Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Apostelgeschichte 3, 1 – 10 Zuletzt ist Macht ausschlaggebend

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'St. Peter Healing the Sick with His Shadow', Editrice Giusti, Firenze 1998, Dmitry Rozhkov, 2009

12. Sonntag nach Trinitatis

Zuletzt ist Macht ausschlaggebend Apostelgeschichte 3, 1 – 10

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2006

Petrus aber und Johannes gingen hinauf in den Tempel um die neunte Stunde, zur Gebetszeit. Und es wurde ein Mann herbeigetragen, lahm von Mutterleibe; den setzte man täglich vor die Tür des Tempels, die da heißt die Schöne, damit er um Almosen bettelte bei denen, die in den Tempel gingen. Als er nun Petrus und Johannes sah, wie sie in den Tempel hineingehen wollten, bat er um ein Almosen. Petrus aber blickte ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns an! Und er sah sie an und wartete darauf, dass er etwas von ihnen empfinge. Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher! Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest, er sprang auf, konnte gehen und stehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott. Und es sah ihn alles Volk umhergehen und Gott loben. Sie erkannten ihn auch, dass er es war, der vor der Schönen Tür des Tempels gesessen und um Almosen gebettelt hatte; und Verwunderung und Entsetzen erfüllte sie über das, was ihm widerfahren war. Apostelgeschichte 3, 1 – 10

Es gibt eine Firma, die eine Altersrente für alle Mitarbeiter einführen wollte. Das Personal sollte jeden Monat einen kleinen Betrag einzahlen und die Firma würde die übrigen Kosten übernehmen. Aber es gab eine Bedingung: die hundertprozentige Beteiligung aller Mitarbeiter war erforderlich, sonst konnte dieser Plan nicht verwirklicht werden. Aber es gab einen einzigen Mitarbeiter, der sich weigerte, mitzumachen. Sein Vorgesetzter und seine Kollegen redeten auf ihn ein und versuchten, ihn zu überzeugen, dass die Rentenversorgung für alle eine gute Sache wäre. Aber er war skeptisch; er meinte, dass dieser Plan sich nicht rentieren würde. Schließlich hat der Präsident der Firma diesen Widerborstigen zu sich bestellt. Der Firmenchef sagte: „Hier ist der Vertrag für die Rentenversorgung; und hier ist ein Kugelschreiber. Sie unterschreiben sofort, sonst sind Sie entlassen.“ Ohne Widerspruch hat der Mitarbeiter seine Unterschrift geleistet. Danach fragte der Chef: „Können Sie mir sagen, warum Sie vorher nicht bereit waren, zu unterschreiben?“ Der Mitarbeiter antwortete: „Vorher hat mir niemand die Sache so klar erläutert.“

Diese kleine Begebenheit veranschaulicht eine Wahrheit. Diese Wahrheit lautet: es kommt zuletzt auf Macht an. Die größere Macht gewinnt immer. Manchmal wird behauptet: Geld regiert die Welt. Und manchmal wird behauptet - wie in einem Beatles-Lied – „alles, was du brauchst, ist nur die Liebe.“ Aber zuletzt ist Macht ausschlaggebend. Und diese Behauptung ist sogar eine Kernbotschaft der Bibel.

'St. Peter Healing the Sick with His Shadow', 1424-1425 ca., John T. Spike, Masaccio, Rizzoli libri illustrati, Milano 2002, Sailko, 2009

Denn die Macht, die zuletzt gewinnt, ist das Thema des Textes aus der Apostelgeschichte, die wir vorhin gehört haben. Was Petrus und Johannes an dem Gelähmten vollbrachten, war eine rohe Machtdemonstration. Im darauffolgenden Kapitel der Apostelgeschichte erfährt der Leser, dass dieser Bettler mehr als 40 Jahre lang gelähmt war. Ein Mann, der seit der Geburt mehr als 40 Jahre lang gelähmt war, ist ein hoffnungsloser Fall. Es ist völlig ausgeschlossen, dass ein solcher Mensch wieder laufen könnte. Seine Bein-Muskeln sind tot. Aber Petrus und Johannes bringen ihn innerhalb von Sekunden nicht nur zum Laufen, sondern er kann sogar springen.

Eine Macht, die ein solches Auferstehungswunder vollbringen kann, ist nicht zu übertreffen. Hier offenbart sich göttliche Allmacht. Hier offenbart sich eine Macht, an der niemand vorbei kommt. Diese Macht ist so überwältigend, dass keine Person dieser Erde es sich leisten kann, sie zu missachten. Diese Macht, die sich vor dem schönen Tor im Tempel zu Jerusalem offenbarte, wird zuletzt keinen Widerstand hinnehmen.

'JK Rowling', Sjhill, 2007

Aber es geht hier nicht allein um rohe Macht. Denn es kommt auch darauf an, wie sich Macht definiert. Es gibt eine moderne Märchengeschichte, die sich mit dem Thema Macht auseinandersetzt. Es handelt sich um die inzwischen weltberühmte Harry Potter-Geschichte. In dem ersten Buch wird erzählt, wie Harry Potter in ein Internat für junge Zauberer berufen wird, wo er lernen sollte, wie er seine übernatürlichen Fähigkeiten diszipliniert entfalten kann. Jeder Neuling muss am Anfang verschiedene Zauberhüte ausprobieren, um festzustellen, zu welchem Haus er gehören sollte. Harry zieht zuerst einen Hut von dem Haus Slytherin an: er hört eine Stimme, die ihm einredet, dass er ein mächtiger Zauberer werden kann, wenn er sich für das Slytherin-Haus entscheidet. Aber Harry Potter fühlt sich beunruhigt: ein Streben nach roher Macht, das nur um der Macht willen unternommen wird, ist für ihn abstoßend. Er entscheidet sich für ein anderes Haus. Der nächste Junge, der diesen Hut anzieht, lässt sich von dem Verlangen nach roher Macht verführen und er wird zu einem dauerhaften Fiesling. J K Rowlings, die Autorin der Harry Potter Bücher, hielt diese Episode für besonders aufschlussreich. Sie sagte dazu: nicht unsere Fähigkeiten, sondern unsere Entscheidungen bestimmen, wer wir sind. Und wie ein Mensch entscheidet, seine Macht einzusetzen, definiert, wer er ist.

Auf Gott übertragen ergibt sich die Frage: wie hat sich Gott entschieden, sich selbst durch seine Macht zu definieren? Und die Antwort auf diese Frage lieferte Petrus direkt im Anschluss an die Heilung des Bettlers. Petrus erläuterte, dass Gott seine Allmacht dadurch zeigt, dass er zunächst das Unrecht erleidet. Petrus erklärte, dass Gott es vorerst zugelassen hatte, dass Jesus an Pilatus ausgeliefert und gekreuzigt wurde. Die Allmacht Gottes offenbarte sich in dieser scheinbar passiven Haltung – aber zeigte sich zuletzt dadurch, dass Jesus von den Toten auferweckt wurde. Damit verbunden ist die Erwartung – sagte Petrus - dass Jesus eines Tages als Weltherrscher und als Weltrichter in Macht und Herrlichkeit erscheinen wird. Die Auferstehung Jesu war eine Machtdemonstration. Gott hat demonstriert, dass keine Macht dieser Erde – auch nicht der Tod – gegen ihn gewinnen kann. Gott wird sich zuletzt durchsetzen.

Aber warum setzt sich Gott nicht sofort durch? Warum wartet er? Warum greift er nicht sofort ein, wenn Menschen Böses vorhaben. Warum vernichtet er nicht alle Terroristen, alle Selbstmordattentäter, alle Amokläufer, ehe sie unschuldiges Leben zerstören? Und die Antwort lautet: rohe Macht, die Menschen ermordet – seelisch oder körperlich - ist nicht die Antwort auf die Probleme der Welt. Gott hat eine Antwort, aber sie lässt sich nur mit unermesslicher Geduld durchsetzen. Gott ist behutsam, denn er will uns nicht überwältigen; er will unser freiwilliges Vertrauen gewinnen. Gott erleidet das Unrecht vorläufig, damit die Menschen die Möglichkeit behalten, sich für oder gegen ihn zu entscheiden. Gott wartet geduldig auf menschliche Entscheidungen. Und er kann es sich leisten, lange zu warten – bis in die Ewigkeit hinein. Denn er verfügt über Leben und Tod, über die sichtbare und die unsichtbare Welt, über Zeit und Ewigkeit.

Und die Kirche spielt eine Rolle in diesem Warten Gottes auf die Entscheidungen der Menschen. Petrus und Johannes als Vertreter der Kirche verkündeten die Macht Gottes. Aber sie verkündeten auch eine Einladung an die Zuschauer, sich dem Gott anzuvertrauen, der sich selbst durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi definiert hatte.

Vielleicht denken Sie jetzt: aber heutzutage hat die Kirche keine Macht. Wir sind scheinbar mehr oder weniger hilflos, irgendetwas Entscheidendes in dieser Welt auszurichten. Aber jeder von uns hat Macht: und zwar ungeheure Macht.

'Gossips in the Altstadt in Sindelfingen, Germany', Rebecca Kennison, 1989

Wenn Sie das nicht glauben, lesen Sie den Jakobusbrief. In dem 3. Kapitel beschreibt Jakobus, wie viel Macht die Zunge hat. Er schreibt folgendes:

So ist die Zunge ein kleines Glied und richtet große Dinge an. Siehe, ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet's an! Auch die Zunge ist ein Feuer, eine Welt voll Ungerechtigkeit... sie befleckt den ganzen Leib und zündet die ganze Welt an und ist selbst von der Hölle entzündet.

Gerade in einer Kirchengemeinde erlebt man immer wieder, wie mächtig die Zunge ist. Ich denke zum Beispiel an zwei Vorgänge, die vor etwa 20 Jahren vorkamen. Alle Beteiligten sind inzwischen gestorben oder weggezogen: deswegen kann ich davon berichten, ohne indiskret zu sein.

Es ging um einen Gemeindeausflug mit einem Bus: Irgendjemand im Bus hat etwas zu laut gesagt: Wo sind alle diese Leute, wenn sonntags Gottesdienst ist? Diese Person hat offenbar gemeint, dass nur treue Gottesdienstbesucher das Recht haben, an einem Ausflug der Gemeinde teilzunehmen. Dass ein Ausflug eine Gelegenheit ist, Menschen für das Gemeindeleben zu gewinnen, war dieser Person nicht eingefallen. Diese kleine Bemerkung, die nicht unbedingt böse gemeint war, hat großen Schaden angerichtet. Eine Person, die sie gehört hatte, hat nie wieder an irgendetwas in der Gemeinde teilgenommen. Diese Person war für immer weg.

Und solche Erfahrungen kommen immer wieder vor. Ein zweites Beispiel: Eine unüberlegte Bemerkung in einer Chorprobe führte dazu, dass ein Chormitglied den Chor für immer verlassen hatte. Die Zunge hat so viel Macht, dass sie mit einem einzigen Satz eine Verletzung verursachen kann, die jahrzehntelang anhält. Wie es in einem italienischen Sprichwort heißt: „Die Zunge hat keine Knochen, aber sei kann ein Rückgrat brechen.“

'Photo of the Praying Hands statue in Web City, Missouri', Abe Ezekowitz, 2008

Wenn die Zunge so viel Böses anrichten kann, kann sie um so mehr Gutes anrichten. Wir dürfen nicht unterschätzen, wie viel heilende Kraft ein liebevolles Wort haben kann. Mit unseren Zungen können wir Gott verherrlichen. Wenn wir uns zu Gott bekennen – mit unseren Gebeten und mit unseren Liedern – dann steckt eine Macht dahinter, die zuletzt die sichtbare und die unsichtbare Welt erobern wird. Wir haben also viel Macht.

Und besonders wenn wir beten. In unseren gefalteten Händen steckt alle Macht im Himmel und auf Erden. Auch wenn ein Gebet nicht so beantwortet wird, wie der Beter sich das vorgestellt hat, hat jedes Gebet trotzdem eine unermessliche Wirkung. Ich bin überzeugt, dass zuletzt, wenn wir jenseits des Todes vor Gott stehen und unsere Augen geöffnet werden, wir entsetzt sein werden, wie viel Macht wir nicht eingesetzt hatten, weil wir zu wenig gebetet hatten.

Wie wir als Christen und als Gemeindemitglieder unsere Macht einsetzen, wird definieren, wer wir sind. Es kommt auf kleine Entscheidungen an: ein Wort zu sagen oder nicht zu sagen, ein Gebet zu sprechen oder ein Gebet zu versäumen.

Möge Gott uns helfen, die Macht, die uns gegeben ist, behutsam und liebevoll einzusetzen.

Das Bild 'St. Peter Healing the Sick with His Shadow', Editrice Giusti, Firenze 1998, Dmitry Rozhkov, 2009, sowie das Bild 'St. Peter Healing the Sick with His Shadow', 1424-1425 ca., John T. Spike, Masaccio, Rizzoli libri illustrati, Milano 2002, Sailko, 2009, sind im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.
Die Photographie 'JK Rowling', Sjhill, 2007, das Kunstwerk 'Gossips in the Altstadt in Sindelfingen, Germany', Rebecca Kennison, 1989, sowie die Abbildung 'Photo of the Praying Hands statue in Web City, Missouri', Abe Ezekowitz, 2008, wurden unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Dateien unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.

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