Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
Zurück zum Archiv Home der Dreikönigsgemeinde

Evangelisch-Lutherische

DREIKÖNIGSGEMEINDE

Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Ewigkeitssonntag: Matt. 25, 1 – 13 Das Schreien des Herzens

« Predigten Home

Detail from 'The Parable of the Wise and Foolish Virgins', 1838–1842, Friedrich Wilhelm Schadow

Ewigkeitssonntag

Das Schreien des Herzens Matt. 25, 1 – 13

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2003

Dann wird das Himmelreich gleichen zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und gingen hinaus, dem Bräutigam entgegen. Aber fünf von ihnen waren töricht, und fünf waren klug. Die törichten nahmen ihre Lampen, aber sie nahmen kein Öl mit. Die klugen aber nahmen Öl mit in ihren Gefäßen, samt ihren Lampen. Als nun der Bräutigam lange ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein. Um Mitternacht aber erhob sich lautes Rufen: Siehe, der Bräutigam kommt! Geht hinaus, ihm entgegen! Da standen diese Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen fertig. Die törichten aber sprachen zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, denn unsre Lampen verlöschen. Da antworteten die klugen und sprachen: Nein, sonst würde es für uns und euch nicht genug sein; geht aber zum Kaufmann und kauft für euch selbst. Und als sie hingingen zu kaufen, kam der Bräutigam; und die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür wurde verschlossen. Später kamen auch die andern Jungfrauen und sprachen: Herr, Herr, tu uns auf! Er antwortete aber und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. Darum wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde. Matt. 25, 1 – 13

In der nordamerikanischen Stadt Topeka im Bundesstaat Kansas gibt es eine Klinik - die Menninger Klinik – in der Kinder mit psychosomatischen Störungen behandelt werden. Einmal hat sich diese Klinik mit Säuglingen befasst, die eine sonderbare Störung hatten – nämlich sie wollten oder konnten nicht weinen. Säuglinge weinen, weil sie instinktiv wissen, dass sie auf diese Weise Aufmerksamkeit und Zuwendung bekommen. Aber diese Kleinkinder, die nicht mehr weinten, wurden von ihren Eltern vernachlässigt; sie hatten stundenlang geweint und die Eltern hatten nicht reagiert. Zuletzt hatten diese Kinder aufgehört, zu weinen, denn sie hatten gelernt, dass es sich nicht lohnt. Die Klinik versuchte daraufhin ein Experiment. Bewohner von Altenheimen und Altenwohnanlagen wurden dazu eingeladen, in die Klinik zu kommen; sie sollten die Säuglinge in ihre Armen nehmen und schaukeln. Das Ziel war es, dass diese Kleinkinder wieder weinen lernen sollten. Und es hat funktioniert; die Kinder fingen wieder an zu weinen. Der körperliche Kontakt war dabei ausschlaggebend.

Diese Begebenheit kann als Gleichnis dienen. Es gibt Menschen, die zu Gott schreien, wenn sie Schmerz und Trauer erleiden. Dieses Schreien ist nicht unbedingt ein lautes Schreien, sondern ein stilles Schreien des Herzens.

'Candle wick burning', 2004, Matthew Bowden

In der Bibel kommt das Wort Schreien auffallend häufig vor, besonders in den Psalmen, z. B.

  • Vernimm mein Schreien, mein König und mein Gott; denn ich will zu dir beten
  • Als mir angst war, rief ich den HERRN an und schrie zu meinem Gott. Da erhörte er meine Stimme von seinem Tempel, und mein Schreien kam vor ihn zu seinen Ohren
  • Die Augen des HERRN merken auf die Gerechten und seine Ohren auf ihr Schreien. Wenn die Gerechten schreien, so hört der HERR und errettet sie aus all ihrer Not
  • Höre mein Gebet, HERR, und vernimm mein Schreien, schweige nicht zu meinen Tränen;
  • HERR, Gott, mein Heiland, ich schreie Tag und Nacht vor dir. Laß mein Gebet vor dich kommen, neige deine Ohren zu meinem Schreien. 88,2

Dieses Schreien zu Gott ist offenbar etwas Urmenschliches. Aber wir Menschen sind in einer Hinsicht wie die vorhin erwähnten Säuglinge: wir Schreien zu Gott nur solange wir rechnen, dass er unser Gebet hört und sich uns zuwendet. Sonst hört das Schreien irgendwann auf. Und es gibt Menschen, die aufgehört haben, Gott im Gebet aufzusuchen – nach einer Umfrage behaupten 40% unserer Bevölkerung, dass sie nie beten.

Und das bringt uns zu dem Gleichnis, das wir vorhin gehört haben. Gebet ist wie eine Flamme des Herzens; deswegen werden Kerzen angezündet als Veranschaulichung des Gebetes. Und Menschen, die in ihren Herzen nicht mehr zu Gott schreien, sind vergleichbar mit den Jungfrauen in dem Gleichnis, deren Flammen ausgegangen sind.

Dieses Gleichnis erzählt von einer Hochzeitstradition, die bis in unsere Zeit erhalten geblieben ist. Ein Reisender in Palästina im 20. Jahrhundert hatte folgendes beobachtet:

Detail from 'The Parable of the Wise and Foolish Virgins', 1838–1842, Friedrich Wilhelm Schadow

„Als wir uns einer Stadt in Galiläa näherten, sah ich zehn festlich gekleidete Mädchen, die auf Musikinstrumenten spielend vor uns die Straße entlangtanzten. Als ich mich nach ihrem Tun erkundigte, erzählte der mit uns fahrende Dolmetscher mir, sie seien dabei, einer Braut Gesellschaft zu leisten, bis ihr Bräutigam komme. Auf meine Frage, ob Aussicht bestünde, die Hochzeit anzusehen, schüttelte er den Kopf und sagte: ‚Vielleicht findet sie heute Abend statt, vielleicht morgen Abend, vielleicht aber auch erst in vierzehn Tagen; das kann niemand mit Bestimmtheit sagen.’ Weiter erklärte er, es sei eine große Sache, wenn es dem Bräutigam gelinge, die Braut mit ihrem Gefolge zu überraschen. Er komme unangemeldet, zuweilen mitten in der Nacht; wohl erwarte man, dass er jemanden vorausschickte, der in den Straßen ausrufe: ‚Siehe, der Bräutigam kommt!’ doch könne dies zu jeder beliebigen Zeit geschehen, so dass die Braut mit ihrem Gefolge sich ständig bereithalten müsse, auf die Straße hinaus und ihm entgegenzugehen, wann immer er auch komme...Wichtig sei dabei auch, dass niemand nach Einbruch der Dunkelheit auf die Straße gehen dürfe, ohne eine brennende Lampe bei sich zu haben, und auch, dass Zuspätkommende, die nach dem Bräutigam einträfen und nachdem die Tür bereits geschlossen sei, zur Hochzeitszeremonie nicht mehr zugelassen würden.“

Das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen will uns also veranschaulichen, wie wichtig es ist, Gott gegenüber eine Haltung der wartenden Bereitschaft zu haben. Denn der Tag wird kommen, an dem Gott seine Schöpfung vollenden wird. An diesem Tag – wie es in dem letzten Buch der Bibel heißt – wird Gott unter seinen Menschen wohnen, und er wird alle Tränen von den Augen der Menschen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein – und Gott wird alles neu machen. Dieser Tag wird ein Festtag sein, vergleichbar mit einem Hochzeitsfest, das in der damaligen Zeit als Inbegriff der Freude galt.

Und an diesem Tag wird es offenbar sein, dass es zwei Sorten von Menschen gibt: Menschen, die auf diesen Tag gewartet haben und Menschen, die von diesem Tag überrascht werden. Es gibt Menschen, die bereit sind, sich auf eine innige, unvergängliche Gemeinschaft mit Gott einzulassen und es gibt Menschen, die für eine Gemeinschaft mit Gott nicht bereit sind. Denn es gibt Menschen, die in ihren Herzen nach Gott schreien; und es gibt Menschen, die nicht nach Gott schreien, weil etwas in ihren Herzen abgestumpft ist. Und es gibt Menschen, die auf den Tag warten, an dem sie mit geliebten Menschen wieder vereint werden, die gestorben sind, die aber in Gott leben; und es gibt Menschen, in denen diese Hoffnung ausgegangen ist, wie die Flamme einer Öllampe, die ausgetrocknet ist.

'Crying Baby', Deadstar

In dieser Situation sind wir vergleichbar mit den Säuglingen, die am Anfang erwähnt wurden. So wie diese Säuglinge auf körperliche Berührung angewiesen waren, so sind wir Menschen in unserer Beziehung zu Gott auf Zeichen angewiesen, die uns körperlich ansprechen. Es ist die große Schwäche der evangelischen Kirche, dass sie - historisch gesehen - die Beziehung zu Gott als eine rein geistige Angelegenheit betrachtet. Denn wir Menschen bestehen aus Fleisch und Blut. Deswegen sind wir auf Handlungen angewiesen, bei denen wir körperlich angesprochen werden. Und in diesem Zusammenhang spielt das Abendmahl eine unentbehrliche Rolle. Denn Brot und Kelch können wir anfassen und schmecken. Im Brot und Wein ist Jesus Christus als der Auferstandene so gut wie leibhaftig anwesend und richtet eine Wohnung in unseren Herzen ein. Mit Brot und Kelch werden wir von Gott berührt, so dass wir es körperlich spüren können. Und das Abendmahl ist ein Vorgeschmack des Vollendungsfestes, das Gott mit allen Völkern feiern wird. Wenn wir Abendmahl feiern, ist nicht nur Gott für uns persönlich anwesend, sondern gleichzeitig sind in ihm alle anwesend, die zu ihm gehören – auch die, die uns vorausgegangen sind. Das Abendmahl ist ein Berührungspunkt, der Himmel und Erde, Lebendende und Verstorbene verbindet. Wir Menschen brauchen eine solche Berührung, damit das Schreien im Herzen nicht verstummt, damit wir bereit sind für den Tag, an dem Gott sein Werk vollendet.

Denn den normale Zustand des menschlichen Herzens findet man in den Psalmen, wo es heißt:

Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen, daß ich Gottes Angesicht schaue? Ich harre des HERRN, meine Seele harret, und ich hoffe auf sein Wort. Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als die Wächter auf den Morgen.

Möge Gott uns helfen, diese sehnsüchtige, wartende Haltung zu bekommen und zu bewahren. Amen.

Die Photographie 'Crying Baby', Deadstar, wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.
Das Gemälde 'Die klugen und die törichten Jungfrauen', um 1813, Peter von Cornelius, und dessen Reproduktion gehört weltweit zum "public domain". Das Bild ist Teil einer Reproduktions-Sammlung, die von The Yorck Project zusammengestellt wurde. Das copyright dieser Zusammenstellung liegt bei der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH und ist unter GNU Free Documentation lizensiert.
Das Kunstwerk Detail from 'The Parable of the Wise and Foolish Virgins', 1838–1842, Friedrich Wilhelm Schadow, ist gemeinfrei, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Photographie 'Candle wick burning', 2004, Matthew Bowden, ist urheberrechtlich geschützt. Der Urheber gestattet jedermann unter der Bedingung der angemessenen Nennung seiner Urheberschaft (beispielsweise in der Bildunterschrift) jegliche Nutzung. Weiterverbreitung, Bearbeitung und kommerzielle Nutzung sind gestattet.