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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 5. Sonntag nach Trinitatis: 1. Kor. 1, 18 – 25 Anspruchslose Dankbarkeit

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5. Sonntag nach Trinitatis: 1. Kor. 1, 18 – 25 Anspruchslose Dankbarkeit

Gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2010

Martin Luther als Prediger Predella des Cranach Altars in der Stadtkirche St. Marien der Lutherstadt Wittenberg 1547

Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft. Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.« Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben. Denn die Juden fordern Zeichen, und die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.

1. Kor. 1, 18 – 25

Vor einigen Jahren gab es auf einer Universität im Rahmen eines Fachbereiches eine Feier. Zu vorgerückter Stunde begannen die Älteren von ihrer Vergangenheit zu erzählen. Ein 55-jähriger Professor schilderte die Not der ersten Nachkriegsjahre, den Mangel an Nahrung und Kleidung, an Brennstoff, Haushaltswaren und Mobiliar. Er berichtete, dass die Haushalte nur stundenweise mit Gas, Strom und Wasser versorgt worden seien. Die Studenten wollten das alles nicht glauben. Sie wunderten sich, dass die Bevölkerung sich das habe gefallen lassen. Schließlich fragte ein Zuhörer den Professor: „Warum haben Sie denn nicht demonstriert?“

Hier zeigt sich eine anspruchsvolle Denkweise. Diese Denkweise lautet: Wohlstand ist eine naturgegebene Selbstverständlichkeit. Auf Wohlstand hat jeder Mensch einen Anspruch. Kollektiver Mangel – so wie in der Nachkriegszeit – kann nur durch finstere Manipulationen entstanden sein; sie kann und soll deshalb durch öffentlichkeitswirksame Aktionen beseitigt werden. Denn jeder Mensch hat einen Anspruch auf die Fülle des Lebens. Und jeder Mensch ist dazu verpflichtet, seine Ansprüche durchzusetzen.

'Skyline of the city of Oxford', 2005, Wallace Wong

Diese Anspruchshaltung ist weitverbreitet, aber nicht selbstverständlich. Es gibt auch andere Möglichkeiten. Im Jahre 1724 gab es auf einer anderen Universität eine Begegnung, bei der es auch um die Frage ging, wie man auf Mangelerscheinungen reagieren sollte. John Wesley, der Gründer der Methodistenkirche, studierte damals an der Universität in Oxford. Er begegnete dort einem Pförtner und kam ins Gespräch mit ihm. Dieser Bedienstete hatte nur eine einzige Jacke. Er war so mittellos, dass er nicht einmal ein Bett hatte. Trotzdem strahlte er eine außerordentliche Lebensfreude aus. Er brachte zum Ausdruck, wie dankbar er Gott gegenüber war. John Wesley war damals wie ein typischer Student: etwas unreif, etwas besserwisserisch und etwas herablassend. Er fragte den Pförtner – und die Frage war sarkastisch gemeint: „Und wofür danken Sie Gott?“ Der Pförtner hat den ironischen Ton nicht gehört, sondern antwortete: „Ich danke ihm, dass er mir mein Leben gegeben hat, dass er mir ein Herz gegeben hat, das ihn lieben kann, und vor allem, dass er mir eine anhaltende Sehnsucht gegeben hat, ihm zu dienen!“ Diese Antwort hat Wesley tief berührt und setzte in seinem Herzen etwas in Bewegung.

Hier sehen wir – in diesem Pförtner – eine totale Anspruchslosigkeit. Sein Lebensinhalt besteht nicht aus dem, was er besitzt. Sein Lebensinhalt ist Dankbarkeit. Er ist dankbar, dass sein Leben von Gott gewollt ist und dass er die Sehnsucht hat, für Gott zu leben. Diese Lebenseinstellung ist ein Fremdkörper in dieser Welt; sie ist buchstäblich weltfremd. Sogar ein Christ, wie John Wesley damals, konnte die Denkweise des Pförtners nicht einordnen, sondern schaute zuerst auf sie herab. Anspruchslose Dankbarkeit ist in dieser Welt, in der wir leben, einfach nicht vorgesehen.

Aber für uns, die wir zu Christus gehören, ist sie vorgesehen. Der Text aus dem 1. Korintherbrief, der für heute vorgeschlagen ist, zeigt die Grundlage für anspruchslose Dankbarkeit, nämlich den gekreuzigten Christus.

Auch damals zur Zeit Jesu gab es ein Anspruchsdenken. Wie zu allen Zeiten, haben die Menschen damals geglaubt: wir haben ein Recht auf ein Leben in Wohlstand und Sicherheit. Die Juden warteten auf einen Messias, der ihre Ansprüche verwirklichen würde. Der Messias, wenn er käme, sollte die Feinde Israels aus dem Land vertreiben, er sollte einen umfassenden Frieden verwirklichen, er sollte die Wüste in ein blühendes Paradies verwandeln, so dass Hunger so gut wie abgeschafft wäre. Der Anspruch auf die Fülle des Lebens sollte in dem Messias seine Erfüllung finden. Ein Messias, der am Kreuz scheitert, ist deshalb - per Definition - kein Messias.

Manche Griechen hatten auch ein Anspruchsdenken. Für die Griechen, die Paulus hier meint, war es entscheidend, Lebenserfüllung durch Wissen zu verwirklichen. Eine Lebensaufgabe war es, verborgene Weisheit zu entdecken. Der Mensch sollte in der Lage sein, sich Weisheit so anzueignen, dass er über sein eigenes Heil verfügt. Ein Weisheitslehrer, der am Kreuz scheitert, ist - per Definition - kein Weisheitslehrer. Denn ein Scheitern am Kreuz ist der Inbegriff der Dummheit.

Unsere Welt glaubt nicht an Menschen, die scheitern. Niederlagen sind für unsere Welt total inhaltslos. Die jetzige Fußball-Weltmeisterschaft spiegelt die Denkweise unserer Welt wieder. Eine Mannschaft, die verliert und ausscheidet, ist ein Nichts. Nur Siege zählen und nur Siege sind erlösend.

'FIFA World Cup 2010 Argentina Mexico', Steve Evans, 2010

Vor zwei Jahren war die Europameisterschaft. Nach einem schwierigen Spiel der deutschen Mannschaft erschien in der Bildzeitung die Überschrift: „Ballack erlöst Deutschland“. Sieg bedeutet Erlösung. Eine Niederlage ist Verdammnis. Eine Niederlage enthält keine heilsamen Dimensionen. Es gibt keine Dankbarkeit für Niederlagen. Die Mannschaften, die wegen Niederlagen nicht mehr dabei sind, sind abgeschrieben. Sie sind irrelevant. Es ist, als ob sie nicht mehr existieren würden.

Deswegen ist die Botschaft vom Kreuz ein Ärgernis und eine Torheit, wie Paulus schreibt. Die Kreuzigung Jesu war die größte Niederlage aller Zeiten. Gott wurde Mensch, wohnte unter uns, und was war das Ergebnis? Er scheiterte in Ohnmacht. Der Schöpfer des Himmels und der Erde wurde von seinen Geschöpfen abgelehnt und scheinbar vernichtet. Ein größeres Scheitern kann es nicht geben.

Was ist der Sinn dieser Niederlage am Kreuz? Jesus ist deswegen gescheitert, weil wir Menschen zum Scheitern verurteilt sind. Das Leben ist zuletzt eine einzige Niederlage. Denn gegenüber Vergänglichkeit können wir nicht gewinnen. Vergänglichkeit und Tod werden alles wegraffen, was unser Leben scheinbar lebenswert macht. Wir verlieren zuletzt alles: alles, was wir besitzen, alles, was wir lieben, alle Kräfte, alle Leistungsfähigkeit, alles, was die Würde eines Menschen ausmacht, alle Denkfähigkeit. Es gibt nur eine einzige Sache, die man nicht verlieren kann, und das ist Gott selber. Das ist die Botschaft vom Kreuz. Jesus verlor alles am Kreuz, damit er eine Solidarität mit uns herstellen konnte. Jesus verlor alles am Kreuz, aber Gott war bei ihm und hat aus seiner Niederlage einen Ostersieg geschaffen. Diese Offenbarung am Kreuz soll uns vermitteln, dass Gott auch bei uns ist, wenn wir scheitern und alles verlieren. Und er wird alles gut machen. Er wird aus unseren Niederlagen etwas unermesslich Inhaltsreiches schaffen.

Wer diese Botschaft wahrgenommen hat, wird eine ähnliche Einstellung bekommen wie der Pförtner in Oxford. Er hatte zwar so gut wie nichts, aber weil er mit Gott durch das Kreuz Jesu verbunden war, hatte er alles, was er brauchte. Er hatte eine Zufriedenheit, eine Lebensfreude und eine Dankbarkeit, die nicht von dieser Erde waren, die deshalb auch unantastbar waren. Für eine solche Haltung, eine Haltung der anspruchslosen Dankbarkeit, sind wir Christen vorgesehen.

Glasfenster aus der Minoritenkirche Regensburg - Passionsszene aus dem mittleren Chorfenster: Kreuzigung, um 1330, Photo: Andreas Praefcke, 2009

Es gab einen prominenten und umstrittenen britischen Journalisten und Geheimdienstler mit dem Namen Malcom Muggeridge. Muggeridge war fast sein Leben lang ein Agnostiker. Aber gegen Ende seines Lebens – vielleicht wegen seiner Begegnungen mit Mutter Theresa - wurde er ein bewusst gläubiger Christ und schieb ein Buch mit dem Titel „Jesus wiederentdeckt“. Als er 75 Jahre alt war schrieb er folgendes:

Ich kann mit völliger Aufrichtigkeit sagen, dass alles, was ich in meinem Leben in dieser Welt gelernt habe, alles, was meine Existenz gefördert und erleuchtet hat, mir durch Leid vermittelt worden ist, nicht durch Glücklichsein. Falls es jemals möglich wäre, durch irgendeine Droge oder durch medizinische Fortschritte alles Leid von unserer irdischen Existenz zu vertreiben, dann würde diese Freiheit von Leid unser Leben nicht glückselig machen, sondern so banal und so trivial, dass es unerträglich wäre. Diese Einsicht ist die Botschaft des Kreuzes.

Das Leben reduziert sich zuletzt auf eine einzige Wahrheit: wir brauchen nur Gott, so wie er sich im Kreuz Jesu Christi offenbart hat. Wer vorbehaltloses Vertrauen zu Gott hat, hat alles, was er braucht, er hat etwas, was er in Ewigkeit nicht verlieren kann. Wer kein Vertrauen zu Gott hat, wird nie genug haben, um diesen Mangel auszugleichen. Sein Leben wird durch Anspruchsdenken beherrscht. Wer aber Vertrauen zu Gott gefunden hat, wird anspruchslos dankbar sein. Möge Gott uns schenken, dass wir ihm vorbehaltlos vertrauen und ihm ewig dankbar bleiben.

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Die Photographie 'FIFA World Cup 2010 Argentina Mexico', Steve Evans, 2010, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution 2.0 Generic license.
Die Photographie des Glasfensters aus der Minoritenkirche Regensburg - Passionsszene aus dem mittleren Chorfenster: Kreuzigung, um 1330, Photo: Andreas Praefcke, 2009, wurde von ihrem Urheber zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben. Diese Datei ist damit gemeinfrei („public domain“). Dies gilt weltweit.

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