Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
Zurück zum Archiv Home der Dreikönigsgemeinde

Evangelisch-Lutherische

DREIKÖNIGSGEMEINDE

Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Hiob 14, 1 – 6 Der Weg zu Gott ist oft ein Umweg

« Predigten Home

'Umbrellas at a temple in Japan', Fg2, 2005

Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr

Der Weg zu Gott ist oft ein Umweg Hiob 14, 1 – 6

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2000

Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst. Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer! Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut. Hiob 14, 1 – 6

Es wird von zwei Freunden berichtet, die zusammen unterwegs waren. Es fing an zu regnen. Einer sagte zu dem Anderen: „Du hast einen Schirm, spann' ihn auf!“ Der Andere erwiderte: „Das nützt nichts. Er hat Löcher.“ Der Erste fragte daraufhin: „Warum hast du ihn mitgenommen?“ Der Schirmhalter antwortete: „Konnte ich wissen, dass es regnet?“

Diese kleine Auseinandersetzung kann als Gleichnis dienen für eine widersprüchliche Haltung, die unter gläubigen Menschen vorkommen kann. Viele Menschen haben einen Glauben, der voller Löcher ist; d.h. er ist bruchstückhaft, er ist unvollständig, er ist nicht konsequent durchdacht. Normalerweise fällt es nicht auf, wenn ein Glaube nicht ganz wasserdicht ist. Wenn aber ein Sturm aufkommt, d.h. eine Lebenskrise, eine Erschütterung, dann ergibt sich die Frage: Warum hat man die ganze Zeit einen Glauben herumgeschleppt, der nicht stichhaltig war?

Diese Art Situation wird in dem Buch Hiob geschildert. Hiob war scheinbar ein glaubensstarker Mann. Auch als er „Hiobsbotschaften“ bekam, hat sein Glaube zunächst gehalten. Hiob hörte eine Reihe von Katastrophenmeldungen: z.B. feindliche Soldaten fielen ein und nahmen einen Teil seiner Herde weg, dabei töteten sie seine Knechte. Durch Naturkatastrophen verlor er einen weiteren Teil seiner Herde und – am allerschlimmsten - seine Söhne und Töchter. Trotzdem verlor er sein Vertrauen zu Gott nicht, sondern er sagte eines der markantesten Glaubensbekenntnisse der Bibel:

(Hiob 1,21) „Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der HERR hat's gegeben, der HERR hat's genommen; der Name des HERRN sei gelobt!“

Aber sein Leid war noch nicht zu Ende. Er verlor seine Gesundheit: er bekam hässliche Beulen am Körper: „böse Geschwüre von der Fußsohle an bis auf seinen Scheitel“. Jetzt war seine Frau verbittert; sie verachtete ihn und wollte mit ihm nichts mehr zu tun haben; sie sagte: „Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Sage Gott ab und stirb!“ Und trotzdem hat Hiob zu Gott gehalten. Auch nachdem er alles verloren hatte, sagte er: (Hiob 2,10) „Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“

'Job and His Friends', 1869 (The State Russian Museum, St. Petersburg)

Scheinbar hatte Hiob einen unerschütterlichen Glauben. Aber die Löcher in seinem Glauben zeigten sich, als Hiob von drei Freunden besucht wurde, die ihn trösten und seelsorglich begleiten wollten. Diese drei Freunde waren Vertreter des damaligen orthodoxen Glaubens. Nach diesem Glauben wurde Tugendhaftigkeit belohnt – mit Wohlstand, Gesundheit, und langem Leben; und Sünde wurde durch Armut, Krankheit und vorzeitiges Sterben bestraft. Der erste Freund fing höflich an, auf Hiob einzureden. Er sagte, dass alle Menschen Sünder wären. Deshalb sollte Hiob seine Sünde bekennen und bereuen. Denn die Ursache des Leidens kann nur bei Hiob liegen – nach Auffassung der korrekt glaubenden Freunde.

Aber Hiob weigert sich, eine besondere Schuldhaftigkeit zuzugeben. Er beharrt darauf, dass er das Leiden nicht verdient hatte, das über ihn gekommen war. Als Erwiderung werfen die Freunde Hiob vor, dass er zu stolz sei, dass er seine menschliche Begrenztheit nicht einsehen wolle. Sie halten ihm vor: wenn er wirklich ehrlich wäre, würde er einsehen, dass Gott ihn viel leichter bestraft hat, als er es verdient hätte.

Aber dieses korrekte Dogma reizt Hiob dazu, immer mehr auszurasten. Auf einmal wurde offenbar, dass der Glaube Hiobs doch nicht wasserdicht war, sondern große Löcher hatte. Zuerst verflucht er den Tag seiner Geburt. Er wünscht sich den Tod. Er sagt: (Hiob 9,21) „Ich bin unschuldig! Ich möchte nicht mehr leben; ich verachte mein Leben.“

Aber dann greift er Gott an. Gott wird als willkürlicher Tyrann beschrieben: „Er bringt den Frommen um wie den Gottlosen. Wenn seine Geißel plötzlich tötet, so spottet er über die Verzweiflung der Unschuldigen“ Er vergleicht Gott mit einem Raubtier: (Hiob 16,9) „Sein Grimm hat mich zerrissen, und er war mir feind; er knirschte mit den Zähnen gegen mich; mein Widersacher funkelt mich mit seinen Augen an“ Er vergleicht Gott mit einem Hooligan: (Hiob 16,12-14) „Er hat mich beim Genick genommen und zerschmettert.“ Er vergleicht Gott mit einem tobsüchtigen Kriegssoldat: „Er hat mich als seine Zielscheibe aufgerichtet; seine Pfeile schwirren um mich her. Er hat meine Nieren durchbohrt und nicht verschont; er hat meine Galle auf die Erde geschüttet. Er schlägt in mich eine Bresche nach der andern; er läuft gegen mich an wie ein Kriegsmann.“

Es ist erstaunlich, dass das Buch Hiob in die Bibel aufgenommen wurde, denn niemand sonst in der ganzen biblischen Geschichte wagt es, so maßlos aggressiv über Gott zu reden wie Hiob. An einer Stelle wünscht er sich, dass Gott ihn in Ruhe lässt, damit er seinen Speichel schlucken kann. Mit anderen Worten: Hiob ist Gott gegenüber völlig unverschämt geworden: er macht Gott haftbar für alles, was in seinem Leben schiefgegangen ist und er will, dass Gott ihn loslässt, damit er endlich zur Ruhe kommen kann. In diesem Zusammenhang ist der Text zu sehen, der für heute vorgesehen ist, wo es heißt:

„so blicke doch weg von ihm (dem Menschen), damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt (der Tag des Todes als Befreiungstag)“.

Hiob wagt es, Gedankengänge zu äußern, die verboten waren. Er stellt die Gerechtigkeit Gottes in Frage. Er stellt in Frage, ob Gott kompetent ist. Hiob beharrt darauf, dass er im Recht ist und Gott im Unrecht. Hiob ist nach biblischer Definition in der Hölle, denn er ist von Gott total entfremdet.

Aber zuletzt wurde diese Entfremdung überbrückt, indem Gott sich selbst offenbarte. Was Hiob erlebte, lässt sich am Besten mit einer kleinen Begebenheit schildern, die in einer Cafeteria passierte. Eine Frau hat während einer Arbeitspause die Kantine der Firma aufgesucht. Sie hat an einer Selbstbedienungstheke Kaffee und Kekse gekauft, und anschließend – weil kein Platz sonst frei war - setzte sie sich einem Mitarbeiter gegenüber, den sie nicht kannte, der dabei war, Kaffee zu trinken und eine Zeitung zu lesen. Die Frau nahm ein Plätzchen von ihrem Teller und gleichzeitig nahm der Mann ein Plätzchen von demselben Teller. Sie konnte es nicht fassen, dass jemand so unverschämt ist, sich einfach selbst zu bedienen von ihrem Teller. Und er hat sie dabei angelächelt und dann weiter seine Zeitung gelesen, als ob nichts passiert wäre.

'Students and Employees of CTU in Prague', VIC CVUT, 2009

Als sie noch einmal ein Plätzchen nahm, griff er gleichzeitig nach einem weiteren Gebäckstück. Sie starrte ihn strafend an, aber er schien davon nicht beeindruckt zu sein; er lächelte nur. Zuletzt griffen die Frau und der Mann gleichzeitig nach dem letzten Gebäckstück. Er lächelte sie freundlich an, teilte das Stück und aß die Hälfte. Danach stand er auf, verabschiedete sich freundlich und ging weg. Die Frau war fassungslos, dass ein Mann so unverfroren egoistisch sein konnte. Aber dann kam die Bedienung hinter der Theke mit einem Teller und sagte zu der Frau: „Entschuldigung, aber Sie haben ihre Plätzchen an der Kasse vergessen.“ In dem Moment dämmerte es ihr: die ganze Zeit hat sie gemeint, es würde ihr etwas weggenommen, was ihr gehörte; aber sie war es, die im Unrecht war. Der Mann, dem sie gegenübersaß, war nicht unverschämt, sondern hat auf die Situation mit einer erstaunlich gnädigen Haltung reagiert.

Und diese Begebenheit kann als Veranschaulichung dienen für das, was Hiob durchmachte. Zuerst hatte er den Eindruck gehabt, dass Gott unverschämt wäre, weil er ihm alles ohne Grund weggenommen hatte. Aber dann hatte er eine Begegnung mit Gott. Gott offenbarte seine schöpferische Tätigkeit; er offenbarte, was er für die Menschen getan hat und was er ihnen gegeben hat. Er hat die Fragen Hiobs nicht beantwortet, aber er hat von sich aus die Entfremdung überbrückt, so dass Hiob erkannte, dass er Gott völlig falsch eingeschätzt hatte. Wie die Frau in der Kantine hat er ein großes Aha-Erlebnis gehabt: Gott ist nicht ein Dieb, ein Raubtier, ein Hooligan, sondern Gott ist erstaunlich gnädig. Wie er sagte:

(Hiob 42,5) „Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen.“

In Hiob wird exemplarisch vorgeführt, dass wir Menschen die Aufgabe haben, Gott zu suchen. Und solange wir nur das sehen, was wir verloren haben und nicht sehen, dass Gott unermesslich gnädig ist, haben wir Gott noch nicht gefunden.

'Hauskater unter Regenschirm', B. Proksch, 2007

Und der Weg zu Gott ist oft ein Umweg. Wir sollen deshalb nicht auf Menschen herabschauen, die sich von der Kirche entfremden, die es vielleicht mit Esoterik oder mit einer östlichen Religion ausprobieren, oder die in eine Sekte geraten. Für Gott suchende Menschen ist die Christenheit manchmal abschreckend, denn Christen haben – zu Recht oder zu Unrecht - das Image, dass sie fertige Glaubensrezepte vertreten, dass sie nicht mehr auf der Suche sind, sondern dass sie ein bequemes Glaubenshaus gefunden haben und selbstgefällig auf andere herabschauen, die noch nicht so weit sind. Mit anderen Worten: Christen haben das Image, dass sie so sind, wie die drei Freunde Hiobs, die selbstsicher waren, weil sie das korrekte Dogma kannten.

Aber manchmal muss man einen ketzerischen Weg riskieren, um Gott zu finden. Die Kirchengeschichte ist voll von Menschen, die Frieden mit Gott nur deswegen fanden, weil sie bereit waren, als Ketzer zu gelten: z.B. Franz von Assisi oder Martin Luther oder John Wesley. Ich selber habe die Gnade Gottes erst dann lebhaft entdeckt, als ich ernsthaft überlegte, ob ich mich den Mormonen anschließen sollte.

Das Buch Hiob verkündet die Botschaft: Bilde dir nicht ein, dass das, was du erlitten und verloren hast, dein Hauptproblem ist. Und wenn du anfängst, über den Sinn deines Lebens zu grübeln, gib dich nicht zufrieden mit einfachen, überlieferten Antworten. Denn sie sind wie ein Regenschirm mit Löchern. Sondern suche den lebendigen Gott und gib dich nicht zufrieden, bis du ihn gefunden hast. Auch wenn du Gott selber angreifen musst, auch wenn du ketzerische Gedanken wagen musst. Denn es gibt nichts Wichtigeres in deinem Leben, als den lebendigen Gott zu suchen - und zu entdecken, dass er unermesslich gnädig ist.

Die Photographie 'Umbrellas at a temple in Japan', Fg2, 2005, wurde von ihrem Urheber zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben. Diese Datei ist damit gemeinfrei („public domain“). Dies gilt weltweit.
Die Freigabe zur Nutzung der Photographie 'Hauskater unter Regenschirm', B. Proksch, 2007 wurde im Wikimedia-OTRS-System archiviert; dort kann die Konversation von Nutzern mit OTRS-Zugang eingesehen werden. Zur Verifizierung kann man jederzeit einen OTRS-Mitarbeiter anfragen.
Das Gemälde 'Job and His Friends', 1869 (The State Russian Museum, St. Petersburg), ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Photographie 'Students and Employees of CTU in Prague', VIC CVUT, 2009, wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.

^ Zum Seitenanfang

PSch