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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 2. Advent Matthäus 24, 1 – 14 Apokalyptische Visionen der Zukunft

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2. Sonnntag im Advent

Apokalyptische Visionen der Zukunft Matthäus 24, 1 – 14

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt am 05.12.2010

'The Last Judgement', 1500–1700, Jean Cousin the Younger, also called Jehan Cousin Le Jeune

Und Jesus ging aus dem Tempel fort, und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels. Er aber sprach zu ihnen: Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde. Und als er auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger zu ihm und sprachen, als sie allein waren: Sage uns, wann wird das geschehen? Und was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der Welt? Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Seht zu, dass euch nicht jemand verführe. Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen. Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht. Denn das muss so geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da.
Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort. Das alles aber ist der Anfang der Wehen.
Dann werden sie euch der Bedrängnis preisgeben und euch töten. Und ihr werdet gehasst werden um meines Namens willen von allen Völkern. Dann werden viele abfallen und werden sich untereinander verraten und werden sich untereinander hassen. Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen. Und weil die Ungerechtigkeit überhandnehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten. Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden. Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen. Matthäus 24, 1 – 14

Es gibt eine uralte Legende von einem Bauern, der mit einem Pferdewagen nach Konstantinopel unterwegs war. Eine alte Frau am Wegrand sprach ihn an und bat darum, mitfahren zu dürfen. Er ließ sie auf den Wagen steigen und neben ihm sitzen. Als er sie näher anschaute, stellte er fest, dass sie unheimlich aussah. Er bekam Angst und fragte: „Wer sind Sie?“ Sie erwiderte: “Ich bin die Cholera.“ Der Bauer forderte sie sofort dazu auf abzusteigen. Aber die Frau überredete ihn, sie auf dem Wagen sitzen zu lassen, indem sie versprach, nicht mehr als 5 Personen in Konstantinopel zu töten. Um zu zeigen, dass sie es ernst meinte, überreichte sie ihm einen Dolch. Sie sagte: „Dieses Messer ist die einzige Waffe, die mich töten könnte. Wir treffen uns in zwei Tagen. Wenn ich mein Versprechen nicht einhalte, dürfen Sie mich umbringen.“ Nachdem die Frau In Konstantinopel ausstieg, brach die Cholera aus und 120 Menschen starben. Der Bauer war entsetzt und suchte die alte Frau auf, um sie zu töten. Als er sie fand, hob er den Dolch, aber er hielt an, als sie sagte: „Warte, ich habe mein Versprechen gehalten. Ich habe nur 5 getötet. Die anderen sind an Angst gestorben.“

'Constantinopolis', 1493, Michel Wolgemut, Wilhelm Pleydenwurff

Diese Legende veranschaulicht, dass Angst etwas Maßloses ist. Angst ist manchmal verhängnisvoller als konkrete Gefahren. Angst ist tödlich und Angst ist blind. Denn Angst beinhaltet immer die Furcht vor dem Unbekannten.

Der österreichischer Schriftsteller und Philosoph Elias Canetti schrieb: „Es gibt nichts, was Menschen mehr fürchten, als die Berührung mit dem Unbekannten. Ein Mensch will sehen, was ihm entgegenkommt und was nach ihm greift, er will es erkennen oder mindestens einordnen können.“ Aus diesem Grund gibt es Angst vor der Zukunft, denn die Zukunft ist unberechenbar. Zukunftsangst ist der Inbegriff aller Ängste.

In dem Text aus dem Matthäusevangelium, der für heute vorgesehen ist, geht es um die Zukunft. Was hier geschildert wird, scheint eine Horrorvision zu sein. Aber es geht nicht darum, uns Angst zu machen, sondern im Gegenteil: es geht darum, uns von aller Zukunftsangst zu befreien.

Was Jesus hier in dem 24. Kapitel des Matthäusevangeliums schildert, ist eine Mischung von verschiedenen Ungeheuerlichkeiten. Er fängt mit einer Voraussage der Zerstörung Jerusalems an. Aber dann geht es um die Frage: wie wird man erkennen, dass die Wiederkehr Christi und das Ende der Welt bevorstehen? Die Antwort auf diese Frage ist eine apokalyptische Vision. Eine katastrophale Auflösung der jetzigen Weltordnung wird geschildert. Dieser Zusammenbruch wird beschrieben als eine Zeit der Verführung, der Kriege, des sittlichen Verfalls und der Naturkatastrophen. Es wird eine Christenverfolgung vorausgesagt. Es soll eine Steigerung der Ungerechtigkeit, der Gewalt und der Feindschaft geben.

Diese Zukunftsvision darf man nicht allzu wortwörtlich nehmen, denn es geht hier um eine Beschreibung der Welt, so wie sie immer ist. Es sind vor allem Sektierer, die versucht haben, aus solchen apokalyptischen Visionen einen Kalender für den Weltuntergang herauszuarbeiten.

Zum Beispiel untersuchte ein Weltraumwissenschaftler mit dem Namen Edgar Whisenaut die Zukunftsvisionen der Bibel und veröffentlichte ein Buch mit dem Titel „88 Gründe weshalb die Welt im Oktober 1988 untergehen wird“. Innerhalb von einigen Monaten wurden 4 Millionen Exemplare dieses Buches verkauft. Nachdem es keine Wiederkunft Christi im Jahre 1988 gab, hat der Autor die Bibel noch einmal untersucht und festgestellt, dass er einige Fehler gemacht hatte. Daraufhin schrieb er ein neues Buch: „92 Gründe weshalb die Welt im Mai 1992 untergehen wird.“

Dieser Wissenschaftler ist nur eine von Hunderten, die die apokalyptischen Texte der Bibel falsch verstanden haben. Die Zeugen Jehovas, die Adventisten, die Neuapostolischen – um nur drei Gruppierungen zu nennen - haben mehrmals die Wiederkehr Christi und das Ende der Welt in einem bestimmten Jahr vorausgesagt.

Aber die apokalyptischen Visionen der Bibel sind Versuche, - wie ein Bibelausleger schreibt - „das Unbeschreibliche in Menschenworten zu erfassen und Bilder für etwas zu finden, wofür der menschlichen Sprache noch keine Bilder zur Verfügung stehen.“

Was Jesus im Matthäus 24 sagt, ist symbolische Sprache, die einige Botschaften enthält:

  1. Die Welt kann sich selbst nicht erlösen. Wer als Erlöser der Welt auftritt, ist unweigerlich ein Verführer. Jesus sagt voraus, dass es Möchtegern-Erlöser geben wird.
  2. Die Bilder von einem totalen Zusammenbruch, von einem sittlichem Chaos, bringen zum Ausdruck, dass der Mensch das Böse nicht in den Griff kriegen kann. Nur Gott kann das Böse überwältigen, aber er wird es nicht mit Gewalt tun. Die Antwort Gottes auf tödliche Gewalt ist nicht eine noch größere tödliche Gewalt. Sondern er wird das Böse sich selbst zugrunde richten lassen. Das Böse ist nicht allmächtig, sondern bringt sich selbst um. Seine Zeit ist begrenzt. Irgendwann beginnt ein neues Zeitalter für diese Welt. Irgendwann wird Gott seine Gerechtigkeit durchsetzen – auch im Totenreich -, und an dem Tag wird ein umfassender Frieden eintreten.
  3. Eine dritte Botschaft lautet: Gott wird diese Welt und die Menschheit nie preisgeben. Er wird sich zuletzt durchsetzen, aber auf eine Weise, die wir im Moment nicht berechnen können. Wie und wann Gott sich durchsetzt, ist unkalkulierbar. Die Hauptsache aber ist, dass die Zukunft einen Namen hat. Und dieser Name heißt Jesus Christus. Deswegen brauchen wir keine Angst vor der Zukunft oder vor dem Tod zu haben.

Die Botschaft der Bibel lässt sich deshalb in einem einzigen Satz zusammenfassen, nämlich in der Verkündigung des Engels zu den Hirten bei Bethlehem: „Fürchtet euch nicht!“ Das ist die Botschaft der Bibel: Fürchtet euch nicht, egal was eintreten mag.

'The mythical island of Thule on the Carta Marina
', 1539, Olaus Magnus

Es gibt antike Weltkarten, die vor der Zeit der großen Forscher entstanden sind: in der Zeit vor Marco Polo, Christoph Kolumbus und Ferdinand Magellan. Auf diesen Karten sieht man nicht nur weiße Flecken, sondern man sieht die Ängste, die es damals gab. Auf antiken Weltkarten gibt es Grenzbereiche, wo Schiffe angeblich von einer Weltkante in einen Abgrund hinabstürzen. Oder es gibt auf diesen Karten überdimensionale Seeungeheuer, die ganze Schiffe verschlingen können. Wenn Kolumbus sich nach diesen Karten gerichtet hätte, wäre er in Europa geblieben.

Diese antiken Weltkarten veranschaulichen, wie wir Menschen veranlagt sind. Da, wo das Unbekannte vorkommt, füllen wir die Lücken mit unseren Ängsten aus. Dies gilt besonders für die Zukunft. Was wir mit unseren Ängsten ausmalen, kann uns lähmen, krankmachen und innerlich erstarren.

Deswegen gibt es Zukunftsvisionen in der Bibel, wie z. B. den Matthäustext, der für heute vorgesehen ist. Diese Bilder sind kein Schönmalerei. Die Bibel schildert die Welt so wie sie ist - mit schonungsloser Deutlichkeit. Die apokalyptischen Bilder der Bibel greifen unsere schlimmsten Ängste und die schrecklichsten menschlichen Möglichkeiten auf. Diese Visionen verkünden die Botschaft: auch wenn das Schlimmste eintreten sollte, was der Mensch mit seiner Ängstlichkeit sich ausmalen kann, brauchen wir uns nicht zu fürchten. Denn Gott hat alles im Griff. Er hält die Zukunft dieser Erde in seiner Hand. Und diese Zukunft ist für uns voller Frieden, Geborgenheit und Herrlichkeit. Denn Jesus Christus kommt uns als Weltrichter und Weltherrscher entgegen. Vor ihm brauchen wir uns nicht zu fürchten, denn wir kennen ihn schon, wir kennen seine Liebe, seine Güte, seine Geduld, seine Barmherzigkeit und seinen Ostersieg. Deswegen sagt Jesus zu uns „Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ (Joh. 14, 27)

Der Holzschnitt aus der Schedelschen Weltchronik, Blatt 249 recto 'Constantinopolis', 1493, Michel Wolgemut, Wilhelm Pleydenwurff, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Das Gemälde 'The Last Judgement', 1500–1700, Jean Cousin the Younger, also called Jehan Cousin Le Jeune, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Abbildung 'The mythical island of Thule on the Carta Marina', 1539, Olaus Magnus, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

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