Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Joh. 5, 24 – 29 Alles Leben gehört Gott

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'Christus Pantocrator', 2006, Andreas Wahra

Ewigkeitssonntag

Alles Leben gehört Gott Joh. 5, 24 – 29

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 1999

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, daß die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes, und die sie hören werden, die werden leben. Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber. Joh. 5, 24 – 29

Heute denken wir an die Menschen, die in dem vergangenen Kirchenjahr gestorben sind und kirchlich bestattet wurden. In diesem Zusammenhang reden wir von Verlust. Es heißt: ein Mensch hat sein Leben verloren. Oder es heißt: wir haben einen geliebten Menschen verloren. Dieses Wort „verloren“ ist zutreffend, wenn es darum geht, unsere Gefühle auszudrücken. Aber dieses Wort ist, biblisch gesehen, nicht ganz richtig.

Denn nach Aussage der Bibel gehört alles Leben Gott. Die Bibel veranschaulicht diese Wahrheit auf eine eigentümliche Weise: durch ein Gebot gegen Blut essen. Nach dem Weltbild des Alten Testamentes ist das Blut der Sitz des Lebens. Wie es in dem 5. Buch Mose heißt: „Achte darauf, daß du das Blut nicht ißt; denn das Blut ist das Leben; darum sollst du nicht zugleich mit dem Fleisch das Leben essen.“ Wegen dieser Vorschrift lehnen die Zeugen Jehovas auch Bluttransfusionen ab. Aber es geht hier nicht um ein medizinisches Gesetz, sondern es geht um die Symbolik: es geht darum, zu bezeugen, dass alles Leben Gott gehört; der Mensch darf nicht vereinnahmen, was Gott gehört.

Deswegen hat die Christenheit von Anfang an eine Abneigung gegen Selbstmord, Abtreibung, Euthanasie und Todesstrafe gehabt: denn bei diesen Handlungen tut der Mensch so, als ob ihm Leben gehört und als ob er deshalb über Leben und Tod verfügen darf.

Aber mein Leben gehört mir nicht. Und was einem nicht gehört, das kann man auch nicht verlieren. Auch Menschen kann man nicht verlieren; denn kein Mensch ist der Besitz eines anderen Menschen.
In dem Buch des Propheten Hesekiels steht das Gotteswort: „Siehe, alle Menschen gehören mir; die Väter gehören mir so gut wie die Söhne.“

In dem Text, den wir vorhin gehört haben, heißt es: „Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber.“ Hier wird der Unterschied zwischen Gott und Mensch deutlich. Gott hat das Leben in sich selber. Wir Menschen haben das Leben nicht in uns selber. Leben ist uns anvertraut, es ist nicht etwas, was wir selber produziert haben. Aber Gott hat das Leben in sich selber: Gott ist die Quelle alles Lebens.

Es ist notwendig, diese menschlichen Begrenzungen anzuerkennen, denn nur so kann man Trost finden. Wenn wir davon ausgehen, dass Leben uns Menschen gehört, dann ist der Tod absolut trostlos.
Aber die Kehrseite lautet: weil alles Leben Gott gehört, geht kein Leben verloren. Weil Gott allen Menschen gehört, geht kein Mensch verloren. Der Kirchenvater Augustin formulierte diese Glaubenswahrheit mit den Worten: „Man verliert niemals die, die man in dem liebt, den man nicht verlieren kann.“ Das heißt: „Man verliert niemals die, die man in Gott liebt, den man nicht verlieren kann.“

'Tin mine Cornwall', 2009, Tom Corser

Es wird von einem Mann berichtet, der einen Freund in Cornwall, England, besuchte. Eines Tages unternahm dieser Mann einen Spaziergang, aber er verlor die Orientierung. Als es dunkel wurde, befand er sich in einer Gegend, in der es früher ein Bergwerk gab. Er hatte davon gehört, dass es hier Luftschächte gab, die abgrundtief und nicht abgezäunt waren. Er wußte, dass es lebensgefährlich war, in der Abenddämmerung weiter zu laufen, aber es war zu kalt, um sich einfach hinzusetzen und die ganze Nacht abzuwarten. Also ging er vorsichtig weiter. Aber dann passierte doch das, was er gefürchtet hat. Er trat über den Rand eines Luftschachtes und er rutschte nach unten. Es gelang ihm aber, sich mit seinen Händen an der Kante festzuhalten. Und er hing da in Todesangst. Und nach 20 Minuten merkte er, dass er nicht viel länger aushalten würde, denn die Kraft in seinen Armen war nicht unbegrenzt; irgendwann bald würde er loslassen müssen und in den Abgrund hinabstürzen. Aber dann sah er in der Ferne ein Licht. Sein Freund hatte eine Suchtruppe organisiert, und sie kamen in seine Richtung. Er schrie um Hilfe und seine Retter kamen dann direkt auf ihn zu. Als sie die Lichter ihrer Taschenlampen auf ihn richteten, machte der Mann, der am Rande des Luftschachts hing, eine überraschende Entdeckung: 30 cm unter seinen Füßen war fester Boden: dieser Luftschaft wurde mit Erde gefüllt. Alle seiner Ängste waren umsonst.

Und diese Begebenheit kann als Gleichnis dienen für unsere Situation. Es sieht so aus, als ob alles im Leben von der eigenen Anstrengung abhängt. Es sieht so aus, als ob Lebenserfüllung davon abhängt, wie ich mich verhalte. Es sieht so aus, als ob die Absicherung des Lebens auch von der eigenen Anstrengung abhängt. Aber dann kommen Momente, wenn Vergänglichkeit und Tod drohen, wenn es auf einmal klar wird, dass die eigene Kraft nicht mehr ausreicht und dass man irgendwann bald loslassen muß. Man muß das eigene Leben loslassen; man muß eine geliebte Person loslassen. Und was passiert in diesem Moment? Rutscht das Leben in einen Abgrund hinab, wo es uns unwiderruflich verloren geht, oder wird das Leben aufgefangen von Gott, der uns die ganze Zeit näher war, als wir dachten?

Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wem das Leben zuletzt gehört. Wenn mein Leben mir gehört, dann bin ich zuletzt verloren, wenn meine Kraft nachläßt. Wenn aber alles Leben Gott gehört, dann geht kein Leben verloren.

In diesem Zusammenhang muß man auch eine Unterscheidung machen zwischen Glauben, den man verlieren kann, und Glauben, der nicht zu verlieren ist. Es gibt Menschen, die sagen: ich habe meinen Glauben an Gott verloren, weil er mich in Stich gelassen hat.

In den 70er Jahren war Jimmy Carter Präsident der USA. Jahre später, nachdem er nicht mehr in Amt war, gab es in seiner Familie zwei Todesfälle kurz hintereinander. Seine Frau, Rosalyn, machte deshalb eine Glaubenskrise durch. Sie sagte dazu folgendes: „Ich hatte für meinen Vater gebetet und gebetet, dass es ihm besser geht, und wegen dieser Gebete, erwartete ich, dass er wieder gesund wird. Aber er wurde nicht gesund, sondern starb. Und kurz danach starb auch meine Großmutter. Ich hatte Mitleid mit mir selber und verstand nicht, warum mir dies passieren mußte. War ich so schlecht gewesen? Hatte mich Gott nicht mehr lieb? Ich zweifelte an Gott, und weil ich zweifelte, hatte ich Angst.“

Was sie hier erlebte, erleben viele. Es gibt Menschen, die dann sagen: ich habe meinen Glauben an Gott verloren. Aber Gott kann man nicht verlieren. Das Einzige, was man in einer solchen Krise verlieren kann, ist ein falsches Bild von Gott. In einer Glaubenskrise verliert man Götzen und man verliert Glaubensverfälschungen. Aber Gott kann man nicht verlieren und wahrhaftiger Glaube kann auch nicht scheitern. Diese Frau Carter, die Vater und Großmutter kurz hintereinander verlor, verlor auch ihren Glauben nicht. Sondern sie entdeckte in dieser Krise, was wahren Glauben ausmacht: wie sie sagte, bekam sie die Erkenntnis, dass Gott mit uns leidet und uns bedingungslos annimmt, egal wie viel Zweifel aufkommen mag. Dass Gott mit uns leidet und uns bedingungslos liebt wurde in Jesus Christus offenbart. Das Leiden Christi war gleichzeitig das Mitleiden Gottes mit der Menschheit. Die bedingungslose Liebe Christi war gleichzeitig die bedingungslose Liebe Gottes. Deswegen heißt es in dem Johannestext: „Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber.“

Und dieses Leben fängt nicht erst nach dem Tode an, sondern kann jetzt anfangen. Deswegen heißt es im Text:

„Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern ist vom Tode zum Leben hindurch gedrungen“.

Wer die Gemeinschaft mit Gott in Christus gefunden hat, gehört schon jetzt zu einem Leben, das nicht vergehen kann.

Und damit wir diese Wahrheit nicht vergessen, feiern wir Abendmahl. Wenn wir in der Tischgemeinschaft vor dem Altar stehen, gehören wir zu einer Gemeinschaft, in der der Tod nur ein Übergang ist. Dies wird heute auf einer besonderen Weise veranschaulicht, wenn wir später die Namen der Verstorbenen lesen und Kerzen am Altar bei jedem Namen anzünden. Auf diese Weise wird symbolisch veranschaulicht, dass die Verstorbenen zu dem ewigen Licht gehören, das Christus heißt, und dass Lebende und Verstorbene zueinander gehören. Wir haben unsere Verstorbene nicht verloren, denn sie sind mit uns zusammen in Gott geborgen.

'Portrait of Saint John Chrysostom of Antioch ', 2005, Valentinian

In dem 5. Jahrhundert wurde der große Kirchenvater Johannes Chrisostomos vor den römische Kaiser Arkadius geholt. Chrisostomos war ein Vertreter des orthodoxen Christentums, aber er hatte starke Feinde, die Einfluß auf den Kaiser hatte. Und der Kaiser drohte Chrisostomos mit Verbannung in die Wüste. Chrisostomos erwiderte: „Du kannst mich nicht verbannen, denn die ganze Welt ist meines Vaters Haus.“ Der Kaiser sagte: „Dann werde ich dich töten“. Chrisostomos erwiderte: „Das kannst du auch nicht, denn mein Leben ist mit Christus in Gott verborgen.“ Der Kaiser probierte eine andere Drohung aus: „Ich werde deine Schätze wegnehmen.“ Chrisostomos erwiderte: „Meine Schätze sind im Himmel, wo auch mein Herz ist.“ Der Kaiser rief: „Aber ich werde dich von allen menschlichen Siedlungen vertreiben; du wirst keinen einzigen Freund haben.“ Johannes erwiderte: „Aber das geht auch nicht, denn ich habe einen Freund im Himmel, der sagte: „Ich werde immer bei dir sein und dich nie verlassen.“ Hier wurde bezeugt, was die Bibel uns vermitteln will: es geht nichts verloren, was in Gott aufgehoben ist.
Auch Worte und Taten der Liebe gehen nicht verloren, sondern werden zuletzt zu der Vollendung beitragen, für die wir in Gott vorgesehen sind. Amen.

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Die Abbildung 'Portrait of Saint John Chrysostom of Antioch', 2005, Valentinian, ist im public domain, weil ihr copyrigth abgelaufen ist.

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