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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Markus 11, 12 – 21 Jesu Angriff auf den Tempel

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Passionsandacht: Markus 11, 12 – 21 Jesu Angriff auf den Tempel

Gehalten von Pfarrer Phil Schmidt:

Vertreibung der Geldwechsler aus dem Tempel, Giotto di Bondone, 1267-1337

Und am nächsten Tag, als sie von Betanien weggingen, hungerte ihn. Und er sah einen Feigenbaum von ferne, der Blätter hatte; da ging er hin, ob er etwas darauf fände. Und als er zu ihm kam, fand er nichts als Blätter; denn es war nicht die Zeit für Feigen. Da fing Jesus an und sprach zu ihm: Nun esse niemand mehr eine Frucht von dir in Ewigkeit! Und seine Jünger hörten das. Und sie kamen nach Jerusalem. Und Jesus ging in den Tempel und fing an auszutreiben die Verkäufer und Käufer im Tempel; und die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler stieß er um und ließ nicht zu, dass jemand etwas durch den Tempel trage. Und er lehrte und sprach zu ihnen: Steht nicht geschrieben (Jesaja 56,7): »Mein Haus soll ein Bethaus heißen für alle Völker«? Ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht. Und es kam vor die Hohenpriester und Schriftgelehrten, und sie trachteten danach, wie sie ihn umbrächten. Sie fürchteten sich nämlich vor ihm; denn alles Volk verwunderte sich über seine Lehre. Und abends gingen sie hinaus vor die Stadt. Und als sie am Morgen an dem Feigenbaum vorbeigingen, sahen sie, dass er verdorrt war bis zur Wurzel. Und Petrus dachte daran und sprach zu ihm: Rabbi, sieh, der Feigenbaum, den du verflucht hast, ist verdorrt.

Das Markusevangelium berichtet, dass die Tempelreinigung der unmittelbare Anlass war, dass die Hohenpriester und Schriftgelehrten danach trachteten, Jesus umzubringen. Warum soll die Tempelreinigung so schwerwiegend gewesen sein?

Um diesen Vorgang zu verstehen, muss man wissen, welche Rolle die Hohenpriester in der damaligen Zeit spielten. Der Hohepriester wurde jedes Jahr von den Römern ausgesucht oder bestätigt. Er musste sich deshalb so verhalten, dass die Römer mit ihm einverstanden waren. Der Hohepriester, der Jesus verhörte und an die Römer auslieferte, war Kaiaphas. Kaiaphas regierte 18 – 37 n. Chr., 19 Jahre lang, länger als jeder seiner Vorgänger. Wer so lange regierte, musste ein „höchst pragmatisch eingestellter Politiker“ gewesen sein, wie ein Kommentator schreibt. Sein kaltblütiger Realismus ist in dem Johannesevangelium bezeugt, wo er folgendermaßen zitiert wird: „Es ist besser für euch, es stirbt ein einziger Mann für das Volk, als dass das ganze Volk zugrunde geht.“ In diesem Zitat sehen wir eine Aufgabe des Hohenpriesters: er musste aufpassen, dass kein Aufstand entsteht. Deswegen lautete die Denkweise des Kaiaphas: Lieber Jesus an die Römer ausliefern, als einen Aufstand riskieren, der ein Blutbad der Römer auslösen könnte. Der Hohepriester war also nicht nur für Kulthandlungen zuständig, sondern er war praktisch der Polizeichef von Jerusalem.

Es ging den Hohenpriestern vor allem um den Tempel: der Tempel musste um jeden Preis erhalten bleiben. Der Tempel, als Ort wo Gott persönlich anwesend war, war der Brennpunkt des Judentums.

Und er war der einzige Bereich, wo die Juden volle Verfügungsgewalt hatten. Die Juden hatten sogar das Recht, einen Römer hinzurichten, wenn er eine Grenze um den inneren Tempelbereich übertreten hätte.

Bau des Tempels in Jerusalem, Buchmalerei von Jean Fouquet, um 1470-1475

Und der Tempel des Herodes war außerdem ein stolzes Bauwerk: er war 15 Stockwerke hoch. Der Felsendom, der heute an der Stelle des Tempels steht, ist klein im Vergleich dazu. Außerdem war der Tempelplatz überdimensional groß: dieser Platz, der 15% der Gesamtfläche Jerusalems ausmachte, konnte 400.000 Menschen aufnehmen. Wer also den Tempel verwaltete, hatte hohes Prestige, und es wäre kein Wunder, wenn das Hohepriesteramt Geltungssucht ausgelöst hätte.

Aber die Verwaltung des Tempels war nicht nur eine Frage der Eitelkeit. Der Tempel war auch der größte Arbeitgeber Jerusalems. Er beschäftigte ganzjährig etwa 7000 Priester und rund 10.000 Leviten (Musiker, Sänger, Tempeldiener, Wachen). Außerdem wurde der Tempelbau noch nicht abgeschlossen. Hunderte von Arbeitern und Handwerkern, Webern und Schneidern waren damit beschäftigt, den Tempel weiterhin zu bauen. Diese Bautätigkeit ging bis in die 60er Jahre hinein. Schreiber, die sorgfältig alle Vorgänge protokollierten, hatten auch durch den Tempel einen Arbeitsplatz. Durch den Opferbetrieb wurden Viehzüchter und Opferverkäufer reich. Denn der Tempel war vielleicht der größte Schlachthof der Menschheitsgeschichte. Der jüdische Historiker Josephus berichtet, dass es an einem Pessachfest einmal vorkam, dass 256.000 Lämmer im Tempel geschlachtet wurden. Diese Zahl klingt übertrieben, aber man muss bedenken, dass Jerusalem zur Zeit Jesu mindestens 120.000 Bewohner hatte – nach Tacitus sogar 600.000 - und zu einem Pessachfest kamen 300.000 bis 500.000 Pilger dazu, manchmal bis zu 3 Millionen, um das Pessachfest zu feiern. Es gab also eine riesige Pilgerindustrie – durch den Tempel. Und für je zehn Pilger war in der Regel ein Lamm erforderlich. Und es gab außerdem die täglichen Schlachtungen und Brandopfer. Wie viel vergossenes Blut zu entfernen war, kann man daran erkennen, dass schätzungsweise 45 Millionen Liter Wasser unter dem Tempelplatz gespeichert waren.

Aber der Tempel war auch eine riesige Bank, und der Hohepriester war deshalb auch eine Art Finanzminister. Als der römische Feldherr Pompeius 63 v. Chr. Jerusalem eroberte, stellte er fest, wie viel Gold der Tempel besaß. Abgesehen von den Kultgegenständen – dem Tisch, den Leuchtern, den Tellern und Schüsseln aus purem Gold – waren in der Schatzkammer 2000 Goldtalente gelagert; das waren 52.000 kg Gold, was heute ca. € 600 Millionen entspricht. Erstaunlicherweise tastete Pompeius diesen Tempelschatz nicht an und das rechneten ihm die Juden hoch an. Das heißt: dieser Tempelschatz war zur Zeit Jesu noch intakt und stand unter dem Schutz der Römer. Und er war ständig am Wachsen. Denn woher kam das Tempelvermögen? Es kam teilweise durch freiwillige Abgaben, teilweise durch den täglichen Verkauf von Opfertieren. Aber die weitaus größten Einkünfte kamen aus der Tempelsteuer. Jeder volljährige, männliche Jude musste jedes Jahr einen halben Schekel zahlen. Aber nicht jede Währung wurde im Tempel akzeptiert. Deshalb gab es Geldwechsler, die heidnische Währung in die „Tempelwährung“ umtauschen konnten. Und diese Geldwechsler erregten offenbar den Zorn Jesu, denn sie kassierten einen Aufschlag von 12,5%. Vielleicht deswegen stieß Jesus die Tische der Geldwechsler um und sagte dazu: „Steht nicht geschrieben (Jesaja 56,7): »Mein Haus soll ein Bethaus heißen für alle Völker«? Ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht.“

Aber Markus berichtet außerdem etwas Eigentümliches. Es heißt: „Und Jesus ging in den Tempel und fing an, auszutreiben die Verkäufer und Käufer im Tempel; und die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler stieß er um und ließ nicht zu, dass jemand etwas durch den Tempel trage.“ Die Lutherübersetzung ist an dieser Stelle etwas ungenau. Es heißt wortwörtlich, dass Jesus es nicht zuließ, dass jemand ein Gefäß durch den Tempel trage. Das griechische Wort für Gefäß wird in der griechischen Übersetzung des Alten Testamentes, der Septuaginta, als Fachausdruck verwendet für die heiligen Gefäße oder Gerätschaften, die in den Kulthandlungen des Tempels eingesetzt wurden. Mit anderen Worten: es sieht so aus, als ob Markus andeuten will, dass Jesus die Kulthandlungen des Tempels vorübergehend unterbrach. Wenn Jesus eine solche Unterbrechung verursacht hätte – auch wenn es nur für ein paar Minuten gewesen wäre – wäre das ungeheuerlich. Denn diese Kulthandlungen sollten die Gemeinschaft zwischen Gott und seinem Volk aufrechterhalten; die Reinheit und Heiligung des Volkes hing angeblich von diesen Handlungen ab. Sie durften um keinen Preis unterbrochen werden. Nicht einmal die Römer hätten es gewagt, die Kulthandlungen des Tempels zu unterbrechen, denn das hätte einen erbitterten Krieg explosivartig ausgelöst. Wenn Jesus den Tempelbetrieb tatsächlich unterbrach, zeigte er eine Vollmacht, die eigentlich nur Gott selber besitzt. Für die Hohenpriester wäre eine solche Handlung absolut unerträglich.

Es gibt also viele Gründe, weshalb die Tempelreinigung unmittelbar dazu führte, dass die Hohenpriester Jesus umbringen wollten. Für die Hohenpriester und ihre Anhänger war Jesus eine unerträgliche, provokative Bedrohung, denn er konnte – ob er es wollte oder nicht – einen Aufstand katalysieren, der zu einem Blutbad führte. Diese Angst war berechtigt, denn im Jahre 66 kam es zuletzt doch zu einem Aufstand gegen die Römer, und die Juden verloren dabei alles: Jerusalem mit dem Tempel wurde zerstört und geplündert. Es entstand ein unvorstellbares Leid für die Juden. Es gab also - pragmatisch gesehen - gute Gründe, Jesus heimlich und schnell zu verurteilen und an die Römer auszuliefern.

Jesus wusste, was ihm bevorstand, und er hat auf seine Weise sein Schicksal prophetisch vorausgesagt, indem er den Feigenbaum verfluchte. Die Verfluchung des Feigenbaums scheint eine sinnlose Handlung zu sein. Aber vielleicht liegt die Erklärung in einer Tradition der damaligen Zeit. Es war nämlich eine Tradition, dass das Holz, aus dem Kreuze gemacht wurden, von verfluchten Bäumen stammen sollte. Indem Jesus einen Baum verfluchte, deutete er nicht nur indirekt auf sein eigenes Schicksal, sondern bezeugte, dass er zuletzt kein hilfloses Opfer ist, sondern dass er im Hintergrund der Bestimmende ist.

Die Ironie des Markusevangeliums bringt immer wieder dieselben Motive zum Vorschein: die Menschen um Jesus herum spielen sich als seine Richter auf, aber verurteilen sich selbst mit ihren eigenen Worten und Handlungen. Die Menschen um Jesus herum verspotten ihn, aber machen sich selbst dadurch lächerlich, ohne es zu merken. Die Menschen um Jesus herum sprechen Halbwahrheiten und Lügen aus, aber ungewollte – ohne es zu wissen – bezeugen sie die Wahrheit. Die Menschen um Jesus herum tun so, als ob sie alle Macht im Himmel und auf Erden hätten, aber sie sind nur Spielzeuge im Vergleich zu Jesus, der tatsächlich alle Macht im Himmel und auf Erden verkörpert.

Auf jeden Fall kann der Tempel eine Warnung für uns sein. Im Umfeld des Tempels gab es Reichtum, Prestige, Arbeitplatzabsicherung um jeden Preis, kaltblütiges pragmatisches Denken, und einen Glauben, der sich selbst für etwas Absolutes hält und die absolute Heiligkeit eines Menschenlebens deshalb nicht anerkennen konnte. Die Hohenpriester waren blind für die Gerechtigkeit, die Gott in Jesus darstellte. Möge Gott uns helfen, dass wir die Sünden der Hohenpriester nicht wiederholen.

Die Malerie 'Vertreibung der Geldwechsler aus dem Tempel', Cappella Scrovegni a Padova, Giotto di Bondone, 1267-1337, sowie die Buchmalerie'Bau des Tempels in Jerusalem' von Jean Fouquet, um 1470-1475, sind im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.

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