Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
Zurück zum Archiv Home der Dreikönigsgemeinde

Evangelisch-Lutherische

DREIKÖNIGSGEMEINDE

Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Römerbrief 14, 17 – 19 Ist Echt-sein wirklich wünschenswert?

« Predigten Home

'Two pancakes on a plate', David Benbennick, 2005

18. Sonntag nach Trinitatis

Ist Echt-sein wirklich wünschenswert? Römerbrief 14, 17 – 19


Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2004

Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist. Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen geachtet. Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander. Römerbrief 14, 17 – 19

Es wird von einer Mutter berichtet, die für ihre zwei kleinen Söhne Pfannkuchen zum Frühstück vorbereitet hatte. Die Söhne waren 5 und 3 Jahre alt. Das Problem mit Pfannkuchen ist, dass man zwei nicht gleichzeitig machen kann, - dafür sind Pfannen normalerweise zu klein - sondern einen nach dem anderen. Als der erste Pfannkuchen fertig war, ergab sich die Frage: Wer bekommt den ersten? Beide Kinder waren hungrig und wollten ihn haben und fingen an, zu streiten, wer den ersten bekommen sollte. Die Mutter setzte Theologie ein, um diesen Streit zu schlichten. Sie sagte: „Wenn Jesus hier am Tisch wäre, würde er sagen: ‚Mein Bruder sollte den ersten Pfannenkuchen bekommen. Ich kann warten.' Wer von euch wird also wie Jesus sein?’“ Daraufhin sagte der ältere Bruder zu dem jüngeren: „Also gut, du sollst Jesus sein.“

Diese kleine Begebenheit kann als Gleichnis dienen. Es gibt zwei Dinge, die in Spannung zueinander stehen: der Bauch und die Nachfolge Jesu, d.h. unsere spontanen Appetite und Hemmungslosigkeiten stehen in Spannung zu dem Auftrag, Jesus nachzufolgen. In dieser Hinsicht gibt es einen Begriff, der vielleicht eine zu hohe Bewertung bekommen hat. Es ist das Wort „echt.“ Echt sein gilt heutzutage als Tugend. Es ist sicherlich nicht zufällig, dass die Zeitschrift der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau den Titel „echt“ trägt, denn diese Kirche will offenbar Echtheit verkörpern. Es gab eine Zeit in den 70er Jahren, als Christ sein und echt sein in manchen Kreisen der Christenheit praktisch gleichgesetzt wurden. Es gilt als wertvoll, wenn ein Mensch seine Meinung echt sagt – d. h. aus dem Bauch heraus sagt, so dass die Aussage authentisch klingt. Und es gilt als liebenswürdig, wenn eine Person sich so gibt, wie sie wirklich ist. Wenn man also den ersten Pfannkuchen haben will, soll man es echt zugeben und für das eigene Interesse eintreten. Der Gegensatz dazu ist, eine Rolle zu spielen, zum Beispiel eine Art Jesusrolle, bei der man so tut, als ob man auf den zweiten Pfannkuchen warten will. Der Gegensatz zu echt sein ist offenbar Heuchelei. Und was könnte schlimmer sein als Scheinheiligkeit, bei der man etwas vormacht, was man nicht echt empfindet?

'Echt, das Maagazin der Evangelischen Kirche', screenshot der website

Es wird zum Beispiel regelmäßigen Gottesdienstbesuchern immer wieder unterstellt, dass sie nicht echt sind. Denn sie „rennen jeden Sonntag in die Kirch'“, - wie es heisst – sie singen altmodische Lieder, bei denen Worte vorkommen, die kein Mensch versteht, hören langweilige Predigten an, als ob sie wirklich interessiert wären, sprechen ein Glaubensbekenntnis mit, als ob sie mit jedem Satz einverstanden wären – so lauten die Unterstellungen. Außerdem wird es Gottesdienstbesuchern unterstellt, dass sie lauter Altersheimkandidaten sind, und dass sie nur aus Gewohnheit den Gottesdienst besuchen oder weil sie sonst zu wenig Abwechslung in ihrem Leben haben. Solche Meinungen habe ich oft gehört. Scheinbar ist man ein besserer Mensch, wenn man bei dieser Scheinheiligkeit nicht mitmacht, sondern sich so gibt, wie man wirklich ist. Lieber authentisch sein, als ein frommer Christ sein – so lautet die Alternative.

Aber noch schlimmer als fromme Protestanten sind angeblich fromme Katholiken, die auf Äußerlichkeiten und Brimborium fixiert sind. Jahrhundertelang waren Protestanten überzeugt, dass Katholiken unaufrichtig sind und dass Protestanten authentischer sind.

Diejenigen, die meinen, dass Echtheit fast identisch ist mit Christ sein, werden überrascht sein, was die Bibel dazu meint. In der Bibel ist das, was wir Echtheit nennen, fast immer identisch mit Ungehorsam und Misstrauen Gott gegenüber. Und das, was wir Scheinheiligkeit nennen – eine Maske zu tragen, eine Rolle zu spielen, so zu tun, als ob – das wird in der Bibel gefördert und gefordert.

'The Adoration of the Golden Calf', 1633-4, Nicolas Poussin

Nehmen wir zum Beispiel das Volk Israel in der Wüste. Die Israeliten waren authentisch, sie haben ihre echten Gefühle zum Ausdruck gebracht, sie haben kein Blatt vor dem Mund genommen, sie haben auf den Tisch gehauen, sie haben für ihre Rechte und Ansprüche gekämpft. Die Israeliten wären am liebsten zu den Fleischtöpfen Ägyptens zurückgekehrt, anstatt von Manna und von Wasserwundern abhängig zu sein, was sie als Zumutung und Erniedrigung empfanden. Das Volk Israel in der Wüste hat sich nach heutigem Verständnis vorbildlich verhalten, denn sie waren aufrichtig. Aber ihr Verhalten wird in der Bibel abwertend als „Murren“ bezeichnet, d.h. eine Auflehnung gegen Gott. Gott wollte von seinem Volk weniger von ihren echten Gefühlen mitbekommen und mehr Rollenspiel sehen. Sie bekamen in der Wüste 613 Gebote – mehr oder weniger. Diese Gebote sind nicht das, was wir Werte nennen, denn viele Gebote sind überhaupt nicht nachvollziehbar. Wer diese 613 Gebote anerkennt, ist dazu verpflichtet alle einzuhalten, egal ob man sich „echt“ dabei vorkommt oder nicht. Wer Gebote konsequent einhält, wird in Konflikt kommen mit seinen echten Gefühlen und wird sich wie ein Heuchler vorkommen.

Wir Christen sind nicht dazu verpflichtet, alle 613 Gebote des Alten Testamentes einzuhalten, aber dafür gibt es im neuen Testament 1050 Gebote, wie ein Bibelausleger feststellte. Dass so viele Gebote vorkommen ist ein Hinweis, dass das Leben in Christus nicht ein Leben aus dem Bauch heraus ist. Deswegen heisst es in unserem Römerbrieftext für heute:

Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken.

Und zu den 1050 Geboten des Neuen Testamentes gehört der letzte Satz unseres Textes:

Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander.

Es trägt nicht zum Frieden und zur Erbauung bei, wenn ein Mensch um jeden Preis „echt“ sein will. Echtheit und Christ sein stehen oft in Konflikt zueinander. Der Hintergrund zu dem Römerbrieftext waren Spannungen, die deswegen entstanden sind, weil einige Christen in Rom nicht alles essen und trinken konnten oder wollten. Am Anfang des 14. Kapitels schreibt Paulus folgendes:

Den Schwachen im Glauben nehmt an und streitet nicht über Meinungen. Der eine glaubt, er dürfe alles essen; wer aber schwach ist, der isst kein Fleisch. Wer isst, der verachte den nicht, der nicht isst; und wer nicht isst, der richte den nicht, der isst; denn Gott hat ihn angenommen... Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder?

Heutzutage führen Essenseinschränkungen kaum noch zu Spannungen. Aber das Problem, das Paulus hier anspricht, ist genauso aktuell wie damals. Und das Problem ist, dass ein Mensch, der echt sein will, unweigerlich auch ehrfurchtslos ist. Das Problem in Rom waren nicht die unterschiedlichen Meinungen über Speisevorschriften, sondern dass die Menschen ehrfurchtslos miteinander umgingen.

In früheren Zeiten z. B. soll es vorgekommen sein, dass Protestanten demonstrativ ihre Teppiche am Fronleichnamstag geklopft haben und die Katholiken am Karfreitag, um ihre Ehrfurchtslosigkeit der anderen Konfession gegenüber zu demonstrieren. In der heutigen Zeit kommt Ehrfurchtslosigkeit durch lieblose Meinungsäußerungen zum Ausdruck.

'Asfa-Wossen Asserate', 2007, Enlarge

Es gibt einen Äthiopier mit dem Namen Asfa-Wossen Asserate, der ein Buch über Manieren geschrieben hat. Er lebt seit Jahren in Deutschland und hat auch im religiösen Bereich manche Beobachtungen gemacht. Zum Beispiel hat er folgendes festgestellt:

„Wer die Religion nicht ernst zu nehmen imstande ist, sollte zunächst stets damit rechnen, dass der Angehörige einer Religionsgemeinschaft das tut. Seine Speisegesetze, seine Fastenzeiten, seine Gottesdienste und Gebetsgewohnheiten müssen durchaus unkommentiert bleiben. Religiöse Ehrfurcht ist ein empfindliches und leicht zu störendes Gefühl...im Westen ist die Gewohnheit entstanden, anderer Leute Religion, der man selbst weder angehört noch anzugehören wünscht, dreist und ungefragt zu kritisieren und sogar mit Verbesserungsvorschlägen nicht zu geizen. Liegt nicht eine ungeheure Komik darin, wenn sich Leute über die Moralauffassungen des Papstes entrüsten, die weder Christen sind noch sich dem Papste im mindesten verpflichtet fühlen?

'This image was taken by a friend of he:משתמש גילגמש on a trip to morocco', 2005, Friend of Matanya

Was er hier anspricht, ist, dass es zu viele vermeintliche Experten und Besserwisser gibt. Fast jeder Protestant bildet sich ein, dass er genau sagen kann, was der Papst falsch macht. Und es hat nie so viele Kopftuchexperten gegeben wie heute; Leute, die meinen, dass sie den Islam völlig durchschaut haben und genau beurteilen können, was das Kopftuch für eine muslimische Frau bedeutet. Es geht jetzt nicht um das Thema Meinungsfreiheit: natürlich steht es jedem Menschen zu, eine Meinung zu haben und eine Meinung zu äußern. Aber es steht einem Christusnachfolger nicht zu, die Gefühle eines anderen Menschen zu verletzen durch ehrfurchtslose und lieblose Meinungsäußerungen. Lieblose Ehrfurchtslosigkeit verletzt nicht nur andere Menschen, sondern auch die eigene Seele.

Ehrfurchtslosigkeit bekämpft man am besten mit biblischen Geboten. Biblische Gebote kommen nicht aus dem Bauch heraus, sondern von außerhalb der eigenen Person. Wer biblische Gebote ernst nimmt, wird zunächst eine Rolle spielen müssen. Wer z. B. für seine Feinde betet, wer die andere Wange hinhält anstatt zurückzuschlagen – wie Jesus forderte – wird sich unecht vorkommen, wird sich wie ein Heuchler vorkommen. Aber so entsteht Frieden und Gerechtigkeit. Denn wie unser Text verkündet:

Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist. Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen geachtet. Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander.

Die Photographie 'Two pancakes on a plate', David Benbennick, 2005, wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.
'The Adoration of the Golden Calf', 1633-4, Nicolas Poussin, ist im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.
Die Photographie 'Asfa-Wossen Asserate', 2007, Enlarge, ist lizenziert unter der Creative Commons-Lizenz Attribution 2.0 Österreich.
Die Photographie 'This image was taken by a friend of he:משתמש גילגמש on a trip to morocco', 2005, Friend of Matanya, wurde von seinem Autor als gemeinfrei veröffentlicht. Dies hat weltweite Gültigkeit.

^ Zum Seitenanfang

PSch