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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: „Das Wort ward Fleisch“: die Körpersprache Gottes

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Heiligabend - Spätgottesdienst

„Das Wort ward Fleisch“: die Körpersprache Gottes

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt am 24. Dezember

'Heilung des Taubstummen', 1979 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'Heilung des Taubstummen', 1979
Walter Habdank. © Galerie Habdank

In der viktorianischen Zeit in England gab es einen Prediger, der seine Körpersprache auf der Kanzel für so wichtig hielt, dass er sie genau programmierte. In seinen Predigtmanuskripten standen Anweisungen am Rande des Textes, wie er sich bei bestimmten Sätzen verhalten wollte. Er hat zum Beispiel geschrieben: „Erhebe die rechte Hand hier“. Nach einem anderen Satz schrieb er: „zehn Sekunden Stille einlegen“. Bei einer anderen Stelle hieß es: „flüstere diesen Satz“. Seine Predigten müssen dramatisch gewesen sein, denn nach einem Satz hat er sogar geschrieben: „an dieser Stelle weinen“.

Dieser Geistliche aus dem 19. Jahrhundert, der seine Körpersprache so konkret überlegte, war entweder faszinierend oder unerträglich, aber auf jeden Fall muss er einen unvergesslichen Eindruck hinterlassen haben. Und er war seiner Zeit weit voraus, denn heute ist es erwiesen, dass ein Mensch wesentlich mehr durch Körpersprache mitteilt als durch Worte.

Seit 1960 ist die Untersuchung der Körpersprache zu einer Wissenschaft geworden, und es ist von einem Forscher festgestellt worden, dass das, was bei einer Mitteilung ankommt, nur zu 7% aus den gesprochenen Worten besteht; Tonfall, Gesten, Gesichtsausdruck, Körperhaltung machen die restlichen 93% einer Mitteilung aus. Seit den 60er Jahren haben Forscher fast eine Millionen Signale registriert, die ein Mensch durch Körpersprache aussenden kann. Ein Mensch hat durchschnittlich vielleicht 10.000 Worte zur Verfügung, was seine mündliche Sprache betrifft. Durch Körpersprache aber hat er das Hundertfache an Ausdrucksmöglichkeiten.

In der Kirche haben wir eine Neigung, uns an Worten zu ergötzen; und nichtmündliche Mitteilungen werden unterschätzt. Aber aus eigener Erfahrung weiß jeder, wie schnell Worte in Vergessenheit geraten, aber wie ein Tonfall oder eine Geste jahrzehntelang unvergesslich bleiben können, besonders wenn der Tonfall oder die Geste verletzend wirkten.

Wenn Sie an die Prediger denken, die Sie gekannt haben, werden Sie feststellen, dass Sie so gut wie alles vergessen haben, was Ihnen mündlich mitgeteilt wurde, aber dass Sie Tonfall und Körperhaltung nie vergessen werden.

Zum Beispiel: in meiner Kindheit war ich jeden Sonntag mit meinen Eltern im Gottesdienst. Ich habe alles vergessen, was der Prediger sagte. Aber ich habe ihn immer noch vor Augen, denn sein Ton und seine Gesten waren aggressiv, so dass ich mich immer wieder fragte: Warum ist er mit der Gemeinde böse? Ich habe heute keinen Zweifel, dass mein Eindruck damals richtig war: dieser Mann ging auf die Kanzel mit ungelösten Konflikten in seinem Herzen und diese ungelösten Spannungen konnte er körperlich nicht verbergen. Alle seine gutgemeinten Worte wurden durch seine grimmige Körpersprache übertönt.

Bei einem anderen Prediger habe ich auch alle Worte vergessen, aber seine Gestik, wie er mit seinem rechten Zeigefinger von oben herab auf die Gemeinde deutete, werde ich nie vergessen, denn diese Geste verkörperte seine Botschaft.

Ich erwähne das alles, denn die Bedeutung von Körpersprache muss man wissen, um Weihnachten zu verstehen. Denn das Weihnachtsereignis ist in dem Satz aus dem Johannesevangelium zusammengefasst: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“ (Johannes 1, 14). Warum hat das Wort Gottes Fleisch und Blut angenommen? Das Wort wurde Fleisch, weil Körpersprache die eigentliche Sprache der Menschen ist. Mit leiblosen Worten aus dem Jenseits hätte Gott sich nicht offenbaren können. Ohne körperliche Mitteilung kann es keine Verständigung zwischen Gott und Menschen geben.

Es fällt uns Christen schwer, diese Wahrheit zu begreifen, denn die Kirche ist teilweise durch die antike hellenistische Vorstellung von Leib und Seele beeinträchtigt worden. Viele Christen haben die Vorstellung, dass sie eine unsterbliche Seele haben, die unabhängig von dem Körper ein Eigenleben führen kann. Nach dieser Vorstellung ist der Körper nur ein Gefängnis für die Seele: erst wenn der Körper stirbt oder durch Askese gezüchtigt wird, kann die Seele zu Gott hochsteigen. Aber diese hellenistische Denkweise ist unbiblisch. Es gibt einen Wirtschaftspsychologen, der durch seine Forschung Folgendes festgestellt hat:

„Warum können wir von einer Sprache des Körpers sprechen? Die einfache Antwort lautet: Weil der Mensch sein Körper ist. Er hat nicht einen Körper...Er ist wahrhaftig und ganz eindeutig sein Körper. Sein Körper ist der Träger von Seele-Geist, er ist der Träger des ganzen Menschen. Und weil der Mensch eine Ganzheit ist, eine geschlossene Einheit von Seele und Körper, die wir nicht auflösen oder zerschneiden können, ohne ihn um sein Leben zu bringen, deshalb sind Seele und Körper eins.“

Was dieser Forscher schreibt, entspricht der biblischen Denkweise.

Wenn man weiß, wie eng Seele und Körper zusammenhängen, dann wird man verstehen, warum Gott Mensch werden musste. Und auf einmal wird es auffällig, wie sehr Jesus sich der Körpersprache bediente. Vielleicht wäre es keine Übertreibung, zu sagen, dass 90% der Botschaft Jesu aus Körpersprache besteht.

Und was war die Körpersprache Jesu? Zum Beispiel:

  • er fastete
  • er rührte einen Aussätzigen an
  • er fasste Kranke an der Hand
  • er legte seine Hände auf Kinder und umarmte sie
  • er aß mit Zöllnern und Sündern an einem Tisch
  • er trieb Geldwechsler aus dem Tempel mit einer Peitsche
  • er schlief in einem Boot während eines Sturmes
  • er zog Petrus aus dem Wasser
  • er steckte seine Finger in die Ohren eines Tauben
  • er warf sich auf den Boden und betete
  • er sah auf zum Himmel, dankte und brach Brote und gab sie seinen Jüngern
  • er seufzte
  • es jammerte ihn (wortwörtlich: seine Innereien wurden in Mitleidenschaft gezogen)
  • er weinte
  • er spuckte auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen eines Blinden
  • er hauchte seine Jünger an, um den heiligen Geist zu übertragen
  • er bückte sich und schrieb auf die Erde
  • er drehte sich um und schaute Petrus an (nach seiner Verleugnung)
  • er schwieg
  • er hing am Kreuz
  • er schrie mit lauter Stimme und starb
  • er stand auf von den Toten
  • als Auferstandener
    • zeigte er seine Narben
    • er aß ein Stück gebratenen Fisch
    • er bereitet eine Mahlzeit vor

Alles, was Jesus mit seinem Körper tat, hatte eine symbolische Aussage. Wenn er auf einen Berg stieg oder den See Genezareth überquerte und das jenseitige Ufer erreichte, steckte eine Botschaft in solchen Handlungen.

Auch seine Lehrworte zeigen eine Feinfühligkeit für Körpersprache: „Wenn dich jemand auf deine rechte Wange schlägt, dem biete die andere auch dar.“ Oder: „Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer aussehen wie die Heuchler, um sich vor den Leuten zu zeigen mit ihrem Fasten.“ Jesus lehrte wie einer, der moderne Forschungsergebnisse kennt und weiß, dass Körpersprache 93% einer Mitteilung ausmacht.

Und die Körpersprache Jesu hörte mit seinem irdischen Leben nicht auf, sondern nach seiner Himmelfahrt wurde die Kirche zu dem „Leib Christi“. Wie ein Theologe formulierte: „Christus kann sein Leben heute in dieser Welt nicht leben ohne unseren Mund, unsere Augen, ohne unser Kommen und Gehen, ohne unser Herz. Wenn wir lieben, ist es Christus, der durch uns liebt.“ Die Körpersprache Jesu setzt sich in der Christenheit fort.

Besonders wir Protestanten sind damit angesprochen. Es ist typisch protestantisch, zu denken, dass es in Glaubensdingen hauptsächlich auf eine innere, seelische Haltung ankommt. Wir müssen lernen, dass es ein großer Unterschied ist, ob man Gott in dem privaten Kämmerlein anbetet, oder ob man sich zu Christus öffentlich bekennt, indem man zum Abendmahlstisch kommt und dort Brot isst und Wein trinkt. Außerdem strahlen Gottesdienstbesucher Tausende von Signalen aus, die eine Anbetung Gottes bezeugen oder leugnen, je nachdem wie sie sitzen, stehen, singen, hören, sprechen und schweigen. Die Symbolik der Körpersprache ist keine Belanglosigkeit.

'Father Damien', 1888

Im Jahre 1893 wurde ein katholischer Priester aus Belgien zu einer Lepra-Kolonie auf der hawaiischen Insel Molokai geschickt. Als Pater Damien, wie er hieß, dort ankam, versuchte er sofort eine persönliche Beziehung zu jedem einzelnen aufzubauen. Aber er stieß überall auf Distanz. Er baute eine Kapelle und mit Herz und Seele versuchte er, den Leprakranken zu dienen. Aber alles, was er versuchte, kam nicht an. Sein Dienst als Priester war offenbar vergeblich. Nach zwölf Jahren mühsamer Arbeit, beschloss der Priester aufzugeben und nach Hause zu reisen. Als er an der Hafenanlage stand und auf sein Schiff wartete, rieb er seine Hände aus Nervosität zusammen und dachte an seine vergebliche Mühe. Er stellte auf einmal fest, dass seine Hände wie betäubt waren und weiße Flecken hatten. Sofort wusste er, was los war: er hatte Lepra.

Er kehrte zurück zur Kolonie. Innerhalb von einigen Stunden wusste jeder Aussätziger dort, dass er einer von ihnen geworden war. Hunderte von Aussätzigen besuchten ihn; sie verstanden seine Ängste. An dem darauffolgenden Sonntag nahm Pater Damien seine Gottesdienste wieder auf. Die Kirche war überfüllt; viele mussten draußen stehen. Sein Dienst als Priester war auf einmal enorm anziehend, und er blieb erfolgreich bis zu seinem Tod.

Dieses Ereignis dient als Veranschaulichung des Christusereignisses. Dieser Priester konnte die Kluft zwischen ihm und den Aussätzigen mit Worten allein nicht überbrücken, obwohl er sein Herz ausschüttete; erst als er den Körper eines Aussätzigen annahm, konnte er diese Kranken erreichen mit der Botschaft von der Liebe Gottes.

So war es auch mit Gott. Mit Worten allein konnte er die Kluft zwischen ihm und den Menschen nicht überbrücken. Das Wort musste Fleisch annehmen. Und von diesem fleischgewordenen Wort heißt es in dem Propheten Jesaja: „Fürwahr er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen.“

Dass Gott Fleisch und Blut annahm, um sich unserer Körpersprache zu bedienen, ist das, was wir heute Abend feiern. Und wir sind dazu berufen, die Körpersprache Gottes in Christus fortzusetzen.

Die Photographie 'Father Damien', 1888, ist gemeinfrei in den Vereinigten Staaten. Dies gilt für US-amerikanische Werke, deren Urheberrecht erloschen ist, üblicherweise, weil ihre Erstveröffentlichung vor dem 1. Januar 1923 liegt.

Wir danken Frau Friedgard Habdank sehr herzlich, dass sie uns die Bilder ihres Mannes auf so großzügige und kostenlose Weise zur Verfügung gestellt hat. © Galerie Habdank, www.habdank-walter.de

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