Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 15. Sonntag nach Trinitatis Lukas 18, 28 – 30 Der Unterschied zwischen Glauben und Aberglauben

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'Folge mir nach', 1989 - Walter Habdank. © Galerie Habdank.

'Folge mir nach', 1989 - Walter Habdank.
© Galerie Habdank

15. Sonntag nach Trinitatis

Der Unterschied zwischen Glauben und Aberglauben Lukas 18, 28 – 30

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 1999

Da sprach Petrus: Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt. Er aber sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder verlässt um des Reiches Gottes willen, der es nicht vielfach wieder empfange in dieser Zeit und in der zukünftigen Welt das ewige Leben. Lukas 18, 28 – 30

Es gibt ein Buch mit dem Titel: „Kinderbriefe an den lieben Gott“. In diesem Buch gibt es Briefe, die Kinder tatsächlich geschrieben haben. Und diese Briefe veranschaulichen den Begriff „Aberglauben“. Kinder können zwischen Glauben und Aberglauben nicht unterscheiden. Zum Beispiel:

Lieber Gott! Bitte mach, dass ich unsichtbar werde, wenn ich es will. Ich werde dann auch alles tun, was du von mir erwartest. Ist das ein Angebot?

Lieber Gott! Müssen gute Menschen früh sterben? Ich habe das von meiner Mutter gehört. Ich bin nicht immer gut.

Lieber Gott! Ich bin sitzengeblieben. Das habe ich aber nicht verdient. Warum hast du das zugelassen?

Lieber Gott! Ich habe dir schon einmal geschrieben, erinnerst du dich? Siehst du, ich habe gehalten, was ich dir damals versprochen habe. Aber du hast mir immer noch nicht das Pferd geschickt. Wie steht’s damit?

In diesen Briefen sehen wir, was Aberglaube ist. Aberglaube ist die Vorstellung, dass Gott bestechlich ist. Aberglaube ist die Vorstellung, dass Gott sich auf Tauschgeschäfte einlässt, dass er bereit ist, etwas Übernatürliches für mich zu tun, wenn ich mich so verhalte, wie er es will, oder wenn ich ihm ein besonderes Opfer bringe.

Und Aberglaube kommt nicht nur in Kindern vor, sondern eine Neigung zum Aberglauben steckt tief in uns Menschen und bleibt mit uns bis an das Lebensende.

Seit Jahren mache ich Erfahrungen mit Altersheimbewohnern in Gesprächskreisen. Und es ist mir aufgefallen, dass es häufig vorkommt, dass Menschen aus früheren Generationen einen Glauben haben, der eigentlich eine Form des Aberglaubens ist. Dieser Aberglaube wird zum Beispiel erkennbar, wenn jemand sagt: „Ich war immer anständig und hilfsbereit. Warum hat Gott es zugelassen, dass es mir jetzt so schlecht geht? Das habe ich nicht verdient!“ Da, wo Menschen meinen, dass sie ihr Schicksal auf eine übernatürliche Weise beeinflussen können, indem sie etwas für eine Gottheit tun, muss man von Aberglauben sprechen.

'Pentacle and the five elements of the cosmos', 2007, Nyo

Die heutige Generation ist sicherlich genauso abergläubisch veranlagt, wie frühere Generationen. Aber der Unterschied heute ist, dass die jetzige Generation nicht dazu neigt, christlichen Glauben mit Aberglauben zu vermischen, denn heutzutage gibt es Esoterik. Esoterik ist deshalb so beliebt, weil sie scheinbar Möglichkeiten bietet, das künftige Schicksal in den Griff zu kriegen – zum Beispiel durch Magie, Astrologie, Kraftfelder, Tarotkarten, Channeling, Okkultismus, Edelsteintherapie, Geistheiler, Hellseher, Geheimwissen aus Atlantis. Es ist festgestellt worden, dass jeder siebte Deutsche schon mit Magie und Hexerei zu tun hatte. Jeder fünfte soll an Reinkarnation glauben, und jeder Dritte hält die Zukunft für vorhersagbar. In jeder Buchhandlung ist die Esoterik-Abteilung zwei oder dreimal so groß wie die Abteilung Religion. Aber Esoterik ist nur ein anderes Wort für Aberglauben.

Warum ist Aberglaube so tief in uns Menschen verwurzelt? In einer Zeitschrift zum Thema Magie steht eine Aussage, die den zentralen Punkt zusammenfasst, um den sich alles dreht. Diese Zeitschrift ist übrigens keine kirchliche Zeitschrift, sondern eine weltliche; da heißt es: „Magie ist die Absage an Gottes Allmacht: Nicht sein Wille geschehe, sondern mein Wille....Aber das Streben nach Selbstbestimmung endet mit der Gefangennahme. Statt der Unabhängigkeit erwarten ihn neue Gesetze und Regeln, diktiert von den Sternen, von Karten, Pendeln, Runen oder vorgeschrieben in Büchern, die sich auf „uraltes Wissen“ berufen.“

Was hier über Magie gesagt wird, gilt auch für Aberglauben. Das Wort „aber“ in „Aberglauben“ ist ein mittelhochdeutsches Wort, das „falsch“ oder „verkehrt“ bedeutet. Aberglaube ist die Weigerung, sich Gott voll und ganz anzuvertrauen, sondern der falsche, verkehrte Glaube, dass es mir besser geht, wenn ich versuche, Gott für meine Zwecke einzusetzen.

Die Bibel macht deshalb eine deutliche Unterscheidung zwischen Glauben und Aberglauben. Zum Beispiel in den zehn Geboten heißt es: „Du sollst den Namen des HERRN deines Gottes nicht missbrauchen.“ Dieses Gebot war ursprünglich an Menschen gerichtet, die den Namen Gottes in Beschwörungsformeln einsetzen wollten. Es gab in der antiken Welt die Vorstellung, dass ein Mensch über eine Gottheit verfügen konnte, wenn er ihren Namen kannte und diesen Namen in Ritualen einsetzte. Deshalb wurde streng verboten, den Namen Gottes so zu missbrauchen.

Der Lukastext für heute ist auch ein Beispiel für die scharfe Abgrenzung zwischen Glauben und Aberglauben, die in der Bibel durchgezogen wird. Die Stelle beginnt mit einer Aussage des Petrus; er sagt zu Jesus:

Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt.

Jesus hatte vorher gesagt, dass es leichter ist, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher in das Reich Gottes kommt. Die Jünger waren erschrocken, als sie das hörten und fragen: Wer kann denn überhaupt selig werden? In diesem Zusammenhang weist Petrus darauf hin, daß die Jünger nicht zu den Reichen gehören, denn sie haben um Jesu willen alles aufgegeben. Jesus tröstet die Jünger, indem er sagt:

Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder verlässt um des Reiches Gottes willen, der es nicht vielfach wieder empfange in dieser Zeit und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.

Oberflächlich betrachtet, wirkt dieser Text wie eine Bestätigung des abergläubischen Denkens. Denn die Jünger bringen ein Opfer und es wird ihnen dementsprechend eine Belohnung in Aussicht gestellt. Es wirkt so, als ob sich Gott doch auf Tauschgeschäfte einlässt und als ob es möglich wäre, die Zukunft zu manipulieren, vorausgesetzt man leistet das vorgesehene Opfer. Aber ehe wir alle zum Heidentum übertreten, sollten wir diese Stelle etwas näher untersuchen. Wenn es heißt:

Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt

dann gibt es nur eine Möglichkeit, wie diese Hingabe der Jünger zu verstehen ist, nämlich als eine Hingabe ohne Hintergedanken. Die Jünger haben sich Jesus voll und ganz anvertraut – und das heißt, sie haben sich Gott voll und ganz anvertraut, ohne Hintergedanken, d.h. ohne zu überlegen: was werden wir dafür bekommen? Was wird Gott uns als Gegenleistung bringen? Wer von vorne herein mit Gegenleistung rechnet, will Gott bestechen und hat sich Gott noch nicht anvertraut.

'David Livingstone', H.F. Helmolt (ed.): History of the World. New York, 1901

Eine gute Veranschaulichung, wie diese Hingabe der Jünger gemeint war, wurde in dem berühmten afrikanischen Missionar und Forscher David Livingstone erkennbar. Dieser Missionar hatte unglaublich viel in Afrika durchgestanden: fast dreißig Mal ist er schwerkrank geworden und wegen seiner diversen Krankheiten war er am Ende seines Lebens hager und abgemagert. Sein linker Arm hing schlaff an der Seite, denn er wurde einmal von einem Löwen zertrümmert. Er konnte in Afrika nie ein Gefühl von Sicherheit haben, denn die Bevölkerung war ihm gegenüber völlig unberechenbar und oft feindlich gesinnt. Es war auch ein einsames Leben, besonders als er seine Frau verlor. Gegen Ende seines Lebens wurde er gefragt: Wie viele Opfer haben Sie gebracht?“ Livingstone erwiderte: „Opfer? Ich habe in meinem ganzen Leben kein Opfer gebracht.“

Und mit dieser Aussage bringt er zum Ausdruck, was christlichen Glauben von Aberglauben unterscheidet. Für einen Christen gibt es um der Sache Christi willen keine Opfer, sondern alles, was er für Gott tut, ist eine Selbstverständlichkeit, denn Gott ist der Herr; Gott wird dafür sorgen, dass zuletzt alles dem Guten dient und alles einen Sinn bekommt. Deswegen gibt es zuletzt keine Opfer – und dies ist auch die Botschaft des Lukastextes: im Reich Gottes gibt es zuletzt keine Opfer. Wer aber abergläubisch denkt, wird versuchen, Rechnungen aufzustellen. Er wird sich fragen: „Wenn ich sonntagsmorgens mein Ausschlafen opfern und den Gottesdienst besuchen werde, was wird das mir bringen?“ Oder eine heidnische Denkweise lautet: „Wenn ich zu Gott bete, wenn ich die zehn Gebote einhalte und Nächstenliebe praktiziere, dann müsste eigentlich etwas für mich dabei herausspringen; es müsste mir dann besser gehen als Leuten, die solche Leistungen nicht bringen.“

'Stonewall Jackson', Edmund Ferman, 2006

Im 19. Jahrhundert gab es in Nordamerika einen Bürgerkrieg und es gab in diesem Krieg einen General, „Stonewall“ Jackson, der während einer Kampfhandlung seinen Arm verlor. Ein Militärpfarrer hat ihn deswegen bedauert. Er erwiderte: „Es wird ihnen merkwürdig vorkommen, aber ich bin nie so zufrieden gewesen, wie heute, denn ich bin überzeugt, dass dieser Verlust mir zuletzt nur Gutes bedeuten kann. Denn es ist für mich keine Frage, dass dieses Unglück zu einem Segen wird – entweder in diesem jetzigen Leben oder in dem kommenden Leben. Ich kann warten, bis Gott die Zeit für richtig hält, mir zu offenbaren, wozu ich diesen Verlust erlitten habe. Warum soll ich mich nicht freuen, weil ich die Sache als Segen, nicht als Katastrophe, ansehe? Wenn ich meinen Arm wiederherstellen könnte, würde ich es nicht wagen, wenn ich nicht wüsste, dass Gott es so haben will.“

Diese Glaubensaussage ist eine Auslegung des heutigen Lukastextes. In Gott gibt es zuletzt keine Opfer und keine Katastrophen. Deswegen sollte man nicht versuchen, Gott zu manipulieren - das wäre Heidentum - sondern sich ihm anvertrauen, denn er weiß, was für uns gut ist und gut wird. Amen.

Die Abbildung 'Pentacle and the five elements of the cosmos', 2007, Nyo, ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 2.0 Lizenz.
Die Abbildungen 'David Livingstone', H.F. Helmolt (ed.): History of the World. New York, 1901, sowie 'Stonewall Jackson', Edmund Ferman, 2006, sind im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.

Wir danken Frau Friedgard Habdank sehr herzlich, dass sie uns die Bilder ihres Mannes auf so großzügige und kostenlose Weise zur Verfügung gestellt hat. © Galerie Habdank, www.habdank-walter.de

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