Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Kantatengottesdienst: „Nun danket alle Gott“

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'Tafel an der Nikolaikirche in Eilenburg zu Ehren Martin Rinckarts', 2009, Joeb07

13. Sonntag nach Trinitatis

„Nun danket alle Gott“ Kantatengottesdienst

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2009

„Nun danket alle Gott, der große Dinge tut an allen Enden, der uns von Mutterleib an lebendig erhält und uns alles Gute tut. Er gebe uns ein fröhliches Herz und verleihe immerdar Frieden zu unsrer Zeit in Israel und dass seine Gnade stets bei uns bleibe und uns erlöse, solange wir leben.“ Jesus Sirach 50, 24 – 26 von den apokryphischen Büchern (Lutherübersetzung)

Nun danket alle Gott
mit Herzen, Mund und Händen,
der große Dinge tut
an uns und allen Enden,
der uns von Mutterleib
und Kindesbeinen an
unzählig viel zugut
bis hierher hat getan.

In amerikanischen Zeitungen gibt es sogenannte „Briefkastentanten“: das sind Frauen, die Briefe öffentlich beantworten, bei denen Lebensberatung gesucht wird. Eine der Prominentesten dieser Lebensberaterinnen hieß Esther Lederer, bekannt unter dem Namen Ann Landers. 45 Jahre lang hatte sie für Tageszeitungen Briefe beantwortet. Man kann also annehmen, dass sie Menschenkenntnis hatte. Und etwas, was sie im Laufe der Jahre gelernt hatte, hat sie folgendermaßen zusammengefasst:

„Die wahre Identität eines Menschen kommt am ehesten zum Vorschein, wenn etwas Geschenktes angeboten wird.“

Man könnte diese Feststellung etwas anders formulieren: Ein Mensch wird nicht in erster Linie durch seine Handlungen definiert, sondern durch das, was er als Geschenk annimmt. Ann Landers glaubt erkannt zu haben, dass die wahre Identität eines Menschen zum Vorschein kommt, wenn etwas Geschenktes präsentiert wird. Wie ein Mensch auf ein Geschenk reagiert, zeigt, wer er wirklich ist.

Es gibt nämlich Menschen, die Geschenke nicht ohne weiteres annehmen können, sondern die sofort überlegen müssen, wie sie eine Gabe erwidern oder vergelten können. Es gibt Personen, die nicht glauben können, dass es so etwas wie ein reines Geschenk gibt, sondern sehen in jedem Geschenk eine Verpflichtung.

Diese Überlegungen haben auch etwas mit unserem Glauben zu tun. Wir haben gerade die Bachkantate gehört, in der es heißt: „Nun danket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen“. Wie danken wir Gott mit Herzen, Mund und Händen? Viele Christen werden hier eine Aufforderung zur praktischen Nächstenliebe sehen. Viele werden sagen: Die beste Art und Weise, Gott zu danken, besteht darin, sich um hilfsbedürftige Menschen zu kümmern. So könnte man Gott mit Herzen, Mund und Händen danken.

Aber christlicher Glaube ist doch ganz anders aufgebaut, denn Gott ist der ganz Andere. Im Mittelpunkt steht nicht menschliche Leistungsfähigkeit, sondern ein Geschenk. Und wie man auf dieses Geschenk reagiert, definiert, wie man zu Gott steht. In diesem Zusammenhang spielt das Abendmahl eine zentrale Rolle. Denn das Abendmahl ist ein Dankfest.

'Hostie', 2009, PSch

Einer der ältesten Namen für das Altarsakrament ist „Eucharistie“, was „Danksagen“ bedeutet. In Deutschland wird dieser Begriff ausschließlich der römisch-katholischen Kirche überlassen. Aber ursprünglich war dieser Begriff allgemeingültig. Auch für uns Evangelische ist das Abendmahl eine Eucharistie, ein Dankfest, denn die Abendmahlsliturgie beginnt mit den Worten:

„Lasset uns Dank sagen dem Herrn unserem Gott.“

Und dann heißt es:

„Es ist würdig und recht, dir, allmächtiger Gott, immer und überall Dank zu sagen...“

Und wie danken wir Gott? So komisch es klingt: wir Christen danken Gott, indem wir sein Geschenk der Gnade annehmen. Wir danken Gott, indem wir Brot als Leib Christi empfangen und essen, indem wir aus dem Kelch trinken und Gnade annehmen. Herz, Mund und Hände sind an dieser Art der Danksagung beteiligt.

Aber es kommt darauf an, wie dieses Geschenk empfangen wird. Ich habe immer noch im Ohr, wie jemand zu mir sagte: „Wenn ich Abendmahl empfange, muss ich sofort überlegen, was ich für Gott tun kann, um dieser Gnade würdig zu sein. Ich kann das nicht einfach auf mir sitzen lassen.“

Der Theologe Paul Tillich hat eindrucksvoll formuliert, wie Gnade zu empfangen ist. Zu der Frage, wie man reagieren sollte, wenn die Gnade Gottes sich anbietet, schrieb er folgendes:

„Versuche jetzt nicht, etwas zu tun, vielleicht wirst du später viel tun. Trachte nach nichts, versuche nichts, beabsichtige nichts. Nimm nur dies an, dass du bejaht bist. Wenn uns das geschieht, dann erfahren wir Gnade....Diese Erfahrung fordert nichts; sie bedarf keiner Voraussetzung, weder einer religiösen, noch einer moralischen, noch einer intellektuellen; sie bedarf nichts als nur das Annehmen.“

Die beste Art und Weise, Gott zu ehren und zu danken, besteht darin, das Geschenk seiner Liebe einfach anzunehmen – mit kindlicher Einfältigkeit. Wie es in einem afrikanischen Spruch heißt:

„Man liebt den andern nicht, wenn man sich nichts von ihm schenken lassen will.“

Aber es wird Personen geben, die sich fragen: wofür soll ich Gott danken? Denn es geht mir nicht gut.

'Nikolaikirchturm und Martin-Rinckart-Gymnasium in Eilenburg von der Burg Eilenburg gesehen', 2009, Joeb07

In diesem Zusammenhang sollte man an die Umstände denken, in denen das Lied „Nun danket alle Gott“ zustande gekommen ist. Martin Rinckart, der Verfasser des Textes, war Pfarrer in Eilenburg - in der Nähe von Leipzig - während des 30-jährigen Krieges. Es war eine grausame Zeit: 800 Häuser wurden in der Stadt zerstört, Menschen starben wegen Hunger und Krankheit. Im Jahre 1638 starben 8000 an der Pest, auch die Frau von Martin Rinckart. Seine Kollegen starben nach und nach, so dass er zuletzt allein für alle Beerdigungen zuständig war: Es gab Zeiten, als er 40 bis 50 Beerdigungen am Tag hatte. In dieser Zeit entstanden die ersten zwei Strophen von „Nun danket alle Gott“, und zwar als Tischgebet für die eigene Familie.

Gott zu danken in einer solche Situation ist ein Akt des Vertrauens. Gott zu danken, egal wie die Situation aussieht, ist ein Zeugnis, dass Gott aus jeder Lage etwas überwältigend Gutes schaffen kann und wird, egal wie chaotisch oder grausam sie aussieht. Aus Kreuzigungen schafft Gott Ostersiege.

Jedesmal, wenn wir die Hostie des Abendmahls empfangen, danken wir Gott für das Gute, das er uns in Christus geschenkt hat und dass er uns künftig schenken wird.

Diese Gnade kann eine explosive Wirkung haben. Wenn die Gnade Gottes bedingungslos angenommen wird, können Energien freigesetzt werden, die atemberaubend sind.

'John Wesley
', 2005, Saforrest

Drei Personen, die das Geschenk der Gnade bedingungslos annahmen, waren der Apostel Paulus, Martin Luther und John Wesley (der Gründer der Methodistenkirche). Alle sind „Workaholiker“ geworden – d. h. Arbeitssüchtige. Zum Beispiel: im Jahre 1738 entdeckte John Wesley, dass er nicht darum kämpfen musste, Gott zu gefallen; er entdeckte, dass alles allein von Gnade abhängt. Danach sind in ihm Kräfte freigesetzt worden, die übernatürlich erscheinen. Im Laufe seines Lebens hat er mehr als 40.000 Predigten gehalten, 233 Bücher geschrieben, ist 362.000 Kilometer gereist – meistens zu Fuß oder mit Pferd, um das Evangelium zu verbreiten. Wenn er zu Fuß unterwegs war, hat er gleichzeitig gelesen, manchmal 11 bis 12 Stunden lang. Aber zuletzt hing seine Wirkung nicht von seiner Tätigkeit ab, sondern von dem Geschenk der Gnade, das er ohne Vorbehalt annehmen konnte und ihm eine Ausstrahlung gab, die unwiderstehlich war.

Deshalb sollte jeder Abendmahlsteilnehmer gewarnt werden. Wer die Gnade Gottes in Brot und Kelch ohne Vorbehalt annimmt – als Danksagung an Gott – mit kindlicher Schlichtheit – ohne wenn und aber – muss damit rechnen, grundlegend verwandelt zu werden. Kräfte und Energien können entfesselt werden, die das Leben auf den Kopf stellen.

Denn zuletzt ist nicht das, was wir tun, ausschlaggebend, sondern das, was wir als Geschenk annehmen. Möge Gott uns helfen, seine Gnade mit Herz, Mund und Händen zu empfangen.

Die Photographien 'Tafel an der Nikolaikirche in Eilenburg zu Ehren Martin Rinckarts' sowie 'Tafel an der Nikolaikirche in Eilenburg zu Ehren Martin Rinckarts', 2009, Joeb07, wurden unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.
Die Abbildung 'John Wesley', 2005, Saforrest, ist im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.

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PSch