Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 7. Sonntag nach Trinitatis: Apg. 2, 41 – 47 Hunger, Sehnsucht und Bedürftigkeit

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'Agape feast, Early Christian catacomb of San Callisto', 3rd century / Paleochristian art

7. Sonntag nach Trinitatis

Hunger, Sehnsucht und Bedürftigkeit Apg. 2, 41 – 47

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2010

Die nun sein Wort annahmen, ließen sich taufen; und an diesem Tage wurden hinzugefügt etwa dreitausend Menschen. Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. Es kam aber Furcht über alle Seelen, und es geschahen auch viele Wunder und Zeichen durch die Apostel. Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte. Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden. Apg. 2, 41 – 47

Es wird von einem 8-jährigen Jungen berichtet, der mit seinem Vater eine Zoohandlung aufsuchte, um einen jungen Hund zu kaufen. Der Leiter des Geschäfts zeigte seinen Kunden fünf neu geborene Hunde, die in einem Behälter zusammen waren. Nach einer Weile merkte das Kind, dass ein Hund abgesondert lag, der offenbar ein Geschwister der Fünf war. Der Junge fragte: „Warum ist der Hund allein?“ Der Geschäftsleiter antwortete: „Er kam auf die Welt mit einem unterentwickelten Bein und wird verkrüppelt bleiben. Wir werden ihn wahrscheinlich einschläfern müssen.“ Das Kind fragte zurück: „Sie haben vor, den kleinen Hund zu töten?“ Der Tierhändler antwortete: „Dieser Hund wird niemals in der Lage sein, mit einem Jungen wie dir zu rennen oder zu spielen.“ Nach einem kurzen Gespräch mit seinem Vater sagte der 8-Jährige, dass er den gelähmten Hund mitnehmen wollte. Der Tierhändler sagte: „Aber du könntest für denselben Preis einen gesunden Hund bekommen. Warum willst du ausgerechnet diesen nehmen?“ Als Antwort beugte sich das Kind und rollte sein rechtes Hosenbein hoch, um zu zeigen, dass er eine Schiene am Bein trug, denn auch er kam auf die Welt mit einem unterentwickelten Bein. Er sagte dazu: „Ich will diesen Hund haben, denn ich verstehe, was er durchmacht.“

Diese Begebenheit veranschaulicht eine Wahrheit, die vielleicht nicht allgemein bekannt ist, nämlich, dass Verwundbarkeit eine unentbehrliche Voraussetzung für Liebe ist. Ein Mensch, der seine eigene Bedürftigkeit nicht kennt, wird nicht in der Lage sein, sich in die Bedürftigkeit eines anderen zu versetzen. Ein Mensch, der nicht erkannt hat, wie verletzbar er ist, wird nicht in der Lage sein, eine starke Liebe zu entfalten. Jeder von uns ist auf irgendeine Weise seelisch gelähmt oder verkrüppelt.

Diese Überlegungen haben eine Relevanz für den Text, der für heute vorgesehen ist. Dieser Text beschreibt die erste christliche Gemeinde, die in Jerusalem entstanden ist. Diese Gemeinde hat offensichtlich eine lebendige Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen. Was in dieser Gemeinde vorkommt, scheint für uns heute unfassbar zu sein: 3000 Taufen an einem Tag, danach kommt die Gemeinde regelmäßig zusammen, um sich unterrichten zu lassen, täglich wird im Tempel gebetet, es gibt häufige Tischgemeinschaft, die mit Freude gefeiert wird. Außerdem geschehen Zeichen und Wunder. Die praktische Nächstenliebe ist leidenschaftlich und scheinbar perfekt organisiert: Gemeindeglieder verkaufen ihren Besitz, damit die Ärmeren zurecht kommen, und das Verteilersystem funktioniert. Die Wohlhabenderen stellen alles zur Verfügung, was sie besitzen: die Ärmeren bekommen, was sie brauchen. Was hier beschrieben wird scheint der Inbegriff von Stärke und Lebendigkeit zu sein.

'Turdus birds nest', 2008, Päivi Kuisma, Finland

Aber paradoxerweise hängt diese Stärke und Lebendigkeit davon ab, dass eine große Bedürftigkeit vorhanden ist. Ein Theologe aus Basel, Walther Lüthi, stellte folgendes fest:

Es ist einer der auffälligsten Züge am Bilde der ersten Gemeinde ihre außergewöhnliche Bedürftigkeit. Apostellehre, Gemeinschaft, Brotbrechen – sie empfangen, empfangen, empfangen. Sie kommen einem vor wie kleine Kinder, die immer wieder trinken müssen, wenn ihre Zeit um ist. Ja sie sind wie junge Vögel im Nest, die ihre Hälse recken und ihre Schnäbel weit aufsperren, wenn die Mutter mit der Nahrung naht. Sie scheinen zusammengesetzt zu sein aus lauter Bedürftigkeit.

Was diese erste Gemeinde kennzeichnet, sind Hunger und Sehnsucht. Sie sind hungrig nach Gott und diese Sehnsucht nach Gemeinschaft mit Gott kommt zum Ausdruck als Hunger nach Apostellehre, nach Gottesdienst und nach christlicher Tischgemeinschaft. Auch die eifrige Nächstenliebe ist ein Ausdruck des Hungers: diese gegenseitige Hilfe ist das Sichtbarwerden einer Sehnsucht nach der ewigen Herrlichkeit, in der alle Menschen gleichwertig sind. Diese Gemeinde in Jerusalem hat in der Begegnung mit Gott in Jesus Christus ihre Bedürftigkeit erkannt, und deswegen gibt es eine brennende Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen.

Der Hunger nach Gott scheint immer dort am stärksten zu sein, wo Menschen wissen, wie arm und schwach sie sind. Zu den ärmsten Menschen gehören zum Beispiel die sogenannten Bergstämme in Vietnam und Laos. Unter diesen Bergvölkern in Südostasien sind christliche Gemeinden entstanden. Im Mai 1997 wurde berichtet, dass die Mitglieder dieser jungen Gemeinden ihr Vieh verkauft hatten, um Radios anzuschaffen, damit sie für eine Stunde am Tag einen christlichen Rundfunk empfangen konnten. Hier sehen wir ein Beispiel, wie stark der Hunger nach christlichen Inhalten sein kann, wenn Menschen wissen, wie hilflos sie ohne Gott sind. Wie die ersten Christen in Jerusalem waren diese Menschen in Südostasien bereit, vertrauensvoll ihre Existenzgrundlage zu verkaufen, weil sie so voller Bedürftigkeit und Sehnsucht waren.

Bei uns in Europa ist es nicht leicht für uns Christen, unsere Bedürftigkeit zu spüren. Weil wir durch soziale Einrichtungen so gut abgesichert sind. Und weil wir so viel Konsum- und Zerstreuungsmöglichkeiten haben, ist es sehr leicht, den Hunger nach Gott zu verdrängen, der tief in unseren Seelen verwurzelt ist. Wenn das Leben inhaltsreich und abgesichert ist, wird die Sehnsucht nach Gott weniger zum Vorschein kommen.

In einer solchen Situation wird manchmal von Kirchengemeinden erwartet, dass sie ihre Gottesdienste unterhaltsamer gestalten sollten, damit sie die heutigen Menschen erreichen, die erlebnissüchtig und verwöhnt sind. Aber das wäre, als ob man Übersättigung mit üppigen Mahlzeiten bekämpfen wollte. Es gibt nur eine einzige Sache, die das Herz eines Menschen erreichen kann – egal ob wohlhabend oder arm - , und das ist der gekreuzigte Christus. Aber es kommt auf die „Verpackung“ an.

'Lamb, Stodmarsh, Kent, England', 2008, Keven Law, Los Angeles, USA

Es gibt eine Geschichte im Alten Testament von dem Propheten Nathan, der den König David konfrontieren musste. David hatte gerade ein Verbrechen begangen: er hatte Ehebruch mit Bathseba begangen und als sie dadurch schwanger wurde, hat er auf eine hinterlistige Weise den betrogenen Ehemann ermordet, um die Sache zu vertuschen. David war also ein abgebrühter Krimineller. Außerdem war er König und fühlte sich deshalb unantastbar. Wie kann man das Herz eines solchen Menschen erreichen? Die Antwort lautet: durch eine Tier-Geschichte. Nathan erzählte David folgende Geschichte:

Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm. Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß, und er hielt's wie eine Tochter. Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er's nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war. Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der HERR lebt: der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat!...Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann! (2. Samuel 12, 1 – 7)

David konnte sich mit dem Schäflein identifizieren, und dadurch erkannte er, was er angerichtet hatte. Durch eine Lamm-Geschichte wurde sein Herz verwandelt. Hier sehen wir, wie Gott uns klarmachen will, wie bedürftig wir sind. Er kam zu uns wie ein Lamm, ein Inbegriff der Wehrlosigkeit. Jesus war wie das Lamm in dem Gleichnis des Nathans. Dementsprchend heißt in dem Buch des Propheten Jesaja:

Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf.

Gott erschien als hilfloses Lamm, das die Sünden der Welt trug, denn nur auf diese Weise konnte er unsere Herzen erreichen. In dem Lamm, das Jesus Christus heißt, sollten wir erkennen, dass wir auch so schutzbedürftig wie Lämmer sind, die ohne einen guten Hirten hilflos und ausgeliefert sind.

Die Gemeinde in Jerusalem, die so stark und lebendig war, hatte vorher von dem gekreuzigten Christus gehört. Petrus hatte verkündet: Ihr habt Christus umgebracht, aber Gott hat ihn auferweckt. Diese Verkündigung „ging ihnen durch’s Herz“. Sie erkannten zum ersten Mal, wie tief ihre Entfremdung von Gott war und wie sehr sie Gott brauchten. Die Verkündigung von dem Gekreuzigtren und Auferstanden hatte Hunger und Sehnsucht in den Herzen der Zuhörer erweckt.

Und für uns heute ist es nicht anders. Wenn wir eine lebendige Gemeinde sein wollen, gibt es nur eine Möglichkeit: wir müssen immer wieder den gekreuzigten und auferstandenen Christus entdecken, das Lamm Gottes, das in Wehrlosigkeit starb. Es gibt keinen anderen Weg, die eigene Bedürftigkeit und die Sehnsucht nach Gott zu entdecken.

'Doggy', Fly0909

Martin Luther hat regelmäßig mit seinen Studenten Mahlzeiten gefeiert. Einmal nahm er ein Stück Fleisch von seinem Teller und hielt es am Tischrand, damit ein Hund, der zu seinem Füßen saß, das Fleisch sehen konnte. Der Hund, der vorher fast am Einschlafen war, wurde hellwach. Sein Mund wurde wässerig und seine Augen waren gierig auf das Fleisch gerichtet. Luther sagte zu seinen Studenten: „Was wäre, wenn wir nach dem Wort Gottes hungern würden, nur halb so stark wie dieser Hund nach dem Fleisch?“

Möge Gott Hunger in uns erwecken, Hunger nach seinem Wort, nach Tischgemeinschaft mit Christus, nach der Apostellehre, und nach selbstlosen Liebesdiensten. Möge Gott uns zeigen, wie nichtig wir sind, wenn wir ohne ihn leben wollen. Möge Gott uns zeigen, dass wir nur dann stark sind, wenn wir wissen, wie schwach wir sind.

Die Abbildung 'Agape feast, Early Christian catacomb of San Callisto', 3rd century / Paleochristian art, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
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Die Photographie 'Lamb, Stodmarsh, Kent, England', 2008, Keven Law, Los Angeles, USA, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license.
Die Photographie Doggy', Fly0909, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

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