Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Heb. 13, 15. 16 Menschen sind vergesslich

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Erntedankfest: Heb. 13, 15. 16 Menschen sind vergesslich

Gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2002

'Charles Dickens - Sketch in the Entr'acte', 1892, Alfred Bryan

So lasst uns nun durch ihn Gott allezeit das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. Gutes zu tun und mit andern zu teilen, vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott.

Heb. 13, 15. 16

Im 19. Jahrhundert wurde ein amerikanischer Prediger dazu eingeladen, in einer Kirche in London zu predigen. Dieser Prediger gehörte zu einer Glaubensrichtung, die alles verurteilte, was sinnliche Freude produziert, wie z. B. Kino, Tanzen, Alkohol und Rauchen. An diesem Sonntag hat er besonders gegen das Rauchen gepredigt. Es ging ihm nicht darum, dass Rauchen für die Gesundheit schädlich ist, denn in der damaligen Zeit hat man die gesundheitlichen Folgen des Rauchens noch nicht gekannt. Sondern es ging ihm darum, dass das Rauchen angeblich der Inbegriff der Weltlichkeit war. Ein Christ – seiner Meinung nach - war dazu verpflichtet, auf sinnlichen Genuss - wie z. B. Rauchen, Trinken und Tanzen - zu verzichten, damit die Seele nicht besudelt wird, sondern rein bleibt und von seinem Suchen nach Gott nicht abgelenkt wird.

Die Gemeinde hörte gespannt zu, denn es war bekannt, dass ihr Gemeindepfarrer leidenschaftlich gern rauchte. Als die Predigt zu Ende war, stand der Gemeindepfarrer auf, ging zur Kanzel und sagte folgendes: „Ich möchte meinem Bruder danken für seine energischen Worte. Ich möchte ihn auch wissen lassen, dass ich trotz seiner Mahnung weiterhin eine persönliche Gewohnheit aufrechterhalten werde. Jeden Abend vor dem Schlafengehen rauche ich eine Pfeife zur Ehre Gottes und ich werde es weiterhin tun.“

Diese kleine Auseinandersetzung veranschaulicht den Unterschied zwischen einem heidnischen Glauben und christlichem Glauben. Heidnischer Glaube geht davon aus, dass der Mensch Gott suchen kann und suchen muss, und dass die Suche nach Gott Opfer verlangt. Außerdem gibt es eine Strömung innerhalb der Christenheit, die glaubt, dass der Mensch in sich gespalten ist, dass Leib und Seele in Konflikt zueinander stehen. Nach dieser Denkweise kann nur die Seele Gott suchen und finden. Der Leib ist dabei ein Hindernis, denn der Körper ist vergnügungssüchtig, primitiv und weltlich. Der Leib will andauernd nur Spaß haben und zieht die Seele nach unten. Deswegen – nach dieser Glaubensströmung – muss der Körper gezüchtigt werden durch Entbehrungen: d. h. keine Tätigkeiten sind erlaubt, die zu Hemmungslosigkeit führen könnten, wie z. B. Trinken, Rauchen und Tanzen, keine Zerstreuungen sind erlaubt, die anstößig werden könnten, wie z. B. moralisch zweifelhafte Kinofilme. Der Weg zu Gott ist nach dieser Glaubensauffassung ein Opferweg.

Aber christlicher Glaube ist doch etwas anders. Christlicher Glaube verkündet, dass es völlig sinnlos ist, eine Beziehung zu Gott aus eigener Kraft herstellen zu wollen. Eine solche Suche ist aussichtslos. Kein Mensch kann Gemeinschaft mit Gott herstellen, egal wie sehr er sich dabei aufopfert und abrackert. Es gibt nur eine Möglichkeit, wie ein Mensch zu Gott finden kann, nämlich indem Gott zu uns findet. Und der Weg Gottes zu uns war zwar ein Opferweg, aber ein Opferweg für Gott, der auf seine himmlische Herrlichkeit verzichtete, Mensch wurde und am Kreuz starb. Wer diesen Gott finden will, braucht nur die Liebe dieses Gottes anzunehmen. Wer Gott haben will, kann ihn nur haben, wenn das Geschenk seiner Gnade angenommen wird. Und dieser Gedanke war im Hintergrund, als der Gemeindepfarrer in London sagte: „Vor dem Schlafengehen rauche ich eine Pfeife zur Ehre Gottes.“ Er meinte damit, dass er auf jeglichen Versuch verzichtet, durch irgendeine Opferleistung Gott zu gefallen. Er nimmt einfach die Liebe Gottes an, indem er die Freuden des Lebens unbefangen genießt.

Diese Spaltung des Menschen in eine angeblich gute Seele und einen angeblich bösen Leib leugnet die biblische Botschaft. Die Schöpfungsgeschichte verkündet: Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.. Deswegen heißt es in dem 1.Tim 4,4-5 „Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.“ So wie der vorhin erwähnte Pfarrer Gott verherrlichte, indem er zur Ehre Gottes das Rauchen genossen hatte, so kann man Gott verherrlichen, indem man die Freuden des Lebens mit Dankgebet genießt.

Der Text aus dem Hebräerbrief, der für heute vorgesehen ist, spricht von einem Lobopfer:

„So lasst uns nun durch ihn Gott allezeit das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen.“

Das Lobopfer, um das es hier geht, gehört zu der Kultsprache des Alten Testamentes. Ein Lobopfer – auch Dankopfer genannt - ist kein Sühnopfer, d.h. es ist kein Opfer, das man leisten musste, um Sünden zu sühnen, sondern es ist eine freiwillige Dankhandlung, die man leistet, einfach weil man Gott loben und danken will. Für die Christenheit ist die Abendmahlsfeier ein Dankopfer. D. h. wenn wir Abendmahl feiern, tun wir nicht etwas, was man tun muss, um Gott zu gefallen, sondern wir nehmen einfach in Dankbarkeit an, was Gott für uns getan hat. Deswegen wird die Abendmahlsliturgie mit dem Satz eingeleitet: „Lasset uns Dank sagen dem Herrn unsern Gott.“

'A unit of currency, issued by the United States of America'

Es ist auch ein Unterschied, ob man die Freuden des Lebens mit Dankgebet annimmt oder ohne Dankgebet annimmt. Dieser Unterschied lässt sich durch ein Beispiel deutlich machen. Es gibt einen Pfarrer in Südkalifornien mit dem Namen Denny Bellesi. An einem Sonntag waren 100 Mitglieder im Gottesdienst anwesend und er schenkte jedem Gottesdienstteilnehmer $100. Er ermutigte die Gemeinde, mit diesen $100 Gutes zu tun im Namen Gottes. Es gab keine Vorschriften, wie dieses Geld einzusetzen war. Jeder, der dieses Geld bekam, hatte auch die Freiheit, das ganze Geld für Tanzen, Rauchen, Trinken und Kino einzusetzen, wenn er wollte. Was ist also aus diesen $10.000 geworden?

Es stellte sich heraus, dass diese Geldgeschenke eine große kreative Energie freisetzten. Eine Person z. B. half einer Familie von Emigranten, in der zwei Töchter wegen einer Blutkrankheit starben. Ein anderer fing ein Projekt an, das Tausende von Dollar erzeugte, um ein Zufluchtshaus für misshandelte Frauen einzurichten. Ein Geschäftsmann war so angetan von diesem Vorhaben der Gemeinde, dass er ein Wohltätigkeitsprogramm einrichtete. Es ist ausgerechnet worden, dass die ursprünglichen $10.000 sich verwandelt hatten in $500.000, die aus Spenden, Sachspenden und ehrenamtlichen Arbeitsstunden bestanden.

Der Ausgangspunkt für diese kreative Wohltätigkeit war, dass die $100 pro Person von einer Kirchengemeinde ausgeteilt wurden. Die $100 kamen sozusagen von Gott. Und weil das Geldgeschenk im Namen Christi war, haben die Gemeindemitglieder sich Gedanken gemacht, wie sie anderen damit helfen konnten. Dieses Projekt machte deutlich, dass jedes Gemeindemitglied verborgene Gaben und Fähigkeiten hat, die nur auf eine Gelegenheit warten, entdeckt und eingesetzt zu werden.

Aber diese Gelegenheit haben wir immer. Es wird zwar vermutlich nie vorkommen, dass die Dreikönigsgemeinde an jeden Gottesdienstbesucher €100 verteilt. Aber jeder von uns hat Geld. Und jeder von uns setzt Geld ein für Freizeitbeschäftigungen. Was würde passieren, wenn man €100 beiseite legen würde und würde dieses Geld als Geschenk Gottes ansehen. Das dürfte nicht schwer sein, denn nach biblischer Aussage haben wir Gott alles zu verdanken. Was würde eintreten, wenn jeder von uns überlegen würde, wie man Gott mit €100 dienen könnte? Vielleicht würden wir dabei entdecken, dass es mehr Möglichkeiten gibt, Gutes zu tun, als wir vorher dachten. In unserem Hebräerbrieftext heißt es: Gutes zu tun und mit andern zu teilen, vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott. Manchmal ist es nur eine Frage der Vergesslichkeit, deswegen heißt es: Gutes zu tun und mit andern zu teilen, vergesst nicht. Und wenn es heißt: solche Opfer gefallen Gott, so ist in diesem Zusammenhang ein Dankopfer gemeint, d.h. das sogenannte Opfer ist kein richtiges Opfer, sondern ein Ausdruck der Dankbarkeit, das man freiwillig leistet, weil man es tun will, nicht weil man es tun muss.

'Photo of F. Dostoevsky, Fjodor Dostojevskij, 1879

Wie gesagt: wir Menschen sind vergesslich. Deswegen heißt es in Psalm 103: Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. In diesem Zusammenhang kann es hilfreich sein, ein Erlebnis des russischen Schriftstellers, Fjodor Dostojewskij, zu betrachten. Als er 27 Jahre alt war, gehörte er zu einer revolutionären Befreiungsbewegung. Im Jahre 1849 wurde er verhaftet. Acht Monate lang war er im Gefängnis. Dann kam ein Tag, an dem er – mit anderen Gefangenen zusammen – zu einer Hinrichtungsstätte gebracht wurde. Hier haben sie erfahren, dass sie erschossen werden sollten. Jeder Gefangene bekam vorher die Möglichkeit, ein Kreuz zu küssen und bei einem Priester zu beichten. Danach wurden die Augen der Gefangenen mit einer Kapuze verdeckt. Die ersten drei Verurteilten wurden an Pfähle angebunden und Soldaten richteten ihre Gewehre auf sie. Plötzlich hörte man Trommeln und das Galoppieren eines Pferdes. Ein Bote des Zars erschien, der eine Begnadigung der Verurteilten bei sich hatte. Dostojewskij entdeckte in diesem Moment eine Wahrheit, die sein Leben veränderte. In einem Brief an seinen Bruder schrieb er folgendes: „Wenn ich auf meine Vergangenheit zurückschaue und daran denke, wie viel Zeit ich an Nichtigkeiten vergeudet habe, wie viel Zeit verloren gegangen ist – wegen Unwichtigkeiten, wegen Irrwegen, wegen Faulheit, wegen einer Unfähigkeit zu leben, wenn ich daran denke, wie wenig ich mein Leben geschätzt habe, und wie oft ich deshalb gegen mein Herz und meine Seele gesündigt hatte – dann blutet mein Herz. Denn das Leben ist ein Geschenk, das Leben ist Freude, jede Minute kann eine Ewigkeit der Glückseligkeit sein.“

Dieses Erlebnis macht deutlich, was wir am Erntedankfest feiern. Das ganze Leben ist ein Geschenk Gottes. Das Leben ist Freude. Denn alles, was Gott geschaffen hat ist gut. Alles, was im Leben vorkommt, wird zuletzt dem Guten dienen – auch das, was wir als unangenehm empfinden. Auch das ewige Leben ist ein Geschenk Gottes. Es gibt also keine Opfer, die zu leisten sind, damit man in die ewige Gemeinschaft mit Gott kommt. Die Freuden des Lebens dürfen wir deshalb unbefangen genießen – zur Ehre Gottes. Alles, was wir für Gott tun, ist deshalb rein freiwillig. Alles, was wir für Gott tun, kann ein Ausdruck der Dankbarkeit sein. In diesem Kontext gibt es nur einen einzigen Feind: nämlich die Vergesslichkeit. Wie geschrieben steht: „Vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ Und es steht geschrieben: „Gutes zu tun und mit andern zu teilen, vergesst nicht“

Die Abbildung 'Charles Dickens - Sketch in the Entr'acte', 1892, Alfred Bryan, sowie das Photo 'F. Dostoevsky', 1879, sind im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.
Die Abbildung 'A unit of currency, issued by the United States of America', ist im public domain. (If this is an image of paper currency or a coin not listed here, it is solely a work of the United States government, is ineligible for copyright, and is therefore in the public domain.)

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