, als Martin Luther lebte. Aber weil Luther die Gnade als alleinbestimmend entdeckt hatte, sind wir von einem abartigen Gottesbild befreit worden.

Aber Luther entdeckte auch, dass es nicht genügt, nur von dieser Gnade zu wissen, sondern dass es lebensnotwendig ist, sich diese Gnade anzueignen, z. B. durch die Sakramente. In diesem Zusammenhang gibt es eine relevante Begebenheit. Am Ende des zweiten Weltkriegs gab es unzählige Kinder, die unterernährt und heimatlos waren. Sie wurden vorläufig in Zeltlagern untergebracht, wo sie von Soldaten betreut wurden. Es fiel den Soldaten auf, dass die Kinder Angst hatten, nachts einzuschlafen. Einer dieser Soldaten probierte etwas aus: er gab einigen Kindern vor dem Schlafengehen ein Stück Brot. Sie hielten diese Brotstücke in ihren Händen, als sie im Bett lagen. Das Ergebnis war verblüffend: diese Kinder schliefen schnell und fest ein. Das Brot vermittelte Geborgenheit, es gab keine Angst mehr einzuschlafen. Es genügte nicht, den Kindern zu sagen: wir haben genug Brot für euch; sie mussten das Brot in der Hand haben.

'Hostie', 2009, PSch

Und eine vergleichbare Wirkung soll das Brot des Abendmahls haben. Denn dieses Brot ist die persönliche Anwesenheit Jesu Christi. Die geweihte Hostie vermittelt die Botschaft: Gott ist mit dir für immer und ewig; du brauchst keine Angst mehr zu haben, auch wenn du versagt hast, denn das Leben mit Gott in Ewigkeit ist eine reine Gnade. Du brauchst nur das Geschenk des Lebens anzunehmen, indem du das Stück Brot als Leib Christi annimmst.

Und die Hostie als Leib Christi entspricht der Absolutheit der Gnade. Es würde die Gnade nicht steigern, wenn ein Teilnehmer 2 oder 200 Hostien bekommen würde; es würde nichts ändern, wenn ein Teilnehmer eine pfarramtliche Bescheinigung vorlegen würde, dass er die 10 Gebote seit 10 Jahren eingehalten hat. Gnade ist unergänzbar, weil sie absolut ist.
Möge Gott uns helfen, die Gnade rein zu erhalten und uns diese Gnade immer wieder anzueignen.

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Die Photographie 'Wittenberg, Lutherhaus', Hans-Günter Quaschinsky, 1952, wurde im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Bundesarchiv und Wikimedia Deutschland aus dem Bundesarchiv für Wikimedia Commons zur Verfügung gestellt. Das Bundesarchiv gewährleistet eine authentische Bildüberlieferung nur durch die Originale (Negative und/oder Positive), bzw. die Digitalisate der Originale im Rahmen des Digitalen Bildarchivs.

Wir danken Frau Friedgard Habdank sehr herzlich, dass sie uns die Bilder ihres Mannes auf so großzügige und kostenlose Weise zur Verfügung gestellt hat. © Galerie Habdank, www.habdank-walter.de

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