Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigt von Pfarrer Phil Schmidt: Joh. 16, 16. 20 – 23a Geburtswehen des Messias

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'Icon of Second Coming', 1700, Anonymous, Greece

Jubilate - Dritter Sonntag in der Osterzeit

Geburtswehen des Messias Joh. 16, 16. 20 – 23a

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt am 16.05.2011 in der Bergkirche und im Kirchsaal Süd

Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden. Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. Und auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen. Joh. 16, 16. 20 – 23a

Salt Lake City ist die Hauptstadt einer Glaubensgemeinschaft, die sich Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage nennt. Die Mitglieder werden Mormonen genannt. In dieser Stadt gibt es einen Getreidebehälter, in dem 19 Millionen Pfund Weizenkörner gelagert sind. Diese Menge reicht aus, um eine kleine Stadt 6 Monate lang zu ernähren. Dieses Getreidelager ist nicht zum Verteilen vorgesehen, sondern ist eine eiserne Reserve für besondere Notsituationen. „Die Heiligen der letzten Tagen“ reden nicht in der Öffentlichkeit über diesen Getreidebehälter, aber nach Aussage einer internationalen Zeitschrift bezeugt der Behälter einen Glaubensinhalt.

'Welfare Square grain silo', 2006, Ricardo630

Es gibt nämlich eine Reihe von Bibelstellen, die auf eine Endzeit hinweisen. Die jetzige Weltordnung soll aufgelöst werden, danach wird Gott ein neues Zeitalter einleiten, indem er Frieden und Gerechtigkeit auf eine umfassende Weise verwirklicht. Diese endgültige Heilszeit soll aber durch eine leidvolle Übergangsphase eingeleitet werden. Diese Übergangszeit wird manchmal „Tag des Herrn“ genannt. Es soll eine Zeit des Chaos, des Hungers, der Naturkatastrophen und der Verfolgung sein.

Typisch ist eine Stelle in dem Propheten Jesaja, wo der Tag des Herrn mit drastischen Worten beschrieben wird:

Denn siehe, des HERRN Tag kommt grausam, zornig, grimmig, die Erde zu verwüsten und die Sünder von ihr zu vertilgen. Denn die Sterne am Himmel ...scheinen nicht hell, die Sonne geht finster auf, und der Mond gibt keinen Schein (Jes. 13, 9. 10)

In der Zeit nach der Zerstörung des 2. Tempels kam der Begriff „Geburtswehen des Messias“ auf. Die schmerzhafte Übergangszeit vor dem Erscheinen des Messias wurde als die „Geburtswehen des messianischen Zeitalters“ bezeichnet.

Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage ist offensichtlich auf die Endzeit vorbereitet Die Getreidereserve in Salt Lake City ist für die chaotische Übergangszeit vorgesehen, die der Wiederkehr Jesu Christi vorausgehen soll. Außerdem werden alle Kirchenmitglieder ermutigt, eine Lebensmittelreserve anzuschaffen, die für ein ganzes Jahr des Notstandes ausreichen soll. Die Mormonen sind also für die Ankunft des Messias vorbereitet.

Es ist auf der einen Seite eindrucksvoll, wenn biblische Stellen so konkret ausgelegt werden, dass es praktische Folgen gibt, die durch fleißige Vorbereitungsarbeit zum Ausdruck kommen. Aber auf der anderen Seite kann es gut sein, dass die gefürchtete Zeit der Geburtswehen nicht in der fernen Zukunft liegt, sondern schon längst da ist.

Denn in dem Text, der für heute vorgesehen ist, spricht Jesus auch von einer Übergangszeit und von Geburtswehen:

Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden. Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst.

'The Second Coming of Christ window at St. Matthew's Lutheran Church in Charleston', 1966, Cadetgray

Die Worte Jesu können doppeldeutig verstanden werden. Vordergründig gesehen, könnte die Kreuzigung Jesu gemeint sein, die kurz bevorstand und ein „Tag des Herrn“ war, ein Tag der Finsternis. Nach seinem Tod am Kreuz war Jesus eine kleine Weile weg. Es gab Weinen und Klagen. Am dritten Tag erschien er als der Auferstandene; Trauer wurde in Freude verwandelt. Nach einer kleinen Weile war er wieder zu sehen.

Aber Jesus spricht offensichtlich von einem Tag, der noch bevorsteht. Denn es wird von einer Freude gesprochen, die unansatbar sein wird. Es wird von einem Tag gesprochen, an dem es keine Fragen mehr geben wird, weil eine durchdringende Klarheit eingetreten ist. Jesus sagt: An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen.

Bis dahin herrscht eine Übergangszeit der Trauer und Angst. Glaubensgemeinschaften, die wie die Mormonen manche Bibelstellen allzu wortwörtlich verstehen, neigen dazu, die Worte Jesu, die von Trauer, Schmerz und Geburtswehen sprechen, in die Zukunft zu verlegen.

Aber die Geburtswehen der neuen Welt sind schon jetzt zu spüren. Denn Christen sind Fremdkörper in dieser Welt und deswegen werden sie ausgegrenzt und verfolgt. Wer zu Christus gehört, muss mit Spott, Hohn und Unverständnis rechnen. Hier in Deutschland wird es kaum zu Verfolgung kommen – wie in muslimischen und kommunistischen Ländern – aber im Allgemeinen ist Verfolgung ein Merkmal der Christenheit. Nach einer empirischen Statistik werden täglich 500 Christen ermordet, einfach weil sie zum Christentum gehören. Von Anfang bis heute bedeutete Christusnachfolge, ein Kreuz zu tragen.

Exemplarisch ist die Erfahrung einer Frau in Rumänien. Sie hatte eine Begegnung mit Christus, die sie verwandelt hatte. Sie war von der Bedingungslosigkeit der Liebe Gottes so ergriffen, dass sie ein unwiderstehliches Mitteilungsbedürfnis hatte. Sie ging in Gaststätten und in andere öffentliche Räume und sagte zu allen, die ihr begegneten: „Jesus liebt Sie!“ In einem Bahnhof sah sie zwei Männer und sagte zu ihnen:„Jesus liebt Sie!“ Einer der Männer gab ihr eine Ohrfeige. Sie erwiderte: „Im Namen Christi vergebe ich Ihnen!“ Wieder gab es einen Schlag ins Gesicht und wieder sprach sie Vergebung im Namen Christi aus. Die Männer schlugen auf sie ein. Sie leistete keinen Widerstand und sprach immer wieder von der Liebe und Vergebung Jesu Christi. Als sie gefunden wurde, war sie fast tot und brauchte ein Jahr, um sich von diesem Angriff zu erholen. Eines Tages saß sie vor ihrem Haus und ein Mann, der zufällig vorbei lief, schaute sie an und sagte. „Ich bin ein gläubiger Mensch. Erkennen Sie mich denn nicht? Ich bin einer von denen, die Sie vor einem Jahr zusammengeschlagen hatte. Wegen Ihres Zeugnisses bin ich Christ geworden.“

'Forty Martyrs of Sebaste', end of XIX c., anonimus

Diese Begebenheit veranschaulicht eine Dynamik des christlichen Glaubens. Christsein bedeutet, eine Liebe zu bezeugen, die bedingungslos und wehrlos ist. Diese bedingungslose, wehrlose Gnade ist nicht harmlos, sondern geht den Menschen unter die Haut und erregt das Bedürfnis, diese Gnade zu disqualifizieren. Es gibt nichts, was uns Menschen so grundsätzlich in Frage stellt, wie die reine Gnade Jesu Christi, wenn sie in einem Menschen Gestalt angenommen hat. Martin Luther hat von der Verfolgung geschrieben, die Christen zu erwarten haben. Er stellte fest, dass Widerstand gegen Christen deswegen entseht, „weil sie Christus allein und keinen andern Gott haben wollen.“ Das heißt: ein Mensch, der die bedingungslose Barmherzigkeit Gottes so verkörpert, dass er bereit ist, im Namen Christi Unrecht zu erleiden, muss damit rechnen, dass die Mitmenschen – und sogar Kirchenmitglieder - mit Unverständnis und mit Hohn reagieren, weil sie sich grundsätzlich in Frage gestellt fühlen, weil sie noch nicht wissen, wer Gott wirklich ist.

Wer zu Christus gehört steht in Widerspruch zu dieser Welt und muss mit Widrigkeiten rechnen. Ein englischer Philosoph, Francis Bacon, hat im 16. Jahrhundert eine Feststellung gemacht, die in diesem Zusammenhang relevant ist. Es geht um die Bedeutung des Wortes Segen. Im Alten Testament galten Wohlstand, Wohlergehen und ein langes Leben als Zeichen des göttlichen Segens. Auch Christen erwarten diese Art Segen von Gott und sind befremdet, wenn sie etwas Unzumutbares erleiden müssen. Aber in Christus bekam Segen eine völlig neue Dimension. Francis Bacon sagte: „Im Alten Testament bedeutet Segen Wohlergehen; im Neuen Testament bedeutet Segen Widrigkeit.“ Das heißt: in Widrigkeit steckt die Verheißung der neuen Welt, die Gott schaffen will. Menschen, die im Namen Jesu Christi bereit sind, Trauer, Unrecht und Ausgrenzung zu ertragen, tragen den Segen der kommenden Zeit in sich. Zuletzt wird dieser Segen sich entfalten und durchsetzen.

In dem Johannestext, der für heute vorgesehen ist, sagt Jesus: „Eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden.“ Das heißt: die wahre Freude ist nicht etwas, was bloß nach der Traurigkeit kommt, sondern sie entspringt aus der Traurigkeit. Der Schmerz, den ein Mensch im Namen Jesu Christ aushält, enthält die Freude, die sich zuletzt entfalten wird. Trauer gebiert Freude. Die Finsternis der Nacht enthält das unvergängliche Licht des kommenden Tages.

Zum Abschluss ein Gebet, dessen Verfasser unbekannt ist.

'Inishmore Kreuz aus Stein auf den Aran-Inseln', 2005, Jim from Lexington, KY, USA

Ich bat Gott, meine Trauer wegzunehmen. Er sagte aber: „Nein“.
Trauer soll nicht von dir genommen werden, sondern soll von dir ausgehalten werden.

Ich bat Gott, mein gebrochenes Herz zu heilen. Er sagte aber: „Nein”.
Denn dein Herz ist schon intakt; dein Schmerz ist vorübergehend.

Ich bat Gott um Geduld. Er sagte aber: „Nein”.
Geduld entsteht durch Kummer und Sorge.
Sie kann nicht geschenkt werden, sondern wird erarbeitet.

Ich bat Gott um Glück. Er sagte aber: „Nein”.
Ich schenke Segen. Ob du daraus Glück ableitest, hängt von dir ab.

Ich bat Gott um Verschonung von Schmerzen. Er sagte aber: „Nein”.
Schmerz entfernt dich von weltlichen Sorgen und bringt dich näher zu mir.

Ich bat Gott, meinen Geist reifen zu lassen. Er sagte aber: „Nein”.
Reifen ist deine Aufgabe. Ich schneide das ab, was überflüssig ist, damit du fruchtbar wirst.

Ich fragte Gott, ob er mich liebt.
Er antwortete: Ja, ich gab meinen Sohn hin, der für dich starb.

Ich bat Gott, mir zu helfen, andere zu lieben, so wie er mich liebt.
Er sagte: „Ach, jetzt endlich verstehst du, worum es geht.“ Amen.

Die Photographie 'Welfare Square grain silo', 2006, Ricardo630 ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic license
Die Ikone 'Icon of Second Coming', 1700, Anonymous, Greece, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Das Glasfenster 'The Second Coming of Christ window at St. Matthew's Lutheran Church in Charleston' (window at St. Matthew's Lutheran Church in Charleston, SC. Franz Mayer & Co. of Munich, Germany represented by the studios of George L. Payne of Patterson, New Jersey 1966.), Cadetgray, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
Die Abbildung 'Forty Martyrs of Sebaste', end of XIX c., anonimus, ist im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.
Die Photographie 'Inishmore Kreuz aus Stein auf den Aran-Inseln', 2005, Jim from Lexington, KY, USA ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license.

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