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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Heb. 12, 22 - 24 Gott vernichtet Bösartigkeit, nicht Menschen

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Predigt zu Michaelis: Heb. 12, 22 - 24 Gott vernichtet Bösartigkeit, nicht Menschen

Gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2007:

'Engel der Verkündigung', 1975 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'Engel der Verkündigung', 1975
Walter Habdank. © Galerie Habdank

Ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu den vielen tausend Engeln, und zu der Versammlung und Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel aufgeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten und zu dem Mittler des neuen Bundes, Jesus.

Im Jahre 1960 wurde Adolf Eichmann in Argentinien festgenommen und heimlich nach Israel entführt. Dort gab es 1961 einen Prozess gegen ihn als ehemaligen SS-Obersturmführer. Er wurde angeklagt, für die Ermordung von Millionen von Juden im dritten Reich mitverantwortlich zu sein. Ein Holocaustüberlebender mit dem Namen Yehiel Dinur trat als Zeuge gegen Eichmann auf. Während der Gerichtsverhandlung hat dieser Zeuge plötzlich geschrieen und ist ohnmächtig geworden.

Jeder hat gedacht, dass er deswegen zusammengebrochen war, weil er seine Erinnerungen nicht verkraften konnte. Aber in einem Fernseh-Interview hat er erzählt, dass sein Schreien und seine Ohnmacht ganz andere Ursachen hatten. Was ihn zutiefst erschrocken hatte, war die Erkenntnis, dass Eichmann kein Ungeheuer war, sondern – noch viel schlimmer - er wirkte wie ein ganz normaler Mensch. Dieser Yehiel Dinur sagte folgendes: „Ich hatte Angst um mich selbst. Ich habe erkannt, dass ich auch dazu fähig bin, genau dasselbe zu tun, was er tat.“ Ein Fernsehkommentator sagte dazu folgendes: „War Eichmann ein Monster – oder war er etwas, was noch viel beängstigender wäre – ein normaler Mensch?“

Was dieser Holocaustüberlebende hier bezeugt, veranschaulicht die Welt, in der wir leben. Mörderische Gewalt wird nicht von Monstern ausgeführt sondern von Menschen, die im Alltag ganz normal wirken. Der nette, junge Uni-Student, der nebendran wohnt, der höflich und hilfsbereit ist, könnte ein Terrorist sein, der bereit ist, mit einem Bombenanschlag Hunderte von unschuldigen Menschen zu zerfetzen. Chaotische, menschenverachtende Zerstörungsgewalt wohnt in den Herzen von Menschen, die im Alltag nett und freundlich sind. Jeder Krieg offenbart diese Wahrheit. Und auch die Bibel.

Die Bibel verkündet, dass die Macht des Bösen in allen Menschen lauert. Terroristen und Massenmörder sind nicht Untermenschen oder tierische Ungeheuer, sondern sie gehören nach wie vor zu der Menschheit. Wir teilen eine gemeinsame Menschlichkeit mit ihnen.

In der heutigen Zeit gibt es keine Sprache, die diese Wahrheit ausreichend zum Ausdruck bringt. Die Bibel aber bietet uns eine Sprache, denn die Bibel spricht in diesem Zusammenhang von dem Teufel, von Dämonen, von dämonischer Besessenheit. Die Welt des Neuen Testamentes ist eine Welt, die von dämonischen Mächten beherrscht ist.

Ein neutestamtlicher Wissenschaftler sagt dazu folgendes: „Überall im Neuen Testament begegnen uns Menschen, die von unsauberen, bösen Dämonen oder Teufeln besessen sind. Die ganze Welt und die sie umgebende Atmosphäre war von Teufeln erfüllt, die (...) jede Lebensphase des Menschen regierten. Sie saßen auf Thronen, sie umschwebten die Wiegen. Die Erde war buchstäblich eine Hölle (...) Die Dämonen waren erschreckend zahlreich; es gab siebeneinhalb Millionen von ihnen, wie manche behaupteten (...) Es gab einen Dämon der Blindheit, des Aussatzes und der Herzkrankheiten. Sie übertrugen ihre bösen Gaben auf die Menschen.“

Was hier geschildert wird, ist der Hintergrund zu allem, was Jesus tat. Besonders das Markusevangelium greift dieses Weltbild auf. Nach Markus befindet sich die ganze Menschheit in einer dämonischen Gefangenschaft. Und alles, was Jesus tat, seine Heilungen, seine Sturmstillung, seine Totenauferweckungen, seine Dämonenaustreibungen, seine Gebete, seine Predigten und seine Sündenvergebung, war ein Kampf gegen die Macht des Bösen. Als Jesus am Kreuz hing, hat er alles erlitten, was die dämonischen Mächte der Finsternis ausrichten konnten, und er hat sie besiegt. In Jesus wurde offenbart, dass Gott stärker ist als alle Bösartigkeit dieser Welt.

Und das ist es, was am Michaelisfest gefeiert wird. An dem ersten Ostermorgen wurde ein für allemal demonstriert, dass Gott mächtiger ist alles, was das Böse anrichten kann. Deswegen ist die liturgische Farbe heute weiß, die Christusfestfarbe, die Farbe des Ostersieges.

Die Macht Gottes über das Böse wird veranschaulicht in der Vorstellung, dass es unzählige Engel gibt, die für Gott kämpfen. Die Engel sind stärker als die Dämonen. Diese Sprache klingt wie Mythologie, wie Märchensprache oder wie Aberglaube; aber sie ist trotzdem realistisch.

Denn es gibt sonst keine Sprache, die das Böse erfassen kann. Der Ausdruck „Teufel“ bringt zum Ausdruck, dass das Böse eine Dimension hat, die der Mensch nicht erfassen und nicht bändigen kann. Denn es gibt keine Wissenschaft – weder Psychologie, Soziologie, Medizin noch Pädagogik – die das Böse in seiner vollen Ausdehnung begreifen oder in den Griff kriegen könnte. Ein Adolf Eichmann ist mit wissenschaftlichen Methoden allein nicht zu erklären. Nur die Sprache der Bibel, die von Engeln und Dämonen redet, ist realitätsnahe.

In diesem Zusammenhang könnte man an Josef Stalin denken. Einmal wurde ihm mitgeteilt, dass der Papst etwas Negatives über ihn geäußert hatte. Immerhin war Stalin einer der grausamsten Tyrannen der Menschheitsgeschichte, der für den Tod von Millionen von Menschen verantwortlich war. Und Stalin hat daraufhin zynisch gefragt: „Wie viele Divisionen hat der Papst?“ Er wollte damit sagen, dass nur rohe Macht zählt; und Stalin war bewusst, dass er über eine überdimensionale militärische Macht verfügte, während der Papst – nach menschlichem Ermessen – völlig ohnmächtig war. Denn der Vatikan verfügt nicht über Panzer-Divisionen oder Atomraketen. Aber als Stalin im Jahre 1953 starb, hat der Papst, damals Pius XII, folgendes über Stalin gesagt: „Jetzt wird er sehen, wie viele Divisionen wir haben.“

Das heißt: wenn es um rohe Macht geht, ist Gott nicht zu übertreffen. Was der Papst sagte, erinnert an das, was Jesus im Garten Gethsemane sprach, als Petrus ihn mit einem Schwert verteidigen wollte. Jesus sagte: Stecke dein Schwert an seinen Ort! (....) Oder meinst du, ich könnte meinen Vater nicht bitten, dass er mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel schickte? Eine römische Legion bestand aus ca. 6000 Soldaten. Das heißt: Jesus spricht hier von der Möglichkeit, dass er sofort mehr als 72.000 kampfbereite Engel zu seinem Schutz bestellen könnte, wenn er wollte.

Aber nicht nur Jesus kann Engel zu sich rufen. Jeder christliche Gottesdienst ist eine Versammlung von Engeln.

Was ich jetzt sage, wird Ihnen vielleicht hoffnungslos naiv vorkommen, aber es handelt sich hier um einen Glaubensinhalt, der tief verwurzelt ist. Dieses Glaubensgeheimnis lautet: Wenn wir Christen Gottesdienst feiern, dann besteht die Gemeinde nicht allein aus den Personen, die sichtbar sind, sondern die ganze himmlische Welt ist anwesend.

In unserer Abendmahlsliturgie z. B. sprechen wir von dem „Herrn Zebaoth.“ „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth“ singen wir in jedem Abendmahlsgottesdienst. Zebaoth ist ein hebräischer Ausdruck für himmlische Heerscharen. Die alttestamentliche Vorstellung von Gott ist, dass er nie allein sondern von Engelscharen umringt ist. Wenn Gott anwesend ist, ist auch die himmlische Welt anwesend. Das Neue Testament greift dieses Bild auf und ergänzt sie: auch verstorbene Menschen sind Teil der himmlischen Heerscharen. In dem Hebräerbrief wird die christliche Anbetung Gottes mit den folgenden Bildern beschrieben:

„Ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu den vielen tausend Engeln, und zu der Versammlung und Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel aufgeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten und zu dem Mittler des neuen Bundes, Jesus, (Heb. 12, 22 – 24)

Dementsprechend heißt es in der lutherischen Abendmahlsliturgie: „Darum preisen wir dich mit allen Engeln und Heiligen und rufen mit ihnen: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth.“

Wenn eine Gemeinde sich im Namen Jesu Christi versammelt, um einen Gottesdienst zu feiern, ist die Gemeinde nicht nur unter sich, sondern die gesamte himmlische Welt ist anwesend. Dieses Bild von Gottesdienst ist uralt. In einer ostsyrischen Liturgie aus dem 4. Jahrhundert heißt es: „Vor dem glorreichen Thron deiner Majestät, Herr, und dem hohen und erhabenen Sitz deiner Herrlichkeit...zusammen mit Tausenden von Cherubim, die dir Halleluja singen, und Zehntausenden von Seraphim und Erzengeln, die dich heilig nennen. Mit ihnen beten wir dich an, preisen wir dich und verherrlichen wir dich allezeit.“

Hier ist die Antwort auf alle Bösartigkeit dieser Welt. Zuletzt sind alle Dämonen für Vernichtung bestimmt. Denn die Dämonenaustreibungen Jesu offenbaren, dass nicht der Mensch für Vernichtung vorgesehen ist, sondern die Bösartigkeit, die in seinem Herzen haust, diese Bösartigkeit ist für Vernichtung vorgesehen. Jesus vernichtete keine Menschen. Gott tötet nicht. Gott vernichtet keine Menschen, sondern die chaotische Zerstörungsgewalt, die in Menschenherzen wie eine Legion von Dämonen haust, die wird ausgelöscht. Zuletzt sind alle Menschen für die Gemeinschaft der himmlischen Heerscharen vorgesehen, wo es nur noch Licht, Liebe und Herrlichkeit gibt. Und auch ein Mensch wie Adolf Eichmann ist für diese himmlische Heerscharen vorgesehen – ob das uns passt oder nicht. Denn Gott und seine Engel werden nicht ruhen, bis sie alle Menschen in die himmlische Welt heimgeholt haben.

Wir danken Frau Friedgard Habdank sehr herzlich, dass sie uns die Bilder ihres Mannes auf so großzügige und kostenlose Weise zur Verfügung gestellt hat. © Galerie Habdank, www.habdank-walter.de

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