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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Römerbrief 6, 19 – 23 Wie ewiges Leben aussieht

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'The Wailing Wall', 2008, Rudolph.A.furtado

8. Sonntag nach Trinitatis

Wie ewiges Leben aussieht Römerbrief 6, 19 – 23

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt am 13. Juli 2008 im Kirchsaal Süd

Ich muss menschlich davon reden um der Schwachheit eures Fleisches willen: Wie ihr eure Glieder hingegeben hattet an den Dienst der Unreinheit und Ungerechtigkeit zu immer neuer Ungerechtigkeit, so gebt nun eure Glieder hin an den Dienst der Gerechtigkeit, dass sie heilig werden. Denn als ihr Knechte der Sünde wart, da wart ihr frei von der Gerechtigkeit. Was hattet ihr nun damals für Frucht? Solche, deren ihr euch jetzt schämt; denn das Ende derselben ist der Tod. Nun aber, da ihr von der Sünde frei und Gottes Knechte geworden seid, habt ihr darin eure Frucht, dass ihr heilig werdet; das Ende aber ist das ewige Leben. Denn der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn. Römerbrief 6, 19 – 23

Es wird von einem Juden aus New York berichtet, der als Tourist nach Israel wollte. Ein Freund hatte ihn beraten, was er sich alles ansehen sollte. Unter anderem hat er empfohlen: "Du musst unbedingt zur Klagemauer. Dort weinen die Juden!" Der Tourist kommt nach Jerusalem. Er hat aber vergessen, wie die Mauer heißt. Er hält ein Taxi an und sagt: "Fahr mich dorthin, wo die Juden klagen und weinen!" Das Taxi fährt etwa 20 Minuten, bleibt stehen und der Gast steigt aus. Aber er sieht keine antike Mauer; er sieht ein nüchternes Bürogebäude. Er fragt den Taxifahrer: „Wo bin ich hier gelandet?“ Der Taxifahrer erwidert: „Da, wo die Bewohner Jerusalems klagen und weinen: das Einkommenssteueramt.“

Diese Anekdote regt eine Frage an: Was erweckt in uns klagen und weinen? Woran zerbricht das Herz?

Die Klagemauer in Jerusalem gilt als Ort des Weinens. Wie ist es dazu gekommen? Die sogenannte Klagemauer ist ein Überbleibsel des Tempels. Diese Mauer war nicht ein Teil des eigentlichen Tempels, sondern war eine Stützmauer für die Tempelhochebene. Als der Tempel im Jahre 70 zerstört wurde, wurde das Herzstück des Judentums zerstört. Ohne Tempel gab es kein sichtbares Zeichen, dass Gott für sein Volk anwesend war. Deswegen ist diese westliche Stützmauer ein Ort der Trauer.

Diese Trauer hat eine gute biblische Vorlage. Denn Jesus hat die totale Zerstörung des Tempels vorausgehen, als er Jerusalem anschaute und wusste, wie grausam die Verwüstung sein würde, hat er geweint. Und als Jesus geweint hat, hat er das Herz Gottes offenbart.

Es gibt eine Erzählung aus der chassidischen Strömung des Judentums. Es geht um die Befreiung der hebräischen Sklaven aus Ägypten. Nach dieser Erzählung gab es Jubel im Himmel, als Gott das Schilfmeer spaltete, damit die Sklaven in die Freiheit ziehen konnten. Als die Israeliten am jenseitigen Ufer standen, kam das Wasser des Meeres wieder zusammen und die ägyptische Armee ist untergegangen. Im Himmel haben die Engel getanzt und gesungen. Dann merkte ein Engel, dass Gott nicht mehr anwesend war. Er fragte den Erzengel Michael: „Wo ist ER?“ Die Antwort lautete: „ER wollte allein sein und weinen. Denn viele von seinen Kindern sind heute umgekommen.“

Es gibt also Situationen, in denen Weinen ein Nachahmen Gottes ist. Und das Weinen der Trauer ist zuletzt heilsam, denn Gott wohnt unter den Trauernden.

Dementsprechend gibt es im Judentum die Tradition, dass Gott sich auf die westliche Stützmauer des Tempels niedergelassen hat. Dass diese Mauer intakt blieb, galt als sichtbares Zeichen, dass Gott hier anwesend ist. Es heißt: Gott wohnt unter diesen Ruinen – als Zeichen, dass er auch um Jerusalem trauert und Jerusalem nicht verlassen hat. Deshalb gilt diese Klagemauer als heilig und deswegen pilgern Menschen aus aller Welt dorthin.

Es gibt also ein Weinen und ein Klagen, die heilsam sind. Aber es gibt auch ein Weinen und ein Klagen, die weniger heilsam sind. Es gibt ein Jammern, das aus Mangel an Dankbarkeit entsteht. In der Anekdote zu Beginn wurde das Einkommenssteueramt scherzhaft als Ort erwähnt, wo es Weinen und Klagen gibt. Es gibt einige Hundert Millionen Menschen auf dieser Erde, die nicht genug verdienen, um Einkommenssteuer zahlen zu können, die überglücklich wären, wenn sie genug verdienen würden, um Steuer zahlen zu dürfen. Jede Steuererklärung, die wir ausfüllen, so lästig das manchmal ist, ist also Grund zur tiefen Dankbarkeit. Und das hat etwas mit unserem Text zu tun, der für heute vorgesehen ist.

Der tiefste Grund zur Dankbarkeit wird im dem Römerbrieftext offenbart, der für heute vorgesehen ist. Die Sprache des Paulus ist für unsere Ohren so fremdartig, dass sie zunächst völlig unverständlich ist. Er beschreibt einen unseligen Zustand, den er als „Dienst der Unreinheit“ beschreibt. Er redet von Knechtschaft. Er redet von dem Endergebnis eines Menschen, der in der Sündhaftigkeit gefangen ist, nämlich die Vernichtung des Todes. Es geht hier um eine ganz einfache Unterscheidung. Sünde ist nichts anderes als die Trennung von Gott, ein Leben ohne Verbundenheit mit Gott. Wenn ein Mensch keine sichere Verbindung zu Gott hat, dann sieht er keine Hoffnung, die über den Tod hinausgeht. Er kann als Endergebnis seines Lebens nur die Vernichtung sehen. Und diese Aussicht macht einen Menschen zu einem Sklaven. Ohne eine Zukunftsperspektive, die auch für die Ewigkeit gilt, ist ein Mensch zuletzt ein Sklave seiner eigenen Launen. Ohne Ewigkeitsperspektive ist das Leben zuletzt hoffnungslos oberflächlich und zutiefst unfriedlich.

Diese Gefangenschaft der Vergänglichkeit, die Paulus hier beschreibt, kommt zum Vorschein durch eine Grundhaltung des Klagens und Jammerns. Und diese Grundhaltung der Unzufriedenheit lauert in jedem Menschen als latente Möglichkeit. Sie kommt zum Vorschein durch Kleinigkeiten.

Ich erinnere mich zum Beispiel, wie ich vor vielen Jahren in einem Lebensmittelgeschäft am Wendelsplatz war, das damals HL hieß. An der Kasse warteten etwa 8 Personen. Es kam ein Kunde dazu, und als er sah, dass nur eine Kasse auf war und 8 Personen vor ihr standen, sagte er laut empört: „Das ist eine Zumutung!“ Er legte die Lebensmittel ab, die er kaufen wollte, und marschierte wutentbrannt aus dem Laden. Was mich erschreckt, ist, dass ich mitfühlen kann, was in diesem Mann vorgegangen ist, denn ich habe ähnliche Momente erlebt. Solche Momente sind eine Enthüllung. Sie zeigen die engherzige Undankbarkeit, die in Menschen vorkommt, wenn sie nicht wissen, wozu sie bestimmt sind, bzw. wenn sie vergessen haben, wozu sie bestimmt sind.

Wir sind für ewiges Leben vorgesehen. Wie Paulus in dem Römerbrieftext so schlicht und einfach verkündet: „die Gabe Gottes ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn.“ Wer dieses Geschenk des ewigen Lebens angenommen hat, dürfte nie wieder kleinlich, engherzig oder undankbar sein. Ewiges Leben und gekränkte Eitelkeit können nicht in derselben Person wohnen.

Es gibt schätzungsweise 4 Milliarden Menschen auf dieser Erde, die glückselig wären, wenn sie in einem Lebensmittelgeschäft in einer Schlange warten könnten, um Lebensmittel einzukaufen – auch wenn 16, statt 8 Personen in dieser Schlange sind. Und wer zu dem ewigen Leben gehört, wird immer mit solchen Menschen verbunden sein, die ständig in Not und Unsicherheit leben.

Es geht jetzt nicht um irgendein moralisches Lebensprinzip, nach dem Motto: du sollst immer dankbar sein, dass es dir so gut geht, denn es könnte viel schlimmer sein. Sondern es geht hier um etwas Größeres.

Ewiges Leben, Leben in Gemeinschaft mit Gott, bedeutet, dass wir an dem Leben Gottes teilhaben. Und die biblische Geschichte offenbart einen Gott, der unter den Angeschlagenen wohnt. Gott trauerte um die Ägypter, die bei der Befreiung der Israeliten umgekommen sind. Jesus weinte über Jerusalem, und offenbarte damit, dass Gott bei den Weinenden ist. Nach jüdischer Tradition hat sich Gott dauerhaft in den Trümmerhaufen begeben, der „Klagemauer“ heißt. Wer zu Gott in Ewigkeit gehört, wird an diesem Leben Gottes teilhaben.

Es klingt so, als ob das ein trauriges Leben wäre. Aber im Gegenteil: es ist ein Leben voller Verheißung. Denn wenn Gott unter den Trauernden ist, wenn sich Gott auf Trümmerhaufen niederlässt, dann bedeutet das, dass Gott etwas mit Trauernden und Zerschlagenen vorhat. Zuletzt ist die ganze Schöpfung für Verwandlung und Vollendung vorgesehen. Zuletzt sollen Vergänglichkeit und Feindsseligkeit abgeschafft werden. Die Gabe Gottes ist das ewige Leben. Wer dieses Leben noch nicht kennt, ist ein Gefangener ohne Perspektive. Wer dieses Leben als Geschenk angenommen hat, wird jede Kleinigkeit mit Dankbarkeit registrieren und jede Trauer aushalten.

Diese Perspektive hat Dietrich Bonhoeffer in einem Gedicht zusammengefasst. Der Anhaltspunkt für dieses Gedicht war das Gebet Jesu im Garten Gethsemane, als er mit seiner eigenen Todesangst kämpfte, und dabei den Beistand seiner Jünger brauchte. Das Gedicht heißt „Christen und Heiden“.

Menschen gehen zu Gott in ihrer Not, flehen um Hilfe, bitten um Glück und Brot, um Errettung aus Krankheit, Schuld und Tod. So tun sie alle, alle, Christen und Heiden.

Menschen gehen zu Gott in Seiner Not, finden Ihn arm, geschmäht, ohne Obdach und Brot, sehn Ihn verschlungen von Sünde, Schwachheit und Tod. Christen stehen bei Gott in seinen Leiden.

Gott geht zu allen Menschen in ihrer Not, sättigt den Leib und Seele mit Seinem Brot,stirbt für Christen und Heiden den Kreuzestod, und vergibt ihnen beiden.

So sieht ewiges Leben aus. Ewiges Leben ist teilhaben an dem Leben Gottes, und Gott lebt unter denen, die „arm, geschmäht, ohne Obdach und Brot, verschlungen von Sünde, Schwachheit und Tod“ sind. Das heißt: Gott wohnt unter allen Menschen, die auf dieser Erde sind: und so schenkt er ewiges Leben. Ewiges Leben ist nicht nur Leben, das nie aufhört, sondern ein Leben, das in Verbindung steht zu allen Menschen an allen Orten. Indem wir Freud und Leid mit anderen teilen, nehmen wir teil an dem ewigen Leben Gottes.

Die Photographie 'The Wailing Wall', 2008, Rudolph.A.furtado, wurde von ihrem Urheber zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben. Diese Datei ist damit gemeinfrei („public domain“). Dies gilt weltweit.

Wir danken St. Paul's Cathedral in London (www.stpauls.co.uk) für die Erlaubnis, das Bild "The Light of the World" kostenlos zu zeigen.

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