Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Jesaja 29, 17 Verheißung setzt Kraft frei

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'In Erwartung', 1975 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'In Erwartung', 1975
Walter Habdank. © Galerie Habdank

12. Sonntag nach Trinitatis

Verheißung setzt Kraft frei Jesaja 29, 17

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2005

Wohlan, es ist noch eine kleine Weile, so soll der Libanon fruchtbares Land werden, und was jetzt fruchtbares Land ist, soll wie ein Wald werden. Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; und die Elenden werden wieder Freude haben am HERRN, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels. Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten, welche die Leute schuldig sprechen vor Gericht und stellen dem nach, der sie zurechtweist im Tor, und beugen durch Lügen das Recht des Unschuldigen. Darum spricht der HERR, der Abraham erlöst hat, zum Hause Jakob: Jakob soll nicht mehr beschämt dastehen, und sein Antlitz soll nicht mehr erblassen. Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände - seine Kinder - in ihrer Mitte, werden sie meinen Namen heiligen; sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten. Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen. Jesaja 29, 17

Es gibt in einer amerikanischen Stadt ein Schulamt, das ein Programm für Schüler hat, die für eine längere Zeit im Krankenhaus liegen. Es gibt eine Studienrätin, die für diese Aufgabe eingestellt wurde, die den Namen eines Schülers bekam, der wegen Verbrennungen in einer Klinik lag. Sie erfuhr von der Klassenlehrerin, dass sie mit dem Jungen eine Hausaufgabe über Grammatik durcharbeiten sollte. Als diese Studienrätin am Nachmittag das Krankenhauszimmer des Schülers betrat, bekam sie einen Schock: Niemand hatte sie vorgewarnt, wie schlimm die Verbrennungen waren. Der Zustand des Schülers grenzte an Lebensgefahr und es war ihm anzusehen, dass er Schmerzen hatte. Die Lehrerin war sehr verunsichert, aber sie teilte mit, warum sie gekommen war: „Ich bin von deiner Schule geschickt worden, um mit dir eine Grammatikaufgabe durchzuarbeiten.“ Sie hat die Aufgabe so schnell wie möglich erledigt und verließ das Zimmer mit einem unguten Gefühl. Am nächsten Tag kam sie wieder und wurde von einer Krankenschwester angesprochen, die fragte: „Was haben sie mit dem Jungen gemacht?“ Die Lehrerin hörte in dieser Frage einen Vorwurf und fing an, sich zu rechtfertigen. Die Krankenschwester unterbrach sie und sagte: „Wir waren um den Jungen besorgt, denn er hatte keinen Lebenswillen. Aber seit gestern ist er wie verwandelt: er kämpft um sein Leben, die Behandlung hat jetzt eine heilsame Wirkung. Es sieht so aus, als ob er sich dafür entschieden hat, zu leben.

Zwei Wochen später erklärte der Junge, was eingetreten war. Er hatte gemeint, er müsste sterben, bis die Lehrerin kam. Er sagte folgendes: „Ich habe gedacht, wenn ich wirklich am Sterben gewesen wäre, dann würde niemand eine Lehrerin zu mir schicken, um über Grammatik zu reden.“

Dieser Vorgang kann als Gleichnis dafür dienen, was Gott in Jesus bewirkt hat. Jesus war die Menschwerdung Gottes. Gott kam in unsere Welt hinein als Mensch. Er kannte aus eigener Erfahrung die Tausenden von Kleinigkeiten, die unser Leben ausmachen: Essen und Trinken, Hitze und Kälte, Beruf und Freizeit. Er lernte den Beruf Zimmermann. Er diente als Prediger und Lehrmeister. Er war auch Wunderheiler und Exorzist. Er beantwortete Steuerfragen. Er feierte die jüdischen Feste und auch Hochzeitfeste und genoss Wein und gutes Essen.

'Pope Shenouda III', 2009, The Official White House Photostream, ComputerHotline

Dass Gott auf diese Weise in unsere Welt hineingekommen ist, ist eine Botschaft an die Welt. Diese Botschaft ist vergleichbar mit der Botschaft, welche die Lehrerin durch ihre bloße Anwesenheit im Krankenzimmer eines sterbenden Schülers vermittelte. Und diese Botschaft lautet: Du bist nicht für Verderben bestimmt, du bist für Leben vorgesehen.

Die Anwesenheit Gottes auf dieser Erde bedeutete, dass alle Dimensionen unseres Lebens geheiligt wurden. Ein Zeuge dieser Wahrheit ist ein Papst. Abgesehen von dem Papst in Rom, gibt es auch einen Papst in Alexandrien in Ägypten; der Patriarch der koptischen Kirche heißt Papst Schenuda III. Und zu der Menschwerdung Gottes schrieb er folgendes:

„Der Herr segnete unsere Natur in jeder Phase unseres Lebens. Er segnete die Kindheit, als er ein Kind war; er segnete die Jugend, als er Jugendlicher war; er segnete die Männer, als er selbst ein Mann war. Er heiligte den Kampf gegen den Feind, als sie zu ihm kamen, um ihn festzunehmen. Durch die Flucht nach Ägypten segnete er die Flucht vor dem Bösen. Er segnete das duldende Leiden, als er das Unrecht der Übeltäter ertrug. Er segnete den konstruktiven Disput, als er mit Schriftgelehrten, Pharisäern und Sadduzäern stritt. Er segnete das Schweigen, als er schwieg. Und er segnete die Rede, als er sprach. Durch seine menschliche Natur wirst du also in allem gesegnet, was du tust.“

Und weil Gott diese Welt geheiligt hat durch seine Teilnahme an allen Dimensionen des Lebens, von der Geburt bis zum Tode, so ist das Leben dieser Welt Gott geweiht. Und das bedeutet: diese Welt kann nicht untergehen, sondern ist für Vollendung vorgesehen.

Und eine Vision dieser Vollendung bietet der Jesajatext, der für heute vorgesehen ist. Es heißt z. B.:

'Licht in der Finsternis', 1976 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'Licht in der Finsternis', 1976
Walter Habdank. © Galerie Habdank

Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; und die Elenden werden wieder Freude haben am HERRN, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels. Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten, welche die Leute schuldig sprechen vor Gericht und stellen dem nach, der sie zurechtweist im Tor, und beugen durch Lügen das Recht des Unschuldigen.

Hier ist die Verheißung, dass Gott seine Gerechtigkeit zuletzt durchsetzen wird. In diesem Zusammenhang ist auch Jesus der Anhaltspunkt für diese Verheißung. Denn in Jesus hat Gott um Gerechtigkeit gekämpft: Jesus predigte eine sogenannte „höhere“ Gerechtigkeit, Jesus erlitt Ungerechtigkeit an seinem Körper, Jesus erlitt die Ungerechtigkeit, die ein Volk erleidet, das einer Besatzungsmacht ausgeliefert ist, Jesus erlitt die Erniedrigung einer öffentlichen Hinrichtung. Mit anderen Worten: in Jesus hat Gott den Kampf um Gerechtigkeit höchst persönlich aufgenommen. Und es gibt nur eine Möglichkeit, wie dieser Kampf ausgehen kann. Nur Gott kann gewinnen. Denn es gibt nur einen Gott, alles andere ist weniger als Gott und wird sich zuletzt unterordnen müssen. Gott ist auch größer als der Wahnsinn aller Terroristen und Verbrecher dieser Erde. Denn von diesem Tag heißt es: „Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen.“

Juden und Christen warten auf einen Tag, an dem sich Gott öffentlich offenbart und diese Welt auf eine umfassende Weise verwandelt.

Diese Verheißung wird für viele wie eine weltfremde Utopie klingen. Aber diese Verheißung hat eine praktische Auswirkung. In diesem Zusammenhang gibt es eine Begebenheit, die als Gleichnis dienen kann. Im US-Bundesstaat Maine gab es ein Dorf mit dem Namen Flagstaff. Dieses Dorf liegt heute unter Wasser, denn ein Staudamm wurde gebaut und dieses Städtchen wurde dadurch von einem See überflutet. Als die Dorfbewohner erfuhren, dass ihr Ort keine Zukunft hatte, hörten sie auf, irgendetwas zu pflegen. Es gab keine Renovierungen mehr. Wenn etwas kaputt ging, wurde es nicht repariert. Im Laufe der Zeit sah das Dorf verwahrlost aus. Ein ehemaliger Bewohner dieses Dorfes fasste diese Verwahrlosung zusammen mit den Worten: „Wo es keinen Glauben in die Zukunft gibt, gibt es auch keine Kraft für die Gegenwart.“

So ist es auch, wenn es um die Zukunft dieser Erde geht. Wenn Menschen keine Hoffnung haben, die über den Alltag hinausgeht, verlieren sie Kraft und erleiden eine seelische Verwahrlosung. Der Spruch „Nach mir die Sintflut“ drückt diese aussichtslose Haltung aus. „Nach mir die Sintflut“ heißt: „Ich sehe keine Hoffnung für diese Welt oder für meine Welt, also lebe ich nur noch für mein Vorteil. Was nach mir kommt, kann mir egal sein.“

'Anthony Ashley-Cooper, 7th Earl of Shaftesbury', by John Collier (died 1934), given to the National Portrait Gallery, London in 1914

Aber die Verheißung, dass Gott etwas mit dieser Welt vorhat, setzt Kraft frei für gegenwärtige Aufgaben. Ein klassisches Beispiel dafür ist der englische Politiker Ashley Cooper - bekannt als Lord Shaftesbury - der im 19. Jahrhundert lebte. Dieses Mitglied des Parlaments hat 40 Jahre lang unermüdlich dafür gekämpft, dass Kinder, Frauen und Arbeiter vor unzumutbaren Arbeitsbedingungen und Ausbeutung geschützt wurden. Er hat außerdem eine Organisation geleitet, die eine Schulausbildung für ca 300.000 mittellose Kinder ermöglichte. Er hat das erste Gesetz durchgesetzt, dass eine Besserstellung von Geisteskranken bewirkte. Er unternahm wiederholte Vorstöße, um die Regierung zur Errichtung billiger Wohnungen für städtische Arbeiter zu bewegen. Er engagierte sich für die Sanierung der Londoner Slums. Lord Ashley hatte zahlreiche Ämter in sozial-karitativen Organisationen: Er gründete Arbeiterinstitute, war Mitbegründer des »Christlichen Vereines junger Männer«, er förderte zahlreiche kirchliche Missionswerke und war Präsident der britischen Bibelgesellschaft. Die Frage ist, was hat diesem Mann so viel Energie und Durchsetzungskraft gegeben? Gegen Ende seines Lebens sagte er folgendes: „Wenn ich auf die letzten 40 Jahre schaue, dann stelle ich fest, dass es nicht eine einzige Stunde gab, in der ich nicht von der Erwartung der Wiederkehr unseres Herrn beeinflusst war.“ Er lebte in der ständigen Erwartung der Wiederkehr Christi in Macht und Herrlichkeit, in der Erwartung, dass Gott vorhat, diese Welt zu vollenden. Und diese Zukunftserwartung hat Kraft freigesetzt, die jetzige Welt menschlicher zu machen.

So sieht christlicher Glaube aus. Wir haben die Verheißung, dass Gott sich zuletzt durchsetzen und diese Welt verwandeln wird. Diese Verheißung gibt uns die Kraft, die wir brauchen, um unsere Aufgaben in der Kirche oder in der Nachbarschaft oder um der Menschen willen mit Fleiß und Liebe durchzuführen. Möge Gott uns helfen, Im Namen Christi um eine bessere Welt zu kämpfen, denn diesen Kampf wird Gott gewinnen.

Die Photographie 'Pope Shenouda III', 2009, The Official White House Photostream, ComputerHotline, ist eine Arbeit eines Mitarbeiters der Behörde des Präsidenten der Vereinigten Staaten, die er während der Ausübung seiner offizielen Pflichten angefertigt hat. Als eine Arbeit der Bundesregierung der Vereinigten Staaten ist dieses Bild im public domain.
Die Photopgraphie 'Anthony Ashley-Cooper, 7th Earl of Shaftesbury', John Collier (died 1934), given to the National Portrait Gallery, London in 1914, ist gemeinfrei, weil ihre urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist.
Wir danken Frau Friedgard Habdank sehr herzlich, dass sie uns die Bilder ihres Mannes auf so großzügige und kostenlose Weise zur Verfügung gestellt hat. © Galerie Habdank, www.habdank-walter.de

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