Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Markus 7, 31 – 37 Hoffnung heilt

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'Heilung des Taubstummen', 1979 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'Heilung des Taubstummen', 1979
Walter Habdank. © Galerie Habdank

12. Sonntag nach Trinitatis

Hoffnung heilt Markus 7, 31 – 37

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2009

Und als er wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte. Und sie brachten zu ihm einen, der taub und stumm war, und baten ihn, dass er die Hand auf ihn lege. Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und berührte seine Zunge mit Speichel und sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! Und sogleich taten sich seine Ohren auf, und die Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete richtig. Und er gebot ihnen, sie sollten's niemandem sagen. Je mehr er's aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus. Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend. Markus 7, 31 – 37

Es gibt einen Priester mit dem Namen Gary Pierse, der einen Jugendlichen kannte, der taubstumm wurde. Als dieser Jugendliche15 Jahre alt war, fing er an, taub zu werden. Er merkte auf einmal, dass er nicht mehr verstand, was gesprochen wurde. Als er mitbekam, dass seine Gesprächspartner frustriert waren, weil er nicht richtig hören konnte, schämte er sich. Er stellte außerdem fest, dass er die Lautstärke seiner Stimme nicht mehr unter Kontrolle hatte. Er wurde deshalb andauernd ermahnt, leiser oder lauter oder deutlicher zu sprechen. Deshalb hat er das Sprechen aufgegeben und er wurde stumm. Weil er nicht mehr mündlich kommunizieren konnte, wurde es für ihn wichtiger, dass er mindestens durch körperliche Berührung eine Bestätigung bekam – z. B. eine Hand auf die Schulter oder eine Umarmung. Er wäre sogar dankbar gewesen, wenn jemand ihn geschubst hätte, damit er spüren könnte, dass er noch zu der Menschheit gehörte. Aber die Menschen vermieden es, ihn körperlich anzufassen, weil sie nicht einschätzen konnten, wie er reagieren würde. Er wurde wie ein rohes Ei behandelt. Er fühlte sich deshalb von allen Menschen entfremdet und fragte sich, ob er auch von Gott entfremdet war. Es ist, als ob Jesus wusste, wie wichtig Berührung ist, als er den Taubstummen vor 2000 Jahren körperlich anpackte, wie wir in dem Markustext hörten.

Aber zurück zu diesem Jugendlichen: eine Gebetsgruppe der Gemeinde fing an, für ihn zu beten. Danach ergab sich eine Operation, die erfolgreich war. Der junge Mann konnte wieder hören; und deshalb konnte er wieder sprechen. Er hatte einen großen Nachholbedarf an Kommunikation und er fing an zu reden wie noch niemals zuvor. Er redete wie ein Wasserfall – bis er wahrnahm, dass er zu viel redete, dass er deshalb eine Belästigung für andere war. Dann fing er an, zuzuhören – und zwar sorgfältig zuzuhören. Und durch seine Erfahrungen mit Taubheit, Reden und Zuhören kam er zu einer Einsicht, die sein Leben änderte. Diese Einsicht lautete: die meisten Menschen, die hören können, sind eigentlich taub, denn sie hören weitgehend nur das, was sie hören wollen. Und die meisten Menschen, die reden können, kommen selten dazu mitzuteilen, was sie wirklich denken und fühlen. Dieser junge Mann hat gelernt – wie er meinte, dass Taubheit und Stummheit grundsätzlich in allen Menschen vorkommen. Die Entfremdung der Menschen voneinander und von Gott hängt mit Taubheit und Stummheit zusammen.

Von diesem Hintergrund aus ist der Markustext zu verstehen, der für heute vorgesehen ist. Jesus war nicht bloß ein Wunderarzt; es ging ihm nicht nur darum, Krankheit und Behinderung abzuschaffen. Jesus wollte eine umfassende, ganzheitliche Heilung vollbringen. Das ist mehr als die Abschaffung von Gebrechlichkeit. Jesus wollte auch die Entfremdung überwinden, die Krankheit beinhaltet.

Wenn ein Mensch z. B. unter Arthritis leidet, dann ist sein Problem nicht nur, dass er Schmerzen und Einschränkungen hat, sondern er leidet auch beispielsweise an verborgener Aggressivität, die eine schwere Krankheit oft beinhaltet – eine Aggressivität, die eine Person von Gott, von der Fülle des Lebens und von den Mitmenschen abschneidet.

Bei Jesus ging es um ein umfassendes Heil, ein Heil, das die ganze Person und die ganze Schöpfung einbezieht.

Auffallend ist die Körpersprache Jesu: er nahm den Taubstummen beiseite, legte ihm die Finger in die Ohren und berührte seine Zunge mit Speichel, er schaute zum Himmel und seufzte, als er betete. Mit anderen Worten: Jesus verwendete Gebärdensprache, damit der Taubstumme wusste, was vor sich ging und damit er einbezogen war. Hier sehen wir die Feinfühligkeit Jesu: er will den Mann nicht mit einer Heilung überfallen, sondern er soll seine eigene Heilung Schritt für Schritt mitbekommen, damit er sie auch bejahen kann.

Wie Jesus hier vorgeht, erinnert an die Worte eines Arztes, der sagte: „Wenn ich eine Krankheit behandele, werde ich manchmal gewinnen, manchmal verlieren. Wenn ich einen Menschen behandele, werde ich immer gewinnen.“ Jesus behandelte nicht Krankheiten, sondern Menschen.

'Dritter Schöpfungstag', 1987 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'Dritter Schöpfungstag', 1987
Walter Habdank. © Galerie Habdank

Aber Jesus behandelte auch die Schöpfung. Jesus will die Schöpfung erneuern und vollenden. Das wird an zwei Stellen deutlich. Erstens heißt es: er „sah auf zum Himmel und seufzte“. Das Wort, das hier als „seufzen“ übersetzt wird, kommt in den Evangelien nur hier vor. Im Neuen Testament ist Seufzen sonst ein Ausdruck des Stöhnens der Schöpfung nach Befreiung von der Vergänglichkeit. Z. B. im Römerbrief, Kapitel 8:

Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt ...wir seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes ...

Das Seufzen Jesu ist das Seufzen der Schöpfung nach Vollendung. Das Seufzen Jesu ist auch das Seufzen Gottes. Wie ein Prediger in Göttingen schrieb:

Dieses Seufzen reicht bis heute. Hört ihr es? Dieser Mensch (Jesus) seufzt, weil wir taub sind und stumm. Er seufzt mit der verstummten Kreatur, die endlich auf Sinn und Leben wartet. In diesem Menschen seufzt Gott, und das Seufzen ist der Wiederklang unserer Stummheit. Und es ist schon das Seufzen seines Todes, das unsern Tod birgt. Erst wenn Gott ganz zu uns kommt, wenn er selbst unsere stumme Einsamkeit auf sich nimmt, sind wir erlöst.

Auch Martin Luther hat in einer Predigt zu diesem Markustext eine allgemeine Stummheit der Menschen festgestellt, die seine Erlösungsbedürftigkeit veranschaulicht:

Die ganze Welt ist voller Sprache. Schafe, Kühe, Bäume, wenn sie blühen, sprechen: Hefata! Alle Kreaturen rufen zu dir. Aber wir sind nicht würdig, einen Vogel singen und eine Sau grunzen zu hören.

Dass es hier um die Schöpfung geht und dass der Schöpfer des Himmels und der Erde in Jesus am Wirken ist, wird bezeugt durch die Schlussworte des Markusberichtes:

Er hat alles wohl gemacht

Oder anders übersetzt: Er hat alles gut gemacht. Das ist eine Anspielung an die Schöpfungsgeschichte, wo es drei Mal hieß, dass Gott alles gut gemacht hat. Deshalb heißt die Botschaft hier: Gott ist dabei, in Jesus seine Schöpfung zu erneuern und zu vollenden. Alles wird zuletzt gut.

Wir brauchen diese Verheißung, um heil zu sein. Befreiung von Krankheit ist nicht genug: wir müssen wissen, dass zuletzt alles gut ist und gut wird, um wirklich intakt zu sein. Das wissen auch Mediziner.

'Carl Jung 1912', 2006, Maris stella

Einmal gab es eine Konferenz von Ärzten, die in der Behandlung von Krebskranken Spezialisten waren. Zwei Ärzte trafen sich in der Pause und verglichen ihre Methoden: sie stellten fest, dass sie dieselben Medikamente, dieselben Dosierungen und dieselben Behandlungen einsetzten. Bei einem Arzt wurden 22%, aber bei dem anderen 74% geheilt. Wie war dieser Unterschied zu erklären? Es stellte sich heraus, dass der Arzt, der so viel erfolgreicher war, etwas tat, was der andere nicht tat. Der erfolgreiche Arzt betonte Hoffnung. Er sagte: „Wenn ich Patienten Medikamente erteile, erkläre ich, dass ich Ihnen Hoffnung gebe. Ich betone, dass sie eine Chance haben, heil zu werden.“ Hoffnung heilt.

Eine ähnliche Entdeckung machte der Psychologe Carl Jung. Jung war zuerst Atheist, wie sein Mentor Sigmund Freud. Aber in einer späteren Phase seines Lebens stellte er fest, dass keiner seiner Patienten wirklich geheilt wurde, wenn eine religiöse Perspektive gefehlt hat.

Hoffnung ist es, was heilende Kraft mobilisiert. Wir brauchen eine umfassende Hoffnung, dass die ganze Schöpfung gut ist und gut wird, um wirklich ganzheitlich heil zu sein. Diese Hoffnung will uns der Markustext vermitteln. Möge Gott uns helfen, uns diese Hoffnung anzueignen, damit wir heil werden und damit wir heilsame Hoffnung verbreiten können.

Die Photographie 'Carl Jung 1912', 2006, Maris stella, wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.
Wir danken Frau Friedgard Habdank sehr herzlich, dass sie uns die Bilder ihres Mannes auf so großzügige und kostenlose Weise zur Verfügung gestellt hat. © Galerie Habdank, www.habdank-walter.de

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