Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 2. Mose 20, 1 – 17 Gebote sind auslegungsbedürftig

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'English Mission Hospital, Jerusalem', 2008, DMY

18. Sonntag nach Trinitatis

Gebote sind auslegungsbedürftig 2. Mose 20, 1 – 17


Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2001

1 Und Gott redete alle diese Worte:
2 Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe.
3 Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.
4 Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist:
5 Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen,
6 aber Barmherzigkeit erweist an vielen Tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten.
7 Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der HERR wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen mißbraucht.
8 Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligest.
9 Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun.
10 Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt.
11 Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn.
12 Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, das dir der HERR, dein Gott, geben wird
13 Du sollst nicht töten.
14 Du sollst nicht ehebrechen
15 Du sollst nicht stehlen.
16 Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.
17 Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Rind, Esel noch alles, was dein Nächster hat. 2. Mose 20, 1 – 17

Es wird im Moment in unserer evangelischen Kirche diskutiert, ob es möglich und sinnvoll ist, Segenshandlungen für homosexuelle Paare durchzuführen. Es gibt Christen, die nicht verstehen, warum diese Frage überhaupt diskutiert wird, denn Homosexualität wird in der Bibel offenbar eindeutig verurteilt. Z.B. eine Radio-Moderatorin in den USA sprach diese Frage an und zitierte 3. Mose 18, 22, wo es heißt: „Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau; es ist ein Gräuel.“ Und damit war das Thema für diese Rundfunksprecherin erledigt. Allerdings ist die Sache nicht ganz so einfach. Sie bekam eine Mitteilung von einem Zuhörer, der folgendes schrieb:

„Vielen Dank, dass Sie sich so aufopfernd bemühen, den Menschen die Gesetze Gottes näher zu bringen. Ich habe einiges durch Ihre Sendung gelernt ...Wenn etwa jemand versucht, seinen homosexuellen Lebenswandel zu verteidigen, erinnere ich ihn einfach an das 3. Buch Mose, wo klargestellt wird, dass es sich dabei um ein Gräuel handelt. Ende der Debatte. Ich benötige allerdings ein paar Ratschläge von Ihnen im Hinblick auf einige der speziellen Gesetze und wie sie zu befolgen sind. (z.B.) Ich würde gerne meine Tochter in die Sklaverei verkaufen, wie es im 2. Mose 21, 7 erlaubt wird. Was wäre Ihrer Meinung nach heutzutage ein angemessener Preis für sie? (oder) Ich habe einen Nachbarn, der stets am Samstag arbeitet. 2. Mose 35, 2 stellt deutlich fest, dass er getötet werden muss. Allerdings: bin ich moralisch verpflichtet, ihn eigenhändig zu töten?
Ein Freund von mir meint, obwohl das Essen von Schalentieren, wie Muscheln oder Hummer, ein Gräuel darstellt (3. Mose 11, 10), sei es ein geringeres Gräuel als Homosexualität. Ich stimme dem nicht zu. Können Sie das klarstellen?
Im 3. Mose 21, 20 wird dargelegt, dass ich mich dem Altar Gottes nicht nähern darf, wenn meine Augen von einer Krankheit befallen sind. Ich muss zugeben, dass ich Leserbrillen trage. Muss meine Sehkraft perfekt sein oder gibt’s hier ein wenig Spielraum?
Die meisten meiner männlichen Freunde lassen sich ihre Haupt- und Barthaare schneiden, inklusive der Haare ihrer Schläfen, obwohl das eindeutig durch 3. Mose 19, 27 verboten wird. Wie sollen sie sterben?
Mein Onkel hat einen Bauernhof. Er verstößt gegen 3. Mose 19, 19 weil er zwei verschiedene Saaten auf ein und demselben Feld anpflanzt. Darüber hinaus trägt sein Frau Kleider, die aus zwei verschiedenen Stoffen gemacht sind (Baumwolle/Polyester). Er flucht und lästert außerdem recht oft. Ist es wirklich notwendig, dass wir den ganzen Aufwand betreiben, das komplette Dorf zusammenzuholen, um sie zu steinigen (3. Mose 24, 10 – 16)? Genügt es nicht, wenn wir sie in einer kleinen, familiären Zeremonie verbrennen, wie man es ja auch mit Leuten macht, die gegen 3. Mose 20, 14 verstoßen?“
Ich weiß, dass Sie sich mit diesen Dingen ausführlich beschäftigt haben, daher bin ich auch zuversichtlich, dass Sie uns behilflich sein können.

Dieser Brief ist natürlich ironisch gemeint. Der Briefschreiber will mit seiner Ironie veranschaulichen, dass Gebote der Bibel auslegungsbedürftig sind. Denn die biblischen Gebote sind nicht automatisch an die ganze Menschheit gerichtet, sondern viele gelten nur für Juden der antiken Welt. Biblische Gebote sind nicht für alle Zeiten allgemeingültig, sondern manchmal galten sie nur in einer bestimmten Situation und sind inzwischen überholt. Das Wort „Gräuel“ z.B. ist der Fachausdruck für eine Form des Götzendienstes, die wir heutzutage nicht mehr kennen. Homosexualität war in der antiken Welt mit heidnischen Kulthandlungen verbunden. Die Aussage in 3. Mose 18, 22 bietet deshalb keine richtige Hilfestellung, um gleichberechtigte Partnerschaften zu beurteilen. Wenn biblische Gebote allgemeingültig wären, dann dürften Frauen bei unseren Gemeindeversammlungen kein Wort reden. Wenn biblische Gebote allgemeingültig wären, dann dürften wir keine Frauen in die Kirche lassen, die Hosen tragen oder ohne Kopfbedeckung erscheinen.

Auch die zehn Gebote, die wir vorhin gehört haben, sind nicht allgemeingültig. Denn wenn diese Gebote für uns Christen heute gelten würden, dann dürften wir keine Bilder machen: auch photographieren wäre nicht erlaubt. Denn das zweite Gebote verbietet kategorisch alle Bilder. Aber Luther hat dieses Gebot, als er seinen Katechismus schrieb, einfach weggelassen. Außerdem müssten wir vom Freitagabend bis Samstagabend auf alle Arbeit verzichten. Außerdem ist es eine willkürliche Abgrenzung, wenn man von zehn Geboten redet. Der Ausdruck „zehn Gebote“ kommt in der Bibel nicht vor. Und die sogenannten zehn Gebote enthalten eigentlich 14 Gebote und sind nur der Anfang von insgesamt 613 Geboten.

Und es ergibt sich die Frage: mit welchem Recht missachten wir Christen zwei von den sogenannten zehn Geboten? Mit welchem Recht erlauben wir uns die Freiheit, Bilder zu machen und warum missachten wir den vorgesehenen Ruhetag? Und mit welchem Recht erlauben wir uns die Freiheit, 8 von zehn Geboten anzuerkennen, und auf die restlichen 605 Gebote zu verzichten?

Wie gesagt, es gibt 613 Gebote im Alten Testament, und im Neuen Testament soll es sogar 1050 Gebote geben, nach der Zählung eines Bibelauslegers. Wie soll man wissen, welche Gebote für uns heute verbindlich sind?

Die Antwort auf diese Frage hängt mit einer zweiten Frage zusammen, nämlich: warum sollte man biblische Gebote überhaupt einhalten?

Es gibt auf diese Frage eine Reihe von falschen Antworten. Die erste falsche Antwort lautet: man sollte die Gebote einhalten, weil sie in der Bibel stehen und weil die Bibel das Wort Gottes ist. Diese Antwort ist nicht haltbar. Der ironische Brief, der vorhin vorgelesen wurde, zeigt, wie unsinnig es ist, Gebote einzuhalten, einfach weil sie in der Bibel stehen. Nicht jedes Gebot ist automatisch ein Wort Gottes an uns.

Eine zweite falsche Antwort lautet: man sollte Gebote einhalten, damit man eine Belohnung bekommt, wie z. B. Schutz gegen Unfall und Krankheit oder einen Platz im Himmel oder einen besseren Platz im Himmel. Diese Antwort gehört zu dem Bereich des Aberglaubens und nicht zu einem biblisch begründeten Glauben. Der Platz im Himmel ist eine reine Gnade Gottes und niemals ein Verdienst. Und wer Gebote einhält, nur um eine Belohnung zu bekommen oder um eine Bestrafung zu vermeiden, handelt kindisch. Gott will nicht von uns, dass wir kindisch bleiben, sondern dass wir reifen. Gott will, dass wir uns freiwillig für das Gute entscheiden, ohne Rücksicht darauf, ob es dafür Belohnung und Anerkennung gibt oder nicht. Denn so sind wir von Gott vorgesehen.

Eine dritte falsche Antwort lautet: man sollte Gebote einhalten, damit es eine friedliche Ordnung gibt. Natürlich wäre die Welt friedlicher, wenn Menschen nicht Mord, Ehebruch, Diebstahl und Meineid begingen. Aber bei vielen Geboten geht es nicht um ein friedliches Zusammenleben, sondern es geht auch um Handlungen, die keine gesellschaftliche Relevanz haben. Jesus hat z. B. befohlen im Bezug auf das Abendmahl: „Dies tut zu meinem Gedächtnis“; und er gebot: „Gehet hin in alle Welt und machet zu Jüngern alle Völker“. Wenn es nur darum geht, eine friedliche Ordnung in der Welt zu haben, dann kann man auf viele Gebote verzichten, die Jesus für wichtig hielt, weil sie keine gesellschaftliche Relevanz haben. Das kann nicht Sinn der Sache sein.

Was ist aber eine sinnvolle Antwort auf die Frage, warum biblische Gebote einzuhalten sind? Eine sinnvolle Antwort lieferte ein prominenter alttestamentlicher Theologe mit dem Namen Gerhard van Rad. Er sagte: Die Erfüllung der Gebote „wurde nirgends als Last empfunden...sondern vielmehr als Bekenntnisakt“. Die Einhaltung der Gebote soll ein Bekenntnis sein. Es geht darum, Gott zu bezeugen, damit die Menschheit sehen kann, wie Gott wirklich ist.

'Jesus Christus, enkaustische Ikone aus dem 6. Jahrhundert', 2008, McLeod

Wie sieht das konkret aus? Zum Beispiel: Nach dem ersten Gebot durfte Israel nur den Gott anbeten, der sie aus Ägypten geführt hatte, damit die Menschheit lernt, dass es nur einen einzigen Gott gibt und dass dieser Gott gegen unmenschliche Versklavung ist. Alle Bilder waren nach dem 2. Gebot verboten, damit die Menschheit lernt, dass das Ewige unsichtbar und deshalb unverfügbar ist. Der Name Gottes darf nach dem 3. Gebot nicht missbraucht werden, damit die Menschen lernen, dass Gott nicht zu manipulieren ist durch Beschwörungsformeln. Der Jude ruht am Samstag nach dem 4. Gebot, weil sein Schöpfer am 7. Tag ruhte. Mit diesem Ruhen bezeugt er, dass der Mensch für ein Ruhen in Gott vorgesehen ist; denn er kann den Sinn seines Lebens nicht schaffen, sondern muss lernen, sich vertrauensvoll in die Hände Gottes zu geben, indem er jede Woche ruht. Wir Christen bezeugen mit unserem Sonntag eine andere Wahrheit über Gott. Wir feiern jeden Sonntag die Auferstehung Christi, der an einem Sonntag von den Toten auferstanden ist, denn mit diesem Ostersieg wurde offenbart, wer Gott für uns ist: Gott ist der Inbegriff des Lebens, der Tod und Vergänglichkeit endgültig vernichten wird. Das fünfte biblische Gebot – Ehre deinen Vater und deine Mutter – ist an Erwachsene gerichtet und bezieht sich deshalb auf alte Menschen, die in der Gefahr sind, als wertlos missachtet zu werden. Mit diesem Gebot wird bezeugt, wie Gott ist: für Gott ist jedes Menschenleben heilig – vor Gott gibt es keine sogenannten wertlosen Menschen. Deswegen ist Mord nach dem 6. Gebot grundsätzlich nie erlaubt; (das Gebot lautet wortwörtlich übersetzt: du wirst nicht Mord begehen.) Die Gebote gegen Ehebruch, Diebstahl, Meineid bezeugen einen Gott, der mitfühlt, wenn Menschen verletzt und gedemütigt werden. Kein Mensch darf gedemütigt werden, denn Gott leidet mit. Diese Wahrheit bezeugen Gebote 6 bis 10.

Weil es darum geht, Gott zu bezeugen, erlauben wir uns als Christen, Bilder in unseren Kirchen zu haben. Denn Gott selber hat in Jesus ein Bild von sich geliefert. Und Jesus hat mit seinen Worten und Gleichnissen Bilder gemalt. Deswegen gehören Bilder zu unserem Glaubenszeugnis und sind deshalb für uns Christen erlaubt.

Hier sehen wir die Antwort auf die Frage, die ursprünglich gestellt wurde: wie können wir wissen, welche Gebote für uns gültig sind? Die Antwort lautet: die Offenbarung in Jesus Christus ist die Mitte der Schrift. Alle Gebote, die dazu beitragen, dass Jesus Christus bezeugt wird, sind für uns gültig. Wie Luther sagte: das, was „Christum treibet“ ist für uns Wort Gottes.

Es wird von einer reformierten Gemeinde in Schottland berichtet, die sich in der Nähe eines Flusses befand. Manchmal gab es Überschwemmungen und in einer Sitzung des Presbyteriums wurde die Frage diskutiert, ob es erlaubt sei, bei einer Überschwemmung sonntags Rettungsarbeiten zu unternehmen. Einige Presbyter waren dagegen, andere dafür. Der Pfarrer wies darauf hin, dass auch Jesus Christus am Sabbat geheilt hatte. Ein älteres Kirchenvorstandsmitglied fragte daraufhin: „Herr Pfarrer, das wollte ich schon immer einmal fragen: War nicht der Herr Jesus in manchen Punkten etwas zu liberal?“ Solche Fragen sind für uns Christen nicht zulässig, denn Christus ist unser Herr und unser Maßstab. Das schließt nicht aus, dass auch die Worte und Handlungen Christi auslegungsbedürftig sind und dass Christen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen können, wenn sie versuchen, eine konkrete Situation zu klären.

'Last Supper', 1685, Simon Ushakov

Das Abendmahl z.B., von dem Jesus sagte: „Dies tut zu meinem Gedächtnis“ ist für uns Christen verbindlich. Aber wie oft Abendmahl zu feiern ist und welche Formen zulässig sind, wird immer umstritten bleiben. Wer aber vom Abendmahl wegbleibt, weil er keine Lust dazu hat, hat nicht verstanden, dass es auch für uns Christen Gebote gibt, die verbindlich sind. Aber Gebote sind nicht identisch mit Zwang. Niemand darf dazu gezwungen werden, etwas zu tun, wozu er sich nicht freiwillig entschieden hat.

Die sogenannten zehn Gebote sind dementsprechend nicht in dem Imperativ geschrieben. Wortwörtlich heißt es weder „du sollst“ noch „du musst“; sondern in dem hebräischen Urtext steht die einladende Formulierung „du wirst“. Denn Gott hat Israel die Gebote nicht gegen seinen Willen auferlegt; Israel wurde gefragt, ob es die Gebote einhalten will. Dasselbe gilt für uns Christen. Wer Jesus Christus anerkennen und bezeugen will, wird in den Geboten der Bibel konkrete und verbindliche Anhaltspunkte finden. Die Gebote sind da, damit wir wissen, wie wir uns zu Christus öffentlich bekennen können, wenn wir wollen. Die entscheidende Frage, die durch die Gebote an uns gerichtet wird, lautet: Wollen wir uns öffentlich zu Jesus Christus bekennen?

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Die Ikone 'Jesus Christus, enkaustische Ikone aus dem 6. Jahrhundert' (Saint Catherine's Monastery, Sinai (Egypt) / K. Weitzmann: "Die Ikone" ), 2008, McLeod, ist im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.
Die Abbildung 'Last Supper', 1685, Simon Ushakov, ist im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.

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