Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 1. Thess. 1, 2 – 10 Das Evangelium allein

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'A folio from the Georgian manuscript of the Gosepls copied in the 12th century at the Gelati Monastery.', 12th century, Kober, 2008

14. Sonntag nach Trinitatis

Das Evangelium allein 1. Thess. 1, 2 – 10

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2006

Wir danken Gott allezeit für euch alle und gedenken euer in unserm Gebet und denken ohne Unterlass vor Gott, unserm Vater, an euer Werk im Glauben und an eure Arbeit in der Liebe und an eure Geduld in der Hoffnung auf unsern Herrn Jesus Christus. Liebe Brüder, von Gott geliebt, wir wissen, dass ihr erwählt seid; denn unsere Predigt des Evangeliums kam zu euch nicht allein im Wort, sondern auch in der Kraft und in dem heiligen Geist und in großer Gewissheit.
Ihr wisst ja, wie wir uns unter euch verhalten haben um euretwillen. Und ihr seid unserm Beispiel gefolgt und dem des Herrn und habt das Wort aufgenommen in großer Bedrängnis mit Freuden im heiligen Geist, so dass ihr ein Vorbild geworden seid für alle Gläubigen in Mazedonien und Achaja. Denn von euch aus ist das Wort des Herrn erschollen nicht allein in Mazedonien und Achaja, sondern an allen Orten ist euer Glaube an Gott bekannt geworden, so dass wir es nicht nötig haben, etwas darüber zu sagen. Denn sie selbst berichten von uns, welchen Eingang wir bei euch gefunden haben und wie ihr euch bekehrt habt zu Gott von den Abgöttern, zu dienen dem lebendigen und wahren Gott und zu warten auf seinen Sohn vom Himmel, den er auferweckt hat von den Toten, Jesus, der uns von dem zukünftigen Zorn errettet. 1. Thess. 1, 2 – 10

Etwas, was Paulus in seinen Briefen immer wieder betont, ist die Kraft des Evangeliums. In seinem Römerbrief z. B. schreibt Paulus, dass das Evangelium „eine Kraft Gottes“ ist, die alle selig macht, die daran glauben. Und in dem Text, den wir eben gehört haben, schreibt er: „Unsere Predigt des Evangeliums kam zu euch nicht allein im Wort, sondern auch in der Kraft“. Und dann schildert er, wie diese Kraft in der thessalonichen Gemeinde sichtbar wurde.

Der Begriff „Evangelium“ bedeutet „gute Nachricht“. Und Paulus hat einmal genau definiert, was er damit meint. Gemeint ist eine Glaubensformel, die von den ersten Anhängern Jesu formuliert wurde. Sie lautet:

Christus ist für unsere Sünden gestorben nach der Schrift; er ist begraben worden; er ist auferstanden am dritten Tage nach der Schrift; er ist gesehen worden.

Im Laufe der Zeit musste diese Formulierung erweitert werden, um Missverständnisse und Verfälschungen zu bekämpfen. Das apostolische Glaubensbekenntnis, das wir vorhin gemeinsam gesprochen haben, ist eine ausführlichere Zusammenfassung des Evangeliums.

'Watergate Complex', 2006, Indutiomarus

Es gibt unzählige Beispiele für die Kraft, die von diesem Evangelium ausgeht. Zum Beispiel gab es Anfang der 70er Jahre in Washington einen Assistenten des Präsidenten Nixon mit dem Namen Charles Colson. Dieser Colson war der Inbegriff eines korrupten Politikers. Er wurde „das böse Genie“ genannt. Er soll einmal gesagt haben: „Ich würde über meine eigene Großmutter laufen, wenn es dazu beitragen würde, den Präsidenten wieder zu wählen.“ Er war unglaublich rücksichtslos. 1971 schlug er vor, ein Forschungsinstitut mit einer Feuerbombe anzugreifen, damit sensible politische Dokumente während der Löscharbeit gestohlen werden könnten. Wegen seiner Beteiligung an dem Watergate-Skandal kam er ins Gefängnis. Aber dieser Colson erlebte einen Wendepunkt, als er mit dem konfrontiert wurde, was wir in der Kirche Evangelium nennen.

Charles Colson wurde von einem bestimmten Inhalt des Evangeliums umgehauen. Er schreibt dazu folgendes: „Das Wesentliche der Christenheit ist in einem unglaublichen Satz zusammengefasst: nämlich Jesus Christus ist Gott. Nicht bloß ein Teil von Gott, oder nicht bloß von Gott gesandt, oder nicht nur mit Gott verwandt. Er war Gott und ist deshalb Gott. Je mehr ich mich mit diesen Worten auseinandergesetzt hatte, um so mehr sind sie vor meinen Augen explodiert, sie zerschmetterten Vorstellungen, mit denen ich bequem und gedankenlos gelebt hatte.“

Dieser Moment, als dieser Kriminelle mit einem Glaubensinhalt des Evangeliums demontiert wurde, hatte ihn nachhaltig verändert. Es war bei ihm keine oberflächliche Wandlung, sondern er fing gleich an, z. B. für Gefängnisreformen zu arbeiten.

'Matthäus', PSch

Dieser Vorgang ist exemplarisch. Es hat sich immer wieder gezeigt, dass das Evangelium eine Sprengladung ist, die sich an einem einzigen Satz entzünden kann. Ein japanischer Kriegsverbrecher z. B. wurde nachhaltig verändert, als er einen Satz las, den Jesus am Kreuz sprach: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ In diesem Satz offenbarte sich für ihn die ganze versöhnende Kraft des Evangeliums. Oder der Führer einer Straßenbande in New York, der mehrmals Menschen getötet hatte, einfach weil er Gewalt genossen hatte, wurde nachhaltig verändert, als er die Worte hörte: „für dich gelitten“. Diese Worte wirkten wie ein Sprengkörper in seiner Seele und er war für immer verändert; es war für ihn unmöglich geworden, zu seiner früheren gewalttätigen Lebensweise zurückzukehren. Die Kraft des Evangeliums zeigt sich an einer Statistik: täglich und weltweit entscheiden sich über 52.000 Menschen, Christen zu werden – die weitgehend nicht aus christlichen Familien stammen.

Es fällt uns schwer, solche Vorgänge nachzuvollziehen, denn solche dramatischen Entwicklungen kommen im dem Alltag einer Gemeinde scheinbar nicht vor. Aber vielleicht kommen sie deshalb nicht vor, weil es uns nicht gelungen ist, das Evangelium unverfälscht zu bewahren. Denn wenn das Evangelium reduziert wird oder mit etwas vermischt, was organisch nicht zu ihm gehört, dann verliert es seine befreiende Kraft. Deswegen musste Paulus Briefe an Gemeinden schreiben. Auch der Brief an die Thessalonicher, von dem wir vorhin den Anfang gehört hatten, wurde geschrieben, um heimtückische Ergänzungen des Evangeliums zu bekämpfen.

'Markus', PSch

In 2000 Jahren hat sich nichts verändert: Es besteht immer noch eine unwiderstehliche Versuchung, das Evangelium zu erweitern - mit Inhalten, die an sich gut und hilfreich sind, die aber das Evangelium entkräften. Das Evangelium darf aber nicht ergänzt oder verkürzt werden, sonst verlieren wir unser Kraftzentrum und unsere Identität als Christen.

Es gibt einen Grund, weshalb Christen das Evangelium ergänzen möchten. Wer das apostolische Glaubensbekenntnis näher betrachtet, wird feststellen, dass dieses Bekenntnis scheinbar unvollständig ist: denn es erwähnt nur, was Gott tut, was Gott getan hat, und was Gott tun wird. Was wir Menschen tun sollten, kommt nirgendwo vor. Das Evangelium ist eine reine Verkündigung dessen, was Gott vollbracht hat und vollbringen wird. Was ich tue, was ich tun sollte oder was ich versäume, ist nicht Teil des Evangeliums. Und so etwas ist offenbar schwer auszuhalten.

'Lukas', PSch

Wenn jemand z. B. sagt: „Die wahren Christen sind nicht diejenigen, die andauernd in die Kirche rennen, sondern diejenigen, die sich um ihre Mitmenschen kümmern, wenn sie Hilfe brauchen“ ist eine solche Aussage gut gemeint, aber wer so redet, hat offenbar nie die befreiende Kraft des Evangeliums erlebt. Denn die Forderung, hilfsbereit zu sein, wenn Menschen in Not sind, ist nicht Evangelium. Evangelium ist eine reine Zusage. Christsein beginnt damit, dass diese Zusage einfach angenommen wird.

Aber wie gesagt: scheinbar ist das Evangelium zu wenig. Es fällt Christen schwer zu glauben, dass das Evangelium allein Menschen verändern kann. Deswegen kommen eigenmächtige Ergänzungen vor, die bekräftigend wirken sollten. Das Evangelium wird mit moralischen Appellen erweitert – nach dem Motto:

Wahre Christen tragen soziale Verantwortung, wahre Christen leben umweltbewusst, wahre Christen sind tolerant, wahre Christen schwätzen nicht arrogant über andere, wahre Christen kaufen sonntags nicht ein, wahre Christen begehen keine auffallenden moralischen Verfehlungen, wahre Christen wollen Frieden schaffen ohne Waffen, wahre Christen sind gegen Stammzellenforschung, wahre Christen sind gegen Gentechnologie, wahre Christen sind gegen Abtreibung, wahre Christen sind gegen Euthanasie, wahre Christen sind für die 35-Stunden Arbeitswoche – denn Gott ist für die 35-Stunden Woche, wahre Christen rennen nicht jeden Sonntag in die Kirche.

Durch solche Appelle ist das Evangelium ergänzt worden. Natürlich gibt es viele Dinge, die ein Christ tun könnte, tun müsste oder nicht tun sollte, aber keine menschliche Tätigkeit ist Teil des Evangeliums.

Denn es gibt nur eine Definition des wahren Christseins: Ein wahrer Christ ist eine Person, die das Evangelium anerkennt, so wie es überliefert worden ist. Denn – und darauf kommt es an - nur so bekommt Gott die Ehre, die ihm zusteht. Nur so kann eine dauerhafte Gemeinschaft mit Gott entstehen. Durch das Evangelium will Gott jede einzelne Person dieser Erde aufsuchen, damit alle seine Liebe erfahren. Es hat Gott gefallen, durch diese gute Botschaft uns mit seiner ganzen Liebe aufzusuchen. Und darum geht es zuletzt: dass die Liebe Gottes voll und ganz zur Geltung kommt, damit wir Gott lieben können. Denn das ist das oberste Gebot, wie Jesus betont hat.

'Johannes', PSch

Ein Theologe hat dazu folgendes geschrieben:

„Die Erfahrung der Liebe Gottes ist die wichtigste Erfahrung, die ein Mensch in seinem Leben machen kann...(Aber) die Gottesliebe ist der blinde Fleck der protestantischen Theologie – und das bereits seit Jahrhunderten...Mit Ausnahme einiger evangelischer Mystiker und der Bewegung des Pietismus hat die Gottesliebe im Protestantismus nie eine besondere Rolle gespielt...Hierin liegt die wirkliche Krise unserer Kirche. Dass die Gottesliebe weithin kein Thema mehr ist in der evangelischen Christenheit, dass man sich über dieses Zentrum vielfach nicht mehr im Klaren ist, darüber sollten wir uns tausend Mal mehr Gedanken machen als über zurückgehende Mitgliederzahlen und Kirchensteuermittel.“

Das Evangelium ist also nicht bloß eine trockene Formulierung; es ist der Weg, den Gott nehmen will, um jedes Herz mit seiner Liebe zu erreichen. Es ist etwas Lebendiges. Und lebendige Dinge müssen immer wieder neu entdeckt werden. Denn je nachdem, was ein Mensch gerade durchmacht, braucht er mal einen bestimmten Aspekt des Evangeliums zu hören, mal einen anderen. Durch Bibellesen, durch Gebet, durch das Gesangbuch, durch Kirchenmusik, durch die Sakramente, durch christliche Gemeinschaft, durch Bibelgesprächskreise kann das Evangelium immer wieder neu entdeckt und angeeignet werden. Möge Gott uns dabei helfen.

Die Abbildung 'A folio from the Georgian manuscript of the Gosepls copied in the 12th century at the Gelati Monastery.', 12th century, Kober, 2008, ist im public domain, weil sein copyright ebgelaufen ist.
Die Photographie 'Watergate Complex', 2006, Indutiomarus, wurde von seinem Urheber als gemeinfrei veröffentlicht. Dies gilt weltweit.

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