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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Jesaja 58, 7 – 12 Wie Gott verherrlicht wird

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Erntedankfest: Jesaja 58, 7 – 12 Wie Gott verherrlicht wird

Gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2005

'Brown Pair of Sperry Docksiders', 2009, Svastiko

Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen, und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. Und der HERR wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet ward; und du sollst heißen: »Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, dass man da wohnen könne«.

Jesaja 58, 7 – 12

Es wird von einem 10-jährigen Jungen berichtet, der barfuss vor dem Schaufenster eines Schuhladens stand. Das heißt: es handelte sich um das Mitglied einer Familie, die zu arm war, um sich Schuhe für dieses Kind zu leisten. Es war Winter, und er zitterte. Eine Frau, die vorbeiging, sah seinen Zustand und fragte ihn, was er da machen würde. Er antwortete: „Ich hatte Gott gebeten, mir ein paar Schuhe zu geben.“ Die Frau ergriff ihn an der Hand und führte ihn in das Geschäft hinein. Sie bat einen Verkäufer, sechs Paare Strümpfe für den Jungen zu holen. Außerdem wollte sie eine Schüssel Wasser und ein Handtuch haben. Als die Frau diese zwei Dinge bekam, nahm sie den Jungen zu einem hinteren Teil des Ladens, kniete nieder, wusch die Füße des Jungen und trocknete sie. Dann kam der Verkäufer mit den Strümpfen. Sie zog ein paar über seine Füße. Danach kaufte sie ihm ein paar Schuhe und gab ihm die übrigen Strümpfe. Sie streichelte seinen Kopf und sagte: „Sicherlich fühlst du dich jetzt besser.“ Als sie weggehen wollte, griff der Junge nach ihrer Hand und fragte: „Sind Sie Gottes Frau?“

Diese letzte Bemerkung, die so unbeholfen klingt, ist der eigentliche Kern dieser Begebenheit. Was diese Frau für den Jungen tat, bezeugte, dass sie eine familienähnliche Zugehörigkeit zu Gott hatte. Und dieses Zeugnis ist ein wesentliches Anliegen der biblischen Geschichte: dass Menschen durch ihr Verhalten bezeugen, dass sie zu Gott gehören – wie Mitglieder seiner Familie.

Der Text aus dem Propheten Jesaja, der für heute vorgesehen ist, spricht dieses Thema an. Es war die Aufgabe Israels, Sohn Gottes zu sein. Das ganze Volk sollte mit Gott so verbunden sein wie ein Sohn zu seinem Vater. Und das heißt: alle, die zu diesem Volk Israel gehörten, waren Schwestern und Brüder.

Wir haben vorhin gehört:

Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!

„Fleisch und Blut“ bezieht sich nicht nur auf die leibliche Familie, sondern auf alle Mitglieder des Volkes Gottes.

'Prophet Isaiah', first quarter of XVIII cen., 18 century icon painter

Und die Christenheit übernahm diese Vorstellung, dass wir vor Gott alle Brüder und Schwestern sind. Dementsprechend wird von einem schwarzen Mann berichtet, der in einem der Südstaaten der USA lebte. Er war so arm, dass er von Tür zu Tür ging und um Essen bettelte. An einer Tür klingelte er und ein weißer Mann öffnete. Als der Schwarze sagte: „Ich bin hungrig“, erwiderte der Mann: „Gehen Sie zu dem Hintereingang.“ Am Hintereingang brachte ihm der Hausbewohner etwas zu essen und wollte mit dem Bettler ein Gebet sprechen. Er ging automatisch davon aus, dass der Bettler keine Gebete kannte und forderte ihn dazu auf, die Worte des Vater Unsers nachzusprechen. Er begann: „Vater Unser im Himmel“. Der Schwarze erwiderte: „Vater Deiner im Himmel“. Der Weiße sagte: Sie haben mich falsch verstanden; es heißt „Vater Unser“. Der Bettler erwiderte: „Aber wenn ich „Vater Unser“ sagen würde, würde das bedeuten, dass wir Brüder sind, und ich glaube nicht, dass es dem Herrn gefallen wird, dass Sie sich schämen, mit einem Bruder am Vordereingang gesehen zu werden.“

In diesem Zusammenhang gelten die Worte aus dem Propheten Jesaja: „Entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!“ „Fleisch und Blut“ bedeutet alle, die zu Gott gehören, weil Gott unser Vater ist.

Aber es geht hier nicht bloß um eine moralische Forderung, hilfsbereit zu sein. Es geht um Zeugnis. Es geht darum, vor den Menschen zu bezeugen, wie herrlich Gott ist. Deswegen heißt es in der Fortsetzung des Textes:

Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.

Es geht darum - wie es hier heißt - dass die Herrlichkeit Gottes erkennbar wird.

Und das ist der Unterschied zwischen Moral und biblischem Glauben. Es gibt Menschen, die sagen: ich bin anständig, ehrlich und hilfsbereit; ich tue mein Bestes. Aber die Frage, die dabei unbeantwortet bleibt, lautet: für wen lebe ich eigentlich? Lebe ich für mich selbst? Lebe ich für meine Familie? Die Bibel sagt – wie es in dem Römerbrief heißt: „Unser keiner lebt sich selber...Leben wir, so leben wir dem Herrn.“ Es ist unsere Bestimmung, für die Herrlichkeit Gottes zu leben. Wer für etwas Geringeres lebt, hat nicht die Größe und Fülle des Lebens erkannt, für die er in Gott vorgesehen ist.

Aber der Unterschied zwischen Moral und Glaube wird an einer anderen Stelle deutlich. Der Text aus Jesaja stellt Ansprüche, die kein Mensch vollständig erfüllen kann. Denn es heißt:

Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. Und der HERR wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet ward.

Es war die Bestimmung des Volkes Israel als Sohn Gottes diesen Text zu erfüllen. Aber kein Volk kann das verwirklichen, was hier in Aussicht gestellt wird. Die Erfüllung dieses Prophetenwortes musste warten, bis Jesus erschien. Jesus war der Sohn Gottes, der niemanden unterjochte, der nicht mit Fingern zeigte und übel redete, der den Hungrigen sein Herz finden ließ und die Elenden sättigen konnte, der wie ein Licht in der Finsternis aufging, der wie eine unerschöpfliche Wasserquelle war und in dem die Herrlichkeit Gottes offenbart wurde.

Dementsprechend dreht sich alles um Christus. Wenn wir Worte und Taten der selbstlosen Liebe vollziehen, dann nicht bloß weil es moralisch geboten ist, sondern weil wir Christus bezeugen wollen, damit die Herrlichkeit Gottes in Christus sichtbar gemacht wird.

'Frisch gebackene Lebkuchen', 2004, Jonik

In den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es in Nordchina einen Missionar mit dem Namen Oswald Golter. Nach zehn Jahren Dienst reiste er per Schiff nach Hause. Sein Schiff machte eine Zwischenstation in Indien. Dort am Hafen entdeckte er Flüchtlinge, die in einem Lagerhaus untergebracht waren. Diese Flüchtlinge waren völlig entwurzelt; niemand wollte sie haben. Dieser Oswald Golter besuchte sie, und weil es Weihnachten war, wünschte ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest. Die Flüchtlinge erwiderten: „Wir sind nicht Christen; wir glauben nicht an Weihnachten.“ Der Missionar sagte: „Das weiß ich, aber haben Sie trotzdem einen Weihnachtswunsch?“ Die Flüchtlinge beschrieben ein deutsches Gebäck, das sie besonders gern hatten. Daraufhin hat Golter die Karte für seine Heimreise eingelöst und setzte das Geld ein, um das gewünschte Gebäck zu kaufen. Er schleppte mehrere Körbe mit diesen Backwaren zu dem Lagerhaus und wünschte den Flüchtlingen ein gesegnetes Christfest. Jahre später berichtete er von diesem Vorgang und einer fragte ihn: „Warum hatten Sie das getan? Die Leute waren nicht Christen! Sie glaubten nicht an Jesus!“ Und der ehemalige Missionar erwiderte: „Ich weiß, aber ich glaube.“

Dieser Vorgang zeigt eine urchristliche Haltung. „Brich dem Hungrigen dein Brot“ heißt es. Wenn Christen diesen Auftrag erfüllen, dann nicht nur deswegen, weil es in der Bibel geschrieben steht, sondern um Christus zu bezeugen. Der China-Missionar bezeugte die Menschwerdung Gottes in Jesus durch sein Geschenk. Er bezeugte, dass alle Menschen Brüder und Schwestern Christi sind, ob sie an Jesus glauben oder nicht. Es spielt zunächst keine Rolle, ob diese Handlung verstanden wird oder nicht. Die Handlung geschieht aus einer inneren Glaubenshaltung heraus und allein darauf kommt es zunächst an. Was daraus wird, liegt in der Hand Gottes. Und hier gilt die Verheißung: Gott wird ans Licht bringen, was noch verborgen ist, Gott wird durch solche Handlungen der selbstlosen Liebe im Namen Christi seine Herrlichkeit offenbaren.

Das Motto der Christenheit lautet nicht: „Tue Gutes und rede davon“ – wie es in der Werbung heißt – sondern: „Tue Gutes und überlasse es Gott, was daraus wird.“

Erntedankfest hat traditionsgemäß zwei Themen: Dankbarkeit Gott gegenüber für alle Gaben des Lebens und den Auftrag, der den Jesajatext formuliert: Brich dem Hungrigen dein Brot. Aber beide Motive hängen zusammen, denn in beiden Vorgängen – Gott danken und Brot teilen – geht es darum, Gott zu verherrlichen. Denn dazu sind wir vorgesehen: heute und für immer.

Die Photographie 'Brown Pair of Sperry Docksiders', 2009, Svastiko, ist lizenziert unter der Creative Commons–Lizenz „Attribution 3.0 Unported“.
Die Abbildung 'Prophet Isaiah' (Iconostasis of Transfiguration church, Kizhi monastery, Karelia, Russia), first quarter of XVIII cen., 18 century icon painter, ist im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.
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