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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Markus 14, 53 – 65 Die Ironie der Passionsgeschichte

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Passionsandacht: Markus 14, 53 – 65 Die Ironie der Passionsgeschichte

Gehalten von Pfarrer Phil Schmidt:

'Todesurteil', 1990

'Todesurteil', 1990 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

Und sie führten Jesus zu dem Hohenpriester; und es versammelten sich alle Hohenpriester und Ältesten und Schriftgelehrten. Petrus aber folgte ihm nach von ferne, bis hinein in den Palast des Hohenpriesters, und saß da bei den Knechten und wärmte sich am Feuer. Aber die Hohenpriester und der ganze Hohe Rat suchten Zeugnis gegen Jesus, dass sie ihn zu Tode brächten, und fanden nichts. Denn viele gaben falsches Zeugnis ab gegen ihn; aber ihr Zeugnis stimmte nicht überein. Und einige standen auf und gaben falsches Zeugnis ab gegen ihn und sprachen: Wir haben gehört, dass er gesagt hat: Ich will diesen Tempel, der mit Händen gemacht ist, abbrechen und in drei Tagen einen andern bauen, der nicht mit Händen gemacht ist. Aber ihr Zeugnis stimmte auch so nicht überein.
Und der Hohepriester stand auf, trat in die Mitte und fragte Jesus und sprach: Antwortest du nichts auf das, was diese gegen dich bezeugen? Er aber schwieg still und antwortete nichts. Da fragte ihn der Hohepriester abermals und sprach zu ihm: Bist du der Christus, der Sohn des Hochgelobten? Jesus aber sprach: Ich bin's; und ihr werdet sehen den Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen mit den Wolken des Himmels.
Da zerriss der Hohepriester seine Kleider und sprach: Was bedürfen wir weiterer Zeugen? Ihr habt die Gotteslästerung gehört. Was ist euer Urteil? Sie aber verurteilten ihn alle, dass er des Todes schuldig sei. Da fingen einige an, ihn anzuspeien und sein Angesicht zu verdecken und ihn mit Fäusten zu schlagen und zu ihm zu sagen: Weissage uns! Und die Knechte schlugen ihn ins Angesicht. Und Petrus war unten im Hof....

In diesem Textabschnitt gibt es drei Momente, die voller Ironie sind. Der erste ironische Moment kommt, wenn die falschen Zeugen sagen:

Wir haben gehört, dass er gesagt hat: Ich will diesen Tempel, der mit Händen gemacht ist, abbrechen und in drei Tagen einen andern bauen, der nicht mit Händen gemacht ist.

Die Anklage lautet: Jesus will etwas Heiliges zerstören. Die Ironie hier besteht darin, dass diese Anklage auf die Ankläger zutrifft: sie wollen etwas Heiliges zerstören, nämlich Jesus. Gleich zu Beginn des Markusevangeliums wird Jesus „der Heilige Gottes“ genannt. Die Ankläger wollen Jesus, den Heiligen Gottes, zerstören, indem sie ihm vorhalten, dass er etwas Heiliges zerstören will.

Aber die Ironie hört damit nicht auf. Denn was die falschen Zeugen behaupten, ist die Wahrheit. Als Jesus starb, zerriss der Vorhang im Tempel, und damit wurde das Allerheiligste entblößt und nach damaligem Verständnis zunächst zerstört. Und drei Tage später hat Jesus einen neuen Tempel gebaut, der nicht mit Händen gemacht ist, denn Ostersonntag könnte man als die Geburtsstunde der Urgemeinde verstehen. Und den Christen dieser Urgemeinde wurde verkündet: „Ihr seid der Tempel Gottes“. Die falschen Ankläger Jesu hatten also die Wahrheit bezeugt, ohne zu wissen, dass sie Wahrheit bezeugten. Und sie klagten Jesus an, ohne zu wissen, dass sie sich dadurch selbst anklagten.

Der zweite ironische Moment kam, als der Hohepriester Jesus fragte, ob er der Christus, der Sohn des Hochgelobten, sei. Jesus antwortete: „Ich bin“. Nach der deutschen Übersetzung sagte Jesus: „Ich bin’s“, aber im Urtext steht „Ich bin“. Der Hohepriester meinte, das er eine Gotteslästerung gehört hätte und war so erschüttert, dass er seine Kleider zerriss als Ausdruck seines Entsetzens. Und die sogenannte Gotteslästerung bestand darin, dass Jesus sagte: „Ich bin“. Denn nach dem Sprachgebrauch des damaligen Judentums durfte nur Gott sagen: „Ich bin“. Seit der Offenbarung Gottes im brennenden Dornbusch galt „Ich bin“ als die Selbstbezeichnung Gottes; ICH BIN galt als die Deutung seines heiligen Namens. Jesus identifizierte sich selbst mit dem heiligen Namen Gottes.

Aber indem der Hohepriester seine Kleider zerriss, bezeugte er ungewollt eine Wahrheit. Um dieses ungewollte Zeugnis zu sehen, muss man von einer Vorschrift wissen, die es damals gab. Der Hohepriester durfte nur einmal im Jahr in das Allerheiligste des Tempels treten, und das Allerheiligste galt als der Ort, wo Gott persönlich für sein Volk anwesend war. Ehe der Hohepriester diesen heiligen Raum betreten durfte, musste er sein Obergewand ablegen; er trat vor Gott in einem weißen Leinengewand gekleidet. In der Anwesenheit Gottes musste das Obergewand weg!

Als Jesus sagte: „Ich bin“, war es, als ob der Hohepriester spontan wusste, dass er in der Anwesenheit Gottes stand und deshalb sofort mit aller Gewalt sein Obergewand ablegen musste, wie gesetzlich vorgeschrieben. Es ist, als ob der Körper oder die Seele des Hohenpriesters etwas wusste, was sein Kopf nicht eingestehen wollte.

Aber die Ironie geht weiter, denn es gibt noch ein Motiv hier. Nach dem Gesetz war es dem Hohenpriester verboten, seine Kleider zu zerreißen. Mose warnte den Hohenpriester und seine Assistenten: „Ihr sollt eure Kleider nicht zerreißen, dass ihr nicht sterbet und der Zorn über die ganze Gemeinde kommt.“ Also: indem Kaiaphas seiner Kleider zerreißt, disqualifiziert er sich selbst. Denn ein Hoherpriester mit zerrissenen Kleidern ist als Hoherpriester erledigt. Das heißt: genau in dem Moment, in dem Kaiaphas das Todesurteil über Jesus ausspricht, bringt er sich selbst als Amtsperson um, indem er ein Symbol seines Amtes zerstört.

Der dritte ironische Moment kam, als Jesus angespuckt und geschlagen wurde. Das Gesicht Jesu wurde zugedeckt, und er sollte „weissagen“, wer ihn schlug. Das Zudecken des Gesichtes Jesu bezeugt – auch ungewollt – eine Wahrheit: nämlich dass das Gesicht Jesu, d. h. seine Identität seinen Anklägern und Spöttern verborgen war. Aber die tiefere Ironie bestand darin, dass sie ihn verspotteten, weil er angeblich nicht weissagen konnte.

Petrus verleugnet Jesus, 1308-1311

Was sie machten war ein brutaler „Messiastest“. Denn nach Jesaja 11, 3 soll der Messias „nicht richten nach dem, was seine Augen sehen“, d. h. er soll auch mit gebundenen Augen das Wahre sehen können. Jesus wurde verspottet, weil er angeblich nicht in der Lage war, prophetisch sehen zu können: ein scheinbar blinder Prophet. Aber gerade in dem Moment, als er verhöhnt wurde, weil er angeblich nicht prophetisch sehen konnte, erfüllte sich seine Prophezeiung in Bezug auf Petrus. Jesus hatte vorausgesehen, dass Petrus ihn dreimal verleugnen würde, und die Verleugnung des Petrus spielte sich unten im Hof ab, während Jesus im Palast verspottet wurde, weil er angeblich nicht weissagen konnte.

Die Ironie des Markusevangeliums bringt immer wieder dieselben Motive zum Vorschein: die Menschen um Jesus herum spielen sich als seine Richter auf, aber verurteilen sich selbst mit ihren eigenen Worten und Handlungen. Die Menschen um Jesus herum verspotten ihn, aber machen sich selbst dadurch lächerlich, ohne es zu merken. Die Menschen um Jesus herum sprechen Halbwahrheiten und Lügen aus, aber ungewollt – ohne es zu wissen – bezeugen sie die Wahrheit. Die Menschen um Jesus herum tun so, als ob sie alle Macht im Himmel und auf Erden hätten, aber sie sind nur Spielzeuge im Vergleich zu Jesus, der tatsächlich alle Macht im Himmel und auf Erden verkörpert.

Was ist der Sinn dieser Ironie? Durch die Ironie wird eine Spaltung in der Menschheit veranschaulicht. Die Menschheit wird in zwei Lager eingeteilt: auf der einen Seite diejenigen, die blind sind und ihre Blindheit nicht merken, und auf der anderen Seite der Betrachter des Evangeliums, d. h. die christliche Gemeinde. Es ist der christlichen Gemeinde gegeben, hinter die Kulissen der Weltgeschichte zu schauen, und die wahre Wirklichkeit dieser Welt zu sehen. Wie Jesus seinen Jüngern sagte: „Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes gegeben; denen aber draußen widerfährt es alles in Gleichnissen.“ Und wir, die wir zu Jesus gehören, sollen durch diese Betrachtung eines Geheimnisses Trost und Kraft empfangen. Wenn wir in Bedrängnis geraten, wenn unser Glaube belächelt wird, wenn es so aussieht, als ob kein Gott da wäre, sollen wir dennoch glauben, dass es eine verborgene Wirklichkeit gibt – die verborgene Realität, die in der Passionsgeschichte offenbart wird. Jesus ist scheinbar total ohnmächtig den Dummen und den Bösartigen gegenüber, aber im Verborgenen hat er die Regie in der Hand. Christus besitzt alle Macht im Himmel und auf Erden; die Dummen und die Bösartigen sind dagegen ohnmächtig.

Und deswegen brauchen wir keine Angst zu haben, egal was passiert. Die Ironie der Passionsgeschichte Jesu verkündet die Botschaft an uns: „Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht!“ (Joh. 14, 27)

Das Altarbild von der Verleugnung Jesu Christi durch Petrus, 1308-1311, Maestà, Altarretabel des Sieneser Doms, Rückseite, Hauptregister mit Szenen zu Christi Passion, und dessen Reproduktion gehört weltweit zum "public domain". Das Bild ist Teil einer Reproduktions-Sammlung, die von The Yorck Project zusammengestellt wurde. Das copyright dieser Zusammenstellung liegt bei der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH und ist unter GNU Free Documentation lizensiert.
Wir danken Frau Friedgard Habdank sehr herzlich, dass sie uns die Bilder ihres Mannes auf so großzügige und kostenlose Weise zur Verfügung gestellt hat.
© Galerie Habdank, www.habdank-walter.de

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