Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 1. Korinther 12, 12 – 14. 26 – 27 Hoffentlich sind wir eine pflingstlerische Gemeinde

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21. Sonntag nach Trinitatis: 1. Korinther 12, 12 – 14. 26 – 27 Hoffentlich sind wir eine pflingstlerische Gemeinde

Gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2008

Denn wie der Leib einer ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus. Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft, wir seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt. Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele. Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit. Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied.

Es gibt einen Theologen mit dem Namen Frederick Craddock. Vor einigen Jahren hielt er einen Vortrag an einer theologischen Hochschule in Kalifornien und hatte eine merkwürdige Auseinandersetzung mit einem Studenten. Ehe er mit seinem Vortrag beginnen konnte, stand ein Student auf und sagte folgendes: „Ehe Sie anfangen zu sprechen, muss ich etwas wissen. Sind Sie pfingstlerisch?“ In dem Raum wurde es ganz still. Der Theologe war zunächst in Verlegenheit, denn er konnte diese Frage nicht einordnen. Er schaute im Raum nach dem Präsidenten dieser Schule – in der Hoffnung, dass er ihm aushelfen könnte – aber er war nirgendwo zu sehen. Also versuchte er herauszufinden, was der Student von ihm wollte. Er fragte zurück: „Was meinen Sie genau mit Ihrer Frage? Möchten Sie wissen, ob ich zu einer Pfingstkirche gehöre?“ Der Student erwiderte: „Nein, das meine ich nicht: Ich möchte wissen, ob Sie pfingstlerisch sind?“ Der Theologe konnte diese Frage immer noch nicht einordnen und fragte: „Fragen Sie mich, ob ich ein Charismatiker bin?“ Der Student erwiderte unerbittlich: „Ich frage Sie, ob Sie pfingstlerisch sind.“ Der Theologe fragte zurück: „Möchten Sie wissen, ob ich in Zungen rede – in einer Sprache, die direkt vom Heiligen Geist kommt?“ Der Student ließ nicht locker: „Ich möchte wissen, ob Sie pfingstlerisch sind.“ Der Theologe Frederick Craddock musste eingestehen: „Ich verstehe Ihre Frage nicht.“ Daraufhin sagte der Student: „Es ist offensichtlich, dass Sie nicht pfingstlerisch sind“. Und nach dieser Feststellung verließ er den Raum.

Es ist kein Wunder, dass der Theologe verwirrt war, denn pflingstlerisch ist ein Wort, das es eigentlich nicht gibt. Es gibt Pfingsten als Hauptwort, aber wer aus Pfingsten ein Adjektiv macht, hat ein neues Wort geschaffen. Pfingsten bezeichnet ein historisches Ereignis. „Pfingstlerisch“ beschreibt die Fortsetzung dieses Ereignisses.

Und es kann gut sein, dass wir als Kirchengemeinde die Aufgabe aufgreifen sollten, eine pfingstlerische Gemeinschaft zu sein – auch wenn wir, wie der Theologieprofessor - diesen Begriff zunächst nicht einordnen können.

Pfingsten bezeichnet das Ausgießen des heiligen Geistes an alle Mitglieder der damaligen Jesusanhängerschaft. Pfingsten gilt als Geburtsstunde der Kirche. Und zwei Anhaltspunkte machen das Pfingstereignis aus.

Erstens: der Geist Gottes wurde auf alle ausgegossen. Grundsätzlich jeder Mensch sollte von dem heiligen Geist erfasst werden. Und Zweitens: der christliche Heilsweg wurde öffentlich sichtbar gemacht.

Denn nach Ostern war christlicher Glaube zunächst eine reine Privatsache. Die Anhänger Jesu hatten zwar in ihren Herzen einen Osterglauben, aber sie hielten sich versteckt, weil sie Angst hatten, als Anhänger eines Gekreuzigten verhaftet zu werden. Aber als der Heilige Geist in ihre Herzen ausgegossen wurde, konnten sie nicht länger unter sich bleiben. Sie spürten einen unwiderstehlichen Drang, öffentlich zu verkünden, was sie erlebt und gelernt hatten. In diesem Moment entstand die Kirche.

'La Pentecôte Heures d'Étienne Chevalier', Jean Fouquet, 15th century

Bis zu diesem Pfingstfest wurde der heilige Geist nur bei einzelnen Auserwählten tätig. Ab Pfingsten sollten alle, die zu Christus gehören, von dem heiligen Geist erfasst werden. Wie Petrus in seiner Pfingstpredigt feststellte

Das ist's, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist (Joel 3,1-5): »Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch.“

Mit anderen Worten: An Pfingsten wurde eine pflingstlerische Kirche eingeführt. Grundsätzlich jeder sollte von dem Heiligen Geist erfasst werden und grundsätzlich jeder sollte eine erkennbare Wirkung auf Außenstehende haben.

Und genau dieses Motiv wird in dem 12. Kapitel des Korintherbriefes aufgegriffen.
Am Anfang des 12. Kapitels stellt Paulus fest:

Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist....In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller; ..und teilt einem jeden das Seine zu, wie er will.

Und in dem Text, der für heute vorgesehen ist, heißt es:

Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft ... und sind alle mit einem Geist getränkt.

Und nach dieser Feststellung, dass jedes Glied der Gemeinde eine Geistesgabe bekommen hat, beschreibt er die Gemeinde als einen Leib, in dem jedes Glied eine unentbehrliche Rolle spielt.

Jedes Gemeindemitglied hat also eine charismatische Gabe, die für das Ganze eine lebenswichtige Bedeutung hat. Jeder von uns hat eine Geistesgabe - das heißt: eine auffällige und nicht natürlich erklärbare Gabe, die einen himmlischen Ursprung hat und die auch himmelwärts zeigt. Ein Theologe hat den Begriff „Geistesgabe“ mit zwei unkonventionellen Umschreibungen erläutert: Eine Geistesgabe sei wie eine „Eintrittskarte“ in die christliche Gemeinschaft; jeder Getaufte bekommt eine solche Eintrittskarte. Und eine Geistesgabe sei eine „Reklameveranstaltung“ für Gott. Wenn Außenstehende Menschen begegnen, die eine Gabe des heiligen Geistes haben, können sie durch solche Menschen leichter zu Gott finden.

Unbedingt jeder von uns hat eine Geistesgabe. Eine der größten Versäumnisse der evangelischen Kirche in der Vergangenheit war es, dass sie nach diesen Geistesgaben nicht konsequent gefragt oder gesucht hat. Denn es kommt zu häufig vor, dass Gemeindeglieder das Gefühl haben, nicht gebraucht zu werden, nichts beitragen zu können, an keinem Punkt Begeisterung zu spüren oder auszustrahlen.

In Südafrika, zur Zeit der Apartheid, fragte ein junger, schwarzer Mann seinen Pfarrer, warum die Schwarzen so viel Armut, Entbehrung und Unterdrückung erleiden müssten. „Warum tut Gott nichts dagegen?“ fragte er. Und der Pfarrer erwiderte: „Er hat schon etwas getan: er hat dich geschaffen.“ Dieser Schwarze, der übrigens Desmond Tutu heißt, entdeckte in diesem Moment, dass er die Antwort auf seine eigene Frage war. Und so ist es in jeder Gemeinde. Anstatt zu fragen, warum Gott so wenig tut, sollte man eher danach fragen, was Gott schon getan hat, indem er Christen mit Geistesgaben ausgestattet hat.

Der Text, der für heute vorgesehen ist, fordert jeden Einzelnen von uns dazu auf, zu überlegen: Was ist deine Geistesgabe, die Gott dir persönlich gegeben hat? Welche Rolle kannst du in dem Leib Christi spielen, die kein anderer spielen kann? Wo wirst du gebraucht? Was ist deine persönliche Brücke zwischen Gott und Gemeinde? Wo spürst du Begeisterung, die für andere ansteckend sein könnte?

Ein Theologe hat einige moderne Geistesgaben aufgeführt, die er persönlich beobachtet hat, und die er exemplarisch aufführt:

  • Die Gabe, mit tauben, von Alzheimer geplagten alten Menschen so umzugehen, dass sie einen ganzen Abend lang lachen und glücklich sind.
  • Die Gabe, für Erst- und Zweitklässler so Religionsunterricht zu geben, dass sie ein Leben lang eine Ahnung haben von der Güte und Barmherzigkeit Gottes.
  • Die Gabe, eine unbesiegbare Fröhlichkeit und eine „Leichtlebigkeit“ zu zeigen, die nichts zu verlieren, aber schon jetzt alles gewonnen hat.
  • Die Gabe, die in vielen Frauen zu sehen ist, die in großer Güte nichts für sich behalten, sondern im Schenken glücklich sind, die sich gerne ausbeuten lassen, aus Sehnsucht nach dem glücklichen Lächeln der Beschenkten.
  • Die Gabe eines Arztes, der durch seinen Humor die Gebeugten und Leidenden mehr tröstet, als es durch Medikamente je möglich wäre.
  • Oder die Gabe einer Fotografin, die es versteht, in verborgenen Ecken einer Stadt deren Schönheit, deren Schweigen und deren Geheimnis anzudeuten.“

Etwas, was ich persönlich in den letzten 30 Jahren erlebt habe, ist, dass die evangelische Kirche tatsächlich immer mehr eine pfingstlerische Kirche geworden ist. Es gibt heute in unserer Gemeinde eine breitgestreute Fähigkeit, die Bibel mit Vollmacht auszulegen und es gibt die Fähigkeit, spontane, persönliche Gebete im Gottesdienst vorzutragen, die vor einigen Jahrzehnten noch unvorstellbar war. Es gibt in unserer Gemeinde eine Vielfalt von Gottesdienstformen, in denen normale Gemeindemitglieder ihren Glauben eindrucksvoll bezeugen.

Wir haben schon jetzt eine Vielfalt von charismatischen Gaben in der Gemeinde. Charismatische Gaben zeigen sich an überraschenden Stellen. Zum Beispiel: wenn ein Mensch den Gemeindebrief austrägt und diesen Dienst jahrelang mit einer unermüdlichen Treue tut, so ist das ein Zeichen, dass der heilige Geist am Wirken ist. Oder wenn ein Mitglied eines Besuchsdienstes so ins Gespräch mit Menschen kommt, dass der eigene Glaube aufflammt und wahrnehmbar wird, so ist das eine Geistesgabe. Oder wenn eine Chorprobe eine seelsorgerliche Dimension bekommt, wenn Chormitglieder anfangen, einander zu stützen und füreinander zu beten, dann ist der heilige Geist am Wirken.

Das Ziel muss es sein, dass jeder von uns die eigenen charismatischen Gaben entdeckt. Aber wie entdeckt man Geistesgaben?

Geistesgaben kommen zum Vorschein an den Grenzen des Lebens. Die Entdeckung von Geistesgaben hat oft etwas mit Überforderung zu tun. Es geschieht häufig so, dass Geistesgaben spürbar werden, wenn ein Mensch die Grenze seiner Leistungs- oder Leidensfähigkeit überschritten hat. Wenn jemand an der Grenze des Zumutbaren erfährt, dass er von Gott gehalten, getröstet und gestärkt wird, dann kommen Geistesgaben zur Geltung, die immer da waren und die man auch weitergeben kann.

Wir sollen Gott darum bitten, die Geistesgaben zu offenbaren, die er uns geschenkt hat. Denn wir können auf keine einzige Gabe verzichten. Jedes Glied des Leibes Christ ist unentbehrlich.
Möge Gott uns allen helfen, dass jeder von uns entdeckt, welche unverzichtbare Rolle er oder sie spielen kann.

Das Bild 'La Pentecôte Heures d'Étienne Chevalier', Jean Fouquet, 15th century, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

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