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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Jakobus 5, 13 – 18 Hauptsache gesund ...?

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'Letzte Ölung', Dutch School, c.1600

19. Sonntag nach Trinitatis

Hauptsache gesund ...? Jakobus 5, 13 – 18


Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2006

Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen. Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden. Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist. Elia war ein schwacher Mensch wie wir; und er betete ein Gebet, dass es nicht regnen sollte, und es regnete nicht auf Erden drei Jahre und sechs Monate. Und er betete abermals, und der Himmel gab den Regen, und die Erde brachte ihre Frucht. Jakobus 5, 13 – 18

Im letzten Monat gab es eine Umfrage zu dem Thema: „Wer glaubt an Wunder?“ Das Institut für Demoskopie Allensbach hat ermittelt, inwieweit unsere Bevölkerung bereit ist, zu glauben, dass es Wunder gibt. Das Ergebnis ist überraschend. Vor 6 Jahren waren nur 29% bereit, daran zu glauben, dass es Wunder gibt. Inzwischen glauben 56% an Wunder. Und mit dem Begriff Wunder sind Vorgänge gemeint wie z. B. die Heilung von einer schweren, scheinbar hoffnungslosen Krankheit, oder wenn jemand einen schweren Unfall unbeschadet übersteht, oder die Rettung aus scheinbar aussichtslosen Notlagen. Und 51% glauben sogar, dass es Schutzengel gibt, bzw. eine höhere Macht, die einen beschützt. Die Bereitschaft, an die Kraft des Gebets zu glauben, ist auch gestiegen. Vor 14 Jahren waren 39% bereit, zu glauben, dass Gebet etwas bewirken kann. Diese Prozentzahl ist inzwischen auf 46% gestiegen. Diese neuerliche Bereitschaft, für Wunder offen zu sein, hängt nicht von Schulbildung ab. Menschen mit einer höheren Schulbildung sind genauso bereit, an Wunder zu glauben, wie Menschen mit einer einfachen Schuldbildung. Auch hat diese neue Tendenz offenbar nichts mit esoterischer Leichtgläubigkeit zu tun, denn esoterische Aussagen werden nur von wenigen Befragten akzeptiert.

Der Text, der für heute vorgesehen ist, bezeugt die Wirksamkeit des Gebets bei Krankheit. Unsere Bevölkerung ist scheinbar offener geworden für die Möglichkeit, dass Gebet eine heilsame Wirkung auf Krankheit haben könnte – wie der heutige Text in Aussicht stellt. Es heißt in diesem Text:

Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen.

'Mater Dolorosa', Tiziano Vecellio and his workshop, c. 1555

Was dieser Text schildert, ist allerdings etwas Anderes als ein allgemeiner Wunderglaube. Denn der Jakobustext deutet auf Handlungen, die für unsere Bevölkerung nicht ohne Weiteres nachvollziehbar sind. Was der Jakobustext fordert ist etwas mehr als eine generelle Bereitschaft, an Wunder oder an Gebet zu glauben. Denn Jakobus schildert zwei Bekenntnismomente. Es heißt:

Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn.

Diese Salbung mit Öl ist ein Hinweis auf Christus, denn Christus heißt wortwörtlich, der Gesalbte, bzw. der Geölte. Und wenn es heißt: der Kranke soll im Namen des Herrn (d.h. im Namen Jesu Christi) mit Öl gesalbt werden, dann geht es um ein Bekenntnis – der Kranke bekennt sich zu Jesus Christus, indem er Vertreter der Gemeinde zu sich ruft, um diese Handlung an ihm zu vollziehen. Die katholische Kirche sieht in diesem Jakobusbrieftext die Vorlage für das Sakrament der Krankensalbung.

56% unserer Bevölkerung glauben an Wunder, aber wie viele von diesen 56% sind bereit, durch die Beteiligung an kirchlichen Sakramenten sich konkret zu Jesus Christus zu bekennen? In unserer evangelischen Kirche gibt es zwar nicht die Krankensalbung als Sakrament, aber Taufe und Abendmahl bieten auch die Möglichkeit, sich offen und konkret zu Christus zu bekennen.

Und dann kommt eine zweite Handlung, die auch nicht allgemein anerkannt wird. Es heißt:

Bekennt einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet.

Es geht hier nicht nur um Krankenheilung, sondern es geht in erster Linie darum, die Beziehung zu Gott zu heilen. Sündenbekenntnis trägt dazu bei, die Gemeinschaft mit Gott zu klären, damit eine umfassende Heilung eintreten kann. Und nocheinmal ergibt sich die Frage: wie viele von den 56%, die bereit sind, an Wunder zu glauben, sind bereit, durch Sündenbekenntnis die Beziehung zu Gott in Ordnung zu bringen?

Für unsere Bevölkerung ist Gesundheit das höchste Gut. Es gibt die typische Redewendung: „Hauptsache, man ist gesund, alles andere ist zweitrangig“. Aber der Jakobusbrieftext sieht eine andere Priorität: Die Hauptsache ist, dass die Beziehung zu Gott gesund ist – und zwar durch Bekenntnis zu Jesus Christus und durch Sündenbekenntnis – alles andere ist zweitrangig.

In diesem Zusammenhang spricht der Jakobusbrief von dem Gebet eines Gerechten: Des Gerechten Gebet vermag viel, heißt es. In der Sprache der Bibel ist eine gerechte Person eine, die in ungetrübter Gemeinschaft mit Gott steht.

'Der Prophet Elija', Saint Catherine's Monastery, Sinai (Egypt), um 1200

Und Jakobus erwähnt den Propheten Elia als Beispiel, was das Gebet eines Gerechten ausrichten kann. Es gibt im Talmud eine bizarre Geschichte von Elia. Der Talmud ist eine Zusammenfassung der biblischen Auslegungstradition des Judentums, die fast so alt ist wie die Bibel. Im Talmud gibt es eine seltsame Legende von Elia. Es heißt, dass es seine Gewohnheit war, die Schule eines Rabbi täglich zu besuchen. Eines Tages erschien er nicht. Am nächsten Tag wurde er von dem Rabbi gefragt, warum er gefehlt hatte. Elia erwiderte mit einer unglaublichen Geschichte. Er sagte folgendes: „Ich bekam die Aufgabe, Abraham von seinem Totenschlaf aufzuwecken und seine Hände zu waschen, damit er beten konnte. Als sein Gebet fertig war, musste ich warten, bis er wieder zu seinem Totenschlaf zurückkehrte. Danach musste ich Isaak aufwecken und denselben Vorgang durchführen. Und zuletzt auch mit Jakob.“ Der Rabbi fragte: „Aber warum musstest du einen nach dem anderen aufwecken und einschlafen lassen; warum nicht alle drei gleichzeitig?“ Elia sagte: „Das durfte ich nicht tun, denn ich wusste: wenn alle drei gleichzeitig beten, würde der Messias frühzeitig erscheinen.“ Der Rabbi fragte: „Gibt es heute Menschen auf dieser Erde, die so beten können?“. Elia antwortete: „Ein Mann mit dem Namen Rav Chiyya und seine Söhne.“ Daraufhin forderte der Rabbi seine Gemeinde dazu auf, zu fasten. Er holte Rav Chiyya und seine Söhne in die Synagoge; sie sollten das traditionelle Synagogengebet sprechen, das aus 18 Lobsprüchen besteht. In dem zweiten Lobspruch heißt es: „Du lässt die Winde wehen, den Tau herniederrieseln, du sorgst für Lebende, belebst die Toten.“ Bei den Worten: „Du lässt die Winde wehen“ hörte die Gemeinde, wie der Wind wehte. Bei den Worten: „Du lässt den Tau herniederrieseln“ hörte die Gemeinde, wie es anfing zu regnen. Als nächstes sollte es heißen: „du belebst die Toten“. Aber ehe diese Worte gebetet werden konnten, hat das ganze Universum gebebt und das Gebet musste unterbrochen werden. Eine Stimme im Himmel rief: „Wer hat unsere Geheimnisse verraten?“ Die Antwort lautete „Elia“. Elia wurde daraufhin heftig bestraft und die Synagogengemeinde wurde sofort aufgelöst – damit die Toten nicht frühzeitig erweckt wurden, sondern erst zu einer Zeit, die Gott zu bestimmen hat.

Diese exotische Erzählung – auch wenn sie aus Übertreibungen besteht – veranschaulicht eine biblische Botschaft - nämlich: dass ein Mensch, der in unmittelbarer Gemeinschaft mit Gott steht, durch Gebet Anteil hat an einer Macht, die absolut grenzenlos ist. Diese Talmuderzählung bezeugt: Die Macht Gottes wird die Welt vollenden, und die Macht Gottes wird die Toten auferwecken. Diese Verheißung wird sogar in dem Jakobusbrieftext angedeutet – an der Stelle, wo es heißt: „Das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten“ „Aufrichten“ ist im Urtext ein Fachausdruck, der auf Auferstehung hinweist.

'Sankt Jakobus der Ältere', Rembrandt Harmensz. van Rijn, 1661

Es geht also darum, die grenzenlose Macht Gottes anzuerkennen, die im Gebet wirksam wird, denn das gehört zu einer innigen Beziehung zu Gott. Unsere Bevölkerung ist zwar offenbar bereit, an Wunder zu glauben. Aber eine Beziehung zu Gott ist mehr als Wunderglaube. Wie ein Theologe schrieb: „Der Glaube, dass ich aus einer aussichtslosen Notlage gerettet werden kann, ist noch nicht Glaube an Gott. Denn Glaube bedeutet: egal ob ich eine sichtbare Rettung erlebe oder nicht, dass ich trotzdem darauf beharre, dass Gott die Liebe ist.“ Und man könnte hinzufügen: Glaube bedeutet - auch wenn alles schief geht, auch wenn Katastrophen eintreten, trotzdem zu glauben, dass die Macht Gottes unermesslich ist, dass er alles im Griff hat, weil wir Menschen für Auferstehung und Vollendung vorgesehen sind. Durch diese Art des Glaubens bleiben wir in Gemeinschaft mit Gott, und Gemeinschaft mit Gott ist wichtiger als Krankheit oder Gesundheit. Das Gebet eines Menschen, der in Einigkeit mit Gott steht, wird nicht ohne Wirkung bleiben, sondern wird Wirkungen haben, die nicht zu ermessen sind. Das ist die Botschaft hier. Möge Gott uns helfen, eine geheilte Beziehung zu Gott zu haben und dementsprechend zu glauben und zu beten.

Das Bild 'Letzte Ölung', Dutch School, c.1600, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Das Gemälde 'Sankt Jakobus der Ältere', Rembrandt Harmensz. van Rijn, 1661, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Das Gemälde 'Mater Dolorosa', Tiziano Vecellio and his workshop, c. 1555, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Ikone 'Der Prophet Elija', um 1200, Saint Catherine's Monastery, Sinai (Egypt) / K. Weitzmann: "Die Ikone", ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

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