Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 9. Sonntag nach Trinitatis: Phil 3,7 - 11 Dauerhaft mit Jesus sein

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'Estudo pessoal da Bíblia', 2007, Steelman

9. Sonntag nach Trinitatis

Dauerhaft mit Jesus sein Phil 3,7 - 11

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2010

Aber was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet. Ja, ich erachte es noch alles für Schaden gegenüber der überschwänglichen Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn. Um seinetwillen ist mir das alles ein Schaden geworden, und ich erachte es für Dreck, damit ich Christus gewinne und in ihm gefunden werde, dass ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt, sondern die durch den Glauben an Christus kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird. Ihn möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden und so seinem Tode gleichgestaltet werden, damit ich gelange zur Auferstehung von den Toten. Phil 3,7 - 11

Es gab einen Mann namens Anthony Bloom. Er ist 1914 in der Schweiz geboren, er verbrachte seine Jugend in Persien und Russland und lebte als Flüchtling und Widerstandskämpfer in Frankreich. Als Jugendlicher setzte er sich mit dem christlichen Glauben grundsätzlich auseinander. Er wollte sich selbst überzeugen, dass christlicher Glaube unwahr ist. Er wollte dieses Thema ein für allemal abhaken. Er nahm sich vor, ein Evangelium zu lesen, damit er hinterher ehrlich sagen konnte: es ist alles Unsinn. Er wählte Markus aus, weil es das kürzeste Evangelium ist. Aber sein Vorhaben lief nicht so ab, wie er erwartet hatte. Er schreibt dazu folgendes:

'Selbstporträt mit Christuserscheinung', um 1900, Martin von Feuerstein

„Ehe ich das dritte Kapitel erreichte, wurde mir plötzlich bewusst, dass ich nicht allein war: gegenüber von mir war jemand anwesend. Die Gewissheit, dass Christus mit mir war, war so intensiv, dass sie mich nie verlassen hat. Dieser Moment war ein Wendepunkt. Weil Christus lebendig ist und weil ich in seiner Gegenwart war, war ich überzeugt, dass der Evangeliumsbericht von seiner Kreuzigung wahrhaftig war und dass der römische Hauptmann recht hatte, als er sagte: ‚Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn’."

Anthony Bloom wurde später Metropolit der russisch orthodoxen Kirche in Großbritannien.

Was er erlebte, hat einen exemplarischen Charakter. Christlicher Glaube fängt mit einer persönlichen Begegnung mit Jesus Christus an. Christsein bedeutet, dauerhaft in der Gegenwart Jesu Christi zu leben.

Eigenartigerweise scheint es nicht allgemein bekannt zu sein, dass christlicher Glaube etwas mit der Gegenwart Jesu Christi zu tun hat. Wenn ich zum Beispiel Konfirmanden frage: Was ist Christsein?, lautet die typische Antwort: Ein Christ ist jemand, der an Gott glaubt. In unserer Bevölkerung wird Christsein öfters mit Anständigsein oder mit sozialem Verhalten oder mit Zivilcourage gleichgesetzt. Es scheint sich nicht herumgesprochen zu haben - vielleicht sogar auch nicht in der Kirche - , dass ein Christ eine Person ist, die dauerhaft mit Jesus Christus lebt.

In dieser Hinsicht können wir etwas von Juden lernen. Ein Jude, der Christ wurde, stellte einen wesentlichen Unterschied zwischen Judentum und Christentum fest. Als er Jude war - sagte er - war seine Beziehung zu Gott distanziert. Als er Christ wurde, wurde seine Beziehung zu Gott intim und persönlich. Und diese persönliche, intime Beziehung zu Gott ist nichts anderes als eine persönliche und intime Beziehung zu Jesus Christus.

Der Apostel Paulus hat das schon vor 2000 Jahren so erlebt. Er war ein eifriger Jude gewesen, aber als er Jesus Christus begegnet ist, war es, als ob er zum ersten Mal Gott kennen gelernt hatte. In dem Philipperbrieftext spricht er von Gerechtigkeit. Gemeint in diesem Zusammenhang ist das rechte Verhältnis zu Gott. Gerechtigkeit - eine gültige Beziehung zu Gott - wurde für Juden zur Zeit Jesu durch die 5. Bücher Mose und durch 613 biblische Gebote definiert, was auch Torah genannt wurde. Aber als Paulus Jesus Christus begegnete und eine persönliche Beziehung zu ihm bekam, hat sich alles auf den Kopf gestellt. Das, was vorher so wertvoll erschien, war auf einmal „Dreck“, wie Luther übersetzte. Paulus benutzt im Urtext einen Ausdruck, der noch viel drastischer und unappetitlicher ist, den ich nicht wiedergeben möchte.

Für Paulus kommt es jetzt darauf an, Jesus zu erkennen – wie er schreibt. Gemeint ist nicht bloß, die Lehre Jesu oder seine Biographie zu erkennen oder eine korrekte Theologie über Jesus zu erkennen, sondern gemeint ist eine persönliche Beziehung zu ihm. Paulus umschreibt sein Leben in Christus mit den folgenden Worten:

Ihn möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden und so seinem Tode gleichgestaltet werden, damit ich gelange zur Auferstehung von den Toten.

'Painting of Jesus Christ', 2008, Roman Zacharij

Eine Veranschaulichung, was diese Worte des Paulus bedeuten könnten, liefert eine Frau aus England mit dem Namen Margaret Spufford. Sie ist beruflich eine Historikerin, aber sie ist auch eine Laienpredigerin in ihrer Kirche. Als ihre Tochter 22 Jahre alt war, starb sie. Es war schon im Säuglingsalter vorauszusehen, dass die Tochter wegen einer schweren Krankheit als junger Mensch sterben würde. Als die Tochter starb, erlitt Frau Spufford einen nervlichen Zusammenbruch. Sie konnte nicht verkraften, was eingetreten war. 7 Monate später bekam sie einer der schlimmsten Alpträume, den sie jemals erlebte. In diesem Alptraum suchte sie ihre Tochter, aber konnte sie nicht finden. Sie suchte überall, sogar im Weltall, unter Galaxien und Sternen. Aber die Tochter existierte nicht mehr. Und auch Gott existierte nicht. Von dieser Horrovision sagte sie: „Dieser Alptraum war fast das Vernichtendste, was ich je erlebt hatte.“ Zwei Tage später war sie im Gottesdienst und nahm am Abendmahl teil. Kurz vor dem Empfang der Hostie hatte sie ein Erlebnis, das alles umkehrte: sie sah ihre Tochter, die direkt vor ihr stand. Sie beschreibt diesen Moment mit den folgenden Worten:

Meine Tochter stand direkt vor mir und hinter ihr stand der Herr ( = Jesus Christus). Er schaute auf sie herab und freute sich an ihr. Es war sensationell. Es war auch belebend wie Elektrizität. Er war auf eine dramatische Weise lebendig. Dann kam meine Tochter auf mich zu und umarmte mich. Danach bekam ich die Hostie gereicht. Dann war es vorbei. Aber es war genug. Damit war mein entsetzliches Leiden zu Ende. Ich habe meine Tochter selbstverständlich weiterhin vermisst – ich vermisse sie immer noch – aber ich war nicht mehr zertrümmert. Und ich war zertrümmert. Es war ein außerordentliches Erlebnis und ist mir nie wieder passiert, und damit rechne ich auch nicht. Aber auf der anderen Seite hatte ich das Gefühl, dass ich genau das erlebt hatte, was die Jünger erlebten, als sie dem Auferstandenen begegnet sind. Was ich erfuhr war eine Realität. Und diese Realität schien grundlegend zu sein.

Eine solche Erfahrung ist außerordentlich – und hat keine Beweiskraft. Aber was diese Frau gesehen hat ist das, was jeder Christusanhänger mit den Augen des Glaubens sehen sollte. Wenn wir Abendmahl feiern, ist der Auferstandene lebendig anwesend – und mit ihm sind alle anwesend, die zu ihm gehören. In der Tischgemeinschaft vor dem Altar entsteht eine Gemeinschaft, die Christen an allen Orten und aus allen Zeiten verbindet, Lebende und Verstorbene, im Himmel und auf Erden.

Was die Frau beim Abendmahl erlebte, entspricht dem Bericht der Emmausjünger. Sie waren niedergeschmettert. Und in dieser Situation, als sie alle Hoffnung verloren hatten, kam der Gekreuzigte zu ihnen, aber sie merkten es nicht. Erst nach einer Auslegung der Bibel und erst bei der Tischgemeinschaft mit ihm haben sie ihn gesehen. Und dann verschwand er, denn seine leibhaftige Anwesenheit sollte ab jetzt in Wort und Sakrament fortgesetzt werden.

'Communion setting at an Evangelical Lutheran Church in America worship service', 2010, Jonathunder

Durch regelmäßiges Lesen in der Bibel und durch das Altarsakrament entsteht eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus, die täglich gepflegt werden sollte. Ein Christ ist eine Person, die dauerhaft mit Jesus Christus lebt. Ein Christ ist eine Person, die – wie Paulus – Jesus Christus immer mehr erkennen will, die sich immer tiefer in sein Leiden und in seine Auferstehung hineinversetzen will.

Auch Gebet spielt eine wesentliche Rolle dabei, denn im Gebet kann man direkt mit Jesus sprechen. Es ist ein Merkmal der Christenheit, dass wir im Gebet Jesus Christus direkt ansprechen – was für Muslime und Juden eine Gotteslästerung darstellt. Aber Gebete, die direkt an Jesus gerichtet werden, haben für uns ein besonderes Gewicht.

Es gibt in der orthodoxen Tradition ein Gebet, das für uns ein Hilfe sein könnte. Es handelt sich um das sogenannte Jesusgebet, das auch „Gebet des Herzens“ genannt wird. Das Gebet entstand im 5. Jahrhundert, vermutlich in der Wüste von Ägypten. Es gibt verschiedene Fassungen dieses Gebetes, aber die Grundfassung lautet: „Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, sei mir gnädig!“ Dieses Gebet soll dazu beitragen, dass ein Mensch ohne Unterlass betet. Man sollte dieses Gebet immer wieder wiederholen, bis es wie ein Ohrwurm ist, das ein Eigenleben hat. Menschen, die dieses Jesusgebet praktiziert haben, haben festgestellt, dass es irgendwann in das Herz hineingeht. Deswegen heißt es auch Gebet des Herzens. Wenn so etwas eingetreten ist, dann ist dieses Gebet nicht mehr eine Tätigkeit, die man tut, sondern das Gebet ist ein Teil der eigenen Identität geworden.

Auf jeden Fall sind wir Christen dazu vorgesehen, in der Anwesenheit Jesu Christi dauerhaft zu leben. Die Anhaltspunkte dazu sind uns gegeben: Bibel, Abendmahl, Gebet. Möge Gott uns helfen, in der Gemeinschaft mit Jesus Christus zu leben und zu bleiben. Denn dafür sind wir vorgesehen, heute und in Ewigkeit.

Die Photographie 'Estudo pessoal da Bíblia', 2007, Steelman, ist lizensiert unter der is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic license.
Das Gemälde 'Selbstporträt mit Christuserscheinung', um 1900, Martin von Feuerstein, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Das Bild 'Painting of Jesus Christ', 2008, Roman Zacharij, wurde von seinem Urheber, zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben. Diese Datei ist damit gemeinfrei („public domain“). Dies gilt weltweit.
Die Photographie 'Communion setting at an Evangelical Lutheran Church in America worship service', 2010, Jonathunder, wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.

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